Briefe aus dem 18. Jahrhundert
Diese Sammlung soll einen kleinen Einblick verschaffen in ein Zeitalter
ohne Email; als die Menschen noch Briefe schrieben und schreiben konnten.
Umfang und Intensität dieser Schreibweise sind heute kaum mehr vorstellbar : Ich schreibe heute an die halbe Welt, um gelesen und beantwortet zu werden.
Ich habe heute an Cramern zween Bogen voll freundschaftliches Nichts geschrieben;
nach Copenhagen, nach Hamburg, nach Braunschweig, nach Dresden, nach Bernstadt
in Schlesien habe ich nichts wichtiges geschrieben, und nun fange ich auch
an, mit Ihnen zu plaudern. Ist dieser Tag nicht für mich ein vergnügter
Tag?
Gottlieb Wilhelm Rabener
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Elise Reimarus
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Inhaltsverzeichnis:
Walter Benjamin / Karl Friedrich Zelter, 1832
/ 1936 |
Georg Forster an seine Tochter Therese
(6 Jahre), 1793 |
Johann Heinrich Voss an Ernestine Boie,1774 |
Christian Friedrich Daniel Schubart an Helene
Schubart, 1783 |
Georg Christoph Lichtenberg an G. H. Amelung,
1784 |
Jean Paul an Christian Otto, 1796 |
Moses Mendelssohn an Salomon Gumperz, 1754 |
Catharina Elisabeth Goethe an den Sohn in
Italien, 1786 |
Gotthold Ephraim Lessing an Eva König, 1771 |
Christoph Martin Wieland an Anne Germaine de Staël, 1804 |
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Walter Benjamin / Johann Wolfgang
von Goethe / Karl Friedrich Zelter
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.(...) Lange ehe der folgende Brief geschrieben
wurde, hatte, im Alter von sechsundsiebzig Jahren, Goethe dieses Ende in
einem Gesicht erfaßt, das er Zelter in folgenden Worten mitteilte:
"Reichthum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wornach jeder
strebt. Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen
Facilitäten der Communication sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht,
sich zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu
verharren . . . Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen
Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer
gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die
Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum Höchsten begabt
sind. Laß uns soviel als möglich an der Gesinnung halten, in
der wir herankamen; wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten
seyn einer Epoche, die so bald nicht wiederkehrt."
.
Karl Friedrich Zelter an Kanzler von Müller:
.
Berlin, den 31. März 1832
Erst heute, verehrtester Mann, kann ich Ihnen für die freundschaftlichste
Theilnahme danken, von welcher Art auch die Gelegenheit diesmal seyn mag.
Was zu erwarten, zu fürchten war, mußte ja kommen. Die
Stunde hat geschlagen. Der Weiser steht wie die Sonne zu Gibeon, denn siehe
auf den Rücken hingestreckt liegt der Mann, der auf Säulen des
Hercules das Universum beschritt, wenn unter ihm die Mächte der Erde
um den Staub eiferten unter ihren Füßen.
Was kann ich von ihm sagen? zu Ihnen? zu allen dort? und überall?
- Wie er dahinging vor mir, sü rück´ ich Ihm nun täglich
näher und werd´ Ihn einholen, den holden Frieden zu verewigen,
der so viel Jahre nach einander den Raum von sechsunddreyßig Meilen
zwischen uns erheitert und belebt hat.
Nun hab´ ich die Bitte: hören Sie nicht auf, mich Ihrer
freundschaftlichen Mittheilungen zu würdigen. Sie werden ermessen,
was ich wissen darf, da Ihnen das niemals gestörte Verhältnis
zweyer, im Wesen stets einigen, wenn auch dem Inhalte nach weit voneinander
entfernten Vertrauten bekannt ist. Ich bin wie eine Wittwe, die ihren Mann
verliert, ihren Herrn und Versorger! Und doch darf ich nicht trauern; ich
muß erstaunen über den Reichtthum, den er mir zugebracht hat.
Solchen Schatz hab´ ich zu bewahren und mir die Zinsen zu Capital
zu machen.
Verzeihen Sie, edler Freund! ich soll ja nicht klagen, und doch
wollen die alten Augen nicht gehorchen und Stich halten. Ihn aber habe
ich auch einmal weinen sehn, das muß mich rechtfertigen.
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.Georg Forster an
seine Tochter Therese (6 Jahre)
.
An meine kleine Therese
.
Meine liebe Tochter, ich schicke dir durch die Mamsell Boulanger ein
Halstuch, ein Taschenbuch und einen Fingerhut. Das Halstuch thust du des
Abends um, wenn du im Kühlen spazieren gehst; das Taschentuch brauchst
du, wenn du bei deiner Mutter nähest, denn es ist eine Scheere[,]
ein kleines Federmeßer, eine Schnürnadel und ein Ohrlöffel
drin, auch ein fleckchen Tuch um Nähnadeln drauf zu stecken, und eine
Tasche um Zwirn drin aufzuheben. Es ist auch ein kleiner Spiegel drin;
ich rathe dir aber, daß du niemals hineinguckst, ausgenommen des
Morgens, um zu sehen, ob du auch rein gewaschen bist. - Den Fingerhut wirst
du fleißig beim Nähen brauchen[,] aber ich fürchte er ist
dir noch zu groß; wenn das so wäre, so hebst du ihn dir auf
bis du größer bist. Ich hoffe, mein
liebes Kind, daß du nun schon lesen kannst. Bald wirst du auch wohl
so viel verstehen, daß du mir auch ein paar Worte zur Antwort schreibst.
Ich wäre so gern bey dir und deiner Schwester und deiner Mutter; aber
ich kann nicht zu euch kommen, und ihr könnt nicht zu mir, weil es
nun ein schlimmer Krieg ist und wir alle kein Geld zum reisen haben. Aber
ich denke alle Tage an euch, und wenn ihr gute Kinder seyd, Du und die
liebe Kläre, und fleißig nähen, stricken, schreiben, lesen,
französisch und alles lernt, was die Mutter euch lehrt, so wird es
mir vielleicht eher möglich, euch zu besuchen und euch herzlich zu
küßen. Der Kläre habe ich nur ein Halstuch geschickt, weil
sie einen Fingerhut und ein Taschentuch noch nicht brauchen kann. Seyd
immer recht lieb, und denkt oft an euren Vater, der euch sehr lieb hat
und oft recht traurig ist, daß ihr nicht um ihn seyd. Ich will mich
recht freuen wenn ich höre, daß ihr mein kleines Geschenk erhalten
habt und daß es euch Freude gemacht hat.
Die Mutter wir Euch in meinem Namen küßen
und lieb haben und wenn ihr gern Euer Väterchen umarmen möchtet,
so lauft nur zu ihr und schickt mir eure Küße. Das wird mir
sehr viel Freude machen, wenn mirs die Mutter schreibt.
Lebt wohl, meine lieben Kinder und habt euch
lieb untereinander. Ich bin euer treuer und zärtlicher Vater
Forster.
Paris d. 16.Junius 1793
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Johann Heinrich Voss an
Ernestine Boie
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Göttingen, den 18 Oct. 1774
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Komm her, mein süßes Mädchen, und sez dich auf meinen
Schoß; ich will dir ein wenig erzählen. Daß ich am Sonnabend
und heute vergeblich einen Brief erwartet habe, und desfalls etwas traurig
geworden bin, will ich dir nicht sagen; denn du kannst ja nicht dafür.
Ich will dir nur sagen, wie herrlich sich meine Gesundheit und mein froher
Muth vermehrt, wie sehr ich dich liebe, und wie oft ich mit seliger Sehnsucht
und Freudenthränen an dich denke. Unser lieber Vollmond herrscht jetzt
wieder mit allen seinen Wonnen, und unter seinem Einfluß denkts sichs
ja so schön an das was man liebt. Wenn wir doch uns durch Zeichen
an ihm unterreden könnten, was solltest du bisweilen zu hören
kriegen! Gar nichts schwermüthiges, nichts trauriges! meine Seele
ist heiter wie Mondglanz; aber fröhlichs doch auch nicht, denn ich
weine so oft dabey. Heitre Wehmuth ist doch wohl die göttlichste Empfindung,
die man hienieden haben kann. Ich glaube, sie ists, die mich jetzt so augenscheinlich
stärkt. Ich bin in der That gesünder wie vorher. Mein Gesicht
blüht, und Kraft ist in meinen Nerven. Ich geh alle Tage spaziren,
vormittags den Wall herum, und nachmittage zu Dorfe. Eben jezt komm ich
mit meinem Rudolf von Geismar, und bin so wenig müde, daß ich
wohl noch einmal so weit gehen wollte. Gestern waren wir in Gronde Je
doch, Esmarch kann Ihnen nicht mehr erklären, wie weit das ist. Zweymal
bin ich schon nach Scharfs Garten, eine kleine halbe Meile von hier, gegangen,
und immer mit vollem Athem zurückgekommen. Wir haben einige sehr schöne
Herbsttage gehabt, und die hab ich auch rechtschaffen genuzt. Gestern hatte
Rudolf ein besondres Schicksal. Wir saßen in der Laube, die schon
halb gelb war, ich, mit Geßners Daphnis in der Hand, und mein Pfeifchen
rauchend; Rudolf voll Sehnsucht nach seinem Kaffee, und auf die Langsamkeit
des Wirthes schmälend. Der Kaffee kam. Mit freudiger Eile fiel R.
darüber her, und stieß Kaffee, Milch, Zucker und Feuer über
den Haufen. Der Kaffee lief ihm auf den Rock, und nun hätten Sie ihn
wischen, und schimpfen sehn sollen. Das Schrecklichste war, daß er
nun von neuem auf den erwünschten Labetrunk harren mußte. Geßners
Daphne ist vortrefflich. Ich hatt´ ihn seit etlichen Jahren nicht
gelesen, und hörte neulich von Boie, es wäre nicht viel daran.
Das Urtheil stammt gewiß von dem geschrobenen Geniusaffen Herder
her, und ist nicht das meinige, so wenig als ich beystimmen kann, daß
in Merks Gedichten an den Mond, nur ein Fünkchen, geschweige viel
Genie flamme. Die naive Sprache der Liebe kennt keiner beßer als
Geßner, was gehen mich kleine Flecken an? Boie hat seit 6 Wochen
nicht geschrieben, wir erwarten ihn jede Stunde. Von Klopstock haben wir
auch noch keinen Brief. Ich denke, daß B. bey ihm ist. Mein voriger
Brief war etwas flüchtig, weil mich Böhm trieb. Ich habe vergessen
dir zu sagen, daß der versprochne Schattenriß nicht bey deinem
Brief lag, und daß ich alle Makulaturhüllen durchkramte, und
endlich etwas ärgerlich denk einmal ward. Ohne Zweifel hast du
deinen Brief nur in der Eile gesiegelt, und von ungefähr den Riß
zurückgelaßen, und dann bekomm ich ihn nächstens. Denn
zum Besten haben kannst du doch deinen armen Voß nicht. Nun laß
dich küßen, meine Liebste, und steh auf, denn Hahn kommt. Morgen,
oder wann´s sich fügt, plaudre ich dir mehr vor. Aber eher schick
ich mein Geplauder nicht weg, bis ich deinen Brief habe. Und wo´s
noch lange daurt, so soll er acht Tage hernach erst auf die Post. Ich kann
auch böse werden! Kleine Schelmin, was lachst du? Wer hats dir gesagt,
daß ich dich so unaussprechlich liebe, mit einer Liebe, die über
alles Bösewerden erhaben ist? Aber steh auf, liebes Dirnchen! Noch
vor Schlafengehen ein paar Worte! Es war ja so unsre Gewohnheit in Flensburg,
wenn ich noch meine Pfeife rauchte, und du mit bloßen Haaren neben
mir oder auf meinem Schooße saßest. Du erinnerst dich wohl
nicht mehr, wie oft ich die Pfeife ausgehen ließ. Heute fand Overbeck,
der mit uns nach Geismar ging, ein kleines armes Vergißmeinnicht,
das vielleicht der Nordwind für mich geschont hatte. Ich dachte daran,
wie du auf dem Spaziergang nach dem Holze dich meiner bey diesen Blümchen
erinnertest, und steckte halb traurig, halb vergnügt die ahndungsvolle
Blume auf meinen Hut! Es bebte mir mit neuen Schauern durch die Seele,
daß Gott uns zusammengeführt hat, und daß wir gewiß
dem Tage der Verheißung entgegenhoffen können. Schlaf wohl,
Liebste! du liegst wohl schon im Bette, und Tante trödelt noch mit
ihrem Auszug. Träum auch ein wenig von deinem Voß! Willst du?
Den 22 Oct. Vorgestern Abend kam endlich unser so sehnlich erwarteter Boie
wieder. Rudolf und ich waren schon zu Bette, denn es war 11 Uhr, und Boie
mochte uns nicht aufwecken. Gestern Morgen, wie ich aufstand, rief mir
das Mädchen, denn alles freut sich, von unten herauf, daß Boie
gekommen wäre, aber erst um 7 aufstehn würde. Ich sezte mich
ganz geruhig, aber ich verbarg mich bey meinem Homer, und rauchte eine
Pfeife. Rudolf, der nach mir kam, trank seinen Thee, und las. Sollte Boie
heut wohl kommen? fing ich an. Ach was wollt´ er, antwortete R. mit
einer halb schläfrigen halb mürrischen Mine. Ich schwieg ganz
still, bis es 7 schlug. Kommen Sie, Ihr Bruder ist jezt wohl aufgestanden,
sagte ich kalt zu ihm, und stieg die Treppe herauf. Da hätten Sie
in seinem Gesicht Freude und Mistrauen, und Ärgerniß, und wieder
Freude ringen sehn sollen. Er blieb steif sizen, bis ihm sein Bruder von
oben zurief, ob er nicht kommen wollte. Und nun warens nur 3 Sprünge
die Treppe herauf, und in Boiens Arm. Von der Reise will ich Ihnen nichts
erzählen, denn Sie werden ein großes Journal geschickt bekommen.
Gestern war er noch sehr zerstreut, und mußt auch herumlaufen, sich
zu zeigen; heute wirds ja anders werden. Lenz, der Verf. des Hofmeisters
hat einen neuen Menoza, eine Komödie, geschrieben, die sehr schön
ist. Hahn, Rudolf, Overbeck u ich lasen sie gestern zu Geismar. Und Göthe
hat einen Roman gemacht, der über alles geht, was wir von Romanen
haben. Ich glaube, es ist seine eigne Geschichte. Hahn las gestern Abend
den ersten Theil vor, der mich ungemein gerührt hat. Es war kein Wunder,
ich dachte beständig an dich, und fühlte Werthers Leiden als
meine. Der Mond schien so herrlich dazu. Er scheint gerade in unsre neue
Schlafkammer in mein Bette. Als ich mich gelegt hatte, zog ich die Gardinen
zurück, und lag wohl eine halbe Stunde, die Augen auf den Mond. Allein
ich ward wehmüthig, kehrte mich nach der Wand, und schlief mit naßen
Augen ein. Den 23. Wieder kein Brief! Mädchen du bist grausam!
Boie wollte erst bis Donnerstag mit der Versendung seines Paket warten,
jetzt entschließt er sich, heute gleich es weckzuschicken. Ich muß
also meinen Brief endigen. Reinhold, der über diese Aenderung wieder
keinen Brief bekommt, wird mir als ein Bruder vergeben. Ich habe heute
auch noch wegen des Almanachs an Klopstock zu schreiben. Boie geht Weihnachten
ganz von hier, u überläßt mir den Alm, den ich auf Subscription
herauszugeben denke. Ich muß nur mit Kl. über die neue Einrichtung
und über die Art der Ankündigung sprechen. Boie schreibt morgen
an Bode u ich an Mumsen, mir einen Vorschuß von 500 rl: auszumachen.
Wenn Gott will, so bin ich durch dies kleine Buch der freyeste Mann, und
kann mit Ruhe einem Amt entgegen sehn. Es wird vielleicht nötig seyn,
ihn, des Verschickens halber, in Hamburg, Leipzig oder Frankfurth herauszugeben;
am liebsten in Hamburg, da bin ich nur 20 Meilen von meiner Ernestine.
Mit der wenigsten und leichtesten Arbeit, und unabhänglich, könnte
ich jährlich gegen 1000 rl: und darüber verdienen. An Beyträgen
kanns mir nicht fehlen; außer dem Bunde kann ich noch auf Claudius,
Göthe, Lenz, dem alten Cramer pp gewiß rechnen. Ich hoffe
auch, daß sie mir erlauben werden, sie in der Anzeige als Mitarbeiter
anzugeben. Bald werd´ ich Ihnen nähere und gewißere Nachricht
von dieser herrlichen Aussicht geben. Gestern kam ein Brief von Miller
u Hölty aus Leipzig, daß sie glücklich und zufrieden angelangt
sind. Hölty versichert mich von neuem, daß alles zur Reise ausgemacht
sey. Wir haben Bücher zum Uebersetzen und gute Verleger, so daß
es Spielwerk ist, das Reisegeld zu verdienen. Beyde empfehlen sich Ihnen,
und Hölty läßt sie ersuchen, ja nicht an der Gewißheit
unsers Vorhabens zu zweifeln. Klopstock sagte einmal zu mir: Man kann alles,
was man will. Sie glauben nicht, wie fröhlich der Gedanke mein Herz
macht, der Gedanke eines so nahen Wiedersehns. Wie befindet sich unsre
liebe Wöchnerin mit ihren kleinen? Davon sollten Sie doch etwas schreiben.
Sie können doch denken, daß wir unruhig seyn müßen.
Herr Jeßens Glück erfreut mich desto mehr, je mehr ich seinen
Schmerz vor einem Jahr empfunden, und jetzt für ihn gezittert habe.
Wenn Sie Esmarch schreiben, so grüßen Sie ihn, und sagen daß
er mit dem allerersten einen Brief haben sollte. Von Brücknern hab´
ich lange keinen Brief. In dem letzten stand ein Gruß an Sie alle,
den ich wohl schon bestellt habe. Ramlers lyrische Blumenlese ist da: fast
lauter französische und englische Uebersetzungen mit wizigen zugespizten
Ausgängen, ohn Empfindung, ohn Gesang, gar ein Gedicht von Ewald!
ich weiß nicht, was ich von Ramler denken soll. Von Millern keine
Zeile! Im neuen Merkur soll die Gelehrten Republik sehr hämisch getadelt
seyn. Nur Geduld, Herr Hofrath Wieland! Im neuen Menoza wird Wieland
von einem leipziger Stuzer zu den größten Genies der Welt, Beßer,
Gellert, Rabner, Uz, Jacoby, gezählt. Es ist ein schöner Einfall,
Wieland von einem solchen Tropf und in einer solchen Gesellschaft loben
zu laßen. In Göthens Roman wird Klopstock auf eine ganz andre
Art erwähnt; das feinste, seelenvollste Lob, was ich kenne! Sie müßtens
selbst lesen. Göthe ist ein großes Genie. Sein Roman ist auch
weit correcter, als was er sonst geschrieben. Küßen Sie unsere
theuersten Eltern in meinem Namen die Hände. Klopstocks Schattenriß
ist ganz ähnlich. Ach wenn ich so Ihres hätte! Dietrich hat noch
die Musikalien nicht, daß ich Ihnen gebundne Almanache schicken könnte.
Herrn Jeßen sollen auch bald die Exemplare zugeschickt werden. Klopstock
ist mit vieler Freude von Markgrafen bewillkommt, und jetzt nach Fryburg,
in der Schweiz gereist. Er wird wohl bald schreiben. Leben Sie wohl, meine
Theuerste, und lieben Sie mich. Ich glaube, daß ist der 4te Brief
ohne Antwort, und doch sind Sie immer mein liebes Ernestinchen, immer ganz
und allwirkend in meiner Seele. So füllt die Gottheit die Welt.
Ich bin ewig Dein
Voß.
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Christian Friedrich Daniel
Schubart an Helene Schubart
.
Asperg, den 2ten Oktober 1783
.
Liebste beste Mutter!
Tausend Dank vor das mütterliche Andenken, womit Sie Ihren armen
gefangenen Sohn erfreuen. Nach 7 Jahren einen Brief von einer lieben, mir
so unausprechlich teuren Mutter erhalten, die mich noch im grauen Haare
ihrer Liebe versichert und mir ihren Segen auf dem Sterbebett verspricht,
ist wahre Herzstärkung für den Lang-Leidenden. O! liebe Mutter,
Ihr Christian mußte viel leiden; 377 Tage lag ich auf faulem Stroh
in einem finstern Loch, und 3 andere Jahre schmachtete ich in der Einsamkeit
hin, bei elender Kost, ohne den tröstenden Anblick des Menschen
ohne Mutter, Weib, Kinder, Freund. Für alle meine Jugend-Sünden
hab ich schrecklich gebüßt und mit tausend Tränen meinem
Gott jedes Herzenleid abgebeten, das ich meinen lieben Eltern machte. O,
wie oft hab ich da vor Gott in heißen Gebeten für meine liebe
graue Mutter gerungen und ihr ein ruhiges Alter, ein sanftes christliches
Ende und die mit Jesu Blut erkaufte Freuden des Himmels in reichsten Maße
angewünscht. Nun, Gott hat meine Tränen gesehen und mir verziehen
ahmen Sie Gott nach, gütigste Mutter, und verzeihen Sie mir auch.
Es war Leichtsinn, wann ich Sie betrübte, und nie Mutwille. Immer
hab ich Sie kindlich geliebt. Entziehen Sie mir also Ihren mütterlichen
Segen nicht, denn ich bedarf ihn.
Das daurende schwere Leiden von innen und
außen hat meine Gesundheit so geschwächt, daß ich denke,
ich werde noch vor Ihnen sterben. Aber ich sterbe gern: ich habe Versöhnung
im Blute Jesu gefunden und freue mich auf jene Welt, wo ich meinen Vater
und meine Mutter und meine Lieben alle wiederfinden werde, und wo Gott
abwischen wird alle Tränen auch die im Kerker geweinte Tränen,
von unsern Augen.
Daß Sie noch leben, beste Mutter, ist
viel Gnade von Gott, und daß Ihre 2 jüngste Kinder die beste
Ämter der Stadt Aalen begleiten, ist ein großer Trost vor Sie,
der Ihnen das bittere Andenken an das traurige Schicksal Ihres ältesten
Sohnes um vieles versüßen muß. Genießen Sie dies
Vergnügen bis ins graueste Alter, und weihen Sie meinem Andenken zuweilen
eine mütterliche Zähre. Denn Gott sammelt der frommen Witwen
Tränen.
Von ein paar Vorwürfen erlauben Sie mir,
mich loszumachen.
1) Gibt man mir nicht so viel, daß ich
mich betrinken kann.
2) Hat mich lange Geduld gelehrt, zu schweigen
und alles dem heimzustellen, der da recht richtet.
3) Hab ich schon einmal an den Herzog geschrieben,
aber es ist nichts darauf erfolgt.
Und endlich, wie können Sie glauben,
daß mich der Umgang mit dem sklavischen Soldatenvolk reizen könne,
den Trieb nach Freiheit zu ersticken? Selbst Besuche von Prinzen, Ministers,
Grafen, großen Damen und einer Menge berühmter Männer,
womit ich bisher beehrt wurde, haben dies noch bewirken können. Gott
und meinem Vaterland zu dienen ist die Achse, um welche sich alle meine
Wünsche drehen. Aber bin ich bis her nicht müßig gewesen;
ich habe Bücher geschrieben, Musiken komponiert, die mit der Zeit
der Welt mitgeteilt werden sollen, und informiere von Morgen bis in die
Nacht. Müßig kann mein Geist nie sein. Inzwischen frißt
mir die Sehnsucht nach Freiheit das Herz ab, und allen Beistand Gottes
hab ich nötig, in meinem eisernen Jammer auszuharren.
Und nun bitt ich die liebe Mutter, einen Schritt
für meine Rettung zu tun; beiliegendes Schreiben in Ihrem Namen abschreiben
zu lassen und es durch einen guten Kanal an den Kaiser zu schicken. O wie
sollt es mich freuen, wann ich, so wie meine erste Geburt ins Licht, auch
die zweite Geburt in die Freiheit meiner lieben Mutter zu danken hätte!
Wie würde sie Gott dafür lohnen!
Ich nehme noch nicht Abschied von Ihnen. Vielleicht
sehen wir noch einander und preisen Gott für die wunderbare Errettung.
Gott laß es Ihnen wohlgehen, beste Mutter.
Beten Sie fleißig für Ihren armen Christian. Wenn ich ein Verbrecher
wäre, würd ich Sie nicht darum bitten. Gott, der Allbarmherzige,
wirds wohlmachen. Lieben Sie mich immer, gute Mutter, dann ich liebe Sie
bis in den Tod. Mit Tränen nenn ich mich
der besten Mutter
leidenden und gehorsamen Sohn
Christian
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Georg Christoph Lichtenberg
an Gottfried Hieronymus Amelung
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Göttingen den 26ten Märtz 1784.
Mein bester Freund,
Ihre vortrefflichen, von wahrer Freundschafft gantz überfließenden
Briefe lese ich mit unbeschreiblichem Vergnügen; wenn ich sie durchgelesen
habe, so fühle und träume ich sie durch, und dieses Gefühl
und diese Träume dauern offt 10, 20mal die Zeit des Lesens. Wenn mich
doch der Himmel so glücklich machte einen solchen Freund in der Stadt
zu haben, dieses und etwas mehr Gesundheit ist alles was ich wünsche,
wegen des übrigen bin ich Gottlob geborgen.
Die Erzählung von Ihrer Frau Liebsten
und Ihren Kindern ist gantz entzückend für mich gewesen. Es ist
traurig, daß ich in einem Stand lebe, wo man so gar nicht einmal,
nach den Begriffen der Welt frey sagen darf, daß man verstehen gelernt
hat, was es für ein Glück seyn muß eine rechtschaffene
Gattin u gute Kinder zu haben Ich schließe diesen Artickel mit
einem Strich und überlasse es Ihnen die Lücke mit freundschafftlichem
Hertzen auszufüllen. Empfehlen Sie mich Ihrem gantzen Hause tausendmal
und entwickeln Sie jedem Mitglied desselben mit Mi[t]leid gegen mich, so
viel von meiner hier unterdrückten Empfindung als es die Weltkenntniß
eines jeden und mein Credit bey jedem verträgt.
Ich habe seit dem Empfang Ihres letzten bei
mir so unschäzbaren Briefes nicht eher als heute schreiben können,
sonst hätte ich Ihnen eher gesagt, daß der brave Mann, den Sie
an mich geschickt haben, gantz gesund, wiewohl schon vor geraumer Zeit,
bey mit gewesen ist. Ich will nicht hoffen, daß dem guten Mann etwas
begegnet ist.
Unsere Schule ist zwar an sich gut, allein
sehr viel vorzügliches hat sie nicht, daher auch die hiesigen Professoren
ihre Kinder öffters auswärts schicken. Göttingen ist ein
verführerischer Ort, wo ein junger Mensch gnauere Aufsicht nötig
hat, als in mancher grosen Stadt, um nicht vor der Zeit hingerissen zu
werden, und das was er für einen so jungen Menschen gutes haben mögte
ist sicherlich der Kosten nicht werth. Als Universität wird er seine
Vorzüge allzeit behaupten, ist der kleine einmal dazu reif, so erwarte
ich ihn mit Vergnügen, u ich will Ihnen alsdann alles so sehr zu erleichtern
suchen als meine Lage und Umstände gestatten.
Die Würste sind angeschafft und hängen
würcklich auf meiner Bibliothek zwischen den Wercken Shakespeare´s
und Hume´s. Zeigen Sie mir nur eine Gelegenheit an wie ich sie sicher
nach Ihnen hinbringe. Allenfalls nur eine Adresse in Fuld, bis dahin gehen
sie wohl mit Fuhrleuten. Ich erwarte hierüber Ihre Befehle. Alsdann
soll auch der praktische Unterricht sie zu essen zugleich erfolgen. Vielleicht
findet sich auch bald einmal eine Gelegenheit Ihnen zu einem guten Thermometer
und Barometer zu verhelfen. Ich habe zwar eine Menge, aber doch eigentlich
keines doppelt, sonst packte ich gleich ein Paar bey die Würste.
Den Mann der Ihren letzten Brief gebracht
hat, habe ich selbst nicht gesehen. Er wird aber wieder kommen. Ich bekomme
mein Siegellack von Dieterich, der es von Quedlinburg erhält. Der
Fabricant versteht seine Sache recht gut, und ich habe schon über
10 Pfunde nach England schicken müssen. Auf dem Umschlag der
Pfunde steht auch sehr trotzig:
sans privilége, mais approuvé
comme s´il étoit privilegié.
Ich werde die Ehre haben Ihnen durch den Mann
mit ein Paar Stangen aufzuwarten.
Lieben Sie mich fernerhin und leben Sie recht
wohl.
GCLichtenberg.
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Jean Paul: Goethe liest
ein Gedicht vor ... An Christian Otto
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[Weimar,] d. 18 Jun. Sonnabends. [1796]
Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurteil für große
Autores ab als wären´s andere Leute; hier weiß jeder,
daß sie wie die Erde sind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender
Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris
besteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urteil, das ein Herder,
Wieland, Göthe etc. fällt, wird so bestritten wie jedes andere,
das noch abgerechnet daß die 3 Turmspitzen unserer Literatur einander
meiden. Kurz ich bin nicht mehr dumm. Auch werd´ ich mich jetzt
vor keinem großen Mann mehr ängstlich bücken, bloß
vor dem tugendhaftesten. Gleichwohl kam ich mit Scheu zu Göthe. Die
Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen
auf der Erde Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich
jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse er habe
etwas steifes reichstädtisch Stolzes bloß Kunstsachen wärmen
noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen
Mineralbrunnen zu petrifizieren und inkrustieren damit ich mich ihm etwan
im vorteilhaften Lichte einer Statue zeigen könnte Ostheim rät
mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich ging, ohne
Wärme, aus bloßer Neugierde. Sein Haus (Palast) frappiert, es
ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen
Treppen, ein Pantheon voll Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst
presset die Brust endlich tritt der Gott her, kalt, einsilbig, ohne Akzent.
Sagt Knebel z.B., die Franzosen ziehen in Rom ein. «Hm!» sagt
der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber
ohne eine angenehme Farbe). Aber endlich schürete ihn, nicht bloß
der Champagner sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum
etc. sofort an, und man war bei Göthe. Er spricht nicht so
blühend und strömend wie Herder, aber scharf-bestimmt und ruhig.
Zuletzt las er uns d.h. spielte er uns* ein ungedrucktes herrliches
Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so
daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es,
aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke
anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen,) die Hand drückte.
Beim Abschied tat er´s wieder und hieß mich wiederkommen. Er
hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel
wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er gibt nie ein Zeichen der Liebe.
1 000 000 Sachen hab´ ich Dir von ihm zu sagen
Auch frisset er entsetzlich. Er ist mit dem
feinsten Geschmack gekleidet.
__________
* Sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt
mit dem leisen Regengelispel: es gibt nichts Ähnliches.
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Moses Mendelssohn:
Gegen Michaelis an Salomon Gumperz
Mein
Herr,
Ich überschicke Ihnen hier das 70. Stück der <Göttingschen
gelehrten Anzeigen>. Lesen Sie den Artikel von
Berlin. Die Herren Anzeiger rezensieren den 4. Teil der Lessingschen
Schriften, die wir so oft mit Vergnügen gelesen haben. Was glauben
Sie wohl, daß sie an dem Lustspiele <Die Juden> aussetzen? Den
Hauptcharakter, welcher, wie sie sich ausdrücken, viel zu edel und
viel zu großmütig ist. Das Vergnügen, sagen sie, das wir
über die Schönheit eines solchen Charakters empfinden, wird durch
dessen Unwahrscheinlichkeit unterbrochen, und endlich bleibt in unserer
Seele nichts als der bloße Wunsch für sein Dasein übrig.
Diese Gedanken machten mich schamrot. Ich bin nicht imstande, alles auszudrücken,
was sie mich haben empfinden lassen. Welche Erniedrigung für unsere
bedrängte Nation! Welch übertriebene Verachtung! Das gemeine
Volk der Christen hat uns von jeher als den Auswurf der Natur, als Geschwüre
der menschlichen Gesellschaft angesehen. Allein, von gelehrten Leuten erwarte
ich jederzeit eine billigere Beurteilung; von diesen vermute ich die uneingeschränkte
Billigkeit, deren Mangel uns insgemein vorgeworfen zu werden pflegt. Wie
sehr habe ich mich geirrt, als ich einem jeden christlichen Schriftsteller
so viel Aufrichtigkeit zutrauete, als er von andern fordert.
In Wahrheit! mit welcher Stirne kann ein Mensch,
der noch ein Gefühl der Redlichkeit in sich hat, einer ganzen Nation
die Wahrscheinlichkeit absprechen, einen einzigen ehrlichen Mann aufweisen
zu können? Einer Nation, aus welcher, wie sich der Verfasser der <Juden>
ausdrückt, alle Propheten und die größten Könige aufstanden?
Ist sein grausamer Richterspruch begründet? Welche Schande für
das menschliche Geschlecht! Unbegründet? Welche Schande für ihn!
Ist es nicht genug, daß wir den bittersten
Haß der Christen auf so manche grausame Art empfinden müssen;
sollen auch diese Ungerechtigkeiten wider uns durch Verleumdungen gerechtfertigt
werden?
Man fahre fort, uns zu unterdrücken,
man lasse uns beständig mitten unter freien und glücklichen Bürgern
eingeschränkt leben, ja man setze uns ferner dem Spotte und der Verachtung
aller Welt aus; nur die Tugend, den einzigen Trost bedrängter Seelen,
die einzige Zuflucht der Verlassenen, suche man uns nicht gänzlich
abzusprechen.
Jedoch man spreche sie uns ab, was gewinnen
die Herren Rezensenten dabei? Ihre Kritik bleibet dennoch unverantwortlich.
Eigentlich soll der Charakter des reisenden Juden (ich schäme mich,
wann ich ihn von dieser Seite betrachte) das Wunderbare, das Unerwartete
in der Komödie sein. Soll nun der Charakter eines hochmütigen
Bürgers, der sich zum türkischen Fürsten machen läßt,
so unwahrscheinlich nicht sein als eines Juden, der großmütig
ist? Laßt einen Menschen, dem von der Verachtung der jüdischen
Nation nichts bekannt ist, der Aufführung dieses Stückes beiwohnen;
er wird gewiß während des ganzen Stückes für Langeweile
gähnen, ob es gleich für uns sehr viele Schönheiten hat.
Der Anfang wird ihn auf die traurige Betrachtung leiten, wie weit der Nationalhaß
getrieben werden könne, und über das Ende wird er lachen müssen.
Die guten Leute, wird er bei sich denken, haben doch endlich die große
Entdeckung gemacht, daß Juden auch Menschen sind. So menschlich denkt
ein Gemüt, das von Vorurteilen gereinigt ist.
Nicht daß ich durch diese Betrachtung
dem Lessingschen Schauspiele seinen Wert entziehen wollte; keineswegs!
Man weiß, daß sich der Dichter überhaupt, und insbesondere,
wenn er für die Schaubühne arbeitet, nur nach der unter dem Volke
herrschenden Meinung zu richten habe. Nach dieser aber muß der unvermutete
Charakter des Juden eine sehr rührende Wirkung auf die Zuschauer tun.
Und insoweit ist ihm die ganze jüdische Nation viele Verbindlichkeit
schuldig, daß er sich die Mühe gibt, die Welt von einer Wahrheit
zu überzeugen, die für sie von großer Wichtigkeit sein
muß.
Sollte diese Rezension, diese grausame Seelenverdammung,
nicht aus der Feder eines Theologen geflossen sein? Diese Leute denken
der christlichen Religion einen großen Vorschub zu tun, wenn sie
alle Menschen, die keine Christen sind, für Meichelmörder und
Straßenräuber erklären. Ich bin weit entfernt, von der
christlichen Religion so schimpflich zu denken; das wäre ohnstreitig
der stärkste Beweis wider ihre Wahrhaftigkeit, wenn man, sie festzustellen,
alle Menschlichkeit aus den Augen setzen müßte.
Was können uns unsere strengen Beurteiler,
die nicht selten ihre Urteile mit Blut versiegeln, Erhebliches vorrücken?
Laufen nicht alle ihre Vorwürfe auf den unersättlichen Geiz hinaus,
den sie, vielleicht durch ihre eigene Schuld, bei dem gemeinen jüdischen
Haufen zu finden frohlocken? Man gebe ihnen dieses zu; wird es denn deswegen
aufhören, wahrscheinlich zu sein, daß ein Jude einem Christen,
der in räuberische Hände gefallen ist, das Leben gerettet haben
sollte? Oder wenn er es getan, muß er sich notwendig das edle Vergnügen,
seine Pflicht in einer so wichtigen Sache beobachtet zu haben, mit niederträchtigen
Belohnungen versalzen lassen? Gewiß nicht! Zuvoraus, wenn er in solchen
Umständen ist, in welche der Jude im Schauspiele gesetzt worden.
Wie aber, soll dieses unglaublich sein, daß
unter einem Volke von solchen Grundsätzen und Erziehung ein so edles
und erhabenes Gemüt sich gleichsam selbst bilden sollte? Welche Beleidigung!
So ist alle unsere Sittlichkeit dahin! So regt sich in uns kein Trieb mehr
für die Tugend! So ist die Natur stiefmütterlich gegen uns gewesen,
als sei die edelste Gabe unter den Menschen ausgeteilt, die natürliche
Liebe zum Guten! Wie weit bist du, gütiger Vater, über solche
Grausamkeit erhaben!
Wer Sie näher kennt, teuerster Freund,
und Ihre Talente zu schätzen weiß, dem kann es gewiß an
keinem Exempel fehlen, wie leicht sich glückliche Geister, ohne Vorbild
und Erziehung, emporschwingen, ihre unschätzbaren Gaben ausarbeiten,
Geist und Herz bessern und sich in den Rang der größten Männer
erheben können. Ich gebe einem jeden zu bedenken, ob Sie, großmütiger
Freund, nicht die Rolle des Juden im Schauspiel übernommen hätten,
wenn Sie auf Ihrer gelehrten Reise in seine Umstände gesetzt worden
wären. Ja ich würde unsere Nation erniedrigen, wenn ich fortfahren
wollte, einzelne Exempel von edlen Gemütern anzuführen. Nur das
ihrige konnte ich nicht übergehen, weil es so sehr in die Augen leuchtet
und weil ich es allzu oft bewundere.
Überhaupt sind gewisse menschliche Tugenden
den Juden gemeiner als den meisten Christen. Man bedenke den gewaltigen
Abscheu, den sie für eine Mordtat haben. Kein einziges Exempel wird
man anführen können, daß ein Jude (ich nehme die Diebe
von Profession aus) einen Menschen ermordet haben sollte. Wie leicht wird
es aber nicht manchem sonst redlichen Christen, seinem Nebenmenschen für
ein bloßes Schimpfwort das Leben zu rauben? Man sagt, es sei Niederträchtigkeit
bei den Juden. Wohl! wenn Niederträchtigkeit Menschenblut verschont,
so ist Niederträchtigkeit eine Tugend.
Wie mitleidig sind sie nicht gegen alle Menschen,
wie milde gegen die Armen beider Nationen? Und wie hart verdient das Verfahren
der meisten Christen gegen ihre Armen genennt zu werden? Es ist wahr, sie
treiben diese beiden Tugenden fast zu weit. Ihr Mitleiden ist allzu empfindlich
und behindert beinah die Gerechtigkeit, und ihre Mildigkeit ist beinah
Verschwendung. Allein, wenn doch alle, die ausschweifen, auf der guten
Seite ausschweifeten.
Ich könnte noch vieles von ihrem Fleiße,
von ihrer bewundernswürdigen Mäßigkeit, von ihrer Heiligkeit
in den Ehen hinzusetzen. Doch schon ihre gesellschaftliche Tugenden sind
hinreichend genug, die <Göttingsche Anzeigen> zu widerlegen; und
ich betaure den, der eine so allgemeine Verurteilung ohne Schauern lesen
kann. Ich bin etc.
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Catharina Elisabeth
Goethe : Brief an den Sohn in Italien
Frankfurth den 17 November 1786.
Lieber Sohn!
Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte mich nicht mehr in Verwunderung
setzen können als dein Brief aus Rom Jubeliren hätte ich vor
Freude mögen daß der Wunsch der von frühester Jugend an
in deiner Seele lag, nun in Erfüllung gegangen ist Einen Menschen
wie du bist, mit deinen Kentnüßen, mit dem reinen großen
Blick vor alles was gut, groß und schön ist, der so ein Adlerauge
hat, muß so eine Reiße auf sein gantzes übriges Leben
vergnügt und glücklich machen und nicht allein dich sondern
alle die das Glück haben in deinem Wirckungs kreiß zu Leben.
Ewig werden mir die Worte der Seeligen Klettenbergern im Gedächtnüß
bleiben. «Wenn dein Wolfgang nach Maintz reißet bringt Er mehr
Kentnüße mit, als andere die von Paris und London zurück
kommen» Aber sehen hätte ich dich mögen beym ersten Anblick
der Peters Kirche!!! Doch du versprichts ja mich in der Rückreiße
zu besuchen, da mußt du mir alles Haarklein erzählen. Vor ohngefähr
4 Wochen schrieb Fritz von Stein er wäre deinetwegen in großer
Verlegenheit kein Mensch selbst der Herzog nicht, wüste wo du wärest
jedermann glaubte dich in Böhmen u. s. w. Dein mir so sehr lieber
und Intressanter Brief vom 4ten November kam Mittwochs den 15 ditto Abens
um 6 Uhr bey mir an Denen Bethmännern habe ihren Brief auf eine
so drollige Weiße in die Hände gespielt, daß sie gewiß
auf mich nicht rathen. Von meinem innern und äußern Befinden
folgt hir ein genauer und getreuer Abdruck. Mein Leben fließt still
dahin wie ein klahrer Bach Unruhe und Getümmel war von jeher meine
sache nicht, und ich dancke der Vorsehung vor meine Lage Tausend würde
so ein Leben zu einförmig vorkommen mir nicht, so ruhig mein Cörpper
ist; so thätig ist das was in mir denckt da kan ich so einen gantzen
geschlagenen Tag gantz alleine zubringen, erstaune daß es Abend ist,
und bin vergnügt wie eine Göttin und mehr als vergnügt
und zufrieden seyn, braucht mann doch wohl in dieser Welt nicht. Das neueste
von deinen alten Bekandten ist, daß Papa la Roche nicht mehr in Speier
ist, sondern sich ein Hauß in Offenbach gekauft hat, und sein Leben
allda zu beschließen gedenckt. Deine übrigen Freunde sind alle
noch die sie waren, keiner hat so Rießenschritte wie du gemacht |:
wir waren aber auch imer die Lakqeien sagte einmahl der verstorbene Max
Moors :| Wenn du herkomst so müßen diese Menschen Kinder alle
eingeladen und herrlich Tracktiert werden Willprets Braten Geflügel
wie Sand am Meer es soll eben pompos hergehen. Lieber Sohn! Da fält
mir nun ein Unthertäniger Zweifel ein, ob dieser Brief auch wohl in
deine Hände kommen mögte, ich weiß nicht wo du in Rom wohnst
du bist halb in Conito |: wie du schreibst :| wollen das beste hoffen.
Du wirst doch ehe du komst noch vorher etwas von dir hören laßen,
sonst glaube ich jede Postschäße brächte mir meinen einzig
geliebten und betrogne Hoffnung ist meine sache gar nicht. Lebe wohl
Bester! und gedencke öffters an
deine treue Mutter
Elisabetha Goethe.
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Gotthold Ephraim Lessing an Eva König
[Braunschweig, den 12. Mai 1771.]
Meine liebste Freundin!
Unsere Briefe sind einander begegnet. Aber ohne daß ich wissen konnte, was der Ihre enthalte, wird meiner so gut, als eine Antwort darauf gewesen sein. Ist es nur möglich, daß Sie mich so falsch verstehen können? Ich sollte keine Nachricht von Ihnen erwarten, keine Nachricht von Ihnen wünschen - als nur über den einen Punkt? Und warum sollte mich denn dieser eine Punkt interessieren, wenn mir nicht jede Kleinigkeit, die Sie betrifft, eben so interessant wäre? -
Doch Sie erklären Ihren Argwohn selbst für einen hypochondrischen Einfall, und in eben dem Augenblicke erhalte ich auch Ihren zweiten Brief, in welchem Sie mir etwas mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nur bei weitem noch nicht alle, die ich verlangen kann. Ich habe freilich, leider, Briefe genug zu schreiben, und würde deren noch viel mehr zu schreiben haben, wenn ich es meinen Correspondenten nicht allzuoft zu verstehen gäbe, wie ungern ich überhaupt Briefe schreibe, sobald Briefe etwas anders sein sollen, als freundschaftliche Plauderei mit einem Abwesenden. Den meisten von den Herren, denen ich antworten muß, wenn wir an einem Orte zusammen lebten, würde ich vielleicht nicht Jahr und Tag unter die Augen kommen: was kann ich für Lust haben, an Leute zu schreiben, mit denen ich nur sehr selten Lust haben würde, zu sprechen? Wie wenig aber das mein Fall mit Ihnen ist, das müßten Sie ja wohl von Ihrem Aufenthalt in Braunschweig wissen, wenn Sie es auch sonst nicht wissen könnten. Wie sehr habe ich Sie immer da belagert gehalten? Und immer ist es mir zu spät eingefallen, daß ich Ihnen überlästig sein müsse.
Ich sehe es Voraus, wenn ich diesen Sommer nach Hamburg komme, daß ich es nicht besser machen werde. Ich werde sicherlich nur allzuoft um Ihnen sein. Aber eben daher erlauben Sie mir auch, daß ich mich Ihres gütigen Anerbietens, das Logis bei Ihnen zu nehmen, nicht bediene. Sie würden keinen Augenblick vor mir Ruhe haben: und ich will überhaupt keinem meiner Freunde die geringste Unruhe verursachen. Ich will in meinem alten schwarzen Adler wieder absteigen, wo ich niemanden belästige, und wo ich um so viel mehr Herr von meiner Zeit und von meinen Besuchen bleibe. Desto schlimmer, wenn sich unser Zirkel so sehr erweitert hat. Besser ist er dadurch gewiß nicht geworden, und weder der Hamburgische Adel noch die Hamburgischen Katsverwandten sind jemals sehr nach meinem Geschmacke gewesen. Am besten also, wir machen sodann einen ganz kleinen Ausschuß von unserm alten Zirkel, und bleiben unter uns.
Auf Madam Sch[midt] habe ich sechs Tage in Braunschwcig gewartet, und ich würde sie sicherlich noch länger erwartet haben, wenn sie mir es nicht endlich abgeschrieben hätte. Ich hätte es voraus wissen können, daß aus ihrer Durchkunft nichts werden würde, da sie mit einem so ungefälligen Peter reisete. Reisen Sie, meine liebe Freundin, immer lieber ganz allein, wenn Sie ja einmal wieder reisen müssen! Zwar wenn ich bedenke, daß es nicht immer ungefällige Reisegefährten sind, daß es öfters auch das eigene Hypochonder sein kann, welches die besten Anschläge zu nichte macht - Wahrlich, Sie sind sehr grausam, daß Sie mir es nun erst hinten nach bekennen, es sei Ihr Wille gewesen, sich einige Tage länger in Braunschweig aufzuhalten! Und was trieb Sie denn also? An meinen Bitten hätte es gewiß nicht fehlen sollen, wenn ich nicht um Etwas zu bitten gefürchtet, was ganz wider Ihren Willen sei. Gleichwohl werde ich mich desfalls an Ihnen nicht rächen, sondern ich werde sicherlich bis auf den letzten Augenblick in Hamburg bleiben, als ich nur immer bleiben kann. - Mit künftiger Post muß ich schon einmal wieder an den V[etter] schreiben; denn wenn ich es, wie wir ausgemacht haben, nicht wenigstens immer auf seinen zweiten Brief tue, so bekomme ich nie einen wieder von ihm. Gänzlich mich aber um seine Correspondenz zu bringen, möchte ich nicht gern. Sie ist so lehrreich, so erbaulich - Wenn ihn nur nicht der verdammte Lottologist um alle seine gute Laune gebracht hat. Doch ich hoffe, er wird auch das bald abgeschüttelt haben; um so mehr, da ich sehr gewiß zu sein glaube, daß man ihm von Str[alsund] aus nichts vorzuwerfen haben kann. Ihm aber das Schicksal seines Bruders mit aufzumutzen, das ist niederträchtiger, als beißend. Und auch daher schon halte ich es nicht für möglich, daß Sch[midt] an solchen Nichtswürdigkeiten Teil haben sollte.
Daß aber sein liebes G[ustavchen] doch nun auch von der Lesegesellschaft ist, das muß er mir zu verschweigen seine Ursachen gehabt haben. Nun will ich auch gern um so viel weniger von der Gesellschaft selbst anders als mit der größten Hochachtung sprechen. Ehe ich mir es versehe, sind Sie, meine liebe Freundin, wohl auch selbst davon? Und warum sollten Sie nicht? Lassen Sie sich von der alten B[orgeest] nicht abhalten. Die bei Klopstocks Messias Nase und Maul aufsperren zu sehen, würde mir selbst lächerlich vorkommen. Aber ich wette was, daß doch ihre Tochter Madam B[ostel] unter die Mitglieder gehört: denn ihr Mann selbst ist eine viel zu große Stütze des Parnasses. Folgen Sie also immer dem Exempel der Tochter, und lassen Sie die Mutter schmähen.
Der Kitt zum Porcellain bestehet aus geronnener Milch und gelöschtem Kalke; nur muß jene ganz ohne Rahm sein, und durch ein Tuch rein ausgedruckt werden. Sodann nehmen Sie drei Teile dieser geronnenen Milch und ein Teil von dem gelöschten Kalke, streichen es mit der Messerspitze gut durch einander, und leimen damit, was Sie leimen wollen. - Wenn es so lange hält, als unsre Freundschaft halten soll, so ist es ein Kitt, den wir loben wollen.
Leben Sie recht wohl, meine Beste; und Gott sei Dank, daß unsere Briefe nicht mehr vierzehn Tage laufen dürfen! Dero etc.
Wolfenbüttel! - - - wegen des Datums. Ich datiere immer recht. Aber der Fehler kann manchmal darin sein, daß meine Briefe in ßraunschweig liegen blieben, weil ich nur immer nachsehe, wenn die Briefe von Braunschweig abgehen, und öfters vergesse, daß ich sie einen Tag vorher dahin abschicken muß. - Geschrieben also auch diesen Brief - zwar wirklich den 12. Mai. Doch stehe ich nicht dafür, daß Sie ihn nicht eher erhalten,' als ob er einen Posttag später geschrieben wäre.
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Christoph Martin Wieland an Anne Germaine de Staël
Weimar, den 8. April 1804.
Madame, Seit Sie sich von Weimar entfernt haben, sind wir zu dem Naturzustand zurückgekehrt, den Sie von uns kennen: dem Zustand friedlicher, eintöniger und manchmal ein wenig fader Unschuld, ungefähr so, wie sich die römischen Katholiken den Zustand gestorbener, ungetaufter Kinder vorstellen. Wir langweilen uns gemeinsam mit einer Biederkeit und einer Gutgläubigkeit, die die Mutter Natur, sagt man, nur den Deutschen zugebilligt hat,und unter ihnen vor allem den Bewohnern kleiner Städte, Residenzen kleiner Fürstenhöfe.Trotzdem glaube ich zu verstehen, wie es möglich ist, daß es Augenblicke gibt, in denen Sie in der schönen Umgebung der schönen und großen Hauptstadt des preußischen Staates sich zwar nicht nach dem langweiligen Nest von Weimar sehnten, aber nach einer kleinen Gesellschaft von Menschen, die mit dem Nachteil der Anspruchslosigkeit das Verdienst verbinden, wahr, vernünftig, fähig Sie zu verstehen und empfänglich für Ihre außerordentlichen Fähigkeiten zu sein. Ich zweifle indessen nicht, daß Berlin Ihnen von Tag zu Tag mehr gefallen wird; ich halte es für möglich, daß Sie dort eine Gesellschaft finden, die Ihnen in jeder Hinsicht zusagen wird, was hier nicht der Fall sein konnte, wo gerade diejenigen, die sich vielleicht am besten mit Ihnen verstanden hätten, den Nachteil haben, sich nur stotternd mit Ihnen unterhalten zu können.
Darf ich es wagen, Sie zu fragen, Madame, ob Fichte gut genug Französisch spricht, um sich mit Ihnen über philosophische Gegenstände unterhalten zu können? Ich kenne den jüngeren der Brüder Schlegel nur sehr wenig, aber es genügt, daß Sie eine Schwäche für ihn haben, um ihn für sehr liebenswürdig zu halten, und in diesem Punkt würden alle hiesigen Damen, die ihn kennen, angefangen mit der Herzoginmutter, Sie gegen mich mit starker Hand unterstützen, wenn ich ungehörig genug wäre, daran zu zweifeln. Übrigens verheimliche ich ihnen nicht, daß ich gewünscht hätte, daß die Freundschaft, mit der Sie mich ehren, Sie nicht dazu veranlaßt hätte, sich zu meinen Gunsten bei ihm zu verwenden. Alles, was Sie ihm sagen können, kommt zu spät; das Übel, wenn es denn eines gibt, ist nicht zu heilen. Übrigens gibt ihm das eine Bedeutung, die er weder in meinen, noch ich den Augen der Öffentlichkeit hat. Eitel und anmaßend wie er ist, wird er sich einbilden, daß ich Ihre Unterstützung und Ihre Fürsprache bei ihm gesucht habe. Trotz all meiner Gutmütigkeit, und obwohl ich mir so wenig aus meinem literarischen Verdienst mache, behalte ich doch so viel Selbstachtung wie jeder andere auch, und ich mag es nicht, daß Herr Schlegel sich einbildet, mich so weit erniedrigt zu haben. Verzeihen Sie, Madame, daß ich auf eine solche Lappalie wie diese so viel Gewicht lege, und ich bitte Sie inständig, daß wir sie zwischen uns nie wieder erwähnen.
Mademoiselle von Göchhausen ist zu Recht sehr stolz auf die Auszeichnung, mit Ihnen zu korrespondieren, und da sie zu meinen besten Freundinnen gehört, versäumte sie es nicht, mich dadurch glücklich zu machen, daß sie mich ihres liebenswerten Gedenkens versicherte. Ich schmeichle mir, daß Sie sehr genau in meiner Seele gelesen haben, um zu ahnen, wie sehr ich es bin dank der Aussicht, einen Teil des kommenden Juni in Ihrer Nähe im angenehmen Schatten von Weimar und Tiefurt zu verbringen. Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht zu hoffen gewagt hatte, daß Sie so ernsthaft entschlossen waren, Ihren Freunden in Weimar ein so kostbares Zeichen Ihrer Zuneigung zu geben. Einen Monat der schönsten Jahreszeit mit Madame de Staël auf dem Lande verbracht zu haben, wird für mich eine reichliche Entschädigung für alles sein, was ich durch den Umstand verloren habe, 30 oder 40 Jahre zu früh für Sie auf die Welt gekommen zu sein. Um mit meinem Schicksal zufrieden sein zu können, genügt es, daß es mich lang genug hat leben lassen, um noch in einem Alter, das nur von Erinnerungen lebt, das Glück genießen zu können, eine Dame zu sehen, zu hören und von ihr ein wenig geliebt zu werden, die inmitten einer Geßnerschen Schäferszene den erhabendsten und bezauberndsten Geist in sich vereinigt und in meinen Augen immer die Erste ihres Geschlechts ist und sein wird, weil sie Vorzüge besitzt, die selten miteinander verbunden sind. Das ist, Madame, ein für allemal mein Bekenntnis, denn seit langem rede ich nicht mehr gern von meinen Gefühlen mit denjenigen, die mir die größten Gefühle eingeben.
Man wird Ihnen schon über die große Neuigkeit in Weimar berichtet haben, das Schauspiel »Wilhelm Tell« von Schiller. Diese Art von Drama, in Deutschland unter dem Namen Schauspiel gekannt, ist Euch Franzosen ebenso wie den Alten unbekannt gewesen. Es hat große Vorzüge. Man macht ein Schauspiel, und man ist oder glaubt sich dadurch von allen Gesetzen der Tragödie befreit. Wilhelm Tell scheint fast die gleiche Reaktion bei allen Zuschauern ausgelöst zu haben. Man hat darin einige Szenen von größter Schönheit gefunden. Aber alle sind sich darin einig, daß es nicht der Mühe wert war, sich die ganze geschichtliche Darstellung von Tschudi dienstbar zu machen und die Haupthandlung unter dem Gewicht von drei bis vier Episoden zu ersticken, um daraus ein Stück von fünf tödlichen Aufführungsstunden zu machen.n wollen, Wenn der Dichter mit 3 statt 5 Stunden sich hätte zufrieden geben wollen, hätte er aus seinem Tell vielleicht das interessanteste von allen Stücken machen können, die auf dem deutschen Theater erschienen sind. Hier könnte man Hesiods Rätsel anwenden, daß die Hälfte mehr als das Ganze ist.
Aber ich merke allmählich, daß ich mich zu dem Laster aller Greise hinreißen lasse, und daß es gut ist, Sie von meinem Geschwätz zu befreien. Ich schließe also, indem ich Sie meiner aufrichtigen Verehrung und herzlichen Zuneigung versichere. Wieland.
P.S. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken soll, Madame, für die Mühe, die Sie liebenswürdigerweise darauf verwendet haben, meinen leidlich wohlklingenden Familiennamen zu verschönern oder vielmehr wohlklingender zu machen, indem Sie ihn in »Vielande« verwandeln. Aber weil es für meine Selbstachtung wichtig ist, daß man weiß, daß Sie an mich und nicht an einen Hernn Vielande (der nicht die Ehre hat, in Deutschland bekannt zu sein) schreiben, werden Sie sehr verdienstvoll handeln, wenn Sie mir meinen Namen so wiederherstellen, wie ich ihn von meinen Vätern vor mehreren Jahren erhalten habe.
[Im Original Französisch. - Übersetzung: Hildegard Bock]
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