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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Neunter Theil.  1803


 

 

Den 25sten Februar.

 

In ein kleines, ruhiges, mit einer dunkeln Lampe erleuchtetes Stübchen verwiesen, sitze ich hier in einem ländlichen Posthause, zwey Stationen von der betäubenden Hauptstadt – denn weiter konnte ich heute nicht kommen – und blicke meinem abgelaufenen Tage in einer Gemüthsstimmung nach, wie ich sie mir nur, bei dem letzten herabrieselnden Sandkörnchen meines Stundenglases, zum Überschwung in die Ewigkeit wünschen kann. Ich habe die, selbst in ihrer Verrückung noch, unübertreffliche Frau gesehen, gehört, bejammert und angebetet. Wären ihr alle Verstandesberaubte gleich, so würde ich die mahomedanische religiöse Verehrung derselben ohne Bedenken in meine Glaubensartikel aufnehmen. Doch gemach! Wir müssen erst, lieber Eduard, einen langen sauern Weg zurücklegen, ehe wir in die verschwiegene Halle gelangen, die diese Heilige von der großen lärmenden Gesellschaft gemeiner Unsinnigen scheidet. Ich ließ mich bey ihrem Vorsteher als einen Freund des Marquis ansagen. Er empfing mich schon darum mit vieler Achtung, die schnell in Zutrauen überging, da meine Eigenliebe ihm nicht verschweigen konnte, daß ich dem großen Feste, von dem ich eben zurückkäme, als der einzige Fremde beygewohnt hätte: denn es ist unglaublich, was der kleinste Beweis von Auszeichnung, mit welcher St. Sauveur jemanden beehrt, in den Augen der Rechtschaffenen für einen Glanz auf ihn zurückwirft. Unter diese Zahl gehörte Hr. Filbert unstreitig, ein Name, der zwar von keinem Stammbaume beschattet wird, den ich aber in den meinigen vor vielen andern aufnehmen möchte, die, stiftmäßig, ihr Leben in Spiel=, Trink= und Theegesellschaften vergeuden. Er habe sich, sagte er, um seine nichts weniger als anlockende Stelle beworben, die aber, trotz ihrem geringen Schimmer, seiner Mutter Bruder zu einem wahren Ehrenposten erhoben hätte. Ich zog den Hut ab, als er mir auf mein Befragen nach dem Namen seines Oheims den edeln Howard nannte. Wenn ich etwas Gutes in meinem beschwerlichen Amte bewirke, so verdanke ich es dem Stolze, einem solchen Blutsfreunde nachzueifern, den ich ganz jung kennen lernte, als er die hiesigen Gefängnisse und Armenhäuser besuchte. Ich habe, wie er, nicht die Phantasien der Weltweisen, sondern der Narren studirt – nicht die Kunst, Paläste anzulegen und zu verzieren, sondern bequeme Kerker zu bauen und mit gesunder Luft zu füllen, ihm abgelernt, werde der Nachwelt so wenig, als er, eine verbesserte Tactik – wirksamere Mordgewehre, oder neue Plane zu Lotterien und Auflagen – aber der Menschlichkeit in einer Wissenschaft, die noch sehr im Finstern liegt, hellere Augengläser vererben. Diese Anstrengung meiner wenigen Kräfte glaube ich dem Ruhme meines Oheims schuldig zu seyn. Es ist gut, Eduard, daß die Natur durch das Hirngespinst körperlicher Verwandschaft manchmal auch eine geistige stiftet, so wie der leere Schall eines Namens, den ein berühmter Vorfahr auf uns gebracht hat, selbst bey dem Unvermögen, ihn zu erhöhen, uns doch gewiß abhalten wird, ihn verächtlich zu machen. Ein Namensvetter von Howard oder Filbert könnte, dächte ich, kein unnützer Weltbürger werden. Meine Begriffe sind gewiß von dem Verdienste eines Monarchen nicht klein, der seine Staaten in Ruhe zu erhalten und das Glas voll gährender Hefen so geschickt zu tragen versteht, daß es weder zerbricht noch überläuft; wenn aber die Behauptung wahr ist, daß ein Haufe verschobener Köpfe schwerer zu behandeln sey, als eine Armee, die, da sie aus lauter klugen in eine Masse zusammen gezwängt ist, geduldig dem Winke eines Lappens folgt, den ihr Gebieter ihnen zur Hetze auf eine andere Menschenmasse vortragen läßt, die er – ihren Feind nennt:

 – so sollte es beynahe scheinen, als ob das Regenten=Verdienst eines Narrenwärters mehr besage, als das eines Fürsten. Nach besserer Ueberlegung halte ich jedoch dafür, daß die Regierungskunst des einen wie des andern auf einerley Grundfeilern beruhe, und die einfachen Mittel, die Filbert gebraucht, um seine tobende Republik in Gehorsam und Ordnung zu erhalten, dieselben sind, die unser Friederich, nur nach einem größeren Maasstabe, anwendet. „Ich bändige, sagte er, durch Hunger – belohne durch die Freude der Sättigung, und lasse übrigens in gleichgültigen Dingen jedem tollen Kopfe das Spielwerk seiner Laune. Sie werden mich sogleich deutlicher verstehen, mein Herr.“

 

     Er führte mich nun in die erste der vier Abtheilungen, die in einem weitläufigen Bezirke die verschiedenen Classen dieser Brüdergemeine von einander sondern. Wenn Apollo einmal einem Dichterchor sichtbar erschien, schwerlich könnte er von feurigeren Augen bewillkommt werden, als hier aus einem Dutzend finsterer Behälter meinem Begleiter entgegenfunkelten. „Nach was, fragte ich, strecken diese Rasenden ihre Hände so weit aus ihren Gittern?“ „Nach Federn, Tinte und Papier,“ war seine Antwort, „sie würden aber die ganze milde Casse gesprengt haben, wenn ich ihnen hierin immer zu Willen stände. Diesen Hof, mein Herr, habe ich nur den Genies der Gesellschaft eingeräumt, die meiner Aufsicht um deßwillen am nächsten sind, weil sie ihrer am meisten bedürfen. Sie taugen durchaus in keine andere Abtheilung, denn sie würden jeden Narren, der nicht mit ihnen auf derselben Höhe steht, nur noch närrischer machen. Hier hält das Excentrische des Einen den Unsinn des Andern im Gleichgewicht. Die Nachwelt ist zwar das allgemeine Steckenpferd, das sie reiten, und die Minderjährigkeit des Zeitalters ihre ewige Klage.“ „Da sie aber,“ wendete ich ihm ein, „einander meistens in die Fenster sehen können, wie ich bemerke, so dächte ich, müßte bey gleichen Foderungen ein unaufhörlicher Zwist unter ihnen herrschen, dessen Ausbruch nur die stärksten Ketten hindern können.“ „Dafür habe ich gesorgt,“ erwiederte der Aufseher. „Es gibt der Wege zur Unsterblichkeit so viele! und indem ich hier dem Tragödien=Schreiber einen Systematiker – dort dem medicinischen Freygeist einen Sternseher – weiter unten dem Goldkoch einen Heldensänger, und am Ende des Hofs dem Weltverbesserer einen Liederdichter gegen über gesetzt habe, lachen die einen über die andern, und treffen sich nie in einem Gleise zusammen. Jeder verführt ruhig seine Waare der Ewigkeit zu, ohne sich um die Ladung des Gegenüberstehenden zu bekümmern. In ihrer Kost sind sie sehr genügsam: desto gieriger aber nach gelehrten Zeitungen, und kann ich allemal aus der rasselnden Kette des einen, oder der schäumenden Wuth des andern abnehmen, wenn einer ihrer Zunft in dem neuesten Blatte gelobt ist. Deshalb lasse ich seit einiger Zeit nur ein gewisses Journal, seiner herabwürdigenden Urtheile wegen, unter diesen Herren circuliren, und kann dem Herausgeber nicht genug dafür danken: denn es scheint nur für Narren geschrieben zu seyn, und beruhigt die meinigen außerordentlich. Auf lucida intervalla darf ich nicht eher bey ihnen rechnen, als bis ein Licht in der gelehrten Welt verlöscht. Es ist, als ob sie nach einer solchen Anzeige mehr Lust bekämen: denn jeder berühmte Mann scheint ihnen den Raum zu verengen. Könnte sie ein Schlagfluß alle auf einmal tödten, ich glaube, den Tag nachher bekämen diese gelbsüchtigen Thoren alle wieder gesunde Farbe.“ „Dürfte ich wohl“, fragte ich, und winkte Bastianen, „diesen Herrn einen Theil meines mitgebrachten Geschenkes anbieten?“ „O“, antwortete mein Führer, „Sie können es nirgends zweckmäßiger anwenden – nur erwarten Sie keinen Dank dafür – denn so weit reinigt die stärkste Niesewurz ihr Gehirn nie.“ – Indem rief mir der Tragicus mit ironischem Ingrimm und mit einem Blicke zu: – „Nein, Lucan hat der Furie, die ein Nest Schlangen zerdrückt, während der Sohn des Pompejus sie um den Ausgang der Pharsalischen Schlacht befragt, keinen erschrecklichern gegeben. Steht der junge Herr dort – rief er – etwan auch in dem Wahn, ein Dichter der ersten Classe zu seyn?“ – Gott bewahre mich, rief ich äußerst erschrocken, vor einem so übermüthigen Einfalle, und beschwur Herrn Filbert, mich aus der Nähe dieses groben Narren zu bringen. –

 

     Die anstoßende Abtheilung war still wie das Grab. „Sie verwahrt“, sagte Filbert, ehemals gute, nützliche Bürger, die durch äußere unglückliche Zufälle in hülflosen Blödsinn gerathen, und auf ihrem harten Strohlager einer besseren Zukunft entgegen träumen. Das Mitleid wird zu sehr gespannt, um hier zu verweilen; doch werfen Sie immer im Durchgehn einen Blick in die mittlere Zelle, weil Sie bald die Mutter des jungen Mannes, der hier eingesperrt ist, sehen und hören werden. Er ahndet nicht, daß er der Grausamen so nahe wohnt, die, um es kurz zu sagen, ihn durch ihr Beyspiel verdorben, durch ihre Lehren zur Verschwendung seiner Jugendkräfte, zum Mißbrauch seines guten Verstandes gereizt und in dieß Elend gebracht hat – eine Geschichte von gewöhnlichem Ursprung und entsetzlichem Ausgange.

 

     Sein Vater – ein reicher Banquier – sonst höchst behutsam in seinen Unternehmungen, – war es nur nicht in der Wahl seiner Gattin. Er blickte aus seinem Comtoir in die junge weibliche Welt, wie in ein Waarenlager, und suchte sich das Mädchen aus, das einstimmig unter den Kennern für die Reizendste erklärt war. Stolz führte er sie bald als sein Eigenthum durch die Reihe ihrer Anbeter – glaubte ein unschätzbares Kleinod erhandelt zu haben, ohne zu bedenken, daß es keins in der Ehe gibt, wenn es sich nicht selbst zu schätzen weiß. Das wußte seine junge Frau zu wenig, wie der Diamant des großen Moguls – und Er – wenn er nur seine Geldkasten unter dem Schlüssel hatte, glaubte alles in seinem Hause verschlossen. Während er gekrümmt an seinem Schreibtisch saß – hatte er kein Arges auf die Bälle, Redouten und Opern, wo sein Edelstein glänzte. Eifriger konnte er aber kaum seine Wechselgeschäfte treiben, als sie das ihrige. Sie hätte sogar den Vortheil gehabt, es länger fortzusetzen, als er, da ihn ein schneller Tod von der Seite seiner schönen Hälfte wegnahm, und nun das Ganze ihren Liebhabern überlassen blieb, wenn nur nicht nach und nach neben ihrer Wechselbank andere mit mehrerem Credit entstanden – schlankere Gestalten auf den Maskeraden – leichtere Tänzerinnen auf den Bällen – jüngere Gesichter in den Logen erschienen wären, die alle Lordgnetten von der ihrigen abzogen. In dieser Verlassenheit, die mit den Jahren zunahm – bekam sie Zeit, an die Erziehung ihres Sohns zu denken, der schon ziemlich durch ihr Beyspiel gebildet, siebenzehn Jahre alt, und reich und schön genug war, das Werkzeug ihrer doppelten Rache an unserm und ihrem eigenen Geschlechte zu werden. Als er an einem Redoutenabend sie um Rath fragte, was er thun solle, um sich auszuzeichnen, stand sie als Zauberin masquirt vor ihm – hob ihren Stab und entließ ihn mit folgendem Orakelspruch: Blicke um dich und sieh, wie jene summenden Bienen die Knospen der Rose belagern, um, sobald sie sich aufthun, den ersten Honig aus ihrem Kelche zu saugen – und du könnstest die Flügel hängen und anderm Gewürme ruhig den Vorgenuß einräumen? Ich hasse mein Geschlecht und ergrimme über das deinige. Schaffen mir Genugthuung von beyden und Seelenruhe durch deine Triumphe!

 

     An diesem Abend, erzählt man, gelang ihm seine erste Verführung in einer Schäfer=Maske bey einer Schneiders=Tochter, als Diana gekleidet, und beyder Unschuld ging verloren. Durch mütterliche Erfahrung wehrhaft gemacht, wie gefährlich ward nicht dieser verwahrloste Jüngling jeder unbewachten weiblichen Tugend? Wie manche herrliche Frühlingsblume hat nicht dieser gehorsame Sohn, auf Kosten seiner eigenen Jugendblüte zerstört? In seinem vier und zwanzigsten Jahr verfiel sein, durch Wollust entkräfteter Körper in ein schleichendes Fieber, dem sich die Verstandesschwäche anschloß, die alle seine Ansprüche auf ein frohes Leben vereitelte und ihn endlich unter meine Aufsicht gebracht hat. Die Welt bestrafte das mütterliche Ungeheuer mit Ekel und Verachtung, und der oberste Richter, nach einer mehrjährigen Folter unbefriedigter Leidenschaft, durch Wahnsinn, der sie auch hier nicht einmal dem Mitleiden, sondern dem Spotte der Neugierigen Preis gibt. Sobald sie einen von unserm Geschlechte zu Gesicht bekommt, wird sie gesprächig, und entwickelt den Gang ihres häßlichen Lebens mit einer unbeschreiblichen Naivität, die jedoch für einen Psychologen nicht ohne Werth ist. An der Spitze einer Schaar sinnloser Weiber scheint sie ruhiger zu seyn, als sie es in der vorigen verschuldeten Einsamkeit ihrer prächtigen Wohnung war, und vertreibt sich die Zeit durch idealische Buhlerey mit dem Himmel. Als man sie über diesen Hof in ihren Käfig führte, kehrte auf einen schrecklichen Augenblick die Besinnungskraft des Sohnes zurück. Er erkannte die mütterliche Furie – griff rasend in sein Gitter – verfolgte sie mit brüllenden Flüchen, und stürzte dann ohnmächtig auf sein Lager. Sie aber, nur mit ihrem schamlosen Aufputze beschäftigt, ging gefühllos vorbey, ohne, wie es schien, ihrer widernatürlichen Laster bemerkt zu haben.“ Die Geschichte ist gräßlich, lieber Filbert, sagte ich; sie zerreißt das Herz und bestätigt die Bemerkung, die ich schon in mehreren Irrhäusern zu machen Gelegenheit gehabt habe, daß unter allen schauderhaften Geburten des Wahnsinns keine unserer Seele so widrig und abstoßend erscheint, als die aus zügellosen unkeuschen Begierden entsprang.

 

     Mein Auge kam von dem Hinblick, den es in die grausende Richtstätte des todtbleichen, hohläugigen Jünglings that, mit solchem Entsetzen zurück, daß mich Filbert geschwind mit den Worten: „Kommen Sie, mein Herr!“ bey der Hand nahm.

 

     Als einen Mann, der die Welt kennt, wird Sie die folgende Galerie wieder aufmuntern. Sie enthält, was man halbe Narren nennt, nur um etwas anmaßlicher – lächerlicher und gesprächiger, als uns deren nur zu oft im gewöhnlichen Leben aufstoßen! Sie spielen die Angenehmen, dociren gern – fragen zur Unzeit – sind zudringlich und mit unter von der lustigsten Laune. – Einige haben sich aus rasender Prosa in die matteste Poesie geworfen. Diese Krankheit – ein sonderbares, aber gegründetes Phänomen – ist gerade zu an die Stelle des Kerkerfiebers getreten, das ich glücklich genug gewesen bin, nach der Anleitung meines Oheims auszurotten. Ich würde gern die harmonischen Anfälle dieser armen Preßhaften – wie den Uebergang des hitzigen Fiebers in ein kaltes – für ein Zeichen der Besserung halten, wenn der unbegreifliche Stolz, der sie dabei juckt, mich nicht wieder über ihren Zustand irre machte. Einer der ausgezeichnetsten in dieser Rücksicht sitzt gleich in der nächsten Zelle. Ich habe ihn erst kürzlich aus der ersten Classe in diese – aus der wirklichen in die stille Wuth gebracht, indem ich seinem Hochmuthe ein wenig nachgab. Der Wunsch des Julius Cäsar, lieber an einem kleinen Orte der erste, als der zweyte in Rom zu sein, war ihm in gesunden Tagen überall, wo er hinkam, auf Universitäten und auf Dörfern, verunglückt, hatte sich aber in seinem Kopfe so arithmetisch festgesetzt, daß er auch hier im Tollhause nicht davon abgehen wollte. Eine solche Würdigung seiner selbst verlangte nun freylich einen untergeordneten Zähler, und ich konnte lange für diese Stelle kein taugliches Individuum auftreiben, bis mir ein Candidat in die Hände gerieth, dem die Epidemie der Schulverbesserung in das Gehirn getreten war. Diesen gesellte ich jenem bey, so wie die Thierwärter ein Hündchen in den Käfig des Löwen stecken, um ihn durch das Gefühl der Großmuth für ein schwaches Geschöpf alle Kampfeslust aus dem Sinne zu schlagen.“

 

     Wir traten ein. Schwerlich würde ich mich in die närrische Gruppe, die sich mir darstellte, ohne die voraus erhaltene Erläuterung gefunden haben. Aufgeblasen saß der Erste im Rang, sechs Stufen hoch unter einem Thronhimmel mit Goldpapier überkleistert, hielt in seiner Rechten einen hölzernen Zepter und lächelte mit verächtlichem Mitleid auf die Null herab, der er doch das süße Bewußtseyn seiner zehnfachen Vergrößerung zu verdanken hatte. In gehöriger Entfernung unterhalb seines glänzenden Sitzes verfolgte der tolle, und wie ein hessischer Züchtling aufgestutzte Pädagog, in fortwährendem Zirkelschlag seine überspannten Ideen und haschte nach Wörtern, die er so lange über einen philosophisch=grammaticalischen Leisten zerrte, bis er einen Schuh fertig brachte, der aber freylich auch darnach war.

 

Ich liege – lu liegest – wir liegen

     Gleich eingehüllet und warm,

Der eine geschminktem Vergnügen,

     Ein anderer der Schwermuth im Arm.

 

Ich zähle – du zählest – wir zählen

     Die Höhern als Thoren und sind

Im Forschen, im Wünschen und Wählen

     Gleich unberathen und blind.

 

Ich harre – du harrest – wir harren

     Des Possenspieles Vergang.

Doch dauert lustigen Narren

     Die Hora selten zu lang.

 

Du würdest mir gewiß das Lachen vergeben haben, lieber Eduard, das mich beym Anblicke dieses albernen Wortkrämers befiel. Von Ihro Magnifincenz zog es mir aber einen tüchigen Verweis zu. – O, rief er und winkte mit seinem Zepter darein:

 

O, Ihr Kritons! *) Laßt den kranken

     Füllentreiber unverlacht,

Der zum Kreislauf der Gedanken

Aus der Wildbahn ohne Schranken

     Eine Reitbahn macht!

 

Gönnt dem Thoren sein Entzücken!

     Stört nicht seines Stolzes Ruh!

Dreht mit abgewandten Blicken

Er denn nicht sogar den Rücken

     Meinem Purpur zu?

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*) Kriton erwarb sich den bittersten Undank von seinem Bruder Thrasyllus, da er ihn von dem süßen Wahnsinn, daß alle Schiffe im Hafen sein wären, heilte, und zu der traurigen Gewißheit zurückbrachte, daß es nicht wahr sey. Mir fällt das Beyspiel manchmal ein, wenn ich auf Recensionen gewisse Antikritiken lese.

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Meinst du nicht auch, Eduard, daß so ein Kreisel, der sich eine Viertelstunde von unsern Augen herumdreht, wohl uns am Ende selbst wirblich zu machen im Stande sey? Ich möchte es beynahe aus der einfältigen Empfindlichkeit schließen, mit der ich die Zurechtweisung eines solchen Hochmuthsnarren, als dieser Zepterträger war, aufnahm. Ich vergaß wirklich, daß ich in einem Tollhause war, schlug ihm ein Schnippchen zu und kam, indem ich hastiger, als nöthig war, sein Auditorium verließ, darüber mit dem Daum zwischen Thür und Angel; doch, sobald ich an die freye Luft kam, verlor sich eine und die andere Empfindung. –

 

     Und wer ist denn, wendete ich mich gegen meinen Begleiter, der ältliche Mann, der hier so frey herumgeht und so behutsam einhertritt, als ob er auf Eyer träte und ein Geheimnis unter dem Mantel trüge? Er ist, berichtete mir Filbert, mein Unteraufseher in diesem Hofe und nur um etwas klüger, als die er bewacht. Es gab eine Zeit, wo dieser Schleicher als der sicherste Führer durch das Labyrinth der Metaphysik angestaunt ward, und Schüler zog, die ihn vielleicht hier noch einholen. Er mochte wohl damals nicht ganz richtig mit ihm bestellt seyn. Seine letzte Arbeit aber verrieth ihn vollends. Nach vielen Versuchen über die Anomalien anderer kam er endlich auf seine eigenen, mit denen er, glaube ich, hätte anfangen sollen, und auf den unglücklichen Einfall, Selbstbekenntnisse zu schreiben, wie Rousseau. Von dieser Epoche an zählt sich seine Verwirrung. Das ist auch, fiel ich ihm wieder ins Wort, der geradeste Weg, entweder ein Heuchler oder ein Narr zu werden. – Könnten Sie mir wohl sagen, ob er sie in Form eines Tagebuchs schrieb? Ist mir nicht bekannt, antwortete Herr Filbert. Die Handschrift ward auf königlichen Befehl verbrannt. – Verbrannt? wiederholte ich, wie kömmt es aber, daß man einen so gefährlichen Schriftsteller bey dem Zuspruche der vielen Neugierigen in so leidlicher Verwahrung hält, und obschon die Feder nicht – doch die Zunge frey läßt? Weil er, gab mir der Oberaufseher zur Antwort, keiner Seele etwas zu leid thut, immer am liebsten von sich spricht, wie sein Original, der freyen Luft am ruhigsten ist – eben so gern, als jener, in die Sonne blickt, und ein Metaphysicus in einem Tollhause keiner Autorität mehr bey seinen Zuhörern hat. Sein verlorener Wirkungskreis schien ihm anfangs sehr zu schmerzen – dies bewog mich, ihm als kleine Entschädigung die Polizey dieses Hofs anzuvertrauen. Er benimmt sich recht gut dabey – schleicht – wie Sie sehen, von Gitter zu Gitter – horcht, beobachet und verfehlt nie, es mir sogleich zu melden, wenn einer seiner Untergebenen den Kopf durch das Luftloch gezwängt oder sonst einen Unfug gestiftet hat – doch Sie werden gleich selbst urtheilen können, wie es mit ihm steht. „Ich begleite hier – war seine Antwort auf meine hingeworfene Frage, ein Amt, das ich lange durch große entfernte Umwege zu gewinnen gesucht habe, ehe ich auf einem ganz einfachen dahin gelangte.“ Wie so? suchte ich ihn in seine Schwärmerey zu verlocken, und ich traf es so gut, daß er die hier grassirende Poesie zu Hülfe nahm, um mir vermuthlich für sein Selbstbekenntniß desto mehr Achtung einzuflößen, das ungefähr so lautete:

 

Der Wahrheit dunklen Pfad zu finden,

     Der unterm Monde sich verlor,

Durchglüht´ ich mich und hielt den Blinden

     Die Leuchte meiner Schriften vor.

 

Mit Rauch umgeben und versunken

     So gut als sie auf Gottes Heerd,

Schätzt´ ich mich doch als einen Funken

     Des Feuers, das die Geister nährt;

 

Als einen Theil, der für das Ganze

     Nothwendig wie die Sonne sey,

Und wähnte, zum gemeinen Glanze

     Misch´ ich auch meinen Firniß bey.

 

Da hört´ ich eine Stimm´ erwachen:

     Die Welt braucht dein erhabnes Licht,

Braucht, um ihr Feuer anzufachen,

     Den Brennstoff deiner Schriften nicht!

 

Laß dem Erhalter seine Sorgen;

     Genug dem Sterbling, der im Schweis

Des Angesichts den nächsten Morgen

     Mit Heute zu berechnen weiß.

 

Steig an der Kette der Ideen

     Nicht bis zum Engel – steig herab,

Der stolze Weg, der dir zu gehen

     Vergönnt wird, ist der Weg ins Grab.

 

Der Wurm soll kriechen, sich verstecken,

     Den Staub vermehren, der ihn schuf –

Das Unsichtbare zu entdecken

     Ist keines Sterblichen Beruf!

 

Was dein Gehirn in Umlauf bringet,

     Befördert keines Sternes Lauf,

Schreib oder nicht, die Sonne schwinget

     Sich doch am Horizont herauf.

 

Kann wohl ein Doktor, ein Verfechter

     Der Wahrheit seines innern Sinns

Mehr nützen als ein Narrenwächter?

     Der wollt ich eben seyn – und bin´s!

 

Wohl Schade, dachte ich, daß du dein Stammbuch nicht bey dir hast, denn das wäre gerade der Mann, den du ohne Bedenken um ein Memoriae gratia bitten könntest. Ich würde auch gerne seiner Beichte – ob ich gleich hier und da den Sinn erst hineinlegen mußte, mein Ohr noch eine Weile geliehen haben, wäre nicht das seine durch ein Geräusch am Ende des Hofs stutzig geworden – denn nun war er nicht aufzuhalten. Lassen Sie ihn nur gehen, sagte Herr Filbert, Sie sollen nichts dabey einbüßen. Treten Sie nur an das Gitter Nummer fünf, wenn Sie einen Narren von Magister hören wollen, den das Nachgrübeln über die schwürige, aber nicht ganz verwerfliche Physiognomik irre gemacht hat. Seine Urtheile sind oft sehr treffend – Sehen Sie nur, wie seine Wände mit Schattenrissen überklebt sind. In einer Stunde, kann ich Ihnen voraus sagen, ist Ihre Silhouette auch darunter, und gewiß so gleich, als wenn Sie ihm gesessen hätten. – Da ist es doch, erwiederte ich, wirklich ewig Schade, daß sein Talent hier, so ganz unnütz für die Welt, vergraben ist. Spricht er auch in Versen? – Das können Sie denken, sagte mein Führer und klopfte an die Thür. Der arme Narr! Es that mir wohl leid, daß er meinetwegen von seinem Arbeitstische aufstehen mußte. Er schien es mit Verdruß zu thun, und das kann wohl nicht anders als dem zum Nachtheil gereichen, den er unter seine Schere nimmt. Sobald er mich in das Licht faßte, studierte er meine Gesichtszüge mit so tief forschenden Blicken, daß es mir eiskalt über die Haut lief. Es währte nicht lange – und das ist begreiflich – ehe er sein Urtheil abgab. Ich reichte ihm inzwischen eine Prise Tabak, um mich bey ihm in Gunst zu setzen. Er nahm sie auch mit sichtlichem Vergnügen – nieste und erklärte sich:

 

     Wohl dem, der so wie Du bedächtig

Nur die gerade Straße geht,

Stets seiner schwachen Sinne mächtig

Sich nie aus seinem Gleise dreht!

Deß überwichtiges Gehirne

Nie in den Stürmen untersank.

     Wohl seiner flachen Stirne!

     Denn ihr gebührt der Dank.

 

     Tritt auch in Deinem Trauerspiele

Kein König Lear aufs Bret – wohl Dir!

Dem Rasenden zunächst, am Ziele

Der Narrheit, stand sein Shakespear.

Klug meidet drum der Dichter Haufen

Die, seit ihm, unbetretne Bahn:

     Wie bald ist nicht im Laufen

     Ein Schritt zu viel gethan!

 

     Ein Schluck zu viel beym Nectar=Schmause

Apollens – eine Rose mehr

Der Rosen in dem vollen Strause

Der Liebe, schleudert Dich hieher;

Die Thorheit lockt mit Amoretten

Die Bernards in ihr Vorgemach,

     Und zieht mir Ordensketten

     Den Löwen=Ritter *) nach.

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*) Er meinte den Donquichotte.

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Während der gute Magister so bescheiden über meine Phyiognomie herausließ, beschäftigte ich mich indeß mit der, die er mir darlegte, und fand in seiner gewölbten Stirn, gebogenen Nase, und spitzen Kinnlade eine Aehnlichkeit von einem – aber Gott weiß – welchem meiner Bekannten. Ich ließ mir von Bastian eine ganze Deute Rappée geben, die ich ihm verehrte, und wir schieden als gute Freunde aus einander. Filbert sah nach der Uhr.

 

     Noch haben wir Zeit, einen Blick in den Hof zu thun, der das weibliche Geschlecht einschließt. Gleich am Eingange wird Sie die sapphische Furie fest halten, von der ich Ihnen erzählt habe. So wollen wir lieber, versetze ich, davon bleiben! denn es ist mir schon so übernächtig ums Herz, als wenn ich ein Dutzend Musenalmanachs gelesen hätte. – Nicht doch, mein Herr, redete mir der Aufseher zu. – Schon des Contrasts wegen mit der vortrefflichen Dame, die Sie bald sehen werden, rathe ich Ihnen zuvor, diesem Gegenstücke einen kurzen Besuch zu machen.

 

     Kaum hatte er die Thür des Hofs geöffnet, so bäumte sich mir auch schon in dem nächsten Behälter ein so widriges Matronen=Gesicht entgegen, als mich seit langer Zeit nicht erschreckt hat – für die Anatomie der Seele aber ein noch ungleich schrecklicheres Cadaver; denn alle die Grundzüge des Neides, der Gefallsucht, der Heucheley und der Wollust, die das schlimmste Weib – so lange es bey sich ist – in etwas doch zu verbergen weiß, traten hier durch den Hohlspiegel der Tollheit so vergrößert hervor, daß es keine andre Empfindung, als Schauder erregen konnte. Sie schien eben von ihrer Toilette zu kommen und sich nicht wenig auf ihren Kopfputz und den vortheilhaften Faltenschlag ihres Halstuches einzubilden. Auf der einen Seite lag ein Gebetbuch mit vergoldetem Schnitte von Madam Guyon *), wie mir Filbert sagte, das einer Muschel mit Schminke – auf der andern eine Wulst von schwarzem Sammet, die ihrem hoch aufgestreiften Arme zur Unterlage diente.

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*) Daß so ein Gebetbuch meinen Gedanken einen großen Spielraum einräumt, mag folgende Stelle daraus beweisen: Transportée sur une montagne et dans une chambre où je fus recu par Jesus Christ. Je démande pour qui étoint les deux lits que j´y voyois. En voilà un pour ma mere et l´autre pour vouns, mon épouse. Je vous ai choisie pour être ici avec vous.

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In dieser gezwungenen Stellung lächelte sie mich zuerst grinzenhaft an, ehe sie eine andere versuchte, die vor funfzig Jahren nicht ohne Wirkung gewesen seyn mag. Womit, fragte ich boshaft, vertreiben Sie sich hier die Zeit? Mit der Vergangenheit, faßte sie sich in drey stolzen Worten, der Gegenwart und der Zukunft; spielte bey dem ersten mit dem Schnürband – warf sich bey dem zweyten in die Brust und blickte bey dem dritten mit gräßlich andächtigen Augen gen Himmel. – Nun höre, wie sie diesen Text ausführte. Mir, fing sie mit dem Ausdrucke süßer Erinnerung an, und hätte gern ein wenig verschämt dazu ausgesehen:

 

Mir hatte die Natur, als Kind schon, manches Wunder,

Das Männerherzen rührt, in Umriß angelegt;

     Gefüllter selbst und runder,

          Als sie sonst pflegt.

 

Still war ich fortgedieh´n zu immer höhern Reizen,

An Wuchs der Hebe gleich – Dianen an Gestalt,

     Der Sommer kam erst dreyzehn

          Bis vierzehn alt.

 

Da setzte mir die Zeit des Pfandspiels und der Küsse

Ans Ohr ein Räuberheer, das immer lauter rief:

     Welch Mädchen! Gott, wie süße

          Und wie naif!

 

Da heftete sich mir das Brillenglas der Greise,

Des Jünglings Geyer=Blick mit der Betheurung an:

     Ich überträf an Weiße

          Cytherens Schwan!

 

Doch diese Schwanenbrust verbarg den Trieb der Tauben,

Ein Herz voll freundlicher und girrender Natur,

     Und nebenbey den Glauben

          An Männer Schwur.

 

So schnell tönt Zephyr nicht in eine Aeols=Harfe,

Als jedes falsche Wort mir durch die Adern lief,

     Das mich zu dem Bedarfe

          Der Liebe rief.

 

Den Morgen weckten mich die zärtlichen Sonette

Petrarchs. – Mein Tagewerk schloß Sappho´s Abendlied,

     Und Wach´ an meinem Bette

          Hielt ein Ovid.

 

„Dem Röschen folgt nun Spott, das zu dem Fest der Weihe

„Berufen“, sang ihr Mund, „von keinem Wunsch erreicht,

     „Verachtet, in die Reihe

          „Der Dornen schleicht.“

 

Ach! dieser Hebel war`s, durch den ein Sohn der Musen

Aus ihrem Gleichgewicht einst meine Tugend hob,

     Und mir den Streif am Busen

          Zuerst verschob.

 

Und ist das Lenkseil jetzt, das meinen Prachtruinen

Mit Uebermuth vorbey die Neuverlockten führt,

     Die nun den Lohn verdienen,

          Der mir gebührt.

 

Mir, die ich eingeweiht in jede Heimlichkeiten

Der reizenden Natur längst, Oberpriesterin

     Für alle Tageszeiten

          Der Liebe, bin.

 

Wohin verflog der Eid, den manches Ungeheuer

An meinem Busen schwur, wenn in Vestalen=Tracht

     Ich sein gesunknes Feuer

          Neu angefacht!

 

Wenn ich ihm Leda war, bald Phoebe, bald Latone,

Er – hier als Donnerer mir in die Federn drang,

     Dort aus der Gattin Krone

          Ein Blatt errang.

 

Wortbrüchiges Geschlecht! Mit jedem Stufenjahre

Fiel ein Geschworner ab und trat ein Freund zurück,

     Und meinem blonden Haare

          Wird jetzt kein Blick!

 

Wie will ich Dir, der mich in meinen Jugendtrümmern

Unkundigen des Wegs zum Merkpfahl aufgestellt,

     Die Spötterey verkümmern

          In jener Welt!

 

Vergebens strecke sich von meiner Brust geschieden

Nach ihrem höhern Reiz die stolze Männerhand,

     Die fühllos sich hinnieden

          Von mir gewandt!

 

Ja, heuchelte sogar, vergafft in meine Strahlen,

Ein männlicher Seraph mir seine Liebespein –

     Mir sollten seine Qualen

          Mein Labsal seyn!

 

Gleich Motten sollt´ er sich um die verklärten Hügel

In in immer näherm Kreis bis an den Brennpunkt drehn:

     Dann mit versenktem Flügel

          Vor mir vergehn.

 

Nur Ihn, zu dem ich bald verherrlicht wiederkehre,

Der mich, eh´ ich noch war, zum seligsten Beruf

     Und zum Gefäß der Ehre

          Mein Herz erschuf,

 

Den Schöpfer soll allein – daß ich nur Einen schaue,

Der ewig Treue hält – mein Wolkenbett empfahn,

     Milchweiß und himmelblaue

          Crepinen dran. –

 

Ich bin des Herren Magd und mir – – –

 

Um aller Heiligen willen, lieber Filbert, fuhr ich jetzt zusammen, machen Sie, daß ich aus der Atmosphäre dieses abscheulich verrückten Weibes komme. Ich habe doch in meinem Leben manche verschmitzte Coquette aufgedeckt gesehen – mancher durch Buhlerey verunstalteten Seele aufgelauert, um hinter ihre Schliche zu kommen: aber sie schränkten doch immer – auch ihre unklärbarsten Ansprüche – blos auf das Zeitliche ein. Diese Närrin hingegen lebt sogar der Hoffnung, dereinst mit Gott dem Vater eine Intrigue anzuspinnen. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen! Ich drängte meinen Führer vor mir her – rief Bastianen und den Maler, der, an das Gitter seines versöhnten Feindes gelehnt, mit ihm in ein Gespräch, vermuthlich von der ewigen Kunst, verwickelt war, und nun begleitete uns Filbert, schweigend und nachdenkend, bis an den kleinen abgesonderten – jene traurige Wohnung umschließenden Zwinger, die sich die reichste Erbin im Lande zu ihrem Wittwensitze gewählt hatte. Er empfahl mir den innern Thür=Riegel vorzuschieben, um Herr über meinen Ausgang zu seyn, im Falle mir das Herz zu schwer werden sollte. Deswegen? lächelte ich, o Sie halten mich doch auch für einen gar zu großen Weichling, lieber Mann! Wir setzten uns, nach seiner Anweisung, so geräuschlos als möglich, auf einen Vorsprung der Mauer der Gitterthüre der unglücklichen Dame gerade über. Passerino zog in der Zwischenzeit sein Pergament hervor und nahm das Local ziemlich richtig auf. Auf meinen beyfälligen Wink zischelte er mir ins Ohr – heute wolle er mir zeigen, daß er seine Kunst verstände. Das konnte ich dir nicht versprechen, Eduard, denn ob ich gleich auch an die Schilderey dachte, die der heutige Morgen auf den Abend meinem Tagebuch abwerfen würde, so war ich doch dabey von allem artistischen Stolze weit entfernt. Ach Gott! wo hätte ihn mein beklommenes Herz beherbergen sollen, das von dem ersten Glockenschlage der furchtbaren Stunde an, in zunehmender Erschütterung, bis zu dem letzten fortklopfte, der es vollends zusammendrückte, wie einen blutigen Schwamm. Aus einer innern Seitenthüre des Kerkers – an dem Arme der Freundin, der sie, unter so vielen, den Vorzug gegönnt hatte, ihrem Elende zu folgen – schwankte die Tiefgebeugte, wie ein abgeschiedener Geist auf einen Engel gestützt, dem Gitter zu. Mit jedem langsamen Schritte, durch den sie sich mir näherte, hob sich allmählig immer mehr der Schimmer ihrer Schönheit aus dem dunkeln Grunde des Gefängnisses heraus, bis daß mir – und ich glaubte unter der Last nie gefühlter Wehmuth zu versinken – die schlanke ätherisch=bleiche – wunderschöne Trauergestalt deutlich vor Augen stand. In weißen Musselin gekleidet, drückte sie mit der einen kraftlosen Hand ein Crucifix von Elfenbein an ihre bebende Brust – noch kraftloser floß die linke über den schwarzen Leibgürtel herab. Nach einigen fürchterlich stillen Secunden senkten sich ihre glühenden, an den blauen Himmel gehefteten Augen, und begegneten dem Thränenstrome der meinigen. Sie starrte mich an – erhob langsam ihre linke Hand, als wenn sie nachsönne, und bald nachher ergriff der Tenor ihrer Klagstimme mein todtbanges Herz. O! daß ich jetzt vermöchte, dir das Seelengewitter in seiner ganzen schrecklichen Wahrheit zu schildern, unter welchem sich die Leidende stufenweise bis zum letzten zermalmendem Ausbruche ihres Wahnsinns erhob. Eitler Wunsch! die geübtesten Wortführer der Natur würden daran verzweifeln. So höre wenigstens mich ihr nachlallen. Ach! über welches abgelaufene Zeitalter schwebte ihr Geist – auf welcher Staffel der Vergangenheit mußte sie mich stehen sehen, als ihre ausgestreckte Hand mit das Bild des sterbenden Heilandes mit der herzzerreißenden Frage vorhielt:

 

Sahst du des Jordans Ufer,

     Bethränter Pilger ? Sprich –

Und hörtest du den Rufer

     Am Kreuz – Es dürstet mich!

 

Und willst der bittern Zähren,

     Die dein Gefühl vergießt,

Nur eine mir gewähren,

     O dann sey mir gegrüßt!

 

Doch wähnst du mich zu trösten:

     So wende dein Gesicht,

Dann sieh´, das Bild der größten

     Geduld vermag es nicht!

 

Um mich Zerknirschten sammeln

     Sich viel Bedrängte her:

Doch aller Zungen stammeln

     Ach – diese leidet mehr!

 

Ihr raubte das Entsetzen

     Sogar des Säuglings Glück!

Und keine Thränen netzen

     Den Brand in ihrem Blick.

 

Nur ihre Lippen beben

     Dem nach, den sie verlor!

Und ihre Hände heben

     Sich nur nach ihm empor!

 

Nein, Eduard! Beweglicher als ihre Stimme kannst du dir keinen Ton in der Natur vorstellen, und doch war mir die Pause noch rührender, in welche die schöne Sinnlose, einige peinliche Minuten verloren dastand, ehe sie, die Augen gen Himmel gewendet, ihre innern Empfindungen, zärtlich wie die Liebe selbst, hervorgirrte:

 

Als Er sich mir, von allen

     Ihn Wünschenden, ergab,

Mit welchem Wohlgefallen

     Sah Gott auf uns herab!

 

Als in dem Abendschauer

     Der feyernden Natur

Sein großes Herz die Dauer

     Von meinem Glück beschwur;

 

Mein Auge nun von süßen

     Gefühlen überging,

Und ich mit Erstlingsküssen

     An seinen Wangen hing;

 

Als von der trauten Laube,

     Die seine Liebe zog,

Er nun die erste Traube

     Nach meinen Lippen bog;

 

Und ich in seinen Blicken

     Mein Bild gezeichnet fand –

Natur! war dies Entzücken

     Nur Blendwerk deiner Hand?

 

Weh´ dir – ging nun ihr gedämpfter Flötenton in den feyerlichsten Ernst über –

 

Weh dir, o Tag der Weihe,

     Der Blutschuld Mitgenoß,

Die grauenhaft die Reihe

     glückvoller Stunden schloß!

 

Und wie ein in der Wildniß irrendes Kind, das um Hülfe jammert – fuhr sie fort:

 

Du meines Kummers Zeuge,

     Den meine Seele ruft,

Verlorner! ach entsteige

     Dem Dunkel deiner Gruft!

 

Und wie, wenn jenes hinhorcht und seine vergeblichen Bitten in Bergklüften verschallen hört – schlug auch sie hoffnungslos ihre aufgehobenen Hände zusammen – suchte Trost in der Qual der Erinnerung – sah nur und hörte ihren Freund und ließ die edeln Handlungen seines Lebens, wie in einem Spiegel, den sie dem ungerechten Schicksale vorhielt, vorüber gehen:

 

Wenn im Gedräng der Sorgen

     Er keiner unterlag,

Und, Freundin, rief, nach Morgen

     Glänzt uns ein Erntetag!

 

Wo Werth und Lohn des Fleißes

     Dem in der Schale liegt,

Der jeden Tropfen Schweißes

     Gleich einer Krone wiegt.

 

Wenn der bescheidne Tröster

     Gefallnen Schutz verlieh,

Und frug: Bin ich erlößter

     Und würdiger als sie?

 

Und Er dem Tag entwunden

     Nach mancher frommen That

Zum Lohn der Abendstunden

     Sich meinen Kuß erbat –

 

Erforscher unsrer Herzen,

     Furchtbarer! Wogest du

Schon da der Zukunft Schmerzen

     Mir schwer Getäuschten zu?

 

Der Athem stockte mir bey ihrem fragenden Starrblick, der aber bald sanfter gebrochen sich nach der blassen Lichtscheibe richtete, die hinter einem Wölkchen hervortrat. Mond, rief sie in melancholischer Schwärmerey –

 

Mond, der du noch so traulich

     In seiner letzten Nacht

Die Schönheit mir beschaulich

     Des Schlummernden gemacht!

 

Als mein Gebet im Schweben

     Auf deinen Hoffnungsstrahl

Dem Ewigen sein Leben

     Und meine Ruh´ empfahl.

 

Vertrauter stiller Schatten!

     Wo weilt dein Todtenlicht,

Verbirg das Grab des Gatten

     Der Sattgelebten nicht!

 

Dort wandele des Schlummers

     Willkommner Genius,

Die Folter meines Kummers

     In Freyheit und Genuß!

 

Wär dann dem Ruf der Taube,

     Die ihrem Liebling girrt,

Vielleicht auf unserm Staube

     Der Mörder nachgeirrt –

 

Dann fasse das Gewissen

     Und peinige die Hand,

Die Herzen durchgerissen,

     Die Gott zusammenband.

 

Diese Losungsworte flogen der Minute voraus, die den letzten Vorhang des erschütternden Trauerspiels aufzog. Hatte ich vorher diese Schreckensscene als den einzigen Ausweg zur Beruhigung der Hochgemarterten, selbst bey der Gewißheit, daß er über einen tobenden Abrund führe, seufzend herbeygewünscht; so wäre ich ihr jetzt noch lieber entflohn, aber sie faßte mein sträubendes Haar mit unwiderstehlicher Gewalt und lähmte meine Glieder. Meine Augen hefteten sich nur desto stärker an die Erscheinung dieses peinlichen Wunders, je mehr es, als die bis jetzt noch schwankende Flamme des Wahnsinns nun in voller Glut der Verzweiflung über das fürchterlich schöne Weib zusammenschlug, mein armes Herz zu zerreiben drohte. Jeder Pulsschlag setzte ihre Wangen in eine immer höhere Röthe – die Brust hob sich zum Zerspringen – ihr langes blondes Haar entschlüpfte seinen Schleifen und flatterte strahlend, wie ein Comet, durch die Nacht des Kerkers. Ohne auf die rührenden Bitten ihrer heldenmüthigen Freundin – ohne auf das kleine anpochende Herz zu achten, das unter dem ihrigen schlug, tobte sie und streckte ihre entblößten, durch Wuth gestärkten Arme gegen den Himmel. Die Allmacht des Jammers hatte mich unwissend zu Boden geworfen – kniend flehte ich zu Gott Linderung – O du, der alles vermag, schaffe Linderung diesem zersplitterten Herzen! Ach wo war sie hingekommen, die edle Dulderin? Ich sah nur an ihrer Stelle einen Engel der Rache, der über ein Leichenfeld hinschwebt, und auf den Blutspuren der erwürgten Unschuld seine Beute verfolgt. Drohungen der Ewigkeit blitzten aus ihren zürnenden Augen – flossen über ihre schäumenden Lippen. Mit Entsetzen sammelt meine Feder einige der gifthauchenden Worte, die ihrem zerrütteten Gehirn entquollen: – aber den erschütternden Wohlklang derselben, welche Harmonie der Sprache, welches tönende Erz vermag ihn zu erreichen!

 

Kannst du auch Rache segnen?

     So nimm, Gott, meinen Schmerz

Und grab ihn dem verwegnen

     Mordschuldigen ins Herz.

 

Das Blut, das er vergossen,

     Droh´ ihm im Morgenroth!

Und nur mit Blut durchflossen

     Wink´ ihm sein Abendbrot!

 

Die Süßigkeit der Ehe,

     Die Liebe müss´ ihn fliehn,

Selbst seinen Kuß verschmähe

     Die feilste Buhlerin!

 

Es fasse jede Kammer,

     Wo seine Schwermuth weint,

Den ganzen Menschenjammer,

     Den dieses Haus vereint!

 

Des Uebelthäters Werke

     Lohn Finsterniß und Spott!

In seinem Tode stärke

     Ihn kein Gedank an Gott!

 

Durch Blutgefilde treibe

     Hinüber ihn mein Fluch,

Und Satans Finger schreibe

     Ihn in sein Höllenbuch!

 

Dort möge des Verbrechers

     Gewinn gegraben stehn,

Und ewig keines Rächers

     Erbarmung sich erflehn!

 

Kaum waren diese schrecklichen Verwünschungen über ihre Zunge, so schien es, als ob sich ihre eigene Seele davor entsetze. Sie zitterte, schwankte und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Busenfreundin, die selbst von Thränen erschöpft, mit zärtlicher Behutsamkeit sie in das Nebenzimmer trug. Jetzt drang weiter kein Laut aus der Kerkerwohnung der edeln Kranken; und mir war, als hätte mich ein Orcan auf einen einsamen Felsen geworfen. Meine zerbeizten Augen starrten vor sich hin und die Stille, die nach einem solchen Aufruhr mein Gehör überfiel, erleichterte mein blutendes Herz nur, um es desto heftigern Nachwehen Preis zu geben. Diese Betäubung verlor sich nicht eher, als bis meine beyden Begleiter sich insoweit von ihrer eigenen erholt hatten, daß sie mir ihre zitternden Hände bieten konnten – und so schwankte ich endlich aus dieser Behausung des Schreckens mit zu Gott erhobener sprachloser Empfindung.

 

     Wie sauer ward mir dieser Gang! Setze den Fall, Eduard, daß dein bewundernder Blick von Rubens jüngstem Gerichte auf einmal zu dem Jahrmarkte eines Teniers herabsänke – du würdest dir doch nur einigermaßen den widrigen Eindruck vorstellen können, den jener Haufe gemeiner Narren auf mich machte, an deren Behälter vorbey ich jetzt meinen Rüclweg nehmen mußte. Ich hatte keine Augen, kein Mitleiden für sie mehr, so voll war mir das Herz von den Seelenleiden des herrlichen Weibes und der schrecklichen Wahrheit der Worte:

 

Um mich Zerknirschten sammeln

     Sich viel Bedrängte her:

Doch Aller Zungen stammeln:

     „Ach, diese leidet mehr!“

 

Ich traf, als ich in Filberts Zimmer trat, den Arzt an, dem St. Sauveur die Besorgung seiner unglücklichen Freundin auf die Seele gebunden, und der seit einer Viertelstunde auf meine Zurückkunft und die Nachrichten gewartet hatte, die ich ihm von dem Zustande der Kranken mitbringen würde. Meine Bemerkungen konnten nichts neues für ihn enthalten. Ich brach sie kurz ab und bat dafür ihn mit nassen Augen, mir, der ich auf dem Punct stände, Marseille zu verlassen, den Balsam mit über die Gränze zu geben, dessen mein verwundetes Herz so sehr bedürfe – die Gewißheit der Wiederherstellung dieses weiblichen Engels. Sie verlangen zu viel von der mißlichen Kunst, der ich diene, wenn ich Ihnen, antwortete er, mehr als die große Wahrscheinlichkeit ihrer Genesung zusichern soll, da sie auf Bedingungen beruht, über die Gott allein Macht hat – daß nämlich die periodische Heftigkeit ihres Wahnsinns nicht tödtlich für das Unterpfand ihrer ehelichen Zärtlichkeit seyn werde, und die Geburtsstunde mit jener Geistes=Erschütterung nicht zusammen treffe. In dieser Voraussetzung dürfen wir den glücklichsten Erfolg – von dem Erstaunen erwarten, mit welchem ihre erste Entbindung – die Erscheinung der Frucht ihrer Liebe und das neue süße Gefühl ihr mütterliches Herz erfüllen wird. Die Vereinigung aller dieser Umstände, durch die sich die Natur im Fortgange erhält, wirkt in gleichem Maße schmerzstillend auf den äußern Menschen, als sie den innern zu hohen, moralischen, edeln Entschließungen erweckt. Ja, mein werther Herr, auf die Gott gebe! glückliche Stunde ihrer Niederkunft, die vielleicht zu Anfange künftiger Woche eintritt, setze ich mein größtes Vertrauen – und bin beynahe überzeugt, daß die heilsame Gegenerschütterung in dem Augenblicke, wo die Verlassene Mutter wird, ihren zerrütteten Verstand wieder ins Gleichgewicht bringt. Die kleinen Hände des neugeborenen Kindes werden die beyden Enden des zerrissenen Banders ihrer Liebe wieder zusammenknüpfen. Mit himmlischer Neugier wird sie in seinem Gesichtchen die edeln holden Züge des Vaters aufsuchen – entdecken, und die Freude des Wiedersehens in einem hohen Grade genießen. Sie wird sich nicht mehr für verlassen in einer öden Welt achten, und ihre lang verhaltenen Thränen werden an der Wiege ihres schlummernden Säuglings einen wohlthätigen Ausfluß gewinnen. – Die Sorge für den kleinen Hilfsbedürftigen wird ihr die Nothwendigkeit ihrer eigenen Erhaltung sanft an das Herz legen, und so, denke und prophezeihe ich, wird sie der Allmächtige, unter dem Vorgefühl besserer Tage, zum Bewußtseyn ihrer selbst – zu ihrem, jetzt so getrübten glänzenden Eigenthum und in die Nähe ihres und unseres edeln Freundes zurückführen.

 

     In dieser schönen Erwartung besuche ich täglich die holde Kranke. Während ihres Schlafs, der nach der galligen Entledigung ihres unnatürlich gereizten, sanften, großmüthigen Herzens – zum Glücke für ihre Erholung bis gegen Mittag anhält, kann ich ihr allein mit meiner Hülfe beykommen, die sie wachend anschlägt, und Verabredung mit ihrer freywillig Mitgefangenen nehmen, deren Beystand der armen Verwirrten wichtiger ist, als der meinige, und die sich gewiß schon eine ängstliche Weile nach mir umsieht. – Sie sind innigst gerührt, mein Herr! Möge der Eindruck dieses erhabenen Trauerspiels Sie nicht nur aus unsrer großen sittenlosen Stadt, sondern bis zum Ausgange Ihres Lebens begleiten und Sie für die kummervolle Stunde entschädigen, die für so viele Leichtsinnige, die ihr schon beywohnten, verloren war. Reisen Sie glücklich, und Leben Sie wohl! –

 

     Ein Händedruck – denn der Sprache war ich nicht fähig – dankte dem ehrlichen Manne für seinen Trost und seine guten Wünsche. Ich umarmte den wackern Filbert, unaussprechlich bewegt, und setzte mich zwar höchst traurig, aber doch mit einem Herzen, das sich fühlte, und mit sich zufrieden war, in die Sänfte, die Bastian herbeygeholt hatte. Ich brauche Erholung, erklärte ich ihm beym Aussteigen, und kann unter zwey Stunden doch nicht abreisen – richte dich darnach! Doch eben da ich im Begriff war, mein Zimmer zu verschließen, um ungestört meiner Schwermuth nachzuhängen, trat mir der Maler mit seiner Zeichnung in den Weg – Das, meinen Sie – fuhr ich ihn nach dem ersten Ueberblick an, stelle den leidenden Engel vor, von dem wir herkommen? Können Sie es bey Gott verantworten, so eine Sudeley für die Nachbildung seines herrlichen Geschöpfes auszugeben? Doch – um den armseligen Wicht nicht ganz nieder zu drücken, fuhr ich gemäßigter fort: Aber, es ist begreiflich – so überwältigt von schmerzhaften Empfindungen, als Sie und wir alle waren, würde es einem Rotari – einem Leonard da Vinci eben so wenig gelungen seyn. Gehen Sie, lieber Passerino, einstweilen zur Wirtsthafel. Ich habe höchst nöthig, die wenigen Stunden vor meiner Abreise allein zu seyn. Wie kann ich mich doch – zankte ich nun mit mir selbst – über nichts und wider nichts so ereifern? Ich hätte doch wohl aus dem Bewußtseyn meiner eignen erworbenen Fähigkeiten auf die Kräfte meines Lehrers schließen können. Warum ließ ich mich von ihm zu einer Arbeit begleiten, der er nicht gewachsen war? Bey solchem Bedarf eines helfenden Genies kömmt uns freylich die Mittelmäßigkeit als ein Laster vor, aber es ist unbillig. Für meine Erinnerung kann ich übrigens jedes Bild von ihr entbehren. Weder Worte, noch Farben könnten es mir so treu schildern, als es die vergangene Stunde mir in die Seele gebrannt hat. Während dieses Selbstgesprächs suchte ich ein zweytes Schnupftuch, denn das gebrauchte war ganz durchnäßt von Thränen, und darüber spielte mir der Zufall aus seinem Glückshafen statt der schwarzen Kugel, die ich schon gefaßt hatte, eine der schäckigsten – das Paket Zeitungen nämlich, in die Hand, die ich heute früh in dem Janustempel eingedeckt und ganz vergessen hatte. Ich mußte mich erst besinnen, was ich damit anfangen, und daß es ein Steckbrief nach Freund Sperling war, den ich darin aufsuchen sollte. Gott gebe, wünschte ich mit pochendem Herzen, daß sich St. Sauveur geirrt habe! – Geirrt? Ja – das sähe ihm ähnlich. Der Schäcker – dem immer sein System zu Gebote steht, sah die Ueberraschung nur zu gut voraus, die er mir und meinem Lehrmeister zubereitete. Was fand ich? Eine sehr willkommene und allemal um das vierte Blatt wiederholte Edictal=Citation, wie ich sie dir in einem kurzen Auszuge mitteile. – Nachdem, hieß es, ein gewisser – Namens Theodor Sperling, der sich fälschlich für einen Maler und Architecten ausgäbe, seit vielen Jahren verschollen sey – so werde er, im Fall er noch am Leben, kraft dieses mit der Bekanntmachung vorgeladen, daß weyland seine leibliche Tante ihn, als ihren nächsten Blutsfreund, zum Universalerben sowohl ihres Freyguts zu Triesdorf, als übrigen Nachlasses in einem bey dem Stadtrath niedergelegten Testamente, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung eingesetzt habe, sich dieses Vermächtnisses nicht eher erfreuen zu dürfen, bis er zuvor jener angemaßten brotlosen Künste, die bei ihm weder durch erforderliche Kenntnisse, noch durch Genie unterstützt wären, für das künftige gerichtlich, eidlich und feyerlich entsagt haben werde. Widrigenfalls, wenn er in Zeit eines Jahres und 6 Wochen nicht erscheine oder den vorgeschriebenen Eid abzulegen sich weigere – solle er für todt oder der ihm zugedachten Verlassenschaft, die sich nach gerichtlicher Würdigung auf zirka 31 700 Reichsthaler belaufe, für unwürdig angesehen werden, und solche dem dasigen Waisenhause auf das Rechtsbeständigste verfallen sein. Anspach, d. 19. Dezember 1785. –

 

     Die gute, verständige Tante, war mein erster Gedanke, hat wohl nun freylich hier nicht den Grundsatz Filberts vor Augen gehabt – jedem Narren das Spielwerk seiner Laune zu gönnen: indes ist doch die Art, es ihrem Neffen aus der Hand zu winden, nicht so gar übel, und nur zu wünschen, daß er sich's nehmen lasse. Mein zweyter Wunsch war, daß er noch zur rechten Zeit dem Waisenhause in den Weg treten möge, und ich rechnete geschwind im Calender die Möglichkeit aus. Ich hielt die Nachricht für sättigend genug, um den – freylich etwas zu lang am Pranger ausgestellten Erben von der Wirthstafel abrufen zu lassen – und während der Zeit, die ich hier noch zu vertändeln hatte, die Hetze zwischen der ewigen Kunst und dem zeitlichen Freygute mitzunehmen. Ich setzte mich, als er gelaufen kam, wie ein Senator in Positur, bat ihn, sich einen Stuhl zu nehmen, und leitete meinen Vortrag mit der Frage ein: Ob er sich nicht wieder in seine Heimat sehne? Er verstand mich die Quere. Nein, antwortete er bestimmt – so angenehm es mir auch seyn würde, den lieben Herrn zu begleiten, so kann doch auch dieses lockende Anerbieten meinen einmal gefaßten Entschluß nicht umstoßen. Ich bin zu sehr in meinem Vaterlande verkannt – bin es aber nicht allein. Verdienste – das wissen Sie selbst! – haben dort weder Ansehen noch Brot. Ist es nicht die allgemeine Klage der Maler, Bildhauer und Dichter? und was kann das Vaterland darauf antworten? – Was es darauf antworten kann? erfaßte ich seine Frage, über ihren anmaßlichen Ton ein wenig aufgebracht. Je nun – die Patrioten kehren die Anklage um, und richten sie wider alle die verkannten Herren selbst. Wenn wir Euch, sagen sie, als Künstler vernachlässigen, so würden wir Euch als Handwerkern alle mögliche Gerechtigkeit angedeihen lassen. Ihr überlegt nicht, daß der Staat, der Euch nähren soll, der arbeitsamen Hände weit benöthigter ist, als der gefälligen Künste. Unsre steinigen Äcker – verfallenen Wege – elenden Hütten und zerrissenen Schuhe wollen nicht gemalt – besungen, beschrieben und in Kupfer gestochen – sondern gepflügt – gepflastert – gebaut und besohlt seyn. Wir lassen euch darben, weil Eure göttlichen Talente uns unbrauchbar sind. Hoffentlich, fiel mir der alte Kauz mit großen Augen in die Rede, ist das weder der Fall bey mir, noch bey vielen andern. Correggio . . . Halt, Freund, trat ich ihm in den Weg – auch er hat, nach ihrer Meinung, für die Zeit, in der er lebte, keine kluge Wendung genommen. Hätte er – sagen sie – von jenen fühllosen Mönchen, die seine unsterbliche Nacht nicht besser als eine gemeine Tapete von Wachstuch bezahlten, ein Tafelguth in Pacht genommen, sein Name würde freylich so vergessen, als der ihrige – aber seine Thränen würden schon bey seinen Lebzeiten vertrocknet und sein Elend nicht auch auf seine Frau und Kinder übergegangen seyn. – Wenn du merkst – dünkt dem Patrioten die beste Lebensweisheit – daß die Zeitgenossen deine Gedichte – Gemälde und Meisterstücke deines Meisels nicht mögen, so laß deinen Geist ruhen, und kehre zu dem andern Theile deiner Selbst zurück, an dessen Erhaltung du zuerst hättest denken sollen. Suche mir, sagt das Vaterland, mehr körperlich, als geistig, durch die Axt, die Nadel, den Hobel, als Schreib- und Rechnungsmaschine, oder als Markthelfer nützlich zu werden. Du wirst deinen Kopf weniger anstrengen und mehr eigenen Genuß davon haben, als jene wahren oder eingebildeten Talente gewähren, die ihres Zwecks und Lohns fehl und betteln gehn. – Mein Eifer, lieber Eduard, hatte mich so weit von meinem Texte verschlagen, daß es mir, wie manchem Prediger, Mühe machte, auf die Anwendung zu kommen. Wenn Ihr Vaterland, nahm ich einen traulichen Ton an, Sie verkannt hat, lieber Passerino, so haben Sie ihm hingegen alle Rückkehr zu Ihnen versperrt. Wie so? fragte er verwundert. – Mögen Sie wohl noch fragen? Wer kann ein Original in einer Uebersetzung wieder finden? Und wenn sich sieben Städte um ihren Besitz stritten, wie um den Homer – würde es Ihnen nicht ebenso gehen, wie ihm? Wie kann Passerino das fordern, was Sperlingen gehört? Gesetzt, es fiele Ihnen in Deutschland eine Erbschaft zu; müßten Sie nicht entweder Ihren sonorischen Namen oder die Erbschaft aufgeben? und könnten Sie sich wohl durch Ihre Marinen legitimiren, daß Sie der rechtmäßige Erbe wären? Doch vielleicht ginge das noch am ersten an. – Lieber Herr, unterbrach er mich lächelnd – Sie setzen hier Fälle voraus, die ganz und gar nicht auf mich passen. Ich habe in Deutschland nirgends etwas zu hoffen – sogar von meiner leiblichen Tante nichts, die zwar wohlhabend, aber die unverträglichste, geizigste und mir abgeneigteste Frau auf Gottes Erdboden ist. Ihre Brüder waren geschätzte Maler; sie aber lebte bloß von ihren Renten und verstand – Nichts. Sie hielt nur die Italiener für Meister, und immer setzte sie hinzu: ich würde nie einer werden – und eben ihr zum Possen habe ich meinem Namen durch eine Uebersetzung geholfen, und werde ihn forttragen bis an meinen Tod. – Ja, wenn das so zusammenhängt, mein guter Passerino, wobey ich mich hinter den Ohren kratzte, so weiß ich kaum, wie der Sache zu helfen steht. – Welcher Sache? fragte er neugierig. Nun – ich kann Ihnen wohl wieder sagen, was ich von einem meiner Correspondenten als gewiß gehört habe – Ihre liebe Tante ist seit Jahr und Tag sehr verträglich geworden. Sie vermuthet, daß es Ihnen hier eben nicht nach Wunsch geht. – Das hat sie errathen, seufzte er, denn Ihnen kann ich es wohl gestehen, daß ich manchmal nicht weiß, wovon ich den andern Tag leben soll. – Und Sie werden wohl selbst bemerkt haben, daß ich noch immer das Kleid trage, in welchem ich Ihnen Stunden gab, und daß es nun nicht länger mehr halten will ... Und diese will Ihnen, fuhr ich fort (ohne ihn merken zu lassen, wie nahe mir sein Elend ging) – ihr schönes Freygut zu Triesdorf samt den Einkünften einräumen, wenn Sie der ewigen Kunst ... Entsagen? Nicht wahr? – fiel er mir ins Wort – Nun und nimmermehr – und zwar gerichtlich, eydlich und feyerlich entsagen. – Dadurch erschreckte ich ihn so, daß er zitterte. – O! da muß sie, hub er an, ganz verrückt geworden seyn! – Das nun eben nicht, erwiederte ich, aber diese Grille hat sie sich nun einmal so in den Kopf gesetzt, daß sie es sogar in ihrem letzten Willen zur Bedingung gemacht und darüber – gestorben ist. – Er überblickte mich bey dieser Anzeige mit zweifelhaftem, unbeschreiblichem Erstaunen, und ward bald carminrot, bald leichenblaß, je nachdem ihm das schöne Vermächtniß oder die häßliche Bedingung zu Kopfe trat. Ich reichte ihm nun das Blatt. – Da lesen Sie selbst – aber überlegen Sie hauptsächlich dabey – daß hier nicht zu zaudern ist, und das Testament nur noch einige wenige Wochen zu Ihrem Vortheile gilt. Er schlich, wie das böse Gewissen, mit seinem Vorbeschied in die Ecke des Fensters, las, und schüttelte bey jeder Zeile den Kopf. Seine unglaubliche Anhänglichkeit an ein stümperhaftes Talent erregte mein innigstes Mitleiden. Aber, großer Gott, was für eine Schaar von Brüdern hat er nicht in dieser Rücksicht umherlaufen. Wie viele opfern nicht ein glückliches sorgenloses Leben dem Vorurtheile des Standes, – ihre Ruhe einer falschen Ehre, ihre gegenwärtige Zufriedenheit dem Hirngespinste der Nachwelt auf; verhören das Concert, das sie umgibt, und horchen nur nach der Trompete hin, die einst, wie sie sich einbilden, über ihr Grab schmettern wird. – Wer kann die Märtyrer der Religion zählen, die oft so irrig – abergeschmackt und toll ist, als nimmermehr die fixe Idee des armen Sperlings! Wer muß, bey gesundem Verstande, nicht die Unsterblichkeit der Miltone, Buttlers und Eulers bemitleiden, die sich bey lebendigem Leibe ihre Lebenskraft abzapften – die besten Gelegenheiten versäumten, das Herz eines fröhlichen Freunds, den Busen einer schönen Zeitgenossin zu erobern – nur an ihren eigenen Fingern und Federn nagten – und die magersten Bissen verschluckten, um nach ihrem Tode, wo sie nicht mitessen konnten, unbekannten Buchtrödlern desto fettere aufzutischen. Ich mochte den Weg, auf den mich Sperling gebracht hatte, nicht weiter verfolgen, aus Furcht, auf meinen eigenen Haushalt zu stoßen – schob einstweilen mein Selbstgespräch auf, und hielt es für dringender, mich in das seine zu mischen, das nicht aufhören wollte. So oft ich bey seinem Erker vorüberschritt, warf ich eine Bemerkung hinein, die er nutzen sollte. – Die ewige Kunst, können Sie mir, als einem alten Freunde, glauben, verliert nichts dabey, wenn Sie sich fügen. – Das Vergnügen, Talente unterstützen zu können – indem ich meinen Oberrock anzog – ist vielleicht mehr wert, als die oft bezügliche Ueberzeugung, ein eignes zu haben. – Er ließ sich durch alles das nicht stören. Ich stelle mir eine wahre Freude vor (redete ich so für mich), wenn ich einmal meinen alten Lehrer auf seinem Landsitze besuchen kann, und wir bey einer guten Mahlzeit über die Größe des armen Correggio plaudern, – und uns der vergangenen Zeiten erinnern werden. Auch das focht ihn nicht an. – Er starrte noch immer vor sich hin, das Wochenblatt seinem dürren Knie über gebogen, und hing den Kopf, ohne einen Laut zu geben. Bastian meldete, daß die Pferde gleich da sein würden, aber sein Seelenkampf dauerte fort, und mir ward dabei ganz schwül um das Herz. –

 

     So oft ich, lieber Eduard, den Donquichote gelesen und bis zum Ende des herrlichen Buchs über seine Thorheiten gelacht habe, so grübelte es mich doch bey dem letzten Kapitel, wo er wieder klug wird, immer in der Nase. Ich dächte, es wäre für uns alle nichts erbaulicheres und rührenderes geschrieben. Wie der arme Mann, so stillschweigend in sich gekehrt, nachsinnt, die Schatten des vergangenen Lebens – jene Heldenthaten – seine heiße platonische Liebe zu Maritornen, Sancho´s gutmüthige Freundschaft und die treuen Dienste des dürren Rosinante – seiner erstaunten Seele vorübergaukeln – wie er alles, was sonst in seiner Einbildung von so hohem Werth war – jetzt in einem ganz verschiedenen Lichte betrachtet – nicht begreift, sie ihm doch sein gesunder Menschenverstand abhanden gekommen, und Gott demuthvoll um Vergebung bittet, daß er so lange ein Narr gewesen. Ein solcher Büßender – welche Mitgefühle muß er nicht bey jedem rege machen, der ihn anblickt! In gleicher bänglichen Lage befand sich dermalen auch mein guter alter Zeichenmeister, und erhielt sich so lange warm darin, bis ihn das Horn meines Postillions von seinem Sitze aufjagte. Er ergriff in großer Bewegung meine Hand – Theuerster Freund und Gönner – holte er tief Athem – Ziehen Sie mich aus meiner Angst, und sagen Sie mir aufrichtig: Kann ich wohl den bedungenen Eid mit gutem Gewissen ablegen? Ja, Freund – klopfte ich ihn auf die Achsel, mit dem besten von der Welt – Sie wunderlicher Mann! Was machen Sie für Umstände, und wie mögen Sie sich nur einen Augenblick besinnen? Bey zwey Talenten – und sonst auf Gottes Erdboden nichts – könnte man, dächt´ ich, ja wohl eins abschwören, wenn der Umstand darauf beruht, ein Freyguth zu gewinnen. Das schien ihm einzuleuchten. Sie werden im Anspachischen und überall, fuhr ich fort, menschliche Gebrechen genug finden, deren Sie so viele in Wachs poußiren können, als Sie wollen. Das verbietet Ihnen ja die Tante nicht, und gibt Ihrer Thätigkeit allen möglichen Spielraum. – Da haben Sie recht, erheiterte sich auf einmal sein trübseliges Gesicht. Spornstreichs laufe ich nun nach Hause, um Anstalten zu meiner Abreise zu machen – will meine Madonnen und Seestücke recht behutsam einkästeln, und ….. Ist das nicht wieder ein Einfall! Was um Gottes willen, gedenken Sie mit so vielen unbefleckten Jungfrauen in den preußischen Staaten anzufangen, wo man an keine einzige glaubt? Aber, fragte er sehr naiv, die von letzthin darf ich doch – Notre Dame de Graces von Cotignac? Auch diese Nothhelferin, erboste ich mich über seine Thorheit, hat dort keinen Ruf. In unserer Religion und bey unsern Gensdarmes, was braucht´s da solcher außerordentlichen Vermittlerinnen? Und nun vollends Ihre Marinen! – Dort – überlegen Sie selbst – auf dem festen – ja, wie einige behaupten – auf dem festesten Lande – nahe bey Nürnberg – wie können Sie wohl hoffen, daß Sie damit Eindruck und Aufsehen machen werden? Als Vorbilder taugen Ihre Stürme – Kriegsschiffe – Caper und Brander nicht einmal so viel als Ihre Madonnen. – Als Anleitung zur Seeräuberey erreichen sie nicht die schlechteste Deduction, und für das natürliche Standrecht würden Ihre Beweise mit dem Finger auf dem gemalten Ocean denen weit nachstehen, die ein dort abgegangener Cammerrath oder Director längst schon gegen die Gränznachbarn geführt hat. Folgen Sie mir, verkaufen Sie, um den schweren Transport zu ersparen, Ihren ganzen artistischen Nachlaß einem hiesigen Trödler, ohne lange zu handeln. Kann er Profit daran machen, so gönnen Sie es ihm ja … Doch, noch eins, alter Freund, ehe wir uns trennen! Haben Sie auch Reisegeld? – Er schüttelte kleinmüthig den Kopf. – Nun, so borge ich Ihnen, was ich gestern nicht gethan hätte, vierzig Louisd´or – hier nehmen Sie – damit können Sie das Post= – und die Einnahme von Ihren Gemälden dazu gerechnet, – auch das Schmiergeld bezahlen! – Und nun – leben Sie – ich streichelte ihm das Kinn – recht wohl, armer, gerupfter Sperling, und zaudern Sie nicht, um bald in die Federn zu kommen. Er begleitete mich bis an den Wagen, weinte – küßte mir dankbar die Hand, und so schieden wir beyde sehr gerührt voneinander.

 

     Es erweckt doch ganz eigene Empfindungen, wenn man nach so vielen Erfahrungen, als ich in der Fremde gemacht habe, endlich seine Wagendeichsel dem Vaterlande zugekehrt sieht. Aber hätte mich nicht meine Unbesonnenheit mit der Schreibtafel gezwungen, den Weg fortzusetzen, glaube mir, das Gesetz der moralischen Schwere, das dem Schweizer, wie dem Lappländer, außerhalb seinem Neste keine Ruhe vergönnt, würde sogar in diesem Augenblicke von seiner Kraft an mir verloren haben ….. Edler, großmüthiger St. Sauveur! Die überraschenden Stunden, in denen du meinem erschlafften Herzen so viele schöne Beyspiele männlicher Tugend zuspieltest – der Zauber jugendlicher Schönheit und Unschuld, durch den die holde Gefährtin deines Lebens einige Tage des meinigen verklärte, sind Bande, die mein Wesen an das eure bis zur Auflösung des Grabes fesseln. – Und du, der reinen, schönen, unverdorbenen Natur herrlichster Zögling – du meiner Wünsche erhabenes Ziel! – Wieviel lange Morgen noch, o Agathe, werden meine Träume bis zu dem Zeitenwurf über dir schweben, der, wenn Gott mein Gebet erhört, alle folgenden Tritte ihres Gangs mit Rosen bestreuen soll. Durch meine Vereinigung mit dir wird mein Daseyn erst sein wahres Colorit, und jeder Winkel der Erde, an den du es ankettest, den Reiz meines Vaterlandes gewinnen. Aber Ihr, zu denen diese Empfindungen in der Ferne, die uns scheidet, hinströmen – du heilig verbundenes Drey! vergib mir, wenn ich in dieser hinfliegenden reichhaltigen Minute, über dich und deinen Himmel voll Seligkeit noch eine Macht erkenne, die selbst, ergreifender als du, mein bebendes Herz anmahnt! Ja, Eduard, in diesem Gedränge so lieblich schwärmischer Gedanken war sie es, die holde Irrende, die gebietender als alle andere Lockungen vor meine Seele trat. Jenes heilige Gefühl, unter ihren Augen gewonnen, das sich von dem weltlichen Geschäfte, dessen ich mich eben entledigt habe, wie die Andacht von dem Wucher, zurückzog, heftete sich jetzt nur desto stärker an meine empfängliche Seele und verbreitete sich über sie in vielfach dunklem Geflechte. Sie schien meinem vorbeyrollenden Wagen aus ihrem Kerker nachzurufen: Kehre um, leichtsinniger Mensch! – Erwarte das große Schauspiel meiner Genesung, um an meinem Altar dein Herz an der heiligen Flamme zu erwärmen, die mein grausendes Schicksal umnebeln, aber nicht verlöschen konnte. Kehre um und sieh´, wie sich aus der Verklärung meines Freundes ein Funkeln herabsenket, der meinem Irrgestirn zur Rückkehr in seine Bahn vorleuchten – an meiner Brust lodern – das Ebenbild seines Vaters zurückstrahlen, und mein vertrocknetes Auge mit lindernden Thränen befeuchten wird! So sprechend stand die hohe Dulderin vor meiner Seele; als ich aber aus dem Kreise des magischen Spiegels heraustrat, und mich nach mir selbst wieder umsah – ergriff und schleuderte mich mein Bewußtseyn in einen desto düsteren Abgrund.

 

     Freund, ich habe dir nie verläugnet, was in meiner Tiefe vorging – warum sollte ich dir jetzt die beschämenden Gefühle verhehlen, die, wie der Zugwind auf offene Wunden, auf die schmerzhaften Stellen meines Herzens eindrangen. O das ist eine viel zu schonende Vergleichung. – Es war der reine Lichtstrom aus Agathens unbefangenem – aus Clarens belohntem und aus dem bangenden Herzen der heiligen Märtyrerin zusammengeflossen, der die Kruste eines stehenden Sumpfs bespülte und die Quellen seines schädlichen Aushauchs sichtbar machte. Der Anblick empörte meinen Stolz. – Ich wollte Trost – erwartete Schutz – forderte Beruhigung von ihm – erhob mich – und, Woher, fragt´ ich übermüthig, kommt dir so unverlangt die Beleuchtung deines Unwerths? – von einer Wahnsinnigen ….. Wie? welcher Dämon gab mit dies verunstaltete Wort ein?

 

     O du schuldloses Opfer des grausamen Verhängnisses. – Wehe dem Lästerer, der das Kleinod deines Wesens darum nicht für unschätzbar erklären wollte, weil es getrübt ist! Er lasse den Nebel des Augenblicks verdünsten, und wie ein angehauchter Diamant, wird es in seinen angeborenen Glanz – in seine fleckenlose Natur übertreten. – Selbst in der Gluth der Vernichtung wird es, gleich ihm, in Aether zerfließen und keine Spur irdischen Ursprungs zurücklassen. –

 

     Ich habe mir längst abgemerkt, Eduard, daß jede liebevolle Empfindung mir weit wärmer in den Kopf tritt, wenn ich fahre oder reite, als auf meinem Lehnstuhle. Ueberfällt mich ein solcher Enthusiasmus in einer Postchaise, so verliere ich mich selbst – wie hier, zu Pferde gemeiniglich meinen Hut. Wundere dich also nicht über die kostbaren Ausdrücke meines Selbstgesprächs, und laß mich ruhig fortschwärmen, bis ich die Station erreicht habe. O Liebe, Liebe, rief ich gen Himmel blickend, du in der Sprache der Engel erhabenstes Wort – in dem Sternenkranze des Ewigen mildester Strahl – herrlichstes aller Gefühle, nur dem Menschengewürme unbegreiflich, das über den ächten Sinn deines Namens weg – zu Sprachverwirrern hinkriecht, die ihn mit Schlangenzungen mißdeuten. Ach! kein Pulsschlag verklingt in dem Reiche der Natur, der nicht Millionen Verlästerer deiner Gottheit erweckte. Als Sinnbild von dir setzen sie das raubgierigste Ungeheuer auf deinen Altar – wähnen bey der Enthüllung ihres befleckten Götzen deinen heiligen Schleier zu heben, und schmücken die Opfer, die sie ihm würgen, mit dem Afterscheine deines unsterblichen Kranzes! Oh, ihr Betrüger eurer selbst, ihr lieblosen Verfolger der weiblichen Würde! Haben sich wohl je eure Irrgänge dem stillen Pfade genähert, auf welchem die Liebe einherwandelt? Unschuld tritt ihr voran, reulose Freuden folgen ihr, und ihr Ausgang verläuft sich in die seligste Ewigkeit. Werfet nun einen Blick auf das Blendwerk eures Anführers, und zittert! Selbstsucht ist sein Schild, Trug seine Rüstung, und seine Waffengefährten sind in der Hölle geworben. Nur niederträchtige Künste – sinnliche Verlockung – Meineid und Verläumdung folgen seiner Blutfahne. O ihr, seine strafbaren Anhänger, aus was für einem entsetzlichen Haufen müßt ihr nicht die Mitgehülfen eurer Unterthanen wählen, um an ein Ziel zu gelangen, wo nur Seelenpeiniger in scheuslichen Larven euer warten. – Euer ehrloser Rückzug geht über Felsenspitzen und Dornen, und aus euerm schändlichen Sieg werdet ihr nichts von der mühsam errungenen Beute nach Hause tragen, als ein verletztes Gewissen. – Und nun dieselbe Hand aufs Herz, die dies ernste Gemälde entwarf! Konnte sie denn nirgends ihren Pinsel reinigen, als in einem Tollhause? Buhlerisches Avignon – dort war es, wo ich – was will ichs läugnen? – die sittlichste Kunst zum Dienste des Unsittlichen erniedrigte – dort, wo mein entbranntes Gehirn jene schlüpfrigen Bilder entwickelte, zu denen ich, wo nicht selbst saß, doch andern Mißgestalten zu sitzen erlaubte. Könnte der Zufall, der sie mir auf dem Krankenbette wegstahl und zum Feuer verdammte, den Maler beruhigen, der sie aufstellte, wie froh wollte ich über ihren Staubhügel hinwegsehen! … Das könnte ich wollen? Nein, Eduard; ich würde vielmehr mit Freude jene Erfahrungen meines Lebens – wenn ich die Palingenesie verstände, – aus ihrer Asche hervorrufen; – sie sollten vor meinen und anderer Augen leuchten, so lange der Schmutz, aus dem sie entstanden, noch Farbe hielte. Dem Unerfahrnen, der meine Bilder anstaunte, dem Lüsternen, der ihnen zulächelte, und dem Kenner, der die Treue der Copie aus seinem eigenen Originale abzöge – ihnen allen sollte mein Cabinett offen stehen, und – wenn die Herren über dem Eingang die Aufschrift: Plusque ex alieno jecore sapio quam ex meo – gelesen und ihre Ferngläser hell gerieben hätten, – sollte es mir lieb seyn, sie, von einer Nudität zur andern verlockt, endlich an der Warnungstafel anprallen zu sehen, die ich mit beträchtlichen Kosten an dem Ausgange meines Saals aufgerichtet habe. Hier möge dann jeder sich besinnen – den Spaziergang durch meine Galerie mit dem vergleichen, den er durch die Welt nahm – möge sich – nachdem es kömmt – entweder freuen, daß er, Gott sey Dank, auf allen seinen Reisen zu Wasser und zu Lande nie an solche Klippen gestoßen – möge, wenn er kann, sich etwas darauf zugute thun, daß sein Putz= und sein Schlafzimmer, von Scipio´s Enthaltsamkeit an bis zu der keuschen Lucretia, nur mit Tugendspiegeln getäfelt sey – oder er fasse auch den kurzen Entschluß, sich nie von seinem Ernste und von seiner Studierstube zu entfernen, um sich keinen solchen Gefahren auszusetzen, als mich leider! betroffen haben, und, wenn sie ihm ja aufstießen, mein abschreckendes Beyspiel zu benutzen, und ihnen klüger auszuweichen, als meiner Wenigkeit gelang. Auch das soll mir recht seyn. Müßte er sich aber als ein ehrlicher Mann gestehen, daß seine Sittlichkeit, hier und da, wohl noch schimpflichere Niederlagen erlitten habe, als die meine, so weiß ich ihn mit keinem bessern und brüderlicheren Rath zu entlassen, als – er schlage den Weg ein, auf den mein hölzerner Arm hinweist – den Weg der Reue, wo er auch mich mit meinem Wanderstabe finden wird …..

 

     Das sind faule Fische – war das erste Wort, das ich hörte, als ich mit meinem Selbstgespräche vor dem Posthause abtrat. Ich stutzte – bis ich sah, daß es nur einer Hökin galt, die der Hausknecht trotz der Versicherung, daß die Sardellen frisch wären – abwies. Wenn es nun aber ein Philosoph gewesen wäre, befragte ich mich, der dir mit diesem entscheidenden Urtheile in den Korb geguckt hätte? was würdest du ihm haben antworten können? Ein Glück für ihn, daß ich wieder auf eigenen Füßen stand und alles Hochtrabende in der Chaise zurückgelassen hatte: – denn nun ward mir die Sache erst selbst klärer. – Nicht ganz getroffen! erwiederte ich ihm. Faule Fische, sagen Sie? Nein, mein Herr, es sind gar keine – sind nichts, als gute ehrliche Frösche, die ich zum Zeitvertreib mit der Angelruthe in dem nächsten Tümpel gewonnen habe, um Versuche, die zu sehr wichtigen Resultaten leiten können – über die Reitzbarkeit der Nerven anzustellen. Ich mache mir zuweilen den Spas, während Euer Ehrwürden den Ungeheuern des Oceans Wurfspieße entgegenschleudern, ohne, daß ich wüßte, eins noch getroffen oder getödtet zu haben. Meine Frösche können wenigstens nicht mehr quaken, wenn ihnen die Haut über die Ohren gezogen ist. Ihre gute Absicht, mein Herr, ist jedoch gewiß nicht zu verkennen, und verdient den Dank aller Edeln. So kamen wir als gute Freunde aus einander, und gingen, glaube ich, jeder ruhig und mit sich zufrieden ins Bette.

 

 

*  *  *

 

 

Den 26sten Februar.

 

Als ich mich gestern Abend der Section der Frösche gegen den Philosophen annahm, hätte ich nicht geglaubt, daß ich dich heute um dieselbe Zeit mit einem Mitbruder meiner Studien bekannt machen würde, der die Sache ins Große treibt, und den ich selbst erst zwischen Nimes und Montpellier kennenlernte. Es traf sich sonderbar genug. Ich brach heute mit dem frühesten auf und stieg so schlaftrunken in den Wagen, daß Bastian ein paar elastische Küssen unter meinen Kopf legte und mich der Ruhe übergab, die ich vorletztere Nacht der Unterhaltung des Dominikaners so gern aufgeopfert, und in der vergangenen noch nicht hinlänglich ersetzt hatte. Ich legte also eine Station nach der andern so sanft zurück, als wenn es auf meinem Bette ge­schäh. Wir waren durch Nimes gefahren und schon eine gute Strecke bey Caverac vorbey, als meine Chaise still stand und das Fluchen des Postknechts mich ermunterte. Vier Wagen vor dem meinigen sperrten den Weg, weil an ihrer Spitze ein fünfter das Rad gebro­chen hatte, und mochten sie schon lange da gehalten haben, ehe ich ankam. Bastian war ausgestiegen, um zu sehen, was vorging. Ich hörte ihn von weitem mit einem Bekannten sprechen, und verließ nun auch meine Polster. Der erste Wagen, dem ich neugierig vorbey­schlich, faßte drey Frauenzimmer, immer Eins reizender, als das An­dere. Ich machte ihnen meine tiefe Verbeugung, die ich mit Erstau­nen über eine so ungewöhnliche Erscheinung an dem zweyten, drit­ten und vierten Wagen wiederholen mußte. Was in aller Welt ist das für ein Transport? dachte ich. – Entweder ist hier herum eine Pen­sionsanstalt für junge Fräulein, oder ein Bassa von drey Roßschwei­fen schickt, Gott weiß warum? sein Serail nach Montpellier. Indem ich so da stand und mich der lachenden Gegenstände freute, die den Steinweg belagerten, klopfte mich Jemand auf die Schulter. – Ich drehte mich um – erinnerte mich sogleich des ehrlichen Gesichts und ... Je – lieber Onkel! rief ich ganz verstört – wie kommen wir denn, so weit von Cavaillon – hier zusammen? – Sind Sie denn nicht mehr Wirth in den Propheten? Nein, mein Herr, antwortete er mit sichtbarem Frohsinn. – Ich habe die lästige Wirthschaft auf­gegeben – diene seit kurzem als Mundkoch bey Lord Baltimore, der dort sich mit den Leuten zu thun macht, die seinem Wagen aufhalfen – und reise jetzt mit ihm nach Spanien. – Und diese vier Wagen? fragte ich – Gehören zu seinem Gefolge. – Und dies Dut­zend allerliebster Kinder? – Sind Cammerjungfern seiner Gema­lin. – Wenn Sie wollen, will ich Sie unserer jungen Gebieterin vor­stellen, der auf jener Rasenbank ohnehin Zeit und Weile lang wird – so ist Ihnen beyden geholfen. Wohl, sagte ich, wenn Sie glauben – und so näherten wir uns der vornehmen Frau. Schon in einiger Entfernung konnte ich schließen, daß es keine gemeine Schönheit sey. – Ihr Reisekleid von grauem Taffet lag ihr von obenher knapp an, und umflatterte ein paar vorgestreckte niedliche Füßchen. – Ein schwarzer Sommerhut beschattete ein helles Gesichtchen – die ei­ne Hand spielte mit einem Spazierstock, die andere ruhete auf ei­nem englischen Windspiele neben ihr, das uns anmeldete. Das Gan­ze gab ein freundliches Bild. – Hier, Mylady, rief mein Introduc­teur, habe ich die Ehre, Ihnen einen meiner Bekannten vorzustellen, dem die Equipagen Euer Gnaden den Weg verstopfen. Die herrlich schlanke Figur erhob sich ein wenig von ihrem Sitze. Ich verneigte mich auf das ehrerbietigste – stotterte einige Entschuldigung über meine Freyheit – richtete mich in die Höhe – begegnete ihren Au­gen und ... Mylady – und – zugleich – um Gotteswillen! rief ich – Sie sind es – Clärchen – Sie? –

 

     Wenn du denkst, daß sie von uns beyden es war, die am meisten erschrak, so kennst du sie schlecht. – Mit der stolzesten Ruhe maß sie mich mit den Augen, und sagte mit Würde: – Ich heiße jetzt Baltimore, Gemalin des Herrn, der eben auf uns zukömmt. – Wie ist es Ihnen zeither gegangen? Ich stand verblüfter vor ihr, als je­mals – ohne eine Sylbe zu antworten. Unheimlicher ist mir in mei­nem Leben nicht gewesen. – Ueberlege selbst, Eduard, was hier alles zusammentraf, um mich außer Fassung zu bringen. – Die hohe fremde Miene der Dame – gegen einen Bekannten, wie mich – ihr gegenüber – die Schreibtafel des Barons mit ihrem Miniaturgemälde und meinem Epigramm in der Tasche – scheu, wie ich immer gegen alle und jede bin, die Thorheiten von mir wissen, so daß ich lieber von ihrem Tode höre, als ihnen begegne – und in demselben Augenblicke zugleich von der Gefahr umschwebt – dem Lord – Clärchens Gemahl – meine Hochachtung zu bezeigen … Nein, Eduard – um mit solchen Verlegenheiten zu kämpfen, muß man eine unverschämtere Stirn haben, als ich. Mein Entschluß war kurz. – Ich faßte den Propheten=Wirth bey dem Ermel – drehte mich um, und eilte nach meiner Chaise. – Als wir so weit waren, daß uns Niemand hören konnte, blieb ich stehen. – Nun, lieber Herr Mundkoch – schöpfte ich Athem – jetzt, bitte ich, befriedigen Sie meine Neugier, die unglaublich ist! – Wir kennen ja beyde ihre liebe Nichte von dem Bette an, wo ihr der Teufel zum ersten Male erschien, bis zu dem Sopha, wo ich ihr das Strumpfband der Maria verhandelte – durch welches Wunder ist ihr die Hand eines reichen vornehmen Engländers zu Theil ge­worden? – Durch kluge Erfahrung, antwortete er, die bey den Wei­bern meistens den Abgang der Unschuld ersetzt – und durch die Blindheit, mit der Gott uns Männer gestraft hat. So erkläre ich mir wenigstens die Sache, wenn mir das und jenes von der Donna einfällt, und ich über ihr Glück erstaune. – Aber jetzt, glauben Sie mir, verdient sie es. – Sie ist ganz wieder auf dem Weg der Tu­gend, eine zweyte Magdalena – liebt ihren Mann und macht ihn glücklich. – Seit wie lange? fragte ich. Seit heute vor acht Tagen, erwiederte er; sie verlangte – und der Lord freute sich kindisch dar­über – in der Franziskanerkirche – gerade über dem Grabe der tugendhaften Laura getraut zu werden. – Herr Ducliquet hat sie eingesegnet – der getaufte Jude hat bey der Ceremonie aufgewartet – und in der Propstey .... Ist, fiel ich ihm ins Wort, die Hochzeit gewesen? Ja, sagte er, und auch das Beylager. Ich schlug bey dieser Nachricht die Hände gefalten über den Kopf. – Barmherziger Gott, rief ich aus, welch ein Greuel von Menschenverbindung an deinem Altare! Gute Laura, was für antipetrarchische Gedanken mögen an diesem Tage über deiner Asche geschwebt haben! – Ruhig, mein Herr! – erinnerte mich der Prophetenwirth, meine Nichte bemerkt Sie – Lassen Sie uns alles vergessen und vergeben seyn, was vor­bey ist, und gedenken Sie künftig der Lady Baltimore im Besten. – Doch ehe wir uns trennen, mein Herr, – denn ich sehe, daß meine Herrschaft einsteigt, muß ich Ihnen geschwind einen Irrthum benehmen, in welchen ich Sie in Ansehung Ihres Landsmann gesetzt habe. – Es war eine boshafte Nachrede seiner fortgejagten lüderlichen Bedienten, – denen ich keinen Glauben hätte beymessen sollen. Der brave Mann hat sich mit Clärchen nicht einmal so viel vorzuwerfen – wenn ich so frey seyn darf, es zu sagen – als Sie. Ein Liebhaber der Kunst kann ja wohl in allen Ehren ein schönes Mädchen als Modell benutzen! Mehr hat er nicht gethan. Ich habe seitdem Herrn le Sauve kennen lernen, den Maler, der für ihn gearbeitet, und dem Clärchen in mancherley Stellungen gesessen hat – von dem weiß ich alle Umstände. Gnade Gott dem Herrn, der auch die unschuldigste Sache bey verschlossenen Thüren vornimmt! – Mehr braucht es bey solchen Schurken nicht, um ihn in den schlimmsten Ruf zu bringen – so daß er zuletzt keine Tasse Hühnerbrühe mehr nehmen darf, ohne Verdacht zu erwecken …. Doch ich muß fort – leben  Sie wohl – wir bleiben nur diese Nacht in Montpellier. – Die vier vordersten Wagen waren schon in vollem Galopp – er hatte seinen Platz in dem fünften – dem nächsten vor dem meinigen. Mein Postillion, voller Ungeduld über den Auf­enthalt, blieb nicht zurück, so daß ich die Ehre hatte, im Gefolg von Lady Clärchen an dem Posthause anzulangen, wo die Quartiere für die englische Herrschaft schon durch einen Courier bestellt waren.

 

     Den ganzen Weg über hatte sich meine Neugier um eine Frage herumgedreht, deren Auflösung von meinem geschwinden Ausstei­gen aus dem Wagen abhing, ehe mir der Mundkoch entwischte. – Ich kam ihm glücklich entgegen. – Nur noch ein Wort statt tausend, hielt ich ihn bey dem Kragen. – Warum in aller Welt führt Ihre Frau Nichte Gnaden wenigstens ein Dutzend Cammerjungfern mehr mit sich, als eine Königin brauchen würde? – Das muß frey­lich Wunder nehmen, antwortete er, wenn man den wahren Zusam­menhang nicht weiß. – Mylord – so hat mir sein Cammerdiener vertraut, schreibt ein systematisches Werk über die Eigenheiten der Weiber. – Englische Schriftsteller wählen ja immer ein auffallen­des Thema. – Diese artigen Kinder sind nicht sowohl im Dienste bey seiner Gemalin – als in dem seinigen – sind Studien für seine philosophischen Speculationen und ahnden es selbst nicht. Sie ver­rathen ihre kleinen Schwachheiten – Fehler und Tugenden unbe­fangen, und liefern ihm tagtäglich neue Bemerkungen zu seinem Texte. Es ist der vollständigste Apparat zu dergleichen physiologischen Experimenten, den man sich nur denken kann – aus den leichtsin­nigsten – schwermüthigsten – sprödesten – unschuldigsten – und erfahrensten Geschöpfen zusammengesetzt – mit deren Seelen, (denn wirklich ist es nur darauf abgesehen) er hunderterley Versuche an­stellt, um endlich ein neues Resultat herauszubringen. Gott gebe, daß es ihm gelingt – denn es wäre gewiß ein sehr nützliches Buch! – Und dieser Sachverständige, fuhr mir heraus, hat Ihre Nichte hey­rathen können? – Stille, fiel mir mein verunglückter Oncle ins Wort – hier ist nicht der Ort, darüber zu schwatzen. – Ich muß in meine Küche – leben Sie wohl, mein Herr, leben Sie wohl! – Das Buch möchte ich sehen – setzte ich nun meine Verwunderung mit mir allein fort – indem ich mich von einem Lohnbedienten in die Stadt führen ließ, in die man, wie du wohl wissen wirst, nicht anders, als zu Fuße oder in Sänften kommen kann. – Armer Autor! Gott gebe dir Glück zu deinen Studien, denen freylich die meinigen nicht das Wasser reichen! Ueber deine junge Frau könnte ich dir zwar wohl wichtige Beyträge liefern – aber, ob sie es gleich nicht an mir ver­dient hat, würde ich mich doch schämen, weniger edel zu handeln, als Herr Ducliquet, der Propst und der getaufte Jude.

 

     Montpellier ist bey allen seinen unläugbaren Vorzügen doch eine sonderbar ängstliche Stadt, lieber Eduard. – Gassen, die so schmal sind, daß die Inwohner der gegenüber stehenden Häuser einander die Hände reichen können, und ein Liebhaber, der so gute Gelegen­heit hat, seiner Schönen den Tag über in die Fenster zu sehen, nichts weiter als ein Bret braucht, um des Abends einzusteigen. Wenn die Hitze zunimmt, spannt man, aus Furcht vor dem Sonnenstich, Tü­cher über sie her. Dann sieht jede ohnehin wie ein Himmelbette aus, und kann füglich dazu benutzt werden. Die Schilder der Wirthshäu­ser sind alle aus der Botanik genommen. – Da hört man von kei­nem Römischen Kayser oder Churfürsten, wie in Frankfurt und an­dern deutschen Städten, sondern nur Namen aus dem Linneus. Ich fragte nach dem besten. Mein Lohnlaquai nannte mir die Rhabarbar=­Pflanze und die Chinawurzel. – Ich wählte das letztere und hätte es nicht besser treffen können; denn an der Hausthüre lehnte ein Bedienter, dessen mir nur allzubekannte Livree mich sogleich verständigte, daß er dem Herrn angehöre, den ich suchte. Er bestätigte es, und war so flink in seinem Dienste, daß er dem Baron die Ankunft der Schreibtafel schon gemeldet hatte, als ich noch auf der Treppe war. Kaum hatte ich meinen Staubmantel abgeworfen, so trat dieser auch schon in mein Zimmer – eine Figur von dem edelsten Anstande, ein offenes – liebreiches – verständiges Gesicht – so einnehmend und munter in seiner Unterhaltung, wie es nur ein Deutscher seyn kann, den gute Gesellschaft und Reisen gebildet haben. Ich wußte nicht gleich, nach was ich zuerst greifen sollte, um ihm eine bessere Meinung von mir beyzubringen, als ich selbst hatte – machte Entschuldigungen über den Aufzug, in dem er mich träfe – hätte zwo Nächte nicht geschlafen – und käm´ – das war es eigentlich, wodurch ich mir ein Ansehen bey ihm erbetteln wollte – von der Bastide meines vertrautesten Freundes, des Marquis von St. Sauveur, dessen Vermählung ich als der einzige Gast beygewohnt hätte.

 

     In der That traf ich es hier wieder so gut damit, wie bey Hrn. Filbert. Er kannte den Brigadier – wünschte mir Glück zu seiner Freundschaft – und hörte mit innigem Antheil mein enthusiastisches Lob über seine Gemalin. Es ist wohl Schade, sagte er, daß Sie ihm nicht auf sein Stammgut haben folgen können. Dort würden Sie ihn als einen kleinen Fürsten bewundert haben, der alles das leistet, was man oft umsonst von dem größten erwartet. Ich ging nun nicht ohne Herzklopfen zu dem Hauptgeschäfte über, das ich mit ihm abzuthun hatte. – Er machte es mir sehr leicht – nahm alles, was ich über meine hitzige Krankheit – nachherige Erschlaffung – und verordnete Zerstreuung zu meiner Rechtfertigung herausstottert – für gültig an, und foderte, ehe ich ihm noch seinen Verlust einhändigte, Feder und Tinte, um durch ein Billett an den Criminalpräsidenten den armen Puppenspielern noch vor Nacht ihre Freyheit zu verschaffen. Es ist nicht meine Schuld, sagte er, daß die guten Leute in Ketten liegen. Sie wurden zwar auf meine Anzeige in den Zeitungen – nach der Livree, die sie trugen – eingezogen; doch ihre eigene Aussage in dem Verhör, das man mit jedem besonders anstellte, machte sie hauptsächlich verdächtig. Sie mußten ganz den Kopf verloren haben. – Daß sich der eine Prologus, der andere Epilogus nannte, ließ man Puppenspielern hingehen; als sie aber den Herrn, der sie gekleidet, angeben und beschreiben sollten, standen beyde mit einander in geradem Widerspruch. – Der eine nannte Sie so, der andere so, und ich konnte nur versichern, daß kein Edelmann in ganz Deutschland einen so kauderwelschen Namen führe. Der älteste Bruder sagte aus, Sie wären in Avignon eines Kirchenraubes wegen arretiert worden – der jüngste, Sie hätten die heilige Dreifaltigkeit in einem Camin entdeckt. – Man fragte nach Ihrem Abschiede, sie hatten keinen aufzuweisen. Ihr Herr wäre durch ein Wunder aus Avignon entkommen – zu Lambesk hätten sie die Schreibtafel in einer verborgenen Tasche gefunden – und dem Herrn sogleich in Verwahrung gegeben – der es vermuthlich vergessen, sie dem Eigenthümer auszuliefern, und bey ihrem Abgang im Begriff gestanden hätte, in sein Vaterland zu gehen. Diese widersprechenden Aussagen, die alle Stunden einen neuen tollen Zusatz erhielten, erbot sich doch jeder Bruder zu beschwören – dabey sahen sie sich vor Gerichte so scheu um, wie das böse Gewissen. Die Frau, wenn es möglich ist, bezeigte sich noch verwirrter. Sie declamierte in leeren, nichts sagenden Phrasen ihre Verteidigung, und rief unaufhörlich in dem Gefängnisse und vor dem Tribunal: „Ach, mein Theseus! – wo bist du hin, mein Theseus?“ – Doch war sie es, die den Brief an den deutschen Baron in dem heiligen Geist schrieb, ohne Hoffnung zwar ihn anzutreffen, und den ich sogleich durch eine Stafette abschickte. Mir fing selbst an bange für den Ausgang zu werden. Ich hielt sie zwar sehr richtig für Narren – verschob jedoch mein Urtheil über den Verdacht, dem sie bloß standen. Das Tribunal hingegen hielt sie hinlänglich für überwiesen, und ohne meine Gegenvorstellung hätten sie vielleicht schon die Question ordinaire et extraordinaire erlitten. Es thut mir leid, daß den armen Schelmen ihre Ehrlichkeit so übel belohnt worden ist. Daß mich ihre Unschuld jetzt mehr freut, als Schreibtafel, Venus und Brief, die ich eins wie das andere für verloren hielt, können Sie mir wohl zutrauen. Ich bin glücklich, daß meiner über die Zeit verschobenen Abreise nun nichts mehr im Wege steht. Denn vielleicht wissen Sie schon, mein Herr, daß mich in Deutschland eine liebenswürdige Braut mit Sehnsucht erwartet, um so viel mehr, da mein letzter Brief ihr den Tag meiner Ankunft bestimmt, und sie gebeten hat, mir auf ein Gut ihrer Tante sechs Meilen weit entgegenzukommen. Die Ängstlichkeit, mit der sie mir sonach entgegensehen muß, beklemmt mich nicht wenig. – Brauche ich dir, lieber Eduard, wohl die Stellen in dieser Erzählung anzustreichen, die mir einen Stich nach dem andern ins Herz gaben. Ich erduldete sie ohne Murren, als eine gerechte Züchtigung meines unverantwortlichen Leichtsinns. Kleinmütig zog ich das anvertraute Gut aus der Tasche, aber wie ich es dem Eigenthümer einhändigte, brachten mich die Vorklagen, die ich beifügen wollte, in eine neue Verlegenheit. Auch diese schlug er sofort als ein Mann von Welt nieder. Er öffnete die Schreibtafel, besah mit wahren Kenneraugen Clärchens Bild und überlas lächelnd mein Epigramm auf der Hinterseite. Die Gelegenheit war zu gut, um ihm nicht die Veränderung bekannt zu machen, die seitdem mit dem Original vorgegangen sey, und durch welches Ungefähr ich heute ihr Gefolg verstärkt hätte. Nur heute? das ist glücklich! sagte er ein wenig ironisch (vermuthlich hat der Pro= und Epilogus eins und das andere zu Protokoll gegeben, was er Anstand nahm, mir gerade in das Gesicht zu sagen.) Also an Lord Baltimore verheyrathet? Nun, da ist sie in den rechten Händen, schlug er ein lautes Lachen auf. Ich kenne den alten Schwärmer und seine abgeschmackten Versuche für einen Text, über den unser kluges und erfahrenes Clärchen ihn in einer Stunde mehr lehren würde, als alle die abgesetzten Lady´s, die ihren Triumph=wagen begleiten. Wer weiß, ob sie ihn nicht wieder zum Glauben an weibliche Tugend bekehrt und seine Erfahrungs= und Seelenkunde mit einem Phänomen bereichert, dem er bis jetzt umsonst nachgeforscht hat. Wie wird sie die Unbefangene spielen – ihn schon von weitem kommen sehen, während er seine Experimente für die ersten hält, denen sie bloßsteht. Die Reise nach Spanien ist gewiß ihr Werk. – Dort, wo keine Seele sie kennt, wird sie ihm noch lange, ehe sie in den hintersten Wagen versetzt wird, für den Stein der Weisen gelten, den er sucht. – Ich erwähnte des Mundkochs. – Den allein, sagte er, wünschte ich von der saubern Gesellschaft zu sprechen. Der Ehrenmann hatte mich vor einiger Zeit, wie mir mein Cammerdiener vertraut hat, in einem schimpflichen Verdacht, und seine liebe Nichte, der er damals alles Böse an den Hals wünschte, in einem noch schimpflichern. – Diese Ungerechtigkeit, fiel ich dem Baron ins Wort, bereut er jetzt gegen beyde von Herzen, seitdem er einen unverwerflichen Zeugen Ihrer bloß artistischen Verhältnisse mit seiner Nichte – den Hr. Le Sauve gesprochen hat, der die Schöne so oft unter Ihren Augen und in der Lage gemalt hat, die Sie dem Modell gaben. – Der Baron verfiel in ein kleines Nachdenken, das ihn glücklicherweise verhinderte, die brennende Schamröthe zu sehen, die mir in das Gesicht trat – denn siehe nur, ehe ich mich dessen versah, fiel mir der verfluchte Stimmhammer, bey dem meine Kunst scheiterte, und die geweihte Farbe ein, die ich verschüttete. – O hätte ich, erwachte der Baron wie aus einem Traum, das schöne Geschöpf noch so unmündig an Kenntnissen und Jahren gefunden, als da Hr. Ducliquet ihre Bekanntschaft machte, keine Seele würde jetzt gegen die Wahl des Lords etwas Gegründetes einwenden können. So aber war sie schon ganz verloren, als ich sie kennen lernte – nur für die Kunst des Malers nicht. Ihre trügerische Außenseite konnte schon keinen mehr betrügen, dem es nicht ganz an sittlichem Gefühl – und Verstand fehlte, oder, wie Baltimore, für sein freygeistiges System mit Blindheit gestraft wurde – am wenigsten ein Herz, wie das meinige, das einem fast ebenso reizenden – zugleich aber auch dem reinsten und tugendhaftesten weiblichen Wesen angehört. O, meine Caroline, mit welchem Wohlbehagen unverletzter Treue werde ich dir nun bald unter die Augen treten! Wie belohnend, mein Herr, ist dieses Bewußtseyn am Ende einer Reise, sie mag einen Welttheil oder das Leben umfassen! – Lieber Eduard, wenn du mir die glühenden Zangen der Beschämung, die mich bei jedem dieser Worte zwickten, nachfühlen müßtest – ich würde dich herzlich bedauern. Da mochte ich mich doch auf eine oder die andere Seite des Prangers stellen, den der Baron Clärchens Liebhabern anwies, so hatte ich keine Ehre davon. Ich bekam eine recht kleine Idee von mir, die noch nicht vergehen will. Besonders that es meiner Eigenliebe weh, daß hier zwey Deutsche in so verschiedenem Lichte einander gegenübersaßen. Ich konnte mir nicht verbergen, daß diesem jungen, blühenden, artigen Manne das Reisen viel besser zugeschlagen sey, als mir. Mich, glaube ich, hat er auf den ersten Blick weggehabt. Sagte er nicht oben, ich wisse vielleicht schon, daß er eine Braut habe – und würde er wohl mit der Huldigung seiner Caroline so laut gewesen seyn, wenn er mir nicht schon angesehen hätte, daß mir der Inhalt des Briefs in der Schreibtafel so bekannt wäre, als ihm selbst? Was konnt' ich in dieser Ueberzeugung klügeres thun, als den Vorwürfen, denen ich nicht auszuweichen vermochte, offen entgegen zu gehen? Ich merke, Herr Baron, stoppelte ich meine verschämten Worte zusammen, daß Sie voraussetzen, ich habe mich von dem Geheimnisse Ihres Herzens auf eine Art unterrichtet, die große Entschuldigung bedarf. Was mir eigentlich nöthig war, um den Eigenthümer des Gefundenen aufzusuchen, konnte mir schon die Adresse sagen – das seh' ich jetzt recht gut ein – und dennoch . . . Wenn der Brief meines Freundes – unterbrach er mich – Ihnen die Zeit verkürzt hat, so hat er seine Absicht doppelt erfüllt, und es ist mir lieb, daß Sie ihn lasen – Und auch abschrieben? fragte ich. – Ja, auch das! antwortete er lächelnd. Hätte er ihn im Ernst geschrieben, so viel er übrigens auch Wahres enthält, so dürfte ich wohl hoffen, ihn bald genug zu überführen, wie unrecht er mir und dem guten Geschmack getan – und wie voreilig er die Aufschrift über das Portal meines Landhauses kritisirt hat. – Ich könnte nun mit gutem Gewissen und an keinem schicklichern Orte als hier den Brief über oder gegen den guten Geschmack, wovon ich dir bereits in meinem verbrannten Tagebuche den Anfang mitgetheilt hatte, ganz eingeschrieben. Es würde dir zum bessern Verständniß der Sache, auf die sich die Widerlegung des Barons bezieht – mir aber als eine Anleitung dienen, die Verdienste meines Landsmanns in ein noch schöneres Licht zu setzen – aber ich würde nur dadurch den Faden meiner Erzählung, die doch auch bedacht seyn will, verlieren. Genug, du sollst nicht darum kommen, und sollte ich dir ihn in einem besonderen Futteral mitbringen. – Ich schmeichle mir, fuhr der Baron mit sichtbarer innerer Zufriedenheit fort, daß ich die Zeit meiner Abwesenheit in fremden Ländern nicht so gar übel für meinen künftigen Aufenthalt im Vaterlande und für das Glück meiner Erwählten angelegt habe. Die Kenntniß der großen Welt muß vorausgehen, um durch Vergleichung sein häusliches Glück desto schmackhafter zu machen – so wie man nach einigem Genuß sehr feiner Gerichte gern wieder zu einer kräftigen Hausmannskost zurückkehrt. – Auch mein Kunstgefühl soll mir hoffentlich so viele Freude gewähren, als meinen Nachbarn ihre ruhige Ignoranz. Die Leuchter – die Vasen von griechischer Form, denke ich, sollen mir so wenig im Wege stehen als ehemals den Griechen – eine Venus von Tizian wird meinem Auge immer einen so angenehmen Ruhepunct verschaffen, als das freundlichste Gesicht einer Dorfnymphe, und Lady Baltimore in ihrer schönen Nacktheit, wo mich jeder Pinselstrich an das Original erinnert, besser noch als jene Göttin, der man außer ihrem Reiz auch nicht viel Gutes nachsagen kann. Da Sie Clärchen, wie ich gehört habe, persönlich kennen, müssen Sie nicht eingestehen, mein Herr, daß ihr Anblick minder noch wollüstige Begierden erweckt, als edle und erhabene Gedanken, die nur durch die Ungestalt der Seele zurückgestoßen werden, die den herrlichen Bau, wie die Kröte einen Tempel, bewohnt. Haben Sie wohl je Nevisans Gedichte und die dreyßig Bedingungen gelesen, die er zu einer vollkommenen Schönheit fodert? – Ja, antwortete ich, ich habe diese Stelle erst kürzlich für einen meiner Freunde abgeschrieben. – Und ich, erwiederte der Baron, habe noch mehr gethan – habe sie, das Buch in der Hand, durch Clärchens Vermittelung mit der Natur selbst – jedes rohe Wort des Dichters mit dem seinen Reiz verglichen, den es anzeigt – sie alle an dem schönen Mädchen beysammen, aber durch das lebendige Colorit – durch die Abstufung des Schattens und Lichts – durch die Schlangenlinien, die sie vereinigen, ungleich anziehender, und hier den Ausdruck der Natur unendlich poetischer gefunden, als den Dichter. Hauchen Sie nun einer so sinnlich vollkommenen Gestalt Selbstschätzung und Tugend ein, und Sie haben das anbetungswürdigste Ideal weiblicher Schönheit und Würde. Ich will Ihnen aus meinem Portefeuille ein Blatt holen, worauf ich die Physiognomie dieses Mädchens nach verschiedenen Ansichten, als Nonne – Heilige – Betende – Entzückte und als ein Engel geätzt habe. Wäre die Zeichnung – wie sie es freilich nicht ist – von einer Meisterhand – von der Hand eines Raphael oder Battoni, Sie würden nicht läugnen können, daß dieses zur Venus so geschickte Modell unter allen Gestalten denselben Eindruck machen würde. Was kann uns aber einen höhern Begriff von der Allgewalt der Unschuld und Tugend auf das menschliche Herz geben, als daß es selbst in seiner Verdorbenheit durch nichts so stark als durch eine Bildung angezogen wird, in welcher die Anlagen dazu gezeichnet sind, und selbst die größte Verführerin, wenn sie am unwiderstehlichsten zu verlocken trachtet, wider Willen zu dieser Maske ihre Zuflucht nehmen muß.

     Während der Baron in seinem Zimmer die edeln Gesichtszüge der jetzigen Lady Baltimore aufsuchte, kam sein Bursche mit der Nachricht zurück, daß meine ehemaligen Bedienten . . . Nein – fuhr es mir so wüthend durch den Kopf, daß ich vom Stuhle aufsprang, ohne weiter auf ihn zu hören – der Prologus, der ihr als Teufel erschien – der Epilogus, in dessen Bette sie flüchtete – die beyden Grenadiere, die sie mir boshafter Weise in Avignon vor die Thür stellte – die armen Unglücklichen, die in Ketten lagen, während der Probst sie in integrum restituierte – Ducliquet sie einsegnete – diese Unschuldigen sind es, die in derselben Nacht erfroren aus einem feuchten Kerker kriechen, in der, wenig Schritte von ihnen, jener Sünderin alle Freuden der Natur zu Befehl stehen, und ein Lord in schwärmender Andacht den unheiligen Busen küßt, an den von Ewigkeit her das böse Schicksal zweyer guthmütigen Puppenspieler gebunden war! Diese Betrachtungen jagten mich die Stube auf und ab, und ich konnte mich nicht eher wieder fassen, bis der Baron kam – der Bediente seinem Herrn viele Grüße von dem Criminal=Präsidenten ausrichtete und die frohe Nachricht wiederholte, daß die beyden Brüder und ihre Gesellschafterin des Gefängnisses entlassen wären. Wir wünschten gegenseitig zum Ausgange dieses verworrenen Handels einander Glück, setzten uns zusammen an einen Tisch und fingen nun an, nach allen Regeln Lavaters gemeinschaftlich die schönen, offenen, unschuldigen und rührenden Liniamente zu entwickeln, hinter welche die Mutter Natur ein so häßliches – heuchlerisches – freches und verbuhltes Herz verborgen hatte, als Herr Ducliquet zu seiner Bearbeitung nur eins verlangen konnte. Ich lege dir zwey von den radirten Exemplaren bey, die mir der Verfertiger zum Vertheilen unter meine Freunde verehrt hat. Ewig schade, daß meine geheime Nachrichten von ihr in der Asche liegen. – Wie würden sie nicht den Kupferstich unterstützt haben! Indes ist es doch gut, daß ich allen denen, die etwa von meinen Thorheiten hören sollten – (denn was verschwatzt sich nicht!) diese betrügende Physiognomie vorhalten kann, mit der Bitte, sich zum vollständigeren Beweis meiner Rechtfertigung vel quasi noch die jugendlichste Farbe – die rührendste Carnation – die sonorischste Stimme und jenen lebhaften Frohsinn hinzuzudenken, der dem Original eigen ist. Wer alsdann noch anstehen kann, mich loszusprechen, muß entweder die Enthaltsamkeit eines Patriarchen – eine Braut zu Hause – oder ein versteintes Herz haben.

     Eine Bekanntschaft, wie die meine mit dem Baron war – und von so kurzer Zeit her, daß inzwischen die Sonne weder einmal auf= noch untergegangen ist – sollte man denken, müsse sich ebenso kurz abbrechen; aber wir beyde machten eine seltsame Ausnahme von diesem gewöhnlichen Falle. Er sah es mir an, wie sein Händedruck zum Abschiede mir an das Herz trat, und Er – Wartete unterweges, sagte er, nicht eine Geliebte auf mich, so wollte ich auf Sie warten, um Ihnen zu beweisen, das jedes Land gleichen Werth für mich hat, das mir die Aussicht gibt, einen Freund mehr zu gewinnen. Ich reise als ein Liebhaber, Tag und Nacht, dem Gegenstande meiner Wünsche entgegen. – Sie – als ein Neugieriger, der in seinem Vaterlande nichts zu versäumen hat, dem kein Umweg etwas kostet, Ihnen darf ich bey solchen Verhältnissen ja wohl, über der französischen Gränze, noch einen vorschlagen, der vielleicht so viel werth ist, als jeder andere, den Sie gemacht haben. Sie sind Zeuge von der gegenseitigen Ueberraschung zweyer Liebenden gewesen, denen für einander bange war, und die wir nun in diesem Reiche unstreitig für die glücklichsten halten können. Wäre es aber nicht, schon der Vergleichung wegen, Ihrer Mühe werth, nun auch ein paar gute deutsche Herzen aufzusuchen und zu beobachten, die längst mit einander einig, sich doch trennten, nur um durch eine von Posttag zu Posttag immer höher steigende Erwartung, der Magie der Liebe einen Reiz mehr zu geben. Ich will das System unseres gemeinschaftlichen Freundes nicht tadeln; aber ich halte mich an das meinige. Die Seligkeit ist gleich – obschon die verschiedenen Wege dahin ihre eigenen Vorzüge haben. Ich nahm seine Einladung mit Vergnügen an. Er nannte mir den zu seiner Verbindung mit Carolinen bestimmten Tag. Während ich ihn in meinem Musenalmanach anstrich, und seufzend überlegte, wenn doch einmal mein Glücksstern ein solches Calenderzeichen erhalten würde, hatte sich der Baron fortgeschlichen.

     Um ihn heute nicht weiter zu stören – da es schon über Mitternacht ist – übertrug ich Bastianen, ihn morgen früh bey seiner Abreise nochmals meiner Hochachtung, Dankbarkeit und besten Wünsche zu versichern. Gott sey Dank für die Gewißheit, mit der ich nun zu Bette gehe, daß keine menschliche Creatur meinetwegen leidet. So darf ich auch wieder einmal auf eine vollkommen ruhige Nacht rechnen – und ach, auf noch mehrere; denn seit einigen Tagen hat sich doch vieles, was mich insgeheim drückte, gehoben! Mein armer Lehrmeister, für den ich noch immer die alte Anhänglichkeit hatte, ist, wider alles Erwarten, klug und reich geworden. Clärchen – fast noch unbegreiflicher – ist unter die Haube gebracht. Die Puppenspieler sind ihrer tollen Wirthschaft wiedergegeben, und die fatale Sucht, eine Heilige zu entdecken, hat seit Agathens Bekanntschaft sich glücklich bey mir verloren – ist mir sogar zum Ekel geworden, da ich aus Baltimores Beyspiel gewahr geworden bin, was solche Studien am Ende abwerfen. Welch ein behagliches Gefühl gewährt doch ein erleichtertes Herz! Bey der Rückkehr ins Vaterland kann man gewiß keinen angenehmern Begleiter haben.

 

 

*  *  *

 

 

Montpellier den 27. Februar

Ich erwachte wie eine Unke, der ein Sonnenstral in den Rücken fällt. Die beyden Puppenspieler und Elektra knieten vor meinem Bette und benetzten meine herunterhängende Hand mit heißen Thränen. Warum war mir doch ihre Dankbarkeit so überlästig? weil ich – mochte ich mir kaum gestehen – sie so wenig verdient hatte. Geht, geht, ihr guten Kinder! – suchte ich sie von mir abzuwehren – Euer gerührtes Herz wirft mir aufs bitterste meinen Leichtsinn vor, der euch in Ketten und Banden gebracht hat. Ueber Schmerzensgeld und Entschädigung für euern Jahrmarktsverlust will ich mich sogleich mit Euch berechnen, und daß mir die Prozeßkosten zufallen, versteht sich ohnehin. Diese, mein lieber Herr, erwiederte der Epilogus, hat der Herr Baron bereits an einen Banquier gewiesen, der dafür haftet. Wollen Sie dennoch ein Uebriges tun, so gewähren Sie uns die Bitte, daß wir heute das Theater mit der Vorstellung unsers tragischen Zufalls eröffnen und daß wir – Nun? – fragte ich – unter dreyfacher Beleuchtung in einer glänzenden Apotheose – Sie, teuerster Herr, als den deus ex machina vorstellen – in Ihrem gewöhnlichen Kostüm, wie wir's kennen – Seyd ihr toll, lieben Kinder? fuhr ich in die Höhe – Doch – nachdem ich mich einige Augenblicke besonnen hatte – meinetwegen, wenn ihr glaubt, daß es zu euerm Vortheil seyn kann, so stellt mich aus, auf welche Art es euch beliebt. Die Leute, mit denen ich hier etwa Bekanntschaft mache, kommen doch schwerlich in eure Boutique. Sie sahen, daß mir angst und bange im Bette ward, und trollten sich fort. Gleich darauf kam Bastian herein, dem die Gesellschaft auf der Treppe begegnet war, und freundschaftlich ein Freybillett verehrte – er bat um Erlaubnis, dieser Pièce larmoyante beyzuwohnen, die ich ihm herzlich gern ertheilte. Die Nachricht, die er mir von der Abreise des Barons brachte, war mir ungleich interessanter. Sein Bedienter, der mit dem Coffer voraus war, hatte das Portefeuille übersehen, das seit gestern abends auf meinem Stuhle liegen geblieben war. Bastian erbot sich, es ihm nachzutragen. Als sie in dem Posthof ankamen, war eben der Lord im Begriff, mit seinen fünf Equipagen aufzubrechen. Er erkannte den Baron als einen alten guten Bekannten, und glaubte ihm etwas recht Neues in seiner jungen Frau vorzustellen. Die Lady stutzte, als sie den Baron und hinter ihm einen Bedienten mit dem wohlbekannten Portefeuille und der Schreibtafel so nahe bey ihrem Gemal sah; doch der artige Deutsche freute sich so ungezwungen über die Ehre ihrer Bekanntschaft, und ließ vor ihren Augen Portefeuille und Schreibtafel in die Wagentaschen stecken, daß ihr Muth bald wieder zurückkam; indeß beging er doch die kleine Bosheit, in ihrer Gegenwart den Lord zu fragen, ob er endlich das Resultat seiner vieljährigen Studien gefunden hätte? – Ja, antwortete der Philosoph mit großer Selbstzufriedenheit und so strahlenden Augen, daß seine junge Gemahlin die ihrigen äußerst verschämt niederschlug, und roth ward bis über die Ohren. Der Lord war viel zu scharfsichtig, als daß ihm das Himmelszeichen hätte entgehen sollen, das jungen, erst kürzlich verheirateten Weibern so gut steht. He bien, klopfte er dem Baron auf die Achsel, qu'en dites-vous. Aber die Dame trippelte nach dem Wagen. Triumphirend hob er sie hinein und schwang sich ihr nach. Lieber Gott, vergib mir die Frage! – aber was soll man zu deinen Anstalten sagen, wenn man sieht, daß sogar die Angst des bösen Gewissens eine Frau in den Augen ihres betrogenen Ehemanns noch verschönert? Der Baron nahm jetzt den Propheten=Wirth so lange auf die Seite, bis der letzte Wagen vorfuhr, und sprach sehr ernstlich mit ihm. Ehe er in den seinigen stieg, legte er Bastianen in den Mund, was er mir von diesem comischen Auftritt erzählen sollte. Seine geheimen Gedanken dabey wollte er mir aufheben, bis ich zu ihm käme. Alles recht schön, wenn nur der gute Mann es seit einer Stunde nicht ein wenig bey mir verschüttet hätte! Sein Großmuth gegen die Puppenspieler ist nicht viel besser als eine Beleidigung für mich. Prozeßkosten soll ihm doch seine Schreibtafel nicht zuziehen, und wenn ich sein Hochzeitgast seyn soll, haben wir uns erst darüber zu verständigen.

 

     Mußt du mir nicht hierin Recht geben, Eduard? Ob ich gleich keiner Braut nachzurennen habe, wede ich es doch nicht lange hier aushalten. Die Merkwürdigkeiten in den Ringmauern der Stadt haben nicht sehr viel anziehendes für mich, ob ich ihnen gleich ihr großes Verdienst nicht abläugnen will. Sie sind gerade so, wie sie sich für den be­rühmtesten Stapelort der Medicin schicken. Du findest verschiede­ne Theater hier – aber nur anatomische und chirurgische – und die herumliegenden Gärten sind weder französische noch englische – sondern botanische. – Die engen Gassen verschlingen sich in einander wie die Gedärme in einem menschlichen Körper. Aus al­len Thüren und Fenstern tritt dir ein Apotheker=Geruch entgegen – und auf dem Markte liegen Skelete, die man bleicht. Diese auf das höchste irdische Gut – auf Gesundheit und Leben – berechneten Anstalten machten – ich will nicht sagen meine Hypochondrie – aber doch eine gewisse Besorgniß für meinen körperlichen Wohl­stand rege, der ich mit allem dem Ernst nachging, den die Sache verdient. Ich habe die Regel, die mich in jüngern Jahren auf mehrere Universitäten geleitet hat von jeder etwas mitzunehmen, wo­durch sie sich vor andern auszeichnet, eben so probat auf meinen Reisen gefunden. In Straßburg kaufte ich eine kalte Pastete und Strohwein – in Nancy eingemachte Johannisbeeren ohne Körner – zu Auxerre ein Taschenmesser – in Nimes seidene Strümpfe – und ich könnte Montpellier verlassen, ohne mich mit dem Rathe eines der großen Aerzte zu versorgen, die hier von ihrem Thron aus ihren Zepter über den halben Erdkreis erstrecken? Würde ich nicht diese Versäumniß zu spät bereuen, wenn mich einmal eine von den einund­dreißig tausend Krankheiten, die, wie ich gelesen habe, dem mensch­lichen Leben, wie die furchtbarste Armee, gegenüber stehen, zu Bo­den schlüge? da sie vielleicht heute noch durch die geschickte Hand eines Aeskulaps im Keim zu ersticken wäre. Wenigstens will ich mir doch endlich Gewißheit über den Stein in der Leber verschaffen, mit dem mich vor zwey Jahren D. Trampel so gewaltig erschreckt hat.

 

     Gesunden mag es freylich auffallen, daß hier keine Waare verfer­tigt wird, die nicht Bezug auf die Verfeinerung der Waffen hat, über die Moliere, selbst in dem Augenblicke, als ihn, bey der Vorstellung des Malade imaginaire, ein warnendes Beyspiel! der Tod beym Worte nahm – seinen freygeistigen Spott ausgegossen – daß hier kein Haus zu finden ist – wo nicht Drogisten – Bader – Professoren und Schü­ler der Heilkunde wohnen – daß man selbst in Gasthöfen nur Kräu­tersuppen zu essen bekommt, und sogar das hiesige Meer, nach mei­ner Bemerkung von heute Mittag, keine Austern darbringt, die nicht mit kleinen Seespinnen wie mit Schröpfköpfen besetzt und mit Sedati=Salz geschwängert wären. Aber einem Kranken erscheinen diese Umstände unter einer ganz andern Gestalt. Er faßt Zutrauen zu einem solchen so reich ausgestatteten Orte, und hofft auf der bal­samischen Dünsten, die er ausströmt, noch einige Jahre weiter zu schwimmen.

 

     Nach diesem Selbstgespräche drehte ich mich gegen den Lohnla­quai und fragte nach dem berühmtesten hiesigen Arzte. Das ist, ant­wortete der Mensch, ohnstreitig Doktor Mellin, der auf dem Mark­te wohnt, um seine Bleiche in Augen zu haben. Kein Kranker kommt hier an, der sich nicht seines Raths bedient, und kein neugieriger Fremde reist durch Montpellier, der nicht den Tempel besucht, den er in seinem Hause der Freundschaft errichtet hat. Ein sentimenta­lischer Zug putzt doch jedes Menschengesicht schon von weitem. Ich faßte schon das beste Vorurtheil vor dem Mann, ehe ich ihn sah, und ließ mich von dem Schweiß, der mir über das Gesicht lief, nicht abhalten, ihm zu gefallen, zwey schon einmal durchkeuchte Straßen wieder zurück nach seinem Hause zu keuchen. Es ging mir aber nicht nach Wunsch, denn auf mein Anklopfen rief mir Eins aus dem Fenster zu: der Herr Doktor sey mit ein paar Damen auf den Perou gegangen. – Was ist das für eine Gelegenheit? fragte ich dann ganz schachmatt meinen Begleiter. – Ein Lustplatz, war seine hochtrabende Antwort, auf dem man vier Königreiche übersehen kann – das sagt alles. Gut! so führt mich den nähesten Weg dahin. Es war, als ich anlangte, das erstemal in meinem Leben, wo ich meiner Müdigkeit gut ward, und meine Erwartungen übertroffen fand. In der Ungewißheit, wo sich mein Auge zuerst hinwenden sollte, machte ich den Anfang mit dem Mittelpuncte des schönen Platzes, auf welchem das Ritterbild Ludewigs des Vierzehnten hervorragte. – Die Stände von Languedoc – las ich im Schweiße meines Angesichts an dem Fußgestelle – gelobten dieß Denkmal Ludwig dem Großen bey seinem Leben und errichteten es nach seinem Tode. – Und ich, ergriff mich der bittere Gedanke an die arme eiserne Maske, gelobe seinem verkannte Bruder, dem dieser Ehrenplatz mit mehrerm Rechte gebührt – Eins hundert Jahre nach seinem Tode – und wendete mich, um meine äußere und innere Hitze zu verschnaufen, von diesem nach einem andern, meines Beyfalls ungleich würdigern Monumente – nach dem Wassertempel, der dem Haupteingange gegenüber, mit sechzehn marmornen Säulen, die seine Kuppel tragen, umgeben, einen großen Behälter bedeckt, in dem sich die Masse Wasser sammelt, das ihm auf thurmhohen Arkaden durch einen drey Stunden langen Kanal zugebracht wird. Malerisch rauscht es auf den drey freyen Seiten des Doms, gleich der Quelle, die ein Monarch von dem ihm zugeflossenen Reichthum wohlthätig unter sein Volk verlaufen läßt – in ein noch größeres Becken herab, von da es durch verborgene Röhren in die Stadt geleitet wird. Ich saß so stolz in dieser Rotunde wie ein Flußgott unter seinen Nymphen, hörte ihr Plätschern – nahm freundlich die Kühle auf, die sie mir zufächelten, und würde meine Augen an dem erstaunlich prächtigen Anblick der Wasserleitung, die vor mir lag, auf das entzückendste geweidet haben, wenn dieß herrliche Werk, nach einem geraden Lauf von einer Viertelstunde, nicht den Fortgang des überhingleitenden Blicks durch eine schiefe Wendung unterbräche. Wie empörte sich aber erst mein Herz, als mir mein Führer erzählte, daß diese Krümme durch die schiefe Denkungsart eines der landschaftlichen Deputirten entstanden sey, denen dieser kostbare Bau war übertragen worden. Er besaß auf dem Wege, den der Bogengang durchschneiden sollte, einen Oel= und Weingarten, an dem seine niedrige Seele so fest hing, daß er die Rechte des Eigenthums so unverantwortlich mißbrauchte, und es durch seinen Einfluß in den Berathschlagungen dahin zu leiten wußte, dieß Denkmal einer großen Nation, deren unwürdiges Mitglied er ist, auf immer zu verunstalten. Als ich mich genug ausgelüftet hatte, ließ ich mich durch die brennende Sonne nicht abschrecken, über die hohen Arkaden – zwischen den reizendsten Aussichten auf beyden Seiten – bis an den Garten dieses Elenden hinzuschweben. An der Ecke, wo sich der Bogengang zu wenden gezwungen ward, war ein Pilaster – eine wahre Schandsäule für den Oel= und Weinkrämer, errichtet. Ich machte sie wenigstens dazu, und schrieb mit Bleystift meinen Fluch daran:

 

          Stimmst du, sein niedrig Herz zu kränken,

     Natur! mit meinen Wünschen ein;

     So wirst du nie mit jährlichen Geschenken

     Sein tugendloses Aug´ erfreun.

 

          Was seiner undankbaren Seele

     Ermangelt, Reinigkeit und Kraft,

     Geist und Geschmack – das fehl´ auch seinem Oele,

     Das fehl´ auch seinem Rebensaft!

 

Der Zufall begünstigte mich so sehr, daß ich bey der Zurückkunft von meinem hängenden Spaziergange auf den berühmten Arzt stos­sen mußte, den ich suchte. Der Lohnlaquai zeigte mir ihn schon von weitem. Er saß in dem Nymphen=Tempel zwischen zwey artigen Frauenzimmern, denen er, Gott weiß, welchen Trost zusprach. – Ich ließ mir eine Audienz von ihm erbitten, die er mir ungefähr wie ein großer Herr bewilligte, der durch wichtigere Geschäfte zerstreut ist. Denn während ich ihm meine Angelegenheit vortrug, schielte er mehrmal nach dem Sitze, von dem ich ihn aufgerufen hatte. Er hörte mir kaum einige Minuten zu – sah mir in die Augen – be­fühlte meinen Puls, und als ich ihm mein Bedenken über den Stein in der Leber vorgelegt hatte – lachte er mir gerade ins Gesicht. Aber, lieber Herr Doktor, bettelte ich ihm vor, wo glauben Sie denn, daß es mir fehlt? Versagen Sie mir nicht Ihren guten Rath. Nein, antwor­tete er, den sollen Sie haben. Weißt du, Eduard, worin er bestand? In einigen Versen aus einem französischen Liedchen, die er mir vorträllerte, und übersetzt vielleicht so lauten würden:

 

     Statt ängstlich deine Uhr zu richten und zu putzen,

     Zu spähn, ob jedes Rad leicht in das andre greift,

     Und frey um seine Spindel läuft,

     Ermuntre deinen Geist, den Augenblick zu nutzen,

     Der Zeit, die dir vorüber schweift,

     Die schnellen Fittige zu stutzen.

 

Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, daß ein gewissen Palisius zu Rom einem Maler, Namens Protogenes, auftrug, die Treue seines Hundes auf einer Votiv=Tafel zu verewigen. Das arme Thier war der Spur seines Herrn nachgelaufen – wie der Mensch seinen Leidenschaften – bis zur völligen Entkräftung, von der er nur mit Mühe geheilt werden konnte. Der Künstler stellte alles der Natur gemäß dar – die starren Augen – die blutenden Tatzen – die herabhangende Zunge. Nur der Schaum des heißen Rachens wollte ihm nicht gelingen, so daß er zuletzt aus Ungeduld den Schwamm, mit dem er seinen Pinsel reinigte, gegen das Bild warf. Was geschah? Der Wurf glückte so gut, daß der Maler auf einmal den Schaum natürlich an der Schnautze des Hundes hängen und die Schwierigkeiten überwunden sah.

 

     Dieß Geschichtchen, lieber Eduard, hat viel ähnliches mit der meinigen. Ich darf mich auch wohl rühmen, die physischen und moralischen Uebel, von denen mich Sabatier und andere gute Menschen heilten, eben so treu nach der Natur auf meinem dir gelobten Votiv=Gemälde geschildert zu haben, als nimmermehr Protogenes die kläglichen Umstände des Hundes auf dem seinigen, bis auf den Stein, den ich, wo nicht in der Leber, doch in der Einbildung mit mir herumtrug. Mit dem, sagte ich immer zu mir, wird es wohl nicht bis zum Malen kommen – und wenn der unter deinen abgeschüttelten Gebrechen fehlt, ist dein ganzes Ex voto nichts werth. Es war die letzte und Hauptschwierigkeit, aber auch sie ist nun, Gott sey Dank, durch den Schwamm gänzlich gehoben, den mir der ungeduldige Doktor an den Kopf warf – denn was könnte jetzt meinem Bilde noch zum endlichen Aufhängen in deinem Tempel abgehen? So sonderbar auch das Betragen des Mannes gegen den Ernst abstach, den ich an unsern Aerzten gewohnt bin, gestehe ich doch, daß mir die scharfsinnigste Entwickelung meiner verworrenen Organe nicht halb so viel Freude gemacht hätte, als es sein Spott that. Ich konnte nun mit entzückender Beruhigung auf D. Trampel als einen Ignoranten herabsehen. Von welchem festen Stoff muß nicht meine Lebenskraft seyn, da so ein Mann nicht einmal einen Versuch mit ihr machen will! Meine Brust schien mehr Raum bekommen zu ha­ben. Ich wußte nicht mehr, wo die Leber lag, und griff in der frey­gebigsten Stimmung nach meiner Börse. Lassen Sie es damit gut seyn! wehrte sich der Franzos gegen meine deutsche Sitte. Damit Sie aber sehen, mein Herr, wohin Sie mein guter Rath leiten soll – so lade ich Sie diesen Abend auf ein Souper ein, an dem auch ein Englän­der in Ihren Umständen für fünf Louisdor Theil nehmen wird. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, so dürfen Sie nur eine gleiche Sum­me an meinen Koch abgeben, und kann ich Ihnen zugleich verspre­chen, daß Sie die witzigste und liebenswürdigste Gesellschaft der Stadt da ziemlich beysammen finden werden. Du kannst wohl den­ken, daß ich mich nicht lange besann: nur bat ich ihn noch um Er­laubniß, seinen Freundschafts=Tempel zu besehen, der mir sehr an­gerühmt worden sey. Sehr gern, erwiederte der höfliche Mann, hier haben Sie den Schlüssel dazu. Lafleur dort, der schon mehrere Frem­de dahin geführt hat, wird Sie anweisen. – Und so flatterte er zu­rück zu den Damen, deren Krankheit ihm mehr am Herzen zu lie­gen schien, als meine Gesundheit. Jetzt konnte ich die schöne Anla­ge des prächtigen Spazierorts schon mit ruhigerm Gemüthe betrachten. Er übertrifft wirklich an freundschaftlicher Verbindung des Nutzens mit dem Vergnügen Alles, was ich bis heute in Frankreich bewundert habe. Wenn nun vollends, statt der Bildsäule Ludewigs des Großen, eine von den tausend Eichen, die über die christliche Zeitrechung hinausgehen, und man nur noch in deutschen Waldungen findet, die Mitte beschattete, und sich an der brennenden triumphalischen Mauer eine Birkenallee herumzöge – Himmel, was für eine genußreiche Nachmittags=Stunde würde ich diesem Wunderwerke des neuen Galliens nicht verdankt haben! Freylich – in der Verbindung mit der Stadt gedacht, für die es da steht, erscheint es mir als ein Solitär, den ein altes Kräuterweib an seinem schmutzigen Finger trägt. Wenn man hingegen die Summe der befriedigten Bedürfnisse und des sinnlichen Vergnügens von dreyßigtausend Seelen, die täglich auf diesem Sammelplatze ihre eingeschluckte Kerkerluft verathmen, auf Jahrhunderte hinaus berechnet, so ergibt sich ein Schatz von frohen Empfindungen, gegen den die Unkosten der ersten Anlage immer eine Kleinigkeit sind. So rechneten die Römer bey ihren Amphitheatern, öffentlichen Bädern und Aquäducten, mit denen sie, oft den armseligsten Landstädten, ein großmüthiges Geschenk machten. Aber, damit wir nicht eins über das andere vergessen, wo sind denn, fragte ich den Lohnbedienten, die vier Königreiche, die er mir versprochen hat – ? O, die sollen geschwind gefunden seyn, war seine Antwort. Sehen Sie! Jener graue Fleck, der sich am Horizont verliert, ist das Pyrenäen=Gebirge – und also Spanien – jener noch kleinere ist Piemont, der Krone Sardinien zuständig – und wenn Sie Ihre Augen etwas anstrengen, entdecken Sie dort im Meere einen Punct, der nichts geringeres ist als das Königreich Corsica – Und wo ist denn, fragte ich lachend, das vierte? Hier – wo Sie stehen. Ich folgte unwillkürlich der Weisung seines Fingers, und blickte gerade auf seine neumodischen Schuhschnallen, die auch groß genug waren, um mich zu verständigen. Gegen sieben Uhr verließ ich den prachtvollen Perou und schlich hinter meinem Anweiser her, durch das Geschlinge der Gassen dem Tempel der Freundschaft zu, der unter meinem Ver­schlusse stand. Ich gelangte sehr entkräftet, wie das bey dergleichen Tempeln der gewöhnliche Fall ist, in sein inneres Heiligthum. Im Vorübergehen bey der Küche gab ich meine Pränumerationsgelder auf ein Couvert für diesen Abend ab – und behielt nun länger als eine Stunde frey, um jene empfindsamen Denkmäler, die  den Ge­feyerten bey Lebzeiten angelobt – nach ihrem Tode aber erst ge­setzt waren, mit gehöriger Muße zu betrachten, ehe die Abendgesellschaft sich in dem anstoßenden Zimmer versammelte. Der Saal der Freundschaft nun – doch schon des Rangs wegen, den die Le­benden vor den Verstorbenen behaupten, halte ich für besser, dich mit seiner Einrichtung erst nach Tische bekannt zu machen.

 

     Nach der eigenen Ankündigung des Wirths war es die Quintes­senz der hiesigen feinen Welt, die seine Abendmahlzeit vereinigte. Als einem Reisenden kam mir dieser auserwählte Zirkel ungemein zu statten, um so mehr, da es witzigen Leuten wie den Nachtigallen geht, die nun desto hitziger werden, und sich dem edelsten Wett­kampf hingeben, je mehrere in einem Dickicht zusammentreffen. Doch als Statistiker mußte mir das Verhältniß der ausgehobenen klu­gen Köpfe gegen die Zahl der Einwohner nothwendig aufallen; denn da außer dem Doktor nur noch acht Personen zugegen waren, die mir und dem Lord für unser Geld aufspielten, so muß der geistige Gehalt der hiesigen Seelen wohl so unbedeutend seyn, wie bey den Rosen, deren man eine unzählige Menge zermalmen muß, ehe ein Tropfen Oel über die wässerigen Theile aufschwimmt. Dafür wird es aber auch desto kostbarer. Wie alltäglich muß es nicht diesen Abend in den übrigen Häusern der Stadt ausgesehen haben! Ach ich hätte das kleine liebenswürdige Häufchen entführen mögen, so viel Geschmack fand mein Verstand an dem fliegenden Witz des Herrn, und meine Augen an den Annehmlichkeiten der fünf Damen, die zwischen uns eingereiht waren. Diese sind so unmöglich zu beschrei­ben, als der erstere zu übersetzen. Wie könnte der schwerfällige Be­tengang unserer Sprache jene französischen Feinheiten erreichen, die gleich den Schwalben vorbey schießen – sich durchkreuzen, und mit demselben unregelmäßigen Flug zurückkommen. Genug, ich gab mich ihnen ganz hin, und dankte Gott, daß die Milzsucht nicht so tiefe Wurzeln bey mir geschlagen hatte, als bey dem Engelländer. Seine fünf Louisd'or für die Aufheiterungscur dieses Abends waren geradezu verloren. Er aß und trank nicht – stocherte in den Zäh­nen, und überhörte die witzigsten Aufforderungen, die an ihn ergin­gen. Wenn er sich ja einmal zu einer Antwort herab ließ, so schickte er immer ein Wort voraus, das einem französischen Ohre höchst wi­derlich klingt – ein fatales au contraire – das nirgends hinpaßte. Als wir gegen Mitternacht vom Tische aufstanden, war er der erste, der nach seinem Hut lief, und sich mit einer trockenen Verbeugung entfernte. Es ärgerte mich die ganze Treppe herunter, daß auch ich mich durch sein Beyspiel übertölpeln ließ, dieser lieblichen Gesell­schaft, die jetzt am allerwenigsten Lust zu haben schien, sich zu tren­nen, so zeitig den Rücken zu kehren. Kaum befanden wir uns auf der Gasse, so schüttelte er mich, um seiner bösen Laune Luft zu machen, bey dem Arm. – Wie gefällt Ihnen, mein Herr Fremder, der Zeitvertreib in Montpellier? Nicht besonders, erwiederte ich et­was verlegen, wenn ich den heutigen Abend ausnehme. – Den wol­len Sie ausnehmen? Nun Gott verdamm mich, da besitzen Sie mehr Toleranz, als ich. Wissen Sie, mit welchen Menschen wir eben diesen Abend vergeudet haben? Mit den würdigen Nachkommen eines Gesindels, das unser Herr Leibarzt auf Unkosten der Fremden zu Tode gefüttert hat, weil es sich – wie jetzt seine Söhne und Töchter – bey lebendigem Leibe, für dergleichen Soupees, zur Anatomie verkaufte, und jetzt, kraft dieses schönen Contracts – als Gerippe in seinem Tempel der Freundschaft aufgestellt ist. Um Gottes Wil­len, Mylord! fiel ich ihm in die Rede, sollte auch so eine Handelsspeculation möglich seyn, so ist es doch nicht glaublich, daß Kin­der neben einem Saal, wo die irdischen Reste ihrer Aeltern aufbe­wahrt sind, schmausen würden. Glaublich oder nicht, tobte er fort, genug es ist wahr. – Hätten Sie nur, wie ich, jenes Pantheon gese­hen. – Ja, das hab' ich. – Nun so können wir deutlicher davon spre­chen. Der feine Herr, mir gegenüber, der bald die Freuden des Le­bens, bald das Glück eines empfindsamen Herzens auf der Zunge trug, ist der Sohn eines verdorbenen Kaufmanns, dessen ausgespritz­tes Gehirn nur durch die Saalthüre von dem seinigen getrennt war. Das Mädchen, das zwischen uns saß, ist die Tochter der ausgestopf­ten Advokaten=Frau, die dort neben einem Skelet kauert, dem Ihre Nachbarin zur Rechten das Leben verdankt, und die Brust, die das naseweise Ding im gelben Schleppkleide gesäugt hat, hängt nicht weit davon in Spiritus vini. – Mir schauerte vor dieser widrigen Sippschaft, während der Engelländer mit hohler Stimme fortfuhr: Ja, mein Herr, das nennt der Kerl seine verewigten Freunde, deren Erben sich jetzt, nach demselben Contract, bey ihm gütlich thun. Doch schwöre ich bey Gott, daß es heute die letzten fünf Louisd'or waren, die ich dazu beytrage. Bey der genealogischen Kenntniß unserer Tischgenossen, nahm ich das Wort, können Sie mir auch wohl nähere Auskunft über das liebe unschuldige Gesichtchen geben, das an der Seite des Doktors alle andere ausstach. – Ihre braunen Locken – ihre Perlen im Mund, gestehe ich, haben mehr als meinen Augen zu schaffen gemacht. Nun also will ich nur wünschen – schlug er ein Hohngelächter auf – daß Sie nicht zu sehr erschrecken mögen. Dieses liebe Gesichtchen gehört von mütterlicher Seite – von dieser kann ich nur sprechen, denn die väterliche ist der andern Hälfte selbst ungewiß geblieben – der einzigen Tochter einer wohlseligen Jungfer an, die während ihres schönen Lebens des Morgens Sträuße auf den Stuben herum trug, und deren äußere und innere Theile, mit Quecksilber ausgespritzt, ein ganzes Fach jener freundschaftlichen Sammlung einnehmen, und diese braunen Locken und diese Perlen im Munde, so sehr sie Ihnen auch das Herz rührten – sind nichts desto weniger das Haar und die Zähne – einer Kindermörderin. Nein, Mylord, rief ich mit empörten Gefühl, das ist zu arg. – O ho, mein schwergläubiger Herr, fiel er mir ein, fragen Sie nur weiter nach. Die Geschichte ist so stadtkundig, als alles übrige, was ich erzählt habe. – Unter diesem Gespräch, das mir den Nachgeschmack meines genossenen Abends gar sehr verdarb, waren wir bis vor das Haus gekommen, wo der Lord wohnte. Verlangen Sie, nahm er mich krampfhaft bey der Faust, ein treues Mignaturbild von dem Neste, wohin wir verschlagen sind, so bemühen Sie sich auf mein Zimmer. – Ich will Ihnen die Stelle eines Briefes von Jean Jacques an meinen Vater vorlesen, die in wenigen Worten alles erschöpft. Daß der Mann den Gegenstand zu schildern verstand, den er einmal ins Auge faßte, ist bekannt. Licht her! – donnerte seine Stimme in der Hausthüre, und es ward Licht von unten nach oben bis in das sechste Zimmer, wo er endlich verschnaufte. Er holte seine Brieftasche. – Wir setzten uns und er las: Montpellier est une grande ville fort peuplée, coupée par un immense labyrinthe de rues salées tortueuses et lar­ges de six pieds. Ces rues sont borde'es alternativement de superbes hôtels et de misérables chaumieres pleines de boue et de fumier. Les habitans y sont moitié très riches, et l'autre moitié misérables à l'excès ; mais ils sont tous également gueux par leur manière de vivre, la plus vile et la plus crasseuse qu'on puisse imaginer. Les femmes sont divisées en deux classes: les Dames qui pas­sent la matinée à s'enluminer, l'après-midi au Pharaon, et la nuit à la débauche, à la diffé­rence des bourgeoises, qui n'ont d'occupation que la dernière. — — Vous savez, sans doute, quels égards on a en Italie pour les Huguenots, et pour les Juifs en Espagne; c'est comme on traite les Etrangers ici; on les regarde précisément comme une espèce d'animaux faits ex­près pour être pillés, volés, assommés au bout, s'ils avoient l'impertinence de le trouver mauvais.  — Ich bat um die Erlaubniß, die Stelle abzuschreiben. Mit bitterem Vergnügen las er sie mir zur Uebertragung in meine Schreibtafel noch einmal vor – warf den Brief, unter einem Schlag seiner flachen Hand auf den Tisch, und – Ich Thor, rief er, konnte diesem abschreckenden Gemälde zum Trotz mich doch verführen lassen, das verrufene Original jenseits des Meer aufzusuchen. Vier verdammte Wochen verschlucke ich nun schon diese mephitische Luft, gegen die unser Kohlendampf Wohlgeruch ist – habe schon sechs solcher Todtenmahle, als das heutige – die der menschenfreundliche Profector mir als Arzeneyen verordnete, beygewohnt. Länger aber will ich sein Narr nicht seyn. Au contraire: bin ich nun einmal verdammt, mich dem Drucke des Lebens Preis zu geben, so sey es wenigstens in meinem Vaterlande. Doch ist es Zeit, daß jeder sein Bett suche. – Holla – leuchtet dem Herrn! – Schlafen Sie wohl!

 

     Der Kopf schwindelt mir bis in die Chinawurzel. Ein dunkles, schmerzhaftes Gefühl beklemmte mir die Brust. Nach genauer Untersuchung fand sich, daß es nichts als zärtlicher Kummer war, den ich für das unschuldig verläumdete schöne Mädchen empfand – denn an die Wahrheit einer so häßlichen Nachricht war mir nicht möglich zu glauben. Der morgende Tag soll mir die Sache klar machen. Ich habe überhaupt nicht leicht einem mit größerem Verlangen entgegen gesehen – denn ich gehe mit der frohen Aussicht zu Bette, ihn in der Gesellschaft eines Mannes hinzubringen dessen liebenswürdiger Charakter mich von Jugend auf an sich gezogen hat. – Und hätte ich nichts als seine Visitenkarte neben einem Haufen anderer, in dem Zimmer des Doktors, unter dem Spiegel entdeckt, so würde ich mein Soupee nicht für zu theuer halten. Solltest du von dem muntern, launigen Cammerherrn *** nicht gehört haben? der die schläfrigste Gesellschaft, in die er tritt, schon durch seine Gegenwart aufheitert? – Dieser ist´s, von dem ich spreche; er war der Freund meiner Aeltern und mein Pathe. So lange ich Kind war, vergaß er nie mir Confect von der fürstlichen Tafel mitzubringen, und in meinem dreyzehnten Jahre wollte er mich dem Herzoge zum Pagen empfehlen, – aber mein Vater, der damals noch nicht an meiner Erziehung verzweifelte, verbat es. Was er dagegen vorbrachte, ließ sich zwar hören; aber der Cammerherr behielt nach meinem Gedanken dennoch Recht. Er wußte die Vorzüge eines Hofmanns gar zu hübsch aus einander zu setzen. Kurz nachher brachte mich mein Erbgut, das meiner Mutter zufiel, ins Preußische. Der Cammerherr schrieb mir noch ein paarmal: aber nach und nach – wie das so geht – verloren wir einander aus dem Gesichte. Für ein paar fühlende Seelen geht doch nichts über die Freude des Wiedersehens. Meine Apotheose muß Bastianen sehr angegriffen haben. Ich fand ihn so tief eingeschlafen, daß er nicht zu ermuntern ist. Zum Glück kann ich noch ohne Hülfe ins Bette steigen!

 

 

*  *  *

 

 

Montpellier, den 28sten Februar.

 

Laß es es mit deiner Dramaturgie gut seyn, Bastian! Ich habe in meinem Leben keine ausstehen können, am wenigsten heute, wo mir wichtigere Dinge durch den Kopf gehen, als der Effect, den meine Puppe auf dem Theater gemacht hat. Nach dieser ernsten Erklärung, die ihm auf einmal das Maul stopfte, mußte er mir den Wirth rufen, während ich aufstand. Denn ich wäre den ganzen Tag nicht ruhig geworden, wenn ich nicht Auskunft über die Mordgeschichte von gestern erhalten hätte. Ich habe sie auf das ausführlichste, und weiß nun nicht, wie ich die Hitze verblasen soll, in die sie mich gesetzt hat. Ja, Eduard, ich schwöre dir zu – besäß´ ich die Gabe der Beredtsamkeit, ich wollte sie nur zu einem einzigen Texte anwenden. – Dürfte ich als geistlicher Redner von der Kanzel donnern, und berechtigt seyn, Aufmerksamkeit von meinen Zuhöhrern zu fodern – ich wollte nicht über die Gnade Gottes – nicht länger über die Wiedergeburt, nicht über die Dreyeinigkeit, sondern Jahr aus Jahr ein über die menschliche Grausamkeit der Verläumdung predigen, und vergnügt in das Grab steigen, wenn ich nur dies einzige Laster aus meiner Gemeine verbannt hätte. Ich würde es bey meinem Predigen machen, wie der Stifter unserer Religion, der in keinem alten Concordienbuche erst nach Beweisstellen forschte, um ein in Schwang gehendes Verbrechen zu richten. Er griff in das gemeine Leben, und erdrückte die Blindschleiche, wo er sie fand. Was bekümmert sich die Ministersfrau, die oft im Angesicht ihres Beichtvaters ihrer Nachbarin bald diese und jene nachtheilige Geschichte, die man ihr von dieser und jener erzählt hat, ins Ohr raunt, was bekümmert sie sich um die verläumdete Unschuld der Batseba? Sage ich ihr lieber selbst den Sonntag darauf in öffentlicher Versammlung, was ihre Zunge Böses gestiftet und für unheilbare Wunden geschlagen hat. Die gewöhnliche Sentenz des Verläumders – die schon manche reine Tugend getrübt, manches Glück zugrunde gerichtet hat – die einzigen fein vergifteten Worte: „Etwas mag wohl daran seyn!“ könnten ein reichhaltiger Text zu einer allgemeinen Erbauung werden. O ihr, die ihr oft mehr aus Leichtsinn oder übler Laune, als bedächtiger Bosheit, durch gehässige Nachreden meinem empfindlichen Herzen blutige Thränen abgepreßt habt – o könnte mein Tagebuch, wenn es je unter eure kritischen Augen gerathen sollte, euch doch auf allen Blättern belehren, das ihr wider Rechte verstoßt, die auch euch zu Gute kommen, wenn ihr das schillernde Licht, das oft Zufall und Umstände über den besten Menschen verbreiten, zur Grundfarbe seines Characters macht. Armes, gutes Kind! das mir ein mißmüthiger Mann – ohne zuvor der Entstehung des Gerüchts, das ihn irre leitete, nachzuforschen, – als Kindermörderin bezeichnete. Etwas Wahres muß doch daran seyn! Ja, das ist es auch! aber dieses Etwas ist die unschuldigste Sache von der Welt. Das Mädchen war zwölf Jahre alt, als der freundschaftliche Arzt von dem Tage an, da ihm die Haut der Mutter contractmäßig zufiel, sich väterlich der Verwaißten annahm. Es fehlte ihr nichts zu einer vollkommenen Schönheit, als dunkles Haar, weiße und gesunde Zähne, und er nahm das eine und das andere von einer enthaupteten Kindermörderin, beschmückte seine Pflegetochter mit jenen braunen Locken, die so malerisch an ihrem weißen Nacken herabrollen, und pflanzte statt schwarzer Stifte reine Perlen in ihren Mund. That er unrecht daran? Ist es etwan menschlicher, wenn andere in demselben Fall ihr Gebiß von mehreren Savoyarden zusammenkaufen, und mit dem Elfenbein der armen Jungen auf Eroberungen ausgehen? Würden wohl die Geschichten aller der Haartouren auf unsern vornehmen Damesköpfen erbaulicher ausfallen, wenn sie eben so  bekannt wären, als die eben erzählte? Der Arzt, behaupte ich, hat das liebe Kind nicht nur schöner, als es vorher war, sondern auch fester für ihre Tugend hergestellt. Denn ward jene Unglückliche, die vielleicht aus Verzweiflung ihr Kind mordete, des Beyspiels wegen hingerichtet, welche Reliquien könnten rührender an das Herz sprechen? Welche Warnung könnte ein unbefangenes Mädchen vor dem ersten Fehltritte kräftiger sichern, als der Nachlaß einer so tief Gefallenen, den es als seinen täglichen Schmuck trägt, mit dem es jeden Morgen vor seinen Spiegel tritt? Der ausgelernteste Verführer würde schwerlich Lippen erreichen, die Kleinodien von so magischen Kräften bedecken. Ich würde den Spötter aufs Maul schlagen, der aus diesen, dem lieben Kinde zugefallenen höhern Reizen die Bemerkung ziehen wollte, daß man, mit der seltensten Mühe sogar, nicht einmal aus zwey weiblichen Geschöpfen ein ganz unberührtes ächtunschuldiges zusammen zu setzen vermöchte. Es wäre nichts, als ein boshafter Einfall. Nach ernster Erwägung eines richtigen Verstandes sind die Spiele des Verführers mit den Locken der ersten Eigenthümerin – sind die Perlen, denen seine Falschheit huldigte, rein durch den Tod, dem er die Betrogene überlieferte, abgewaschen. Die Reize dieses Naturschmuckes sind, zur Erweckung edler Triebe, auf die neue Besitzerin übergegangen. Die Schuld und das Unglück, die sie ehemals befördern halfen, bleibt allein an der Seele der Verführers ein unauslöschlicher Makel. Ist unser Herz eimal einer unwahren Beschuldigung auf die Spur und in den Fall gekommen, der Verläumdung ein unschuldiges Opfer abzukämpfen, so dünkt man sich groß, bekommt Muth, und macht es sich zum Gesetz, keine üble Nachrede zweifelhaft auf sich beruhen zu lassen – keinem Gegenstande, der eines Beschützers bedarf, Bequemlichkeit halber aus dem Wege zu gehen. Darum soll, und damit Niemand meinem Tagebuche den Vorwurf mache, als habe es das milzsüchtige Geschwätz des Lords nur noch weiter verbreitet, mir die Mühe nicht verdrüßen, die bessern Gedanken näher zu entwickeln, die mir gleich Anfangs unser freundschaftlicher Wirth und seine Tischgenossen einflößten – und den einen wie den andern mit der Wärme eines jungen Advokaten, der seinen ersten Prozeß gewonnen hat, in Schutz zu nehmen. Warum  wenn es nicht aus Nationalhaß, dem unbilligsten von al­len, geschah – ergoß der Engelländer so viele Galle über die anatomischen Leibrenten des französischen Arztes? Verdienen sie nicht eher Lob, als Tadel? Ist es denn nicht menschlicher berechnet, ei­nem Armen – statt ihn verhungern zu lassen – das Capital seiner Erhaltung – auf die sicherste Hypothek, die ein Mensch verlangen und geben kann, vorzustrecken, und die Schuld bis zu dem großen Zahlungstermin zu fristen, wo die Natur die ihrige einfodert? Kann wohl leichter Gesellschaftston, ungezwungener Umgang, die sonst zwischen Schuldnern und Gläubigern nicht eben gewöhnlich sind, sicherer in Schwung gebracht werden, als durch einen solchen Con­tract, der beide Theile so genau mit einander verbindet? Handelten diese Verkäufer ihrer selbst, die gewiß zu ihrer Zeit fröhlicher, als mancher Fürst neben seinem Erbprinzen, zur Tafel saßen, etwan des­halb unmoralisch, daß sie ihre todten Reste lieber ihrem Wohlthäter – der Wissenschaft und dem gemeinen Besten Preis gaben, als den Würmern? Wie froh verlebten sie ihre zugemessene Zeit auf dem Schauplatze der Welt; wie sorgenlos konnten sie in den Freundschafts­tempel bey der Gewißheit eintreten, daß ihre Zurückgelassenen für gleichen Lohn ihre Gastrollen neben an fortspielen würden! Je wei­ter ich den menschenfreundlichen Anstalten unseres Arztes nachgehe, je philosophischer erscheinen sie mir. Indem der Anatomicus in gutmüthiger Erinnerung auf die Knochen derer hinblickt, die noch vor kurzem auf fremde Kosten sich an seiner Tafel des Lebens erfreuten, bietet der Menschenfreund seine hülfreiche Hand auch ihren Söhnen und Töchtern, sorgt, so lange sie in dieser Zeitlichkeit wallen, nicht nur für jede ihrer Befriedigungen, sondern benutzt auch ihr Daseyn für andere, indem er an der Gränze, wo die körperliche Heilkunde in die des Geistes übergeht, sie bald als Schildwache ge­gen einen Feind ausstellt, der die Tiefdenker am liebsten beschleicht, bald sie als Blutigel den Grillenfängern ans Herz setzt, denen, wie mir und dem Lord, durch kein Mittel beyzukommen ist, als durch muntere Unterhaltung. Wie unheilbar muß nicht der Kranke seyn, den in einem Asyl, wo die Essenzen des gesellschaftlichen Lebens nicht so gäng und gebe sind, als die Waaren der Apotheken, die paar Goldstücke gereuen mögen, die er an eine so glücklich ersonnene, viel versprechende Cur wendet – und es der witzigen, schönen und liebenswürdigen Abendgesellschaft zum Vorwurf macht, daß sie ihn wenige Schritte von dem Museo, zu erheitern bestrebt, wo ihre Blutsfreunde zergliedert – in Wachs – Quecksilber oder Spiritus vini der Auferstehung warten. Gewiß, lieber Eduard, ist von allen alber­nen Sophisten derjenige, den Hypochondrie dazu gestempelt hat, der albernste. Mein Gott! sind denn die Erbbegräbnisse hoher Familien nicht gewöhnlich mit ihren Eß=, Tanz= und Redoutensälen unter ei­nem Dache? Was würden kluge Hofleute von ihrem Fürsten halten, der sich vor der Asche desjenigen scheuen wollte, der ihn zu seinen gebietenden Einfällen Platz gemacht hat? Müßte nicht eine allgemeine Stemmung der Freude entstehn, wenn Grabhügel unsere über sie hin­rauschenden Ergötzlichkeiten aufhalten könnten? – Hätte der Hall, bald aus diesem, bald aus jenem Todtengewölbe, Wirkung auf unser Ohr – hörten wir immer das schreckliche: Stehe still, leichtsinni­ger Mensch! rufen. – Du hast mich nicht nach Würden geschätzt – nicht genug geliebt, als ich noch bey dir war – hast mir Unrecht gethan, und kannst es – Wehe dir! – nicht wieder gut machen – denn jetzt modert das Herz, das du gekränkt hast, als es noch füh­len konnte – die Hand hat keine Kraft mehr, die ich dir zur Versöh­nung reichte, und du stolz von dir stießest. Du gäbst jetzt wohl die Hälfte deines Lebens für einen Tag, wo du mir die Reue gestehen könntest, die du mir verschwiegst – aber die Zeit dazu ist verlaufen – wenn solche Klagstimmen aus den Gitterthüren der Kirchhöfe un­sern Jagden, Spaziergängen und Festen entgegen träten, was, o du barmherziger Gott, sollte aus uns werden?

 

     Der Uebergang von dem gerechten Lobe meines gestrigen Abends zu meinem heutigen Mittagsmahl machte mir die Oelkuchen der Chi­nawurzel nur noch widriger. Wäre ich verdammt, meine Tage in Montpellier abzuspinnen, so bliebe mir wahrlich nichts übrig, als mich dem Doktor in die Kost zu geben. Brächte mich mein Couvert vollends neben meine Clientin, so möchte er mich meinetwegen nach meiner irdischen Vollendung so freundschaftlich behandeln, als der wollte.

 

     Daß die Liebe sättigt, wohl zu verstehn, ehe ihre neugierigen Wünsche erhört sind, wußte ich schon lange, daß es sich aber mit der Freundschaft eben so verhält, erfuhr ich erst diesen Mittag. Und wären die Gerichte noch so lucullisch gewesen, ich glaube nicht, daß ich zu ihrem bedächtigen Genusse meine Gedanken hätte sammeln können, so sehr war ich mit der Action und Reaction des Vergnügens beschäftigt, das ich in einer guten halben Stunde bey dem Cammerherrn – zwar nicht ganz ohne Furcht – erwartete; denn ich kenne mich. – Solche freundschaftliche Erschütterungen sind meiner Festigkeit so gefährlich, als die Ergießungen des Meers einem holländischen Damme, und ich stehe nicht dafür, ob ich nicht des lieben Mannes wegen noch ein paar Tage länger hier bleibe, als ich willens war, und dich sonach, lieber Eduard, um so viel später umarme. –

 

 

*  *  *

 

 

     Nein, du hast nichts zu fürchten. – Meine Vorklage war verge­bens. Der Cammerherr hält keinen halbwegs gescheuten Menschen eine Stunde länger in Montpellier auf, als er muß. Das soll das letz­te Mal seyn, daß ich auf einen alten Freund baue. Ich mußte drey­mal an das einsame Haus pochen, in das er sich eingebettet hat, ehe mir ein eisgrauer Bedienter die Thür öffnete. Ich hatte alle Mühe, den tauben Kerl zu verständigen, was mein Begehr war, und es ver­gingen zehn Minuten, ehe er von der Botschaft an seinen Herrn zu­rückkam, und mich einließ. Mein erster Blick, der gerade auf den Armstuhl fiel, auf welchem, statt des liebenswürdigen Mannes, den ich suchte, ein Greis in Kissen versunken lag, belehrte mich schon ziemlich von dem großen Rechnungsfehler, in den ich gefallen war. Konnte ich mir denn nicht an den Fingern abzählen, daß jene, seit unsrer Trennung verlaufenen Jahre, die schon mich zu drücken an­fangen, ihn ganz niedergebeugt haben würden, – daß ein Mann, der schon von weitem herkam, als wir auf unserem Wege zusam­mentrafen, ungleich kraftloser und ermüdeter seyn müsse, als ich? Ach, dieses schöne Exemplar eines wohl stylisirten Hofmanns lag jetzt wie ein alter Taschenkalender da, an welchem die Vergoldung verwischt – die Blätter abgenutzt, und der Einband verschrumpft ist. Ich näherte mich ihm; aber weder seine Augen, noch sein Ge­dächtniß, unterstützten meine Anrede. Er nahm mich immer für ei­nen andern.

 

     Ein nobles Invaliden=Chor

Hochwürd´ger Blinden, stiftsgerechter Lahmen

Belagerten sein steiles Ohr.

Der innre Schall so werther Namen

Ließ nie den Silberklang des meinigen hervor.

Zuletzt gefiel´s ihm gar ein Bildniß auszukramen,

Das schon zu Plattners *) Zeit Farb und Gestalt verlor,

Und paßt es schlau in meinen Rahmen,

Und krähte mir mit heißrer Stimme vor:

Ja, beym Merkur, du bists! Sind etwan deine Damen

Auch von der Reise mit, Signor?

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*) Ein im Jahre 1745 verstorbener vortrefflicher Arzt, Vater des noch lebenden Philosophen gleichen Namens in Leipzig.

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Dieser heidnische Schwur, der nirgends gefährlicher klingt, als in Montpellier, erschütterte mich beynahe so sehr, als mich die Verwechslung demüthigte, die er mit meiner Person vornahm. Ich gab es schon ganz auf, mich ihm kenntlich zu machen, und sah mich nach der Thür um, als sein Kammerdiener uns mit einem sympathetischen Mittel zu Hülfe kam, das ich mir merken will. Auf seinen Ruf in das Nebenzimmer trat ein junges freundliches Mäd­chen herein, legte ihr Strickzeug auf den Tisch – ließ sich den Vor­fall erzählen – bat um meine Karte – hielt sie ihm mit der einen Hand vor die Augen, und legte die andere in die seinigen. Seit Straß­burg ist mir nun zwar aller thierische Magnetismus verdächtig ge­worden, aber hier mußte ich, zu meinem Erstaunen, eine Ausnah­me machen; denn kaum hatte er seine abgestorbenen Finger an der Hand des jungen Mädchens erwärmt, so kam auch seine Sehkraft zurück – er las meinen Namen ganz fertig, und ,,Ja“ rief er froh­lockend aus:

 

     Ja, nun erkenn´ ich Sie und Ihre Wangen sind

Den Rosen gleich, die sich entfalten:

Doch, mein Exempel lehrt, wie jämmerlich geschwind

Auch Rosen – vor der Zeit veralten.

Ihr Vater? lebt er noch? Das war ein Mann! Er hat

Mit mir studiert. – Beglückte Zeit! – Wir wußten

Sie auch zu brauchen, Herr! Kein Mädchen in der Stadt,

Das wir nicht kannten. – Transeat

Cum caeteris! – Jetzt kömmt mein Husten.

 

Er kam geschwind, dauerte aber desto länger. Unterdessen unter­hielt mich das electrische Mädchen. – Ich bin, sagte sie, die Toch­ter vom Hause. Wir leben von den kranken Fremden, die bey uns einziehen. Der Medicus des alten Herrn – mit Vergnügen hörte ich, daß es mein Doktor war, empfahl, da nichts helfen wollte, ihm die Berührung eines siebzehn= bis achtzehnjährigen Mädchens – ließ mich rufen, und der Versuch gelang zum Verwundern … Und blos mit der Hand? fragte ich. Ja, mein Herr, wie Sie gesehen haben. Seitdem sitze ich immer in der Nebenstube, um gleich da zu seyn, wenn etwas vorfällt, wozu er sein Gesicht und Gehör braucht. Der Herr hat mich auf ein halbes Jahr gemiethet – aber der Arzt zwei­felt, daß er die Miethzeit aushalten werde. Es sollte mir leid thun; denn mein Dienst ist leicht und einträglich. O, bey einer so eigenen Kraft, tröstete ich sie, darf Ihnen nicht bange seyn! Geschwächte Rei­sende gehen hier nicht aus, und der Herr Doktor wird schon weiter für Sie sorgen. Mein alter Freund, da sein Husten vorüber war, suchte nun sein abgelebtes Talent hervor, mich à mon aise zu setzen. Das schöne Mädchen mußte ihm zum zweyten Mal ihre Hände Preis ge­ben, ehe er die Zunge bewegen konnte. Er mochte wohl den mitei­digen Blick, der ihr galt, auf sich ziehen. Ja, da sehen Sie, junger Herr, wie weit es mit mir gekommen ist. Der Doktor hat mir hier ein erwärmendes Mittel verordnet, das zwar einigermaßen wirksam – für mich aber bitterer ist, als kein anderes. In Gegenwart dieses unschuldigen Kindes will ich mich nicht weiter darüber erklären. Was für eine Krankheit hat Sie denn hierher gebracht? Hypochon­drie, sagen Sie? O da sind Sie gegen mich noch zu beneiden – die kömmt von den Studien, hebt sich wohl noch, und läßt keine Reue zurück; wenn man aber, wie ich, funfzig Jahre alle Schulen des Ho­fes durchgelaufen, und in jeder die Gifte verschluckt hat, die ihnen eigen sind, da will ich den Arzt loben, der dem Patienten zu helfen versteht. Wem es keine Zufriedenheit gewährt, hinter sich zu blicken, kann auch nicht mit Hoffnung vorwärts sehen. Doch, um kürzer von dem alten Hektikus zu kommen, will ich zum dritten Male seinen prosaischen Hu­sten in einen poetischen bringen, der doch noch immer leidlicher klingen wird, als jener:

 

     Der Hof, räusperte er sich –

 

     Der Hof verdirbt uns das Gewissen,

So gut er uns das Blut verdirbt.

Willst Du Dein Leben Dir versüßen,

Die Seele reinigen, so flieh' ihn! Man erwirbt

Auf diesen Bühnen nichts, das nicht mit Gallenflüssen

Errungen wird. – Gelähmt an Händ und Füßen

Hascht man nach dem Genuß – und stirbt.

Ich überschlug spät, was mir der Hof gegeben,

Und was sein Dienst mir stahl – und mit erschrocknem Blick

Gab ich seit kurzem ihm mein ungenießbar Glück

Zur Wiederkehr in ein verlornes Leben,

Zur Rettung meiner selbst – zurück.

Umsonst! Nun sitz' ich hier und kaufe

Die Apotheken aus, und wenn's Gott nicht gefällt,

Daß ich dem Grabe noch entlaufe,

Bis ich zuvor mein Haus bestellt,

So fürcht´ ich sehr, ich komm´ in jener Welt

Gar aus dem Regen in die Traufe.

 

     Das Sprechen hatte ihn so erschöpft, daß er sich auf einmal zurücklehnte, die Hände des Mädchens fahren ließ, und, ohne meinen Ab­schied zu vernehmen – einschlummerte. Um kein Geräusch zu ma­chen, warf ich dem guten Kinde nichts als einen freundlich herzli­chen Blick zu, indem ich mich mit Katzentritten zu der Stube hinaus zog, und noch leis auftrat, als ich schon auf der Gasse war. Ich kam über meine fehlgeschlagene Erwartung ganz verdrüßlich in dem Gast­hof an, und sah von weitem einige Betrachtungen über die Hinfäl­ligkeit des menschlichen Lebens anrücken, die mir auch keine son­derliche Zerstreuung versprachen. – Laß uns ausfahren, Bastian, rief ich, und die umliegende Gegend besehen! – Ach! seufzte er, lieber Herr, da hätte ich wohl einen bessern Vorschlag. – Nun, so laß hören! - Als wir gestern so schnell den Wagen der Mylady Clär­chen nach, durch Lünell fuhren, dachte ich in meinem Sinn: Jetzt eilst du mit deinem Herrn so gerade fort nach Deutschland, und nur drey Viertelstunden von dem Dörfchen vorbey, wo deine Mutter und Schwester wohnt, die du vielleicht in deinem Leben nicht wie­der zu Gesicht bekommst. – Wenn Ew. Gnaden nun, anstatt … Ja, du hast Recht, Bastian, fiel ich ihm ins Wort – Wir wollen nach Lünell. – Dort kannst du deine Verwandten besuchen; ich gebe dir Urlaub bis Morgen gegen Mittag. Deine Schwester aber und mei­nen alten Johann möchte ich selbst auch gerne wieder sehen. Den kurzen Weg sind sie mir wohl schuldig, da ich ihnen noch einmal so weit entgegen fahre. Lauf auf die Post voraus – bestelle eine leich­te Chaise, damit ich schon angespannt finde, wenn ich nachkomme. Bastian war wie ein Pfeil die Treppe hinunter, und ich wollte eben nach, als .. denke einmal, der Cammerherr, aus altgewohnter Hofsitte, mir einen Gegenbesuch machte – zwar nicht in eigener Per­son, sondern, viel gefährlicher, durch eine schön verzierte Karte mit seinem Wappen und Namen, die mir seine junge Aufwärterin über­brachte. – Doch die schönsten elektrischen Versuche hätten mich in diesem Augenblicke nicht aufhalten können. – Ich hatte Margot in Gedanken – schenkte der Ueberbringerin um nichts und wieder nichts einen großen Thaler, und entließ sie mit vielen Empfehlun­gen an ihren alten Patron.

 

     Der Hausknecht mußte mich den nächsten Weg nach dem Postho­fe führen. – Ich fand eine Chaise mit vier Pferden, setzte mich mit Margots Bruder ein, und ehe zwey Stunden vergingen, befanden wir uns vor einem recht artigen Wirthshause zu Lünell. Bastian – so wie ich abstieg - machte sich auf die Beine. – Ich bestellte so­gleich ein ausgesuchtes Abendessen für mich und meine Gäste – und täuschte unterdeß meine Ungeduld mit Besichtigung des Orts und seiner Weinberge – kam aber immer noch zu früh zurück, und wußte jetzt eben so wenig, als vorher, was ich mit mir anfangen sollte. Der nächste Weg vom Weinberge, dachte ich, geht zum Fasse, um das Gewächst zu versuchen. Mit diesem Vorsatz trat ich, vorbeygehend, in die Stube des Wirths. – Es war ein verständiger Mann, der mir sehr gern ein paar Flaschen von den beyden vorzüglichsten Sorten auftrug. An demselben Tische saß außer mir noch ein Narr von Reisenden aus Arles, der mich sogleich in Untersuchung nahm, und sich als einen Antiquarius ankündigte. Ich muß dir noch etwas von seiner Unterhaltung mittheilen. Der Herr kommen gewiß über die via Aureliana?

 

     „Ich komme gerade von Montpellier.“

 

     Mons puellarum, wie einige alte Autoren es nennen – und gedenken also wohl von hier die Antiquitäten von Arles zu besuchen?“

 

     „Nichts weniger!“ Hier schenkte ich ihm und mir ein Glas ein. „Der Ort,“ fuhr er mit belehrender Miene fort, „verdiente es doch vor vielen andern. Die alten Römer haben ihn, in dem unfruchtbarsten Landstrich zwar, den man sich denken kann, erbaut; denn die Wege von allen Seiten dahin, muß man zugeben, sind die schlechtesten in der Monarchie. Der ältere Plinius nennt schon die dortige Fläche sehr artig Campi lapidei.“ – „Da hat“, fiel ich ihm in die Rede, „der ältere Plinius, nach meiner Einsicht, nichts artigeres gesagt, als was, wenn ich dahin ginge, mein Postknecht auch sagen würde. – Dergleichen Wege aber, sie mögen modern oder antik seyn, suche ich nicht gerne ohne Noth auf.“ „Ohne Noth? Das glaube ich wohl,“ antwortete er spitzig – „aber hoffentlich spreche ich mit einem Verehrer der Alten, und für einen solchen sind keine Beschwerlichkeiten zu groß, um die Spuren ihrer Größe aufzusuchen. Dergleichen Schätze des grauen Alterthums, als unser Thelina, oder, wenn Sie es lieber hören, unsere Mammilliaria aufzuweisen hat, treffen Sie nirgends in so einer Menge beisammen an. Der Obelisk, das Amphitheater, die verfallene Wasserleitung können allein schon einem vernünftigem Manne das längste Leben erheitern, und nun vollends die Elysäischen Felder – die sind, ich gestehe es Ihnen, mein einziger liebster Spaziegang. Wenn ich dort manchmal in Gedanken vertieft, vor einem Aschenkruge stehe – die Denkschriften – die Beweise jener ruhmvollen Zeiten lese – so ergreift mich eine Empfindung, die sich nicht beschreiben läßt. Was für ein Volk muß das gewesen seyn, das solche Männer hervorbringen konnte, als jene Inscriptionen besagen. Strabo und Pomponius Mela haben …“ Mir lief hier ein kalter Schauer über die Haut. Ich wartete seinen angefangenen Perioden nicht ab – schob ihm für seinen Unterricht die Flasche zu, die mir in Vergleichung der andern nicht schmecken wollte, setzte den Ueberrest der bessern, die ich schon halb im Kopfe hatte, ich den meines Huts – nahm ihn unter den Arm und taumelte in mein Zimmer, denn von allen Schwätzern, lieber Eduard, ist mir keiner so zuwider, als der mir Gelehrsamkeit auskramt, während ich eine Trüffel schäle – an dem Bein eines Haselhuhns klaube, oder – wie hier der Fall war, vortrefflichen Wein schlürfe. Das wäre eher ein Mann für unsern Freund G**, als für mich. – Wie würde ihn so ein Gesellschafter aufmuntern – so eine Mammiliaria behagen. – Er –

 

Der seine schöne Frau und ihre Jugendwächter

Und seine Kinder kaum mit der Gewißheit kennt,

Als die verloschenen prätorischen Geschlechter

Vom ersten Consul an, bis zu dem letzten Fechter

Des abgelebten Roms, und um ein Monument

Vor Christi Kreuzigung sich aus dem Athem rennt.

Wie könnt´ er wohl dem bettelnden Lateine,

Wenn ihm das Sprüchelchen: Steh, Wandrer, still und weine,

Ins Auge leuchtet – widerstehn,

Und einem Sarkophag und einem Leichensteine

Aus Nero´s Zeit vorübergehn?

Für mich mag, was sie will, die graue Vorwelt lügen!

Im heuchlerischen Hang, die Nachwelt zu betrügen,

War sie nicht ehrlicher, als ihre Kinder nun.

Ich weiche beyden aus auf meinen Ritterzügen,

In Hoffnung, von dem Kampf mit menschlichem Vergnügen

Auch ohne Mausolee gemächlich auszuruhn,

Und hab´ itzt gnug mit mir, und unter allen Krügehn

Mit einem Aschenkrug am wenigsten zu thun.

 

Stieg ich schon die Treppe unter solchen belebenden Gedanken hinauf, so rieb ich mir erst für ausgelassenen Muthwillen die Hände, als ich mich mit meiner halben Bouteille ungestört allein sah – lehrte sie vollends aus, und klingelte nach einer frischen. Je leichter auch diese ward, desto begeisterter fühlte ich mich, diesen herrlichen Wein zu besingen. Ein Lächeln innerer Zufriedenheit – ein sanfter Trieb allgemeinen Wohlwollens, besonders gegen das gute freundliche Geschlecht, das mit immer im Sinne liegt, durchwärmte mein Blut, und in der süßesten Schwärmerey stimmte ich das erste Trinklied an, das mir je über die Zunge gekommen ist. O, rief ich, indem ich mein volles Glas gegen das Licht hielt:

 

     O, daß mir Bacchus nie den Quell

Von diesem Wein verstopfe,

Und immerdar so rein und hell

Dein Gold, o geistiger Lünell,

In meinen Becher tropfe!

 

     Perlt nicht in deinem Wundersaft,

Gleich einem Salbungsöle,

Ein Opium – der Leidenschaft,

Ein Panacee – der Lebenskraft,

Ein Labetrank – der Seele?

 

     Wer seine Süße schmeckt, wird nie

An Tyranney erkranken.

Beym Träume der Philosophie

Schwör´ ich, das Dohm *) und Beccarie **)

Von diesem Weine tranken.

 

     O, hätt´ einst unsern Federic

Ein solcher Geist erheitert,

Wär´ unter seinem Adlerblick

Wohl nicht mein ankerloses Glück

Im Sturm des Kriegs gescheitert. ***)

 

     Denn Mitleid schlecht bey dem sich ein,

Den deine Trauben tränken;

Es schäumt er Wunsch in deinem Wein,

Freund seiner und der Welt zu seyn,

Und kein Geschöpf zu kränken.

 

     Euch die mit mir ein Punct der Zeit

nach Einem Zwecke neiget,

Ihr Grazien der Weiblichkeit,

Euch sey der süße Duft geweiht,

Der meinem Glas entsteiget.

 

     Mein liebes künftiges Geschlecht,

Dem nur in diesem Wein bezecht

Ich froh entgegen gehe,

Stoß an – Gott fülle mir so ächt

Einst den Pokal der Ehe.

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*) Dohm, der sich der Juden in einer kräftigen Schrift angenommen.

**) Beccaria, der durch sein bekanntes Werk: Ueber Verbrechen und Strafen, der Menschlichkeit unendliche Dienste geleistet hat.

***) Als 1745 die Preußische Armee in Chursachsen eindrang, ward das Familien=Guth des Autors, Schönfeld bey Leipzig, geplündert, die Hofgebäude niedergeschossen, das Vieh erstochen etc.

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Indem flog die Thür auf, und Margot mir in die Arme. Ich hätte wohl gewünscht, daß sie eine Strophe eher gekommen wäre. Sprach­los hielt sie mich fest umschlungen, und ich, eben so sprachlos sie umschlingend, bedeckte das rührende Gesicht mit Küssen von dem zärtlichsten Gehalt. Wir vergaßen uns in dieser Scene des Wieder­sehens so sehr, daß keins den guten Johann, der weniger geschwind zugeflogen kam, als seine leichtfüßige Frau, eher bemerkte, bis er mich tränend bat, daß ich auch ihm eine Hand reichen möchte. Nun kam sie zur Sprache – nun erzählte sie mir, welche unverhofte Freu­de ihr Bastians Besuch – noch mehr aber die Nachricht von mei­nem Hierseyn in ihrer nächsten Marktstadt gemacht, und wie sie mit eigenen Händen geholfen hätte, die Esel zu satteln, damit wir nur recht bald zu unserm so gar guten Herrn kämen. Ach Gott! unter­brach nun eins das andere, wie unaussprechlich glücklich haben Sie uns gemacht! Eben noch so unbefangen in ihren Tändeleyen, als heute vor acht Wochen, machte sie mir wieder ganz warm ums Herz. Mit welch hellem Gelächter erinnerte sie sich nicht unserer Wirthschaft zu Caverac, und gern hätte sie mich noch einmal – wäre ich ihr nicht auf dem Dache gewesen – über den Strauchdieb auf dem Fichtelgebirge abgehört. Doch konnte ich ihren beyden lieben Händchen nicht schnell genug wehren, daß sie mir nicht ein paar Runzeln von der Stirn glättete, um nachzusehen, ob mir nicht eine Narbe geblieben wäre. Johann, rief sie, sieh nur her, was mein Kräuterumschlag für Wunder gethan hat! Da ist auch nicht die geringste Spur mehr von dem Kopfstoße zu finden.

 

     Ein fröhliches Abendessen, das sich durch drey Flaschen des be­lobten Weins bis weit über die Mitternacht ausdehnte, vermehrte un­sere Zufriedenheit. Keine Redoute kann eine Stadtdame so munter erhalten, als es die kleine Margot während unsers lieblichen Bau­kets war. Erst bey der dritten Bouteille, die ich und Johann allein übernahmen, wurden ihre naiven Einfälle einzelner – ihre Worte abgebrochener, und die zwanglose Natur wiegte sie endlich neben uns ein. Ich winkte ihrem Mann, und half ihm sein müdes Weib­chen in das Himmelbett tragen, das dem Schlafstuhle, der mir nun übrig blieb, ungefähr so nahe stand, wie zu Caverac ihr Strohlager dem meinen. Mein alter Cammerdiener konnte nun, ohne ihre Be­scheidenheit zu beleidigen, so viel zum Lobe seiner Lebensgefärtin vorbringen, als ihm sein Herz eingab. Ich mochte wohl noch eine halbe Stunde Theil an seinen Empfindungen genommen haben, als auch mir die Augen zufielen, und Johann so leis als möglich, um mich nicht zu stören, die angebrochne Bouteille unter den Arm nahm, und zum Zimmer hinaus seiner Lagerstätte nachschlich. Das Opium des ölichen Weins wirkte so stark, daß der helle Morgen scbon lange über unsern Häuptern schweben mochte, ehe nur eins von uns dreyen erwachte, und das war ich. Nun bitte ich dich für einen Au­genblick, lieber Eduard, um ein freundliches Gehör! Sage mir, was würdest du von einem Maler halten, der aus Furcht, mehr zu sehen, als sein Pinsel wieder zu geben vermag, sein Gesicht von einer pa­radiesischen Gegend in dem Augenblicke wegwenden wollte, wo die Nebel fallen – die Sonne hervortritt – Berg und Thal überschimmert, und sich ihm das schönste Perspectiv der Natur eröffnet? Dei­ne Antwort mag ausfallen, wie sie will, genug, ich genoß lange – auf Gefahr, geblendet zu werden – diese eben so glückliche als kri­tische Lage auf meinem Lehnstuhl. Endlich wünschte ich mir die Schönheiten der Ferne um einige Schritte näher – erhob mich leise von meinem Sitz,  und wollte eben meine süßen Betrachtungen fortsetzen – als ein Blick auf die Wanduhr, die anschlug, mich, wie vom Donner gerührt, neben Margots Bette niederstürzte. – Jetzt, dachte ich – und Thränen löschten schnell die Flammen meiner Augen – jetzt tritt jene tugendhafte Dulderin vor ihr Gitter – blickt wehmüthig gen Himmel – und flehet zu Gott um die Wohlthat einer Zähre. Gegenüber den Mann, der zuerst der Zeit eine Stimme gab! Mit Betrübniß überblickte ich mein zagendes Herz – mit Erröthung die in aller Unschuld Schlummernde – erhob mich von meinen Knien – deckte mit dem Ernste eines väterlichen Freundes, was zu decken war, und nun erst weckte ich sie. Sie flog mir mit liebkosendem Frohsinn entgegen, und auch ich freute mich, daß ich nicht ganz unwerth war, ihren Morgenkuß zu erwiedern. Willst du nicht deinen Mann aufsuchen, Margot, und unser Frühstück bestellen? Voller jugendlichen Heiterkeit hüpfte sie mir sogleich aus dem Gesichte, und ehe ich noch ganz die meinige wieder er­langt hatte, kam sie mit dem glücklichen Sterblichen zurück, der ihre Liebe besaß. – Er trug eine Schaale mit Milch bey – sie ein Körbchen mit Obst. – Es waren auch Pfirsichen von den besten Sor­ten – jedoch meiner jetzigen gesündern Einbildungskraft ohne Gefahr darunter. Bald nachher traf auch Bastian ein. Ich zog ihn aus Achtung für die Schwester mit an unsere runde Tafel. Margot blieb freylich die Perle von der Gesellschaft. Doch gehörten die beyden andern Gäste auch nicht unter die schlechten Feldsteine. Jeder hat seinen Werth, ob die Natur gleich keinen so begünstigt hat, wie je­ne, die der Politur nicht bedarf, um in den Schmuck einer Königin aufgenommen zu werden. Ich wollte indeß doch nicht, daß du es in Berlin herumbrächtest, wie gemein ich mich wieder einmal ge­macht habe. Ich trug noch der Kleinen viele Freundschaftsversicherungen an meine guten Wirthsleute zu Caverac auf. – Gott lasse es ihnen wohl gehen! Johann erbot sich, mir von Zeit zu Zeit Lieferungen von dem hiesigen vortrefflichen Muscatenwein nach Berlin zu besorgen – Und ehe der Sommer verläuft, fiel ihm seine Frau in die Rede, wiederholen wir das Versprechen, Sie selbst in ihrer großen Stadt zu besuchen. Eins wie das andere – erklärte ich ihnen dagegen, bitte ich euch, anstehen zu lassen, bis ihr Nachricht von mir erhaltet – denn wahrscheinlich komme ich in kurzem wieder in diese Gegend, und lasse mich vielleicht gar, wie es Johann gemacht hat – häuslich hier herum nieder. Sie machten große fragende Augen – ich hütete mich aber, so schwatzhafte Leutchen tiefer in jenes Geheimniß sehen zu lassen, das ich vor dem Altar des Janustempels in den Schooß meines St. Sauveurs nieder gelegt habe. Sie zerflossen beyde in Thränen, als ich Abschied nahm, und ich und Bastian stiegen auch nicht mit trockenen Augen in den Wagen. Ich kam glücklich in den Posthof vor Montpellier, und, was mir eben so lieb war, zeitig genug an, um diese medicinische Mördergrube heute noch verlassen zu können, und wenigstens ein paar Stationen auf meinem Wege weiter fortzurücken. Was sollte ich noch einmal zu Fuß in die Chinawurzel wandern? Ich bedurfte keines Gasthofs – mein Frühstück hatte mich hinlänglich gestärkt. Ich schickte also Bastian ab, um mit dem Wirthe Richtigkeit zu machen – und setzte mich so lange unter den schattigen Ueberhang meiner Chaise, bis er von seinem Geschäfte zurückkam. Ein heimisch angenehmer Schauer des Eigenthums flog mir über die Haut. – Die Stadt lag mir im Gesichte – ich hatte den Rücken frey, und dachte an mein Vaterland. Wenn ich es nur erst wieder erreicht habe, so verschwöre ich … Doch nein, unterbrach ich mich erschrocken – den Meineid gegen Agathen ohnehin bey Seite gesetzt, wäre es noch immer ein höchst verwegenes Gelübde. – Denn ob mir gleich jetzt der Stein des Doktor Trampels nicht mehr auf dem Herzen liegt, wer kann für die Zukunft – wer kann dafür stehen, daß du nicht auch einst als ein veralteter Cammerherr den elektrischen Funken nachtappen mußt, die hier dem schönen Geschlecht, wie bey uns den Katzen, entsprühen. – Und wenn dich nun Agathe, wovor Gott sey, nicht möchte, und dich nun nach und nach bey zunehmenden Jahren die gute Gesellschaft zu Berlin von ihren munteren Soupees als ein unbrauchbares Mitglied ausschlösse – was bliebe dir wohl zu deiner Erheiterung übrig, als dich an eine zu halten, die mit ihrer Haut dafür steht, und die man, so viel ich weiß, an keinem Orte in der Welt antrifft, als hier. Ich machte also, in dem ich von dem Monte puellarum Abschied nahm, wegen meines Wiederkommens einige kluge Bedingungen, und bey der letzten Zeile des Accords, den ich zu meiner Erinnerung in die Schreibtafel eintrug, war Bastian wieder da, und der Wagen bespannt.

 

          Wenn mich einst Husten, Stein und Gicht

     Aus jugendlichen Reihen jagen,

     An meinem hageren Gesicht

     Melancholie und Schwindsucht nagen,

     In jenen unwillkommnen Tagen,

     Wo man das Ordensband, das unsre Brust umrauscht,

     Den Sack voll Gold, auf den der Erbe lauscht,

     Gern um ein Pflaster für den Magen

     Und einen Kräuterthee vertauscht,

     Nur Aerzte noch nach unsrem Pulse fragen,

     Kein Kuß sich mehr an unsre gelbe Haut,

     Kein kluges Mädchen mehr an unser Bette traut,

     Und uns nur Schmerz und Mißbehagen

     Von einem Stuhl zum andern tragen –

     Wenn mich des Landes Fett nun lange g´nug genährt,

     Mein Fürst, den ich erzog, so sehr mein Alter ehrt,

     Und ihm Erholung gönnt, daß er mit süßen Mienen,

     Doch mit dem Vorbehalt, wenn es die Noth begehrt,

     Sich meines treuen Raths noch ferner zu bedienen,

     Mich in dem Spiegelsaal zum Veteran erklärt;

     Wenn sein Heiduck nun jeder Furche lächelt,

     Die meine weise Stirne zieht,

     Und die Prinzeß sich stärker fächelt,

     Je näher sie mich kommen sieht,

     Belebter nun der Hof mit neuen Müßiggängern

     Sich ohne mich um seine Axe dreht,

     Um mich herum die Schatten sich verlängern,

     Und mein Gestirn, das jetzt im Mittag steht,

     Den Kreis verläßt und untergeht –

     Wenn Wielands ausgespielte Flöte

     Nun auch nicht mehr die schlaffe Seele rührt,

     Und mich nicht mehr die Abendröthe

     Nach Amathunt in unsers Göthe

     Geheime Myrthrenwäldchen führt –

     Und wenn auch dir, der mir um eine Stufe

     Des Lebens dem vertrauten Rufe

     Des Todesengels näher steht,

     Manch Lüftchen schon aus Platons Haine

     Die Wettgesänge der Gemeine,

     Die deiner harrt, entgegen weht;

     Wenn nun auch du, mein Leukon *), in den Frieden

      Der Seeligen hinüber eilst,

     Die Nebel, die den Lebensmüden

     Vom Aether der Verklärten schieden,

     Mit deiner Rechten schon zertheilst,

     Nur mit der Linken noch hienieden

     An deines Freundes Brust verweilst;

     Wenn dir schon lächelnd auf der Schwelle

     Der Ewigkeit das neue Licht,

     Wie deine Tugend, rein und helle

     Mit Jubelglanz entgegenbricht,

     Dein Mund mich küßt und sterbend spricht:

     Es war mein Freund, mein trautester Geselle

     In Scherz und Ernst, trotz seiner Schelle,

     Ihr Seligen, ach trennt uns nicht!

     Dann schließe deine engste Gasse,

     Der dickste Duft von deinen Spezerey´n,

     Bis ich dir ganz die Mumiue verlasse,

     O Montpellier, mich Abgelebten ein.

     Dein Hundsstern sauge noch die letzten Lebenssäfte

     Mir aus und leuchte mich in mein willkommnes Grab. –

     Nur jetzt, da noch manch fröhliches Geschäfte

     Mich weiter ruft und alle meine Kräfte

     Mir nöthig sind, laß von mir ab!

 

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*) Herr Cr. St. E. Weiße, dessen Hochzeitfest H. Prof. Rammler in der schönen Ode: An den Hymen, unter diesem griechischen Namen feyerte.

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Ende des neunten Theils.

 

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