Johann David Michaelis:

Rezension von Lessings Lustspiel <Die Juden>

Der vierte Teil von Hrn. Lessings <Schriften> beträgt 312 Seiten, daraus wir zwei Lustspiele lesen. Das erste, <Der junge Gelehrte>, ist schon vor 6 Jahren auf der Neuberischen Schaubühne zu Leipzig aufgeführt, aber noch nie gedruckt: man hat es damals, wie wir aus der Vorrede des dritten Teils sehen, mit Beifall aufgenommen, dessen es auch würdig ist. Das zweite führt die Überschrift <Die Juden> und verdient wegen seiner Absicht eine nähere Bekanntmachung und Beurteilung als das vorige, obgleich jenes uns noch ausgearbeiteter vorkommt. Der Inhalt ist kurz dieser: (...) Der Endzweck geht auf eine sehr ernsthafte Sittenlehre, nämlich die Torheit und Unbilligkeit des Hasses und der Verachtung zu zeigen, damit wir den Juden meistenteils begegnen. Man kann daher dieses Lustspiel nicht lesen, ohne daß einem die mit gleichem Endzweck gedichtete Erzählung von einem ehrlichen Juden, die in Hrn. Gellerts <Schwedische Gräfin> stehet, beifallen muß. Bei Lesung beider ist uns stets das Vergnügen, so wir reichlich empfunden haben, durch etwas unterbrochen worden, das wir entweder zu Hebung des Zweifels oder zu künftiger Verbesserung der Erdichtungen dieser Art bekanntmachen wollen. Der unbekannte Reisende ist in allen Stücken so vollkommen gut, so edelmütig, so besorgt, ob er auch etwan seinem Nächsten Unrecht tun und ihn durch einen unbegründeten Verdacht beleidigen möchte, gebildet, daß es zwar nicht unmöglich, aber doch allzu unwahrscheinlich ist, daß unter einem Volke von den Grundsätzen, Lebensart und Erziehung, das wirklich die üble Begegnung der Christen auch zu sehr mit Feindschaft oder wenigstens mit Kaltsinnigkeit gegen die Christen erfüllen muß, ein solches edles Gemüt sich gleichsam selbst bilden könne. Diese Unwahrscheinlichkeit störte unser Vergnügen desto mehr, je mehr wir dem edlen und schönen Bilde Wahrheit und Dasein wünscheten. Aber auch die mittelmäßige Tugend und Redlichkeit findet sich unter diesem Volke so selten, daß die wenigen Beispiele davon den Haß gegen dasselbe nicht so sehr mindern, als man wünschen möchte. Bei den Grundsätzen der Sittenlehre, welche zum wenigsten der große Teil desselben angenommen hat, ist auch eine allgemeinere Redlichkeit kaum möglich, sonderlich, da fast das ganze Volk von der Handlung leben muß, die mehr Gelegenheit und Versuchung zum Betruge gibt als andere Lebensarten. Wir haben in unseren Gedanken dieses Lessingische Lustspiel aus Deutschland nach England hinübergebracht, wo im vorigen Jahre eine Komödie von der Art nötig gewesen sein könnte, um das Volk von seinem ausschweifenden Haß gegen die Juden und von seiner Widersetzung gegen die Juden-Akte zurückzubringen. Dies wäre ein Schauplatz, wo es sich Ruhm erwerben könnte. Allein es kam uns stets vor, die Zuschauer würden aus Mangel der Wahrscheinlichkeit, daß es solche Juden gebe, nicht gerühret sein. Dürften wir Hrn. Lessing einen Vorschlag zu einem andern Lustspiel tun, wo er mehr Vorteil finden möchte? Wie, wann er den Juden, den er lobenswürdig machen will, an seinen Ort setzte, wo ihn die Unterdrückung, die er mit den Protestanten gemein hat, uns beliebter und es wahrscheinlicher macht, daß er gegen Christen, die nicht seine Verfolger sind, gut gesinnet sein werde? Oder wenn es ihn aus jenen Ländern flüchten ließe? Wie, wenn entweder dieses oder ein anderes Lustspiel Christen unter ebender Bedrängnis vorstellete, unter der die Juden sind, um den Einfluß derselben in die Gemütsart zu zeigen und dadurch einen Teil der Laster der Juden, die mehr Laster ihres Unglücks und ihrer Lebensart als der Leute und des Volks selbst sind, mitleidenswürdiger zu machen. Wir sind versichert, daß Hr. Lessing uns diese Erinnerungen nicht übelnehmen werde: schätzen wir ihn und seine Schauspiele nicht sehr hoch, so würden wir nicht so sorgfältig sein, die Fehler, die wir zu entdecken meinen, anzuzeigen, damit durch Ausbesserung derselben das Schauspiel selbst noch mehr verschönert werden möge. Wir wünschen von ihm, ja wir hoffen noch von seiner geschickten Erfindung und Ausführung ein Lustspiel von der Materie, das sich auch unter solchen Umständen, als vor einiger Zeit in England waren, auf den Schauplatz wagen und widrig gesinneten Zuschauern gefallen könne.


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