Friedrich Gottlieb Klopstock
Die deutsche Gelehrtenrepublik.
Teil 3 :

Geschichte des lezten Landtages :
Sechster bis zwölfter Morgen


 

Sechster Morgen.

 

 

Vorfall, der sich mit einem gewissen de la Popepiere zuträgt. Was in Absicht auf die Polemik, und die Heraldik festgesezt wird. Der Ausrufer, welcher die hundert tausend Stimmen gehabt hatte, wird noch gefunden. Trennung des Bündnisses, welches verschiedne Ausrufer, und einige Mitglieder der aufgehobnen Scholiastenzunft unter einander gemacht hatten.

 

Da sich die Zünfte heut etwas langsam versammelten, so liessen sich die Aldermänner, während daß die Zünfte ankamen, die Zwistigkeit vortragen, die ein Nachtwächter mit einem Sieur de la Popepiere genant Tauperau gehabt hatte. Weil die Aufführung des Nachtwächters bey der Sache wirklich recht gut gewesen war, so machten ihn die Aldermänner, ihn dafür zu belonen, zum Unterherolde.

   Mit dieser Begebenheit hatte es folgende Bewandnis. De la Popepiere war auf den Landtag gekommen, um als Marktschreyer auszustehn. Er hatte gedacht, daß er dieß den Deutschen wol würde bieten können, oder vielmehr, daß er es ihnen bieten müste, wenn er anders zu seinen beyden Zwecken kommen wolte, nämlich sich rechtschaffen bewundern, und zugleich durch ein gut Stük Geldes bezalen zu lassen. Aber bey seiner Ankunft bemerkte er denn doch gleichwol, daß es mit der öffentlichen Marktschreyerey, dem Ausstande in einer Bude, und dem französischdeutschen Hans Wurst (denn fügen wolt er sich so gut er nur immer könte,) nicht gehen würde. Seiner Bemerkung zu Folge kehrte er jezo die andere Seite heraus, die, in Vergleiche mit der ersten, zwar wol etwas feiner, aber an sich selbst doch noch immer gar grob war, indem er, ohne eine Bude zu haben, beynah im Tone der Bude seinen Unterricht angedeihen ließ. Es gelang ihm dieß auch so gut, daß er verschiedne unsrer Jünglinge völlig hinriß. Sie bewunderten, und bezahlten ihn recht nach seines Herzens Lust.

   Er war gekommen, die deutschen Scribenten schreiben zu lehren. Diese seine Weisheit machte er in zwey verschiednen Vorlesungen bekant, von denen die erste gewiß nicht wohlfeil, und die zweyte ausschweifend theuer war. In der ersten lehrte er, Aus wenigem viel, und in der zweyten, Aus nichts etwas machen. (Sein Hans Wurst triebs noch ärger. Er brachte seinen Lehrlingen so gar bey, wie sie Aus nichts viel machen könten.)

   De la Popepiere hatte seine Lehrstunden von ungefähr auf folgende Art eröfnet: Geheimnisse theil ich euch mit, und ganz und gar nicht so etwas, als schon in Büchern steht, und als es so gar ein Deutscher lehren kann. Meine Geheimnisse sind zwar einigen, besonders französischen Scribenten zur Gnüge bekant; und sie zeigen es auch recht meisterhaft in ihren Schriften, daß sie in dieselben hineingedrungen sind: aber die Theorie haben sie immer noch für sich behalten. Ich bin es, der diese nicht etwa nur so gut, als die Scribenten einsieht, sondern der sie auch auf eine lichtvolle Art vorträgt. Was würde euch ein noch so anhaltendes Studiren dieser Muster helfen, wenn meine Theorie nicht ihre Fackel über denselben schwänge, und so schwänge, daß die Schönheiten der Muster den Weg in Kopf und Herz finden könten? So erleuchteten vordem die Römer uns, als wir noch Barbaren waren, wie wir euch Deutsche schon seit langer Zeit erleuchtet haben, und immer noch fortfahren zu erleuchten! Ich bin eigentlich in der Absicht auf dem Landtage angelangt, die Scribenten schreiben zu lehren; und ich weis nicht, wie es zugeht, daß sie sich nicht als Zuhörer bey mir einfinden. Solte es wol gar Stolz, zwar immer sehr ungegründeter, aber doch Stolz seyn, daß sie nicht kommen ? Ja, es ist Stolz, der nämlich: Sie schmeicheln sich meine Geheimnisse selbst auszufinden. Denn unmöglich können sie noch so weit zurük seyn, daß sie die Geheimnisse, die ich habe, verachten solten. Was euch anbetrift, meine jezigen Zuhörer, so seyd ihr freylich noch keine Scribenten; (ich kann nicht wissen, was etwa einer oder der andre schon im Winkel gewesen ist) allein ihr werdet es doch vermutlich seyn: und so lernet ihr denn desto früher, was euch vor allen Dingen zu wissen nötig ist. Ihr werdet die Früchte der liebenswürdigen Lehrbegierde, mit welcher ihr da vor mir steht, schon einernten; und mit Neide werden euch die, welche jezt nur so eben dem Namen nach Scribenten sind, über sich wegfliegen sehen.

   Dieß war der Ton, in welchem er, nicht unsre deutschdenkenden Jünglinge, denn die liessen so etwas nicht an sich kommen, sondern unsre junge Brut, nicht ohne mancherley Gebehrdung und Handgaukeley, unterrichtete. Da er eben einmal eine solche Lehrstunde hielt, fügte es sich, daß ein Nachtwächter, weil er ein so gar grosses Geschrey hörte, endlich stehn blieb. Der Mann wuste anfangs gar nicht, woran er war. Denn ob er gleich das, was gesagt wurde, recht gut verstand, so glaubte er doch lange Zeit, er irte sich. Denn er konte sich nicht vorstellen, daß das wirklich die Meinung wäre, was er nur aus Unerfahrenheit und Gutherzigkeit nicht dafür hielt. Er brachte eine ziemliche Zeit mit Angaffung und Verwundrung zu. Als er aber endlich einsah, daß er von Anfang an alles recht verstanden hätte; so drängte er sich auf Einmal, und mit Ungestüme durch die Zuhörer, faste den Redner bey der Schulter, und sagte: Hör er einmal, Freund! alles, was er da gesagt hat, ist schnurstraks wider unsre Geseze. Wir verbieten Geschwäz, wie er da, als eine so herliche Sache, einschärft, bey harter Strafe. Und wider dieses Verbot will er selbst zu der Zeit, da die Landgemeine beysammen ist, unsre jungen Leute aufwiegeln? Was regt er sich noch viel? Was gaukelt er von neuem? Meint er, daß ich diese Hand vergebens beym Übersezen zur Faust geschrieben habe? Indem hob, und balte der Nachtwächter diese Faust; und wären die Zuhörer nicht dazwischen gesprungen; so hätt er sie vermutlich auch gebraucht. Last mich nur, rief er, last mich, ich habe mich eines Bessern besonnen. Hör er .. Freund, wolt er vermutlich sagen, weil aber de la Popepiere, der sich jezt sicher glaubte, ihn etwas hönisch ansah, so fiel es anders aus: hör er, Aussenmensch! sagte der ehrliche Nachtwächter, ich habe einmal wo gelesen, wie es seine alten Vorfahren mit Leuten, wie er einer ist, gehalten haben. Wenn sich dazumal so ein Gesell vor dem Volke als einen Künstler zeigen wolte, und das Kunststük dem Volke nicht gefiel; so warfen sie ihn mit gesamter Hand ins Wasser, und das nicht etwa nur ihn abzukühlen, sondern ihn zu ersäufen. Und das eben hab ich mir vorgenommen mit ihm, und zwar jezt gleich, zu bewerkstelligen! Das schlimste war, daß er es würde gethan haben, wenn die Anzahl derer, die ihn abhielten, nicht zu groß gewesen wäre. De la Popepiere bekam völlig Zeit sich zu entfernen; und sein Gegner willigte endlich ein, ihn wenigstens heute nicht zu ersäufen. Denn man konte ihn schlechterdings nicht dahin bringen, seinen Vorsaz völlig fahren zu lassen. Die Aldermänner schikten dem de la Popepiere einen Wegweiser, mit dem Bedeuten, daß er sich diesem zuverlässigen, und mit den kürzesten Wegen wol bekanten Manne sogleich nach dessen Ankunft anvertraun möchte.

   Endlich waren die Zünfte, und das Volk versammelt. Die Zunft der Gottesgelehrten kam zulezt an. Etliche unruhige und eitle Männer hatten sie so lange in ihrer Halle aufgehalten. Die Zunft schikte gleich nach ihrer Ankunft den Anwald zu den Aldermännern. Es ist sonderlich genung, sagte er, daß wir es gewesen sind, welche die Polemik zu einer Wissenschaft erhoben haben; da wir es allein nicht hätten thun sollen, wenn es auch alle übrigen Zünfte gethan hätten. Ich will mich jezo dabey nicht aufhalten, daß es ausser dem auch lächerlich war, die Behauptung seiner Meinung gegen Andre in eine Wissenschaft zu verwandeln. Die Sache selbst haben zwar die andern Zünfte auch, nur daß sie ihnen nicht auch eine Wissenschaft ist; aber das rechtfertigt uns nicht. Denn uns lag es vorzüglich ob, keine Polemiker zu seyn. Ich wende mich hierdurch auf Befehl meiner Zunft an die Republik mit dem Ansuchen, die Polemik aus der Zahl der Wissenschaften auszuschliessen. Überzeugt, daß man uns leicht willfahren werde, denn in so guten Zeiten leben wir! merke ich nur noch an, daß mein Ansuchen vornämlich um der Altfranken, und der wenigen kurzsichtigen störrischen Männer willen geschieht, die wir noch immer unter uns haben, und die wir nicht nur dulden, sondern mit grosser Schonung* dulden müssen, weil wir ihnen Beyspiele schuldig sind. Während der Anrede des Anwalds hatten sich ein Paar der Störrischen auf die gemischte Zunft begeben, und dort durch ihre Vorstellungen nicht wenige Kritiker in Bewegung gebracht. Man möchte, sagten sie, doch die Ehre der Polemik retten! sie doch als Wissenschaft beyzubehalten suchen! die theologische Polemik vor allen Dingen! aber freylich auch (in der Hize, in welcher sie waren, wusten sie kaum recht wie sie sich ausdrücken solten) die literarische Polemik mit! die polemische Literatur mit! Nur mit? wurde ihnen geantwortet, unsre Polemik, unsre Pallas Minerva mit der Lanze, und der undurchdringlichen Ägide nur mit? In der Angst gaben die Theologen dießmal nach, und riefen: Nein nicht mit! beyde zugleich! die beyden Schwestern zugleich! So lasset euch doch versönen, wir sagen's ja, wir wiederholen's ja: Die beyden Polemiken zugleich! Nun gut das! aber welche ist die ältere Schwester? Unsre denn doch wol! erwiederten die Theologen. Eure Polemik? eure? Nein was zu weit geht, das geht zu weit! Dieser Zwiespalt wurde zulezt zu einem solchen Zerfalle, daß man in vollem Zorne von einander schied. Mit der Stimmensamlung war es bald vorbey. Die gemischte Zunft hätte beynah für die Beybehaltung der Polemik gestirnt. Wären diejenigen Zünfter, welche den Zwist mit den Theologen gehabt hatten, von ihrem Grolle geblendet, und ohne zu wissen, was sie thäten, nicht zu der guten Parthey übergetreten; so hätte die Beybehaltung auf dieser Zunft die Oberhand bekommen. Nun war nur das Volk dafür. Einige hatten Neugier genung, unter dem Volke nach der Ursach zu fragen. Was man denn auch immer sage, war die Antwort, so können und mögen wir nicht verbergen, daß wir die Schauspiele über alles lieben!

   Jezo trat ein Aldermann hervor. Man kann sich, sagte er, darüber betrüben, aber es doch auch vergessen, daß einzelne Gelehrte den Grossen so oft geschmeichelt haben; allein daß die Republik die Heraldik, die kaum eine kleine Kentnis ist, zu einer Wissenschaft gemacht, und sie, als Wissenschaft, nun schon so lange hat gelten lassen, über diese gröste unter allen Schmeicheleyen sich nur zu betrüben, das wäre wenig; darüber aufgebracht zu werden, auch nicht viel: wenn es möglich seyn soll, das Geschehne zu vergessen; so müssen wir diese Wissenschaft zu dem herunter sezen, was sie ist, zu einer geringen, und vor allen andern eingeschränkten Kentnis, sie die Wappenkunde, oder mit einem andern: gleich angemesnen Namen nennen, und sie dann, als eine solche Kentnis, studieren, oder auch, mit der verzeihlichsten Unwissenheit, ganz unbekant darinn bleiben. Wenn wir auch nur in geringstem von dem, was die Gewonheiten der Landtage erfodern, abweichen möchten; so würden wir jezt die Stimmen gar nicht sammeln lassen. Denn es dünket uns, daß hier die blosse Vorstellung der Sache, und die Einstimmung Aller einerley sind.

   Der Herold war noch nicht wieder zurükgekommen; sonst würd er jezo gleich zur Stimmensamlung abgegangen seyn. Indem er erwartet wurde, kamen etliche Altfranken zu den Aldermännern herauf. (Andre waren unterdeß auf die Zünfte gegangen.) Die anfängliche Verwundrung der Altfranken wurde von den Aldermännern mit einer solchen Kälte beantwortet, daß jene bald zu Vorstellungen kamen. Aber auch die Vorstellungen hatten keinen andern Erfolg, als daß die Aldermänner mit eben der Kälte, und aus Gründen, denen es weder an Kürze, noch an Güte fehlte, zulezt anriethen: So möchten sie denn unter sich die Heraldik eine Wissenschaft bleiben lassen, und sie mit allen dem Fleisse, dessen sie nur immer fähig wären, und, wenn sie auch das für gut fänden, nur in den glüklichen Stunden des Genies studieren! Der Herold war indeß zurük gekommen. Die meisten Zünfte winkten ihm ihre Stimmen zu; die übrigen liessen sie, dem Gebrauche gemäß, von den Anwalden sammeln, und sie dann dem Herolde bekannt machen. Daß diese Zünfte nicht so schonend, als die andern waren, kam daher, weil die Altfranken dort ihre Meinungen zu lebhaft vorgetragen hatten. Wenn der Herold alle Stimmen anzukündigen hat, so ruft er die Namen der Zünfte nicht aus, sondern er trit nur ein wenig auf seinem Plaze vor, und giebt die Trompete weg. Und auf diese Weise erfuhr man auch jezo, daß die Sache durch alle Stimmen wäre entschieden worden.

   Wir hätten beynah aus der Acht gelassen zu erwähnen, daß diesesmal die Stimmensamlung durch einen schnellen Lerm, doch nur auf kurze Zeit, unterbrochen wurde. Wir würden dieser Sache auch gar nicht gedenken, wenn sie nicht einen so besondern Ausgang genommen hätte. Der Kritiker mit den hundert tausend Stimmen war noch unvermutet aufgefunden worden. Da ihn nun die Nachtwächter, mit keiner geringen Freude an dem Hergange, herbey bliesen; so kann man sich den Lerm, der dadurch entstand, leicht vorstellen. Die Aldermänner konten jezt nicht umhin, den Kritiker vor sich bringen zu lassen. Ekhard bekam den Auftrag, des Dinges halben Verfügung zu treffen. Diese traf er dadurch, daß er ein Fünfergericht niedersezte. Die Bestätigung, oder Aufhebung des Urtheils behielt er sich dabey vor. Das Gericht bestand aus zwey Nachtwächtern, einem ihrer Aufwärter, dem Rümpfer, und dem Schreyer. Nachdem diese Richter drey Tage allzeit bis in die späte Nacht in der Sache zu Werke gegangen waren, so hatten sie (die Nachtwächter waren zulezt auch mitleidig geworden) auf den Vorschlag des Schreyers, der auch allein der Ausführer desselben seyn konte, es so eingefädelt: Der sämtliche Pöbel, der dabey bekantlich nichts wagte, solte die hundert tausend Stimmen auf sich nehmen. An den Pöbel konten sich ja dann nur die Aldermänner des vielstimmigen Kritikers wegen halten. Aber die Stimmen müssen denn doch, sagte der Schreyer, unter die Mitglieder des grossen Volkes vertheilt, und es muß ausgemacht werden, wie viele jeder auf sich nehmen solle. Dieß wurde von den Mitgliedern des Fünfergerichts so gleich genehmigt. Zum Unglücke, (wie es scheinen könte,) verzählte man sich bey der Vertheilung etwa um hundert und fünfzig Stimmen, so daß der mehr erwähnte Kritiker wenigstens auf so viele Jahre hätte müssen verwiesen werden. Kaum war das Gericht mit der Vertheilung fertig, so lief es in aller Eile zu Ekharden, und überreichte das Urtheil. Dieser schien die Papiere genau anzusehn, und auch zuzuhören, als ihm der ganze Verlauf sehr umständlich vorgetragen wurde; aber gleichwol hörte und sähe er nur sehr wenig davon, und unter andern die Verzählung nicht, die mit den hundert und fünfzig Stimmen vorgegangen war, so daß der Angeklagte ohne alle Strafe los kam, und nun von neuem nach Herzens Lust ausrufen konte.

   Die Landgemeine wolte eben aus einander gehen, als von der Seite des Tannenwäldchens, wo der Pöbel sehr weit über das Volk hinaus stand, viele ganz ausser Athem herzugelaufen kamen, und schrien, daß sich hinter den Tannen auf Einmal ein sehr dicker Staub erhoben hätte. Es kamen immer mehr, und berichteten, daß der Staub zunähme. Die Aldermänner schikten gleich zwey Anwalde ab. Als diese zurük kehrten, so winkten sie dem Herolde, ihnen entgegen zu kommen. Der Herold machte, auf erhaltnen Befehl, folgendes bekant: Höret, und beruhiget euch! Die meisten der eingegangnen Scholiastenzunft einerseits, und gar viele derjenigen Ausrufer, die neulich den Hohnlacher in der Nähe haben beäugen müssen, andrerseits, sind die lezt verlaufne Nacht in ein Bündnis, und in eine Verbrüderung mit einander getreten, und haben in angezeigter Nacht, als wahre Meutmacher, unter sich verabredet, zu einer ausländischen Gelehrtenrepublik überzugehn, und allda, sofort nach beyderseitiger Ankunft, gar manches einzufädeln, und anzuzetteln, wie denn auch hierauf, mit Hülf und Beytritt der ausländischen Republik, recht kekhafte und grosse Feindseligkeiten wider uns deutsche Gelehrte vorzunehmen, und zu verüben. Nun haben sie aber mit und unter einander ganz nicht einig werden können: Ob sie nach Holland, oder nach England ziehen solten? wobey denn die Scholiasten immer geschrien haben: Nach Holland! Denn dort darf Athen doch noch blühen! Dort zünden keine neue Nerone Rom zum zweytenmal an! Und die Ausrufer haben geschrien: Nach England! Denn dort wird doch noch freyes Kunstgericht gehegt! Dort dürfen die Gelehrten doch noch mit so vielen Stimmen Aussprüche thun, als ihnen zu haben beliebet! und das hat denn lange Zeit so fortgewährt. Da sind sie zulezt so erbittert auf einander worden, daß sie (Saure Pflicht, die einem Herolde obliegt, so was anzeigen zu müssen!) daß sie sich theils in die Haare, und theils an die Ohren, oder auch zugleich einerwärts, und anderwärts hingerathen sind. Die Nachricht wurde mit Lachen angehört, und die wenigen, welche ernsthaft werden, und die Meutmacher, des Einfädelns und Anzettelns wegen, auf der Stelle Landes verweisen wolten, konten damit nicht durchdringen. Gleichwol haben die Meutmacher ihre Zeit bis zu ihrem Abzuge, wegen der ihnen bevorstehenden Verweisung, in grossen Schrecken zugebracht. Man kann diese ihre unnötige Furcht nicht wol anders als daraus erklären, daß Leute solcher Art die Sachen immer nur halb zu hören, und halb zu wissen pflegen.

 

 

 

Der Abend.

 

 

Zur Poetik.

 

Von der Handlung, der Leidenschaft, und der Darstellung. Je angenehmer Unterredungen von den Wissenschaften durch Lebhaftigkeit und Schnelligkeit, ja selbst durch Unordnung werden, desto schwerer ist es, wenn man sie hernach wieder überdenkt, dasjenige genau zu sagen, was darinn als festgesezt angenommen worden ist. Gleichwol getrauen wir uns das Hauptsächlichste von dem aufzuschreiben, worüber man heute in der Ulmengeselschaft überein zu kommen schien.

   Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenschaft ist ein Körper ohne Seele. Handlung besteht in der Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines Zweks. Es ist ein falscher Begrif, den man sich von ihr macht, wenn man sie vornämlich in der äusserlichen That sezt. Die Handlung fängt mit dem gefasten Entschlusse an, und geht (wenn sie nicht gehindert wird) in verschiednen Graden und Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort. Mit der Leidenschaft ist wenigstens beginnende Handlung verbunden. Einige Handlungen geschehen ohne Leidenschaft; aber die, welche der Wahl des Dichters würdig seyn sollen, müssen mit Leidenschaft geschehen. Man sieht, wie beyde Hand in Hand mit einander fortgehn. In diesem Gedicht ist viel Handlung! rufen die Theoristen bisweilen aus; und doch enthält es nur Begebenheiten.

   Zwischen der epischen, und der dramatischen Handlung ist kein wesentlicher Unterschied. Die lezte wird nur dadurch eingeschränkt, daß sie vorstelbar seyn muß.

   Dem lyrischen Gedichte, ob es gleich die Handlung nicht ausschliest ist Leidenschaft zureichend. Aber es ist, in so fern es diese allein hat, dennoch nicht ganz ohne Handlung. Denn mit der Leidenschaft ist ja wenigstens beginnende Handlung verbunden.

   Die Erdichtung ist keine wesentliche Eigenschaft eines Gedichts. Denn der Dichter kann wirklich geschehene Handlung, und sie unvermischt mit erdichteter, er kann seine eignen Empfindungen zu seinen Gegenständen wählen. Unterdeß, da unter jenen Handlungen so wenige für ihn brauchbar sind, so gehört die Erdichtung beynah zu den wesentlichen Eigenschaften eines Gedichts.

   Wenn ein Gedicht Handlung und Leidenschaft nicht darstelt, das heist, wenn es ihnen nicht alle die Lebendigkeit giebt, deren sie, nach ihrer verschiednen Beschaffenheit fähig sind; so fehlt ihm eine Eigenschaft, die zwar bisher von den Theoristen nur in Vorbeygehn ist bemerkt worden, die aber etwas so Wesentliches ist, daß man ein Gedicht ohne Darstellung, mit Recht, als etwas seiner Art nicht angehöriges, ansehn kann. Es ist ein Tänzer, der geht. Vielleicht giebt es nur zwey Grade der Darstellung; und der geglaubte dritte gehört schon nicht mehr zur Darstellung.

   Leblose Dinge sind nur dann der Darstellung fähig, wenn sie in Bewegung, oder als in Bewegung gezeigt werden. Doch kann die Darstellung der leblosen Dinge nie den ersten Grad erreichen. Sie bringt es nicht bis zur Täuschung. Wenn die leblosen Dinge nicht in Bewegung, oder als in Bewegung, gezeigt werden; so ist das, was alsdann von ihnen gesagt wird,bloß Beschreibung. Und durch diese darf der Dichter den Leser nur selten ausruhen lassen.

   Die Malerey zeigt ihre Gegenstände auf Einmal; die Dichtkunst zeigt sie in einer gewissen Zeit. Die schnelle Vorstellung giebt jener so wenig einen Vorzug, daß diese vielmehr eben dadurch einen bekomt, daß man ihre Gegenstände nur nach und nach entdekt. Dort war der Eindruk zu schleunig entstanden, um genung zu wirken. Man nehme ein Stük eines Dichters, ein kleines Ganzes, so viel als etwa ein Gemälde in sich fasset. Hier entsteht erst die Begierde zu entdecken eben dadurch, daß nicht Alles gleich ganz da ist. Mit dieser Begierde, ist die Erwartung deß, was man entdecken werde (ich seze voraus, daß man höre, und nicht selbst lese, wenigstens nicht so, daß das Auge Sprünge voraus mache) sehr genau verbunden, ein doppelter Reiz, den das Gemälde nicht geben kann. Wenn nun, wie bey dieser Vergleichung angenommen werden muß, die Arbeit des Dichters in ihrer Art so schön ist, als die Arbeit des Malers in ihrer; so hat der Dichter so zu sagen zwey Kräfte mehr, es bey uns dahin zu bringen, wohin er es bringen will, nämlich, die Darstellung bis zur Täuschung lebhaft zu machen. Wer hat jemals bey einem Gemälde geweint?

   Unsre Sprache ist einer Wortfolge fähig, welche die Erwartung sehr reizen, und einer Kürze, durch die der Dichter machen kann, daß die genung gereizte Erwartung nun auch früh genung zu ihrem Ziele komme. Durch Sprachkürze werden die wenigsten Worte zu einem gewissen Inhalte verstanden, dieser mag dann einfache, oder zusammengesezte Gedanken in sich begreifen.

   Auch in der Musik entdekt man nach und nach. Wenn sie ohne Worte reden will; so ist ihr Ausdruk sehr unvollkommen, und das nicht allein deswegen, weil er allgemein ist, und keine einzelne Gegenstände bezeichnet, sondern auch, weil er noch dazu nur wenig Allgemeinheiten hat.

   Die Musik, welche Worte ausdrükt, oder die eigentliche Musik ist Declamation. Denn hört sie etwa dadurch auf dieses zu seyn, weil sie die schönste Declamation ist, die man sich nur denken kann! Sie hat eben so Unrecht, wenn sie sich über das Gedicht, das sie declamirt, erhebt, als wenn sie unter demselben ist. Denn dieß Gedicht, und kein anderes, völlig angemessen auszudrücken, davon war ja hier die Rede; und ganz und gar nicht davon, überhaupt zu zeigen, wie gut man declamiren könne.

   Aber so wäre ja die Musik unter der Dichtkunst! Haben sich denn die Grazien jemals geschämt, der Venus den Gürtel anzulegen ?

   Vorschlag zu einer Poetik, deren Regeln sich auf die Erfahrung gründen. Wir werden die Natur unsrer Seele nie so tief ergründen, um mit Gewisheit sagen zu können, diese oder jene poetische Schönheit muß diese oder eine andre Wirkung (Wirkung wird hier in ihrem ganzen Umfange, und mit allen ihren Bestimmungen genommen) notwendig hervorbringen. Gleichwol sind die meisten Regeln in fast allen Theorien der Dichtkunst so beschaffen, daß sie, ohne Voraussezung jener notwendigen Wirkung, unerweislich bleiben. Ich halte mich nicht dabey auf, was dieses Gemisch unerwiesener, theils falscher, und theils zufällig, und wie im Blinden ertapter halbwahrer Regeln auf Dichter, und Leser für schlimme Einflüsse gehabt habe. Meine Frage ist nur: Was muß der Theorist thun, der wahre Regeln festsezen will?

   Ich denke, er muß zwey Sachen beynah zu gleicher Zeit thun, die erste: Er bemerkt die Eindrücke, welche Gedichte von allen Arten auf ihn, und auf andre machen, das heist: er erfährt, und sammelt die Erfahrung Andrer; die zweyte: Er sondert die Beschaffenheiten der verschiednen Gedichte mit genauen Bestimmungen von einander ab, oder er zergliedert das in Dichtarten, was Wirkung hervorgebracht hat. (Anzeige schwächerer oder stärkerer Wirkung würde dabey nicht überfliessig seyn.) Wie sehr man sich hier irren könne, beweist unter andern, daß man die poetischen Briefe zu einer Dichtart hat machen wollen. Wenn nun vollends das Lehrgedicht kein eigentliches Gedicht wäre, und also auch keine Dichtart ausmachen könte? (Hiermit wird nicht gesagt, daß ein Lehrdichter nicht viel poetischen Geist haben, und theils zeigen könne.) Bey der anzustellenden Erfahrung möchten drey Classen Zuhörer wol genung seyn. Es giebt eine gewisse unterste, mit der keine Erfahrung zu machen ist. Man ist nicht sicher, völlig richtige Erfahrungen zu machen, wenn man den Dichter nur zum Lesen hingiebt, und sich hierauf die Eindrücke sagen last. Man muß ihn vorlesen, und die Eindrücke sehen. Man würde dann auf seinem Wege unter andern auch dahin kommen, daß man sagen müste: Diese oder jene poetische Schönheit macht auf alle drey Classen gewisse Wirkungen, eine andre nur auf zwey, wieder eine andre nur auf Eine.

   Die Werke der Alten haben die Erfahrungen von Jahrhunderten für sich; aber bey der Untersuchung müste man doch das, was wirkliche Erfahrung desjenigen, der von diesen Werken spricht, und was nur Nachgesagtes ist, genau von einander absondern; und dann auch hier alles weglassen, was, nur unter der Voraussezung einer notwendigen Wirkung, als gegründet, kann angenommen werden.

   Da besonders, wo es der Dichter so recht warm aus der Natur schiene herausgenommen zu haben, müste man ihm in der Natur selbst nacherfahren. Träfe man hier die Eindrücke wieder an, die man vorher durch ihn bekommen hätte; so könte man sich von diesen Puncten des Festzusezenden desto gewisser überzeugen.

   Ich möchte wol eine Poetik lesen, welche diesen Plan, die Wagschale beständig in der Hand, ausgeführt hätte, nicht eben wenn ich Dichter wäre; denn alsdann hofte ich doch noch mehr zu wissen, als selbst der Theorist, der diese Poetik geschrieben hätte.

 

 

 

Siebender Morgen.

 

Die Zünfte der Astronomen und der Dichter thun den Aldermännern den Vorschlag, ein Gesez zur Steurung der Freygeisterey zu geben. Der Rathfrager widersezt sich diesem Vorschlage. Die Aldermänner verlangen Bedenkzeit. Sie lassen Leibnizens neues Denkmal errichten. Unvermuteter Vorzugsstreit zwischen den südlichen und den nördlichen Deutschen.

 

Die Zünfte der Dichter und der Astronomen hatten sich seit einiger Zeit oft mit einander berathschlagt. Heute wurde die Ursache ihrer Berathschlagungen bekant. Die beyden Anwalde kamen nebst etlichen Ältesten zu den Aldermännern herauf. Ihr Vortrag war dieser:

   Ihr wist es, wie sehr sich die Freygeisterey in England, und Frankreich, um nur diese Länder zu nennen, ausgebreitet, wie sie dort mit der schnellen Ansteckung, mit den andern Eigenschaften der Pest, gewütet habe, und fortwüte; und ihr wist es gewiß auch, daß sie nun schon seit nicht kurzer Zeit, auch in unser Vaterland eindringe. Die Ursachen, warum sich der ernsthafte, tiefdenkende, und standhafte Deutsche auch mit fortreissenlasse? Eine davon ist gewiß die Nachahmungssucht. Doch die Ursachen, und die Beschaffenheit des Übels bey Seite; dürfen wir Gelehrten es den Fürsten überlassen ihm zu steuren? Sie scheinen es nicht zu wollen; aber wollen sie es auch: können sie es denn? Etwa bisweilen einmal die Schrift eines Freygeistes verbrennen lassen? Wozu hilft dieses anders, als eine solche Schrift bekanter zu machen? Wenn es also den Gelehrten obliegt es zu thun; so ist die grosse Frage, wie sie es thun sollen? Daß wir uns mit derselben an euch wenden, Aldermänner, kann euch ein Beweis seyn, daß wir euch verehren, ob wir gleich manchmal in dieser oder jener Sache mit euch nicht überein kommen. Habt ihr ein Gesez darüber vorzuschlagen; so denken wir, daß es, und solt es auch die Grundsäulen der Republik erschüttern, durchgehn werde. Ihr seht, daß wir es bey der Sache wie Männer meinen. Wenn man von der Einrichtung, daß die unter uns, welche sich auf irgend eine Art hervorthun, Zünfter sind, auch nur in Beziehung auf einige, abweichet; so werden die Grundsäulen der Republik erschüttert: sehet ihr aber diese Abweichung als zum Zwecke führend an; so willigen wir gleichwol gern ein, daß ihr die, welche die Freygeisterey öffentlich, und nicht zweydeutig ausbreiten, für unzünftig erklärt. Wir haben die Unzweydeutigkeit, wiewol nicht ohne einige Zweifel, zu einer der Bedingungen gemacht, weil man auf der einen Seite Niemanden, dessen Worte auch noch einer bessern Auslegung fähig sind, nach denselben, in so fern sie ihm zum Nachtheile gereichen, verurtheilen darf: auf der andern Seite aber diese bessere Auslegung, was die Freygeister anlangt, gewönlich sehr gezwungen ist. Hierzu komt nun oft noch, daß ihre nur nicht alles sagenden Worte, eben dadurch, daß sie nicht alles sagen, einen Stachel des Reizes bey dem Leser zurük lassen, der noch schlimmere Wirkungen hervorbringt, als eine völlig deutliche Erklärung haben würde.

   Der Rathfrager war, so bald er von der Unzünftigkeit gehört hatte, heraufgekommen. Vermutlich sollen sie also wol, sagte er, künftig unter uns seyn? Als wenn wir nicht ohne sie schon Freygeister genung hätten! Verstosset ihr sie nicht unter den Pöbel; so versprech ich euch, daß das Volk mit allen Stimmen wider euch seyn wird.

   Unter den Pöbel, antwortete der Anwald der Astronomen, sollen sie nicht kommen. Und auch die Freygeister, die ihr schon jezt habt, sollen das nicht. Denn ich vermute, daß ihr diese Forderung thun werdet, weil ihr einmal durch solche neue Ankömlinge nicht zahlreicher werden wolt. Eure jezigen Freygeister sind zu unschädlich, als daß es nötig wäre, gegen sie irgend etwas zu thun. Was diejenigen, die jezt noch Zünfter sind, anbetrift, so werd ich meine Ursachen, warum ich sie nicht unter dem Pöbel haben will, schon anzeigen, wenn die Sache bey der Republik in Bewegung seyn wird. Also sollen wir es seyn, rief der Rathfrager, unter denen es von Freygeistern wimmelt? Die Zünfte meinen es doch recht gut mit dem Volke. Ich wiederhol euch mein Versprechen; und verschiedne Zünfte werden uns, aus gewissen recht guten Ursachen, schon beytreten. Er ging weg. Nach einigem Stillschweigen sagte der wortführende Aldermann: Es ist unsers ganzen Dankes werth, daß ihr uns in dieser sehr ernsthaften, und sehr wichtigen Sache zur Gesezgebung aufgefodert habt; allein wir brauchen es euch kaum zu sagen, daß wir, uns darüber zu berathschlagen, und zu entschliessen, Zeit haben müssen. Ich meine, daß verschiedne Tage vergehn werden, eh wir uns dieser Sache halben an die Zünfte und an das Volk wenden. Ich sehe einen solchen besondern Ernst, der eines theils, mich deucht, gröstentheils Traurigkeit ist, überall ausgebreitet, daß ich für rathsam halte, heute weiter keine Geschäfte mehr vorzunehmen. Wir wollen uns durch einen Gegenstand zerstreuen, mit dessen Wahl man, wie ich hoffe, zufrieden seyn wird. Leibnizens neues Denkmal ist fertig geworden, und auch schon nach der Stelle gebracht, wo es stehn soll. Es fehlt nichts, als daß wir es errichten lassen. Indem standen die Aldermänner, und mit ihnen beynah zugleich auch die Zünfte auf. Der Herold muste ausrufen, daß sich der Pöbel bey der Errichtung des Denkmals nicht zu sehr zudrängen solte. Dieses wurde nicht weit von den Ulmen, unter mehr als Einem recht herzlichen Zurufe der Freude und des Stolzes, errichtet. Es währte lange, eh man durchkommen, und die Aufschrift in Ruhe lesen konte.

   »Steh still, Untersucher, Deutscher, oder Britte. Leibniz hat die Furche geführt, und die Saat gestreut, wo es Newton, und wie er es gethan hat. Allein er hat, mit gleicher Furch und Saat, auch da angebaut, wo Newton nicht hinkommen ist. Du weigerst dich umsonst, Britte, ihn den Vortreflicheren zu nennen. Denn Europa nent ihn so.«

   Es war noch nicht Mittag, als einige Älteste des Volkes dasselbe auf seinem Plaze unvermerkt versammelten, viel von dem sprachen, was die beyden Zünfte vor kurzem vorgetragen hatten, und dann den Ergiessungen zuhörten, in welche Viele über das Vorgetragne ausbrachen. Die wahre Absicht der Zusammenberufung wurde unter der scheinbaren, etwas über die wichtige Sache zu beschliessen, verborgen. Die ungestüme Berathschlagung hatte nicht lange gewährt, als der Rathfrager mit den übrigen Ältesten in die Versamlung kam. Bald darauf entstand unter den Ältesten ein Streit, der sich mit eben der Schnelligkeit ausbreitete, als er entstanden war. Man wolte entscheiden, entschied es aber desto weniger, je länger man fortfuhr: Ob die nördlichen Deutschen, und zwar in wichtigen Dingen, Vorzüge vor den südlichen hätten? Kaum hatten sich nun auch Zünfter genähert, und herausgebracht, wovon die Rede wäre, als man schon fast überall anfing sich Norde oder Süde zu nennen. Die meisten, die sich so, oder so nanten, waren es wirklich; aber verschiedne nahmen nur durch die Benennung Parthey. Niemanden fiel auch nur von fern der Gedanke ein, daß die Entstehung dieses Streites, und dasjenige, was bey den Aldermännern vorgewesen war, Beziehung auf einander hätte; und so war es doch, wie man in der Folge sehen wird. Die Versamlung trente sich; und man traf keine Norden und Süden bey einander an, ausgenommen da, wo sie von neuem, und immer heftiger stritten. Es war noch nicht Abend, da auch schon hier und da unter den Zünftern die beyden Namen gehört wurden. Den Abend über nahm es selbst unter den Zünftern merklich zu. Verschiedne Aldermänner gingen nach den Ulmen, und nach der Laube; fanden aber da Niemanden: desto zahlreicher waren die Zusammenkünfte im Thale. Dort sahen sie den ganzen Umfang des so schnell entstandnen, und so schnell wachsenden Zwiespalts; und sie, die nichts irre zu machen, und zu erschüttern pflegt, wurden es doch jezt durch die Vorstellungen: Ob sich Morgen die Republik auch versammeln würde? und wenn sie sich versammelte, was dann vorgehn könte? und ob es zulezt nicht mit der Sache gar so weit kommen würde, daß sich der Landtag trente? Sie waren desto unruhiger, weil sie noch keinen Entschluß ihres Betragens halben gefast hatten.

 

 

 

Achter Morgen.

 

Als man eben anfangen will den Streit über die Süden und die Norden vor der versammelten Landgemeine zu führen, wird er durch Entdeckung des Urhebers, und seiner Absichten beygelegt. Die Aldermänner trauen gleichwol der Beylegung noch nicht völlig, und lassen daher nur Nebendinge untersuchen.

 

Die Aldermänner kamen mit dem Entschlusse in die Versamlung, zu erwarten, ob sich eine der Zünfte über den Zwiespalt äussern würde, und sich dann erst, nach Maasgabe der Äusserung, darauf einzulassen; aber auch, wenn ein solcher erster Schritt nicht geschähe, alles, was in ihrer Gewalt wäre, anzuwenden, um die Einigkeit wieder herzustellen. Die Sache hatte, wie man sie auch ansah, besonders Eine grosse Schwierigkeit für die Aldermänner. Sie musten Parthey nehmen. Nahmen sie keine; so war ihre Verurtheilung, als solcher, die sich der Republik in Zeiten der Unruh entzögen, gewiß: und nahmen sie Parthey, so thaten sie in Grunde nichts weiter, als daß sie das Feuer eines so ernsthaften Zwistes nur noch mehr entflamten. Einige von ihnen waren aus zwey Ursachen noch nicht auf dem Versamlungsplaze. Die Zünfte, meinten sie, würden den Anfang machen, wenn sie sähen, daß die Aldermänner noch nicht alle bey einander wären; und die Zurükgebliebnen hatten ausserdem die Absicht, dem Rathfrager, mit dem sie sich unterredeten, in einer Sache näher auf die Spur zu kommen, die, wenn sie völlig entdekt würde, der Republik die vorige Ruhe auf Einmal wiedergeben könte. Nach einiger Stille, während welcher man die Aldermänner keine Kälte, die sie nicht hatten, annehmen, sondern sie vielmehr voll lebhaften und beynah unruhigen Nachdenkens sähe, trat der Anwald der Dichter auf dem Plaze der Zunft hervor, und erklärte mit wenigen Worten: Daß die Zunft der Dichter keine Parthey in dem Streite über die Vorzüge der Süden oder der Norden nähme. Erklärungen, von denen man nicht weichen will, werden auf diese Art gegeben. Denn wenn die Anwalde zu den Aldermännern hinaufgehn, so zeigen sie dadurch, daß sie die Abrathung derselben wenigstens nicht geradezu verwerfen wollen. Der Anwald der Mathematiker trat gleich hernach auf dem Zunftplaze hervor, und beschuldigte die Dichter ohne allen Umschweif des Stolzes. Die Norden auf dieser Zunft, sagte er, glauben der höheren Stufe so gewiß zu seyn, daß sie es wenig kümmert, wie wir andern den Streit entscheiden werden. Ohne diesen ersten Stolz, würden sie den zweyten nicht haben, den nämlich, daß sie sich es herausnehmen, ruhn zu wollen, wenn die ganze Republik in Bewegung ist, und das durch eine Sache veranlasset, die nicht etwa nur uns allein, sondern die ganze Nation angeht. Aber vergeltet's den Dichtern, Aldermänner, Zünfte, und Volk, weil ihr bey der ernsthaften Sache gewiß nicht zu ruhen gedenkt. Die Dichter können, ich weiß es, für ihr Betragen anführen, daß in dieser Sache die Mehrheit der Stimmen nichts entscheide, und daß es also besser sey, sie nicht zu sammeln; denn, gesammelt, würden sie der entstandnen Zwietracht nur neue Nahrung geben. Aber haben sie denn deswegen in Allem recht, weil sie in Einem Puncte recht haben? Nur darinn haben sie's, daß die Mehrheit hier nichts entscheide; allein folgt denn daraus, daß es gleichgültig sey, zu erfahren, wohin sich diese Mehrheit lenken werde? Ihr könt euch also ja nur von hier weg, in eure Halle, in die Laube, oder wo ihr sonst hin wolt, begeben. Denn weswegen woltet ihr hier seyn, und zuhören, wenn nun die grossen Namen der Ottone, der Heinriche, der Hermanne, der Luther, und der Leibnize erschallen, und auf der andern Seite ..

   Der Anwald wurde hier, durch ein Geräusch, das eben so schnell zunahm, als es entstanden war, gehindert fortzureden. Diese Bewegung ward durch die zurükgebliebnen Aldermänner veranlast. Sie redeten den Rathfrager auf Einmal sehr lebhaft, und beynah mit Zorn an, und riefen, indem sie es thaten, zugleich einigen aus dem Volke. Diese eilten herbey; und es schien, als wenn sie dasjenige bezeugten, was die Aldermänner dem Rathfrager vorwarfen. Dieser hatte wenig oder nichts zu antworten, und wurde, so ungern er auch wolte, nebst den Zeugen, auf den Versamlungsplaz der Aldermänner geführt. Das Verhör war bald zu Ende. Denn der Rathfrager hatte, vor grosser Freude, daß ihm sein Anschlag so gut gelungen wäre, zu viele zu Vertrauten gemacht. Der Herold rief gleich nach geendigtem Verhöre folgendes aus: Der Rathfrager hätte aus Unmut darüber, daß die für unzünftig zu erklärenden Freygeister unter das Volk kommen solten, den Anschlag gefast, die Republik zu verwirren, alles in der Absicht, damit man sich mit Wiederherstellung der Ruhe so sehr beschäftigen müste, daß man keine Zeit übrig behielte, der Freygeister halben etwas auszumachen; und damit man, wenn es etwa doch noch zu dieser Untersuchung käme, so entzweyt wäre, daß die vorgeschlagne Unzünftigkeit wenigstens in grosser Gefahr stünde, nicht durchzugehn. Aber weil er bey Sachen, die er recht ernsthaft wolte, die Würfel nicht gern auf dem Tische liegen sähe; so hätte er für die Verwirrung der Republik so gut gesorgt, daß er nicht ohne Hofnung wäre, der Landtag könte darüber wol gar aus einander gehn. Denn der Rathfrager ist es, endigte der Herold, der dieß Feuer, das, der Süden und der Norden wegen, unter uns so schnell, und so sehr Überhand genommen, angelegt hat.

   Der Verdruß über die Kühnheit des Mannes, daß er sich unterfangen hatte, einen solchen Anschlag zu fassen, und noch mehr darüber, daß dieser Anschlag ihm so gut gelungen war, wirkte so stark, daß man nicht einmal bey dem Volke anfragte, ob es seinen ihm so getreuen Rathfrager absezen wolte, sondern ihn für abgesezt erklärte, und ihn gleich darauf, nebst etlichen seiner schlimsten Mithelfer Landes verwies. Die grosse Einigkeit der Zünfte bey Abthuung dieser Sache zeigte genung, daß sie einen Zwist, der einen solchen Ursprung gehabt hatte, nicht lange mehr fortsezen würden. Da es aber indeß doch nicht unmöglich war, daß etwa hier und da noch ein Fünkchen unter der Asche verborgen läge; so wolten die Aldermänner heute kein Geschäft vornehmen, das zu ernsthafteren Untersuchungen und dabey leicht entstehendem Streite veranlassen könte. Glüklicherweise für sie war die lezte Nacht ein nicht kleiner Lerm gewesen; und gleichwol hatten die Nachtwächter ihre Obliegenheit so schlecht beobachtet, daß man auch nicht Ein Horn gehört hatte. Die Aldermänner trugen es daher dem Anwalde der Drittler, und zwey Ältesten dieser Zunft auf, die Nachtwächter zu vernehmen. Wir können nicht in Abrede seyn, daß es uns sehr kränken würde, wenn man deswegen Mistrauen in unsre historische Wahrhaftigkeit sezen wolte, weil wir der allerdings etwas wunderbaren Ereignisse, (welche wir gleich erzählen wollen) die Gespenster und den Mäuseberg betreffend erwähnen. Mit gleichem Unrechte, würde man so gar gegen die Glaubwürdigkeit der Xenophone, der Cäsare, und der Dione Zweifel vorbringen können, weil (wir führen nur sie, und aus jedem nur Ein Beyspiel an) der erste durch einen Traum zu der Führung der Zehntausend ermuntert wurde; der zweyte von Thieren des Harzes, die Beine ohne Gelenke hatten, Nachricht gab, und der dritte erzählte, eine Bildsäule der Siegesgöttin hätte ihr Gesicht zu der Zeit von Rom weggewendet, als Varus und die Legionen in Teutoburgs Thäler gekommen wären. Wir hoffen durch diese wenigen Beyspiele (wie viele könten wir nicht noch anführen) allen Verdacht des Fabelhaften, das wir so sehr hassen, von uns abgelehnt zu haben. Sie, und andre, lautete die Vertheidigung der Nachtwächter, hätten diese Nacht nicht wenig Gespenster verstorbner Schriften gesehen, aber sie durchaus nicht zum Weichen bringen können: Bergmänchen mit langen weissen Bärten, und die gleichwol doch sehr possenhaft herumgesprungen wären; diese hätten Voltairens fliegende Blätter eben verlassen gehabt; Kobolde aus politischen Schreibereyen; diese wären über's Meer gekommen; Irwische, theils kurze feiste Dinger aus deutschen wollüstigen Versbüchern, theils lange hagre Gestalten aus einheimischen Schönwissenschaftstheorien, und sonst noch allerhand inländischen und ausländischen Spuk in Gestalt der kleinen chinesischen Wackelköpfe. Bey der Untersuchung fand sich's, daß die Nachtwächter die Worte der Bannung vor Schrecken nicht hersagen können, und daher nur kurze Zeit Stand gehalten hatten. Ja einige wusten sie sogar nicht einmal recht auswendig. Die älteren Nachtwächter bekamen einen Verweis wegen ihrer Furchtsamkeit, und zugleich Befehl, den Jüngern die Bannungsformel so lange vorzusagen, bis sie dieselbe genau wüsten. Jene fingen, um ihren Gehorsam zu zeigen, schon jezt vor den Richtern ihren Unterricht an. Es murmelte auf allen Seiten:

   Weiche, Bergmänchen, Kobold, Irwisch, Wackelkopf, (hier muß stark ins Horn gestossen werden) und du o Knochenriese, Foliant! (abermal stark ins Horn) und du o breites Geripp, Quartant! und alle ihr geschwäzigen weissen Frauen samt und sonders, (ins Horn, ins Horn!) weichet, weichet! Denn die Wische, Blätter, und Bücher, worinn ihr gewesen seyd, verachten Leser, die denken, und überlassen sie in Krambuden der Hökerinnen, oder in Goldsälen der Grossen, ihrem Schiksale.

   Aber die Nachtwächter durften dieses Murmeln nicht lange treiben, und musten sich wegbegeben.

   Die Aldermänner wolten hierauf, um heute nichts Ernsthaftes vorzunehmen, nun gleichwol noch die schon vergesne Sache der neulichen Meutmacher untersuchen lassen; allein sie erhielten, als sie deswegen ausschikten, den Bericht, daß sich die Meutmacher die gute Gelegenheit der allgemeinen Furcht zu Nuze gemacht, und in aller Geschwindigkeit abgezogen wären, und zwar viele unter ihnen mit inniger Betrübnis, daß so manche von ihnen gepriesene Schriften schon jezt untergangen wären. Die Entwichnen hatten sich auf den berüchtigten Berg begeben, der vor Alters nach langen Kindesnöthen und dazu gehörigen Geschrey die bekante Maus geboren hatte. Dieser Berg besteht fast aus, lauter Hölen, welche bloß mit einer dünnen Erdrinde bedekt sind. Daher ihn nur solche, die leere Köpfe haben, (die Aufgeblasenheit des Herzens ist ihnen dabey gar nicht nachtheilig) ersteigen können. Betritt ihn einer, des Kopf nur nicht völlig leer ist (es kommen da die geringsten Kleinigkeiten in Betracht) so stürzen die Hölen augenbliklich unter ihm ein. Dieser Berg war also ein recht sichrer Zufluchtsort für die Meutmacher. Sie sollen nicht wenige Ausländer auf demselben angetroffen haben.

   Vor einigen Jahren hatte sich ein Gerücht weit ausgebreitet, daß sich in einem Erdbeben ein grosses Stük von dem Mäuseberge losgerissen, und über den Versamlungsplaz einer gewissen Zunft der französischen Gelehrtenrepublik hergestürzt hätte. Der Landtag, (erzählte man damals) den sie eben halten wolte, war zwar glüklicher Weise noch nicht angegangen; aber er muste doch gleich nach dem sonderbaren Vorfalle eröfnet werden, so daß keine Zeit übrig war, den Schut wegbringen zu lassen, und die Zunft sich also gezwungen sah, mit einem Pläzchen in der Nähe fürlieb zu nehmen.

   Da der Mittag noch ziemlich entfernt war, und die Aldermänner dabey blieben, nichts vorzunehmen, das von Belange wäre; so liessen sie die Glaubwürdigkeit des angeführten Gerüchts untersuchen. Aber die Sache konte, wie eifrig man sie auch untersuchte, doch in kein Licht gesezt werden, das hell genung gewesen wäre, eine Meinung darüber anzunehmen.

   Etliche Altfranken, (auch dieses kam der Absicht der Aldermänner sehr zu statten) waren ziemlich verdrieslich darüber geworden, daß es mit der Heraldik auf Einmal so zur Endschaft gekommen war. Ob es ihnen nun gleich viele der ihrigen widerriethen, weil es ja ohnedas schon mit dieser Wissenschaft überlange Stich gehalten hätte, so entschlossen sich doch die wenigen, einen Versuch zu thun, ob sie die ihnen so sehr am Herzen liegende Heraldik nicht wieder zu ihrer vorigen Höhe empor bringen könten. Um dieß auszuführen, musten sie Mitglieder der Republik werden. Sie erklärten also, daß sie, alles erwogen, der Zunft der Kenner angehörten, ob sie gleich bisher nicht auf derselben erschienen wären. Wir sind, sagten sie, mit den schönen Wissenschaften der Ausländer, besonders der Franzosen so gut bekant, als es nur ein geborner Franzose oder ein andrer Ausländer seyn kann. Wahr ist es freylich, daß wir das Einheimische so etwas vernachlässiget haben: aber gleichwol sehen wir nicht ein, warum es der Zunft der Kenner nicht ein Vergnügen machen solte, uns unter sich zu haben. Denn, wie gesagt, Kenner sind wir doch einmal.

   Dennoch wolten die Zünfte sich nicht damit abgeben die Sache zu entscheiden; sie trugen es auch nicht einmal den Aldermännern auf, es an ihrer statt zu übernehmen. Die Aldermänner geriethen daher in eine etwas sonderliche Stellung. Auf der einen Seite konten sie sich, ohne den Auftrag der Zünfte, nicht allzuwol darauf einlassen, einen Ausspruch zu thun; auf der andern Seite waren sie darüber nicht ohne Verdruß, daß es scheinen könte, sie brauchten viel Zeit, einen so leichten Ausspruch zu thun. Der abgeordnete Altfranke schien sich über die Verlegenheit zu freuen, in die er nicht etwa die Aldermänner allein, sondern die ganze Republik gesezt hätte. Doch diese sehr unveranlaste Freude dauerte nur kurze Zeit. Die Aldermänner liessen es darauf ankommen, was die Zünfte zu der ihnen jezt notwendig scheinenden Abweichung von den Gesezen sagen würden, und erklärten, daß der Abgeordnete und sein Anhang ihrenthalben zu französischen, englischen, auch chinesischen, oder auch tartarischen Kennern (sie bäten der lezten halben deswegen nicht um Verzeihung, weil die Erobrer China's wol hundert Jahre vor der französischen Academie eine Academie ihrer Sprache gehabt hätten) zu tartarischen Kennern gehören möchten. Gleichwol würde sie die Republik nicht eher zu Mitgliedern aufnehmen, als bis sie wieder Deutsche geworden wären. So bald es mit diesem Punkte seine Richtigkeit hätte, alsdann erst, und nicht eher könte es ausgemacht werden: Ob sie, als Kenner, in die Zunft, oder unter das Volk aufzunehmen wären?

   Die Zünfte schienen hiermit so sehr zufrieden zu seyn, und der abgeordnete Altfranke könte dawider so wenig erhebliches vorbringen, (dieß kam wol mit daher, weil er, indem er redte, französisch dachte, und es immer erst, eh es herauskam, zwischen den Zähnen verdolmetschte) daß alles auf Einmal vorbey war, und es bey der Erklärung der Aldermänner sein Bewenden hatte.

   Es war endlich Mittag geworden; und die Landgemeine ging aus einander.

 

 

 

Der Abend.

 

 

Aus einer neuen deutschen Grammatik.

[Die Anmerkungen befinden sich am Ende des Abschnitts.]

 

Vom Tonmaasse. 1 Von der Beschaffenheit desselben überhaupt. Unser Tonmaaß verbindet die Länge mit den Stamwörtern oder den Stamsylben, und beyde mit den Hauptbegriffen; die Kürze hingegen mit den Veränderungssylben, (diejenigen, durch welche umgeendet, und umgebildet wird) und beyde mit den Nebenbegriffen. Dieses macht, daß unsre Sprache den Absichten der Verskunst angemesner ist, als es selbst die beyden alten Sprachen sind.

   Zweyzeitigkeit (die vermutlich gröstentheils durch die Ungewisheit entstanden ist, in der man zwischen Hauptbegriffe und Nebenbegriffe war) hat die deutsche Sprache, in dem gewönlichen Verstande, nur selten. Denn wir müssen die Wörter und Sylben, die man zweyzeitig zu nennen pflegt, die ersten, wenn sie mit Nachdruk oder Leidenschaft ausgesprochen werden immer lang; und beyde, wenn man sie mit andern, neben denen sie stehen, vergleicht, fast immer entweder lang oder kurz brauchen, und alle können so zu stehen kommen, daß sie durch diese Vergleichung, bestirnt werden. Die Tonstellung, die etwas Mechanisches ist, und die Begriffe nichts mehr angeht, bestimt sie zwar am öftesten; unterdeß thun es doch Nachdruk und Leidenschaft, bey denen jenes Mechanische seine Wirkung verliert, auch nicht selten. Und diese zweyte Bestimmungsart gränzt sehr nah an die Hauptbegriffe, wenigstens an solche, wie derjenige hat, der in der Leidenschaft ist.

   2 Wodurch wir unser Tonmaaß kennen lernen. Nicht durch unsre gewönlichen Verse. Denn in diesen, weil sie nur immer mit Einer Länge, und mit Einer Kürze abwechseln, muß das Tonmaaß, wenn die Dichter anders in denselben noch denken wollen, oft unrichtig seyn. Wir lernen das Tonmaaß zwar wol auch durch die Aussprache des gemeinen Lebens; aber gewiß nicht in zweifelhaften Fällen, weil sie zu flüchtig zu dieser Entscheidung ist. Wir können es also nur durch die Declamation des Redners lernen. Denn dieser wird weder durch Versart, noch durch zu grosse Schnelligkeit gehindert, dem Tonmaasse seinen völligen Umfang, und dadurch seine richtige Bestimmung zu geben.

   3 Von der Länge, der Kürze, und der Zweyzeitigkeit. Alle gebildete Sprachen haben kleinere und grössere Längen, oder Längen und Überlängen, mehr und weniger schnelle Kürzen, oder Verkürzungen, und Kürzen; aber überdieses auch Zweyzeitigkeit, oder ein solches Tonmaaß einiger Wörter und Sylben, daß man sie lang, und auch kurz aussprechen kann. Einer Sprache, die lauter Kürzen hätte, würde ein wichtiger Theil der Articulation fehlen, sie würde der grossen Schnelligkeit wegen beynah gar nicht verstanden werden; eine Sprache, die nichts als Längen hätte, würde eine sonderbare Langsamkeit der Begriffe, und Schläfrichkeit der Empfindungen beweisen; und eine, die nur Längen und nur Kürzen hätte, würde durch diese zu genaue Abmessung etwas sehr Gesuchtes zeigen. Es war daher die Überlänge, und die Verkürzung zu der Abwechslung, die uns Vergnügen macht, nötig. Aber die Zweyzeitigkeit ist ein Mangel. Unterdeß hat ihn so gar die griechische Sprache nicht selten. Wir können mit Recht von unsrer sagen, daß sie ihn bey weitem so oft nicht habe. Unsre zweyzeitigen Wörter und Sylben sind theils fastlange, theils mitlere, theils fastkurze. Die fastlangen können, wenn sie durch die vorher angeführten Ursachen bestimt werden, weder die Überlänge noch die Verkürzung bekommen; die mitleren das erste noch weniger, und das lezte auch nicht; und die fastkurzen nur eben die Länge, und manchmal die Verkürzung.

   Lange Wörter. Reg. 1. Die Stamwörter, welche Hauptbegriffe ausdrücken, sind lang. Macht schnell gehn.

   Nicht alle Stamwörter haben Hauptbegriffe; aber alle Hauptbegriffe werden durch Stamwörter (oder Stamsylben) ausgedrükt.

   Lange Sylben. Reg. 2. Die Stamsylben sind lang. Voller strömen.

   Diese Regel ist von sehr weitem Umfange. Sie hat nur sehr wenig Ausnamen; und diese finden nur statt, wenn ein Wort aus zwey Stamsylben besteht; da denn die, welche vergleichungsweise einen Nebenbegrif ausdrükt, bisweilen kurz wird, als voll in Vollendung, aber in Vollmacht ist voll lang. Wörter, die aus zwey Hauptwörtern zusammengesezt sind, gehören gar nicht zu diesen Ausnamen. Gleichwol sagt man, wenn zwey einsylbige Hauptwörter zusammengesezt würden; so wäre das lezte kurz, und das, ohne einen ändern Grund, als die Bequemlichkeit der Dichter für sich zu haben. Wenn also Geist in Schuzgeist kurz seyn soll; so muß es Strom in Waldstrom auch seyn: und Strom ist gleichwol merklich länger, als Wald. Wir haben übrigens viererley Spondeen, als Schuzgeist Ursprung Waldstrom Heerschaar. Diese machen das Wort zugleich aus. Derer, die es nicht zugleich ausmachen, haben wir nur dreyerley, als Waldströme Heerschaaren herführte. (In Ströme und Schaaren hat sich der Tonhalt der Dehnung verloren.) Die Griechen hatten auch verschiedene Spondeen, und sie sezten sie auch verschiedentlich. So sehr liebten sie den genauen Ausdruk des Sylbenmaasses in der Musik.

   Vor in vorige wird deswegen lang, weil es nun einen Hauptbegrif bekommen hat; aber aus in ausser ist nur lang, weil es die Stamsylbe ist.

   Unter neben u.s.w. haben unbekante Stamsylben. Hält man unbekante, und keine für einerley; so muß man noch Eine Regel annehmen, die dadurch, daß sie die Stelle der Länge nicht anzeigt, unbestimt ist, diese nämlich: Jedes zweysylbige Wort hat wenigstens Eine Länge.

   Reg. 3. Die voranstehenden trenbaren Ableitungssylben sind lang. Aufgehn ausströmen herkommen.

   Um durch und zu sind bisweilen kurz, aber nur, wenn sie ungetrent sind, als: die Wälder umgehn durchgehn zufrieden. Vielleicht ist es nur Freyheit, vielleicht Spracheigensinn, daß aus auf ab zwischen dem zweyzeitigen un und der Stamsylbe zweyzeitig sind, als unaussprechlich unaufhaltsam unabsehbar.

   Diese Ableitungssylben (es sind meistens Richtungen) die zweyzeitig sind, wenn sie allein stehn, scheinen in der Zusammensezung deswegen lang zu werden, weil sie alsdann gewissermaassen Hauptbegriffe ausdrücken. Wenn man Vorzimmer sagt; so zeigt vor mehr an, als wenn man in vor dem Zimmer nur einen gewissen Umstand anmerkt.

    Reg. 4. Die nachstehenden Ableitungssylben: halb hand ey und ley sind lang.

   Sie kommen beynah nur in comischen Gedichten vor. Sie waren sonst wie ung heit u.s.w. Hauptwörter; aber nur sie haben sich bey ihrem Rechte erhalten. Selbst thum hat das nicht, ob es gleich in thümer umgeendet wird, und also durch den Umlaut offenbar zeigt, daß es ein Hauptwort ist.

   Kurze Wörter. Reg. 5. Die beyden Bestimmungswörter ein der und das Fürwort es sind kurz.

   Wegen es könte man zwar wol etwas zweifelhaft seyn, weil die Fürwörter sonst zweyzeitig sind; aber es ist gleichwol der Länge nicht fähig. Denn so bald Nachdruk oder Leidenschaft da ist; so sezt man das für es. Auch die Tonstellung kann ihm die Länge nicht geben.

   Kurze Sylben. Reg. 6. Die voranstehenden untrenbaren Ableitungssylben sind kurz.

   Mis ur und un machen die Ausname. Die erste ist lang, und die beyden lezten sind zweyzeitig.

   Reg. 7. Die nachstehenden Ableitungssylben ig er el und end sind kurz. Selig Richter Meissel Jugend.

   Reg. 8. Die Verändrungssylben sind kurz. Strom es liebten geliebt.

   Die Wohlklangssylben ig er gehören zu den Verändrungssylben. In treffend ist end die Verändrungssylbe, daher treffendere Bilder, ob dieß gleich mit friedsamere, welches friedsāmere ausgesprochen wird, Ähnlichkeit hat. Denn sam, das an sich selbst zum wenigsten die Kürze von end hat, ist zweyzeitig, weil es eine Ableitungssylbe ist. Es muß sich daher nach den Regeln der Tonstellung richten; end hingegen richtet sich nicht danach, weil es eine Verändrungssylbe ist. Die Ableitungssylben drücken Begriffe aus, die sich gewissermaassen den Hauptbegriffen nähern; aber die Verändrungssylben drücken völlige Nebenbegriffe aus. Wie sehr es uns überhaupt auf die Begriffe, die ausgedrükt werden, und wie wenig auf die Bestandteile des Ausdrückenden ankomme, zeigt unter andern gern und Vertheidigĕrn. Ich gestehe zu, daß diese, und noch ein Paar ähnliche Verändrungssylben (lächeln eiligst) keine leichte Kürze haben; aber was gewint das Tonmaaß unsrer Sprache nicht, durch seine Verbindung mit den Begriffen, in Vergleichung mit dem, was es durch eine notwendige Folge dieser Verbindung verliert.

   Reg. 9. Die endenden Selbstlaute sind kurz. Freude jezo Peru China u.s.w.

   Diese neun Regeln sezen unser Tonmaaß fest, in so fern es die Bestimmung der zweyzeitigen Wörter und Sylben noch nicht in sich begreift. Ich kenne keine Sprache, die hier mit einer so geringen Anzahl Regeln, welche überdieß noch so wenige und so eingeschränkte Ausnamen haben, zureiche. Man weis, wie groß die Zahl der Regeln in den Prosodieen der beyden alten Sprachen ist, und wie diese Regeln von Ausnamen wimmeln. Die Alten haben keine andre Bestimmung der Zweyzeitigkeit, als den Vers. (Mit welcher Ungewisheit musten daher die Vorleser Prosa und Dithyramben oft aussprechen.) Wenn wir uns, wie sie, mit dieser Bestimmung allein begnügen wollen; so wäre unsre Prosodie vielleicht die kürzeste, deren eine Sprache fähig ist. Wir dürften alsdann nur die zehnte Regel hinzusezen, und sagen: Bey der Aussprache der zweyzeitigen Wörter und Sylben richtet man sich nach der Versart, worinn sie vorkommen. Aber wir unterscheiden uns eben dadurch, zu unserm Vortheile, von den Alten, daß wir die Zweyzeitigkeit fast durchgehends durch den Nachdruk, die Leidenschaft, und die Tonstellung bestimmen. Die Tonstellung ist sehr mannichfaltig. Wir brauchen daher zur Bestimmung der Zweyzeitigkeit eine grössere Zahl Regeln, als zur Bestimmung der unveränderlichen Längen und Kürzen nötig waren. Wer sich auf die kleine leichte Kentnis der bestirnten Zweyzeitigkeit nicht einlassen will, der kann mit den angeführten neun Regeln so ziemlich fortkommen. Freylich müste er dann mit den verschiednen Versarten genau bekant seyn, um immer gleich beym ersten Anblicke zu sehen, welches zweyzeitige Wort oder Sylbe hier lang, und dort kurz müsse ausgesprochen werden. Will er mit noch wenigerem für lieb nehmen; so kanns ihm z. E. beym Hexameter zureichen, daß er wisse 1 Im Hexameter sind die erste und die vorlezte Sylbe allzeit lang, 2 Niemals kommen darinn mehr, als zwey kurze Sylben hinter einander vor.

   In Absicht auf die lyrischen Sylbenmaasse geht es nicht wol an, so genügsam zu seyn.

   Von der Bestimmung der Zweyzeitigkeit überhaupt. Alle zweyzeitige Wörter und Sylben können bestimt werden, die Wörter durch den Nachdruk, die Leidenschaft, und die Tonstellung; die Sylben durch diese allein: sie werden aber nicht immer alle bestimt, weil die Tonstellung manchmal so beschaffen ist, daß sie keine oder fast keine Wirkung hat.

   Verschiedne Wirkung der Tonstellung in Absicht auf die zweyzeitigen Wörter, und die zweyzeitigen Sylben. Vorhergehende, nachfolgende und einschliessende Wörter oder Sylben bestimmen das Tonmaaß zweyzeitiger Wörter. Die Bestimmung ist ausser ihnen. Die Bestimmung zweyzeitiger Sylben ist in den Wörtern selbst, zu denen sie gehören. Die Wörter oder Sylben, welche ausser den mehrsylbigen Wörtern sind, haben keine Wirkung auf ihre Zweyzeitigkeit. Dieß ist der Eine Unterschied; der zweyte ist der, daß nicht alle Tonstellungen die zweyzeitigen Wörter, und die zweyzeitigen Sylben auf gleiche Art bestimmen.

 

 

[Anmerkungen]

 

(Länge. Stamwort. Hauptbegrif.) Hier sind zwar einige, aber in Beziehung auf den weiten Umfang der Bemerkung sehr wenige Abweichungen. Diese kommen hernach vor.

 

(Länge. Stamsylbe. Hauptbegrif.) Be und ert haben in begeistert Nebenbegriffe. Der Hauptbegrif liegt in der Stamsylbe Geist. Wenn man sagt, daß die Stamsylbe den Hauptbegrif habe; so versteht sich's von selbst, daß,da das Wort ein Ganzes ausmacht, die Stamsylbe mit den andern zugleich, und nicht so gedacht werde, als wenn sie abgesondert wäre. Die Stamsylbe behält die Länge, auch wenn sie Nebenbegriffe ausdrükt, als aus in ausser. Aus und ausser haben Nebenbegriffe.

 

(Kürze. Verändrungssylben. Nebenbegriffe.) Dieß gehet, die Hülfswörter (sie gehören zu den Verändrungssylben) so lange sie einsylbig bleiben, allein ausgenommen, gehet durch die ganze Sprache; und wäre allein zureichend, zu beweisen, daß wir bey dem Tonmaasse vornämlich auf die Begriffe sehen. Die Bemerkung, daß Kürze, Verändrungssylbe, und Nebenbegrif zusammen gehören, schliesset übrigens die andre Bemerkung nicht aus, daß die Ableitungssylben, welche auch nur Nebenbegriffe haben, oft auch kurz sind.

 

(angemesner) Wenn man irgend ein Sylbenmaaß annimt, das der Wahl eines Dichters würdig ist; so hat der Erfinder desselben Absichten bey der Zahl und Vertheilung der Längen und Kürzen gehabt. Unter andern wolte er den bedeutendsten Zeitausdruk da haben, wo die Längen sind. Wenn man nun, nach der Beschaffenheit seiner Sprache, gezwungen ist, (dieß ist gewönlich der Fall der griechischen und römischen) die Längen da zu sezen, wo die Nebenbegriffe, und die Kürzen, wo die Hauptbegriffe sind: so erfolgt noch mehr, als Vernichtung jener Absichten. Denn es gehet nicht etwa nur, (wie ich sonst dachte) das Sylbenmaaß seinen Weg, und die Sprache den ihrigen; sondern sie sind mit einander in Widerspruche, so daß der Wortsinn durch den ihm entgegengesezten Zeitausdruk geschwächt wird. Die Leser der Alten sind freylich hieran so sehr verwöhnt, daß sie es nicht mehr merken; aber die Sache bleibt doch gleichwol, was sie ist. Niemals, sagt man mir, hat ein Alter diese Anmerkung gemacht; und bedenkt nicht, daß die Alten noch mehr daran verwöhnt seyn musten. Ich will mich nicht mit Beyspielen aufhalten. Wenn ich das wolte, so könt ich, besonders aus Pindarn, und der dithyrambischen Fragmenten, weil diese in ihren Sylbenmaassen oft viele Kürzen hinter einander haben, sehr merkwürdige anführen. Es ist genung, wenn ich die Kenner der Alten daran erinre, daß in der griechischen und lateinischen Sprache sehr viele Hauptwörter, Beywörter, und Zeitwörter vorkommen, welche kurze Stamsylben, und lange Verändrungssylben haben. Indeß will ich doch Ein Beyspiel anführen.

Regum timendor' in proprios greges

Reges in ipsos imperi' est Jŏvĭs.

Die furchtbaren Könige herschen über ihre Völker; aber über die Könige selbst, Jupiter. Jupiter hat in Jovis den Zeitausdruk zweyer kurzen Sylben. Eiliger konte man über Jupitern, besonders über den hier so groß vorgestelten Jupiter, nicht wol wegwischen.

 

(Ungewisheit) Wenigstens konten die Begriffe, die überhaupt in Fürwörtern, und die, welche oft, bey gewissen Verbindungen der Gedanken, in Verhältniswörtern liegen, diese Ungewisheit veranlassen. Selbst Philosophen, die eine Sprache erfänden, würden hier nicht immer mit einander einig seyn. Die Vorwörter lassen weniger zweifelhaft; und die Hülfswörter gar nicht. Die lezten haben keinen andern Begrif, als den die Verändrungssylben haben. Vielleicht hat man sich von dem Begriffe, den die Hülfswörter, als Zeitwörter gebraucht, auch haben, nicht sogleich losmachen können; und so ist denn ihre Zweyzeitigkeit entstanden, und hernach geblieben.

 

(selten) Nämlich in dem Verstande, da zweyzeitige Wörter und Sylben solche heissen, die durch nichts anders, als durch die Versart, worinn sie vorkommen, bestimt werden.

 

(Nachdruk. Leidenschaft.) Der Nachdruk ist zwar von der Leidenschaft unterschieden, aber bisweilen berühren sie einander doch so nah, daß man den Unterschied kaum bemerkt. Beyde geben nur die Länge, und gehen nur die Wörter, aber nicht die Sylben an. Die zweyzeitigen Sylben können dadurch deswegen nicht lang werden, weil ein mehrsylbiges Wort allzeit wenigstens Eine Stamsylbe hat. Und nur auf diese fält alsdann der stärkere, und zugleich verlängernde Ton des Nachdruks oder der Leidenschaft.

 

(Tonstellung) Nach der Tonstellung, werden die zweyzeitigen Wörter und Sylben mit den dabey stehenden, langen, kurzen, zweyzeitigen, oder auch aus diesen gemischten, verglichen, wodurch sie entweder lang, oder kurz werden, oder auch (dieß, wenigstens für feine Ohren, nur sehr selten) zweyzeitig bleiben. Sie neigen sich bald mehr zur Länge, bald mehr zur Kürze, oder bleiben auch dazwischen von ungefähr in der Mitte. Diese ihre Beschaffenheit macht, daß die Vergleichung auf sie wirkt. Man kann an dieser Wirkung besonders alsdann nicht zweifeln, wenn man sich erinnert, daß die Tonstellung bisweilen sogar lange Wörter in kurze verwandle.

 

(gewönlichen Verse) Ihr unrichtiges Tonmaaß könte ich aus Dichtern, die ich sehr hoch schäze, und sehr gern lese, durch nicht wenig Beyspiele zeigen. (Es wäre, mich deucht, gut, wenn der Vorleser, anstatt sich nach dem Verse zu zwingen, auch hier das wahre Tonmaaß ausspräche. Die Eintönigkeit würde dadurch wenigstens etwas aufhören; und der Zuhörer würde finden, daß der Zufall manchmal recht gute Verse gemacht hätte.) Unser wahres Tonmaaß muß wol sehr tief in der Sprache liegen; denn wie hätte es sich sonst, seit Opizen, gegen die Dichter wehren, und seinen festen und sichern Tritt behalten können ?

 

(gemeinen Lebens) Die gute Geselschaft, und das comische Schauspiel gehören vornämlich hierher. Wenn diese das Tonmaaß auch richtiger hören liessen, als sie thun; so könten sie in zweifelhaften Fällen doch nicht Schiedsrichter seyn. Denn sie dürften auch alsdann dem Tonmaasse denjenigen Umfang nicht geben, der dazu erfodert wird, um solche Fälle auszumachen.

 

(Declamation des Redners) und nicht etwa nur des guten, sondern auch des mittelmässigen. Denn es ist ihm, wenn er auch nur will verstanden werden, und daher wenigstens mit einiger Langsamkeit sprechen muß, beynah unmöglich, sich derjenigen Ausbildung und Fülle der Töne ganz zu enthalten, welche die Declamation erfodert. Und bey dieser Ausbildung ist die richtige Aussprache des Tonmaasses unvermeidlich, wenn der Redner auch noch so wenig an dasselbe denkt,

 

(Überlängen) Die Volltönigkeit, die in mehr, oder starken Mitlauten, und in vereinten oder gedehnten Selbstlauten besteht, giebt den langen Wörtern und Sylben die Überlänge, als Kunst Sturm Laut Bahn. In so fern sie aus mehr Mitlauten besteht, hat sie einige Ähnlichkeit mit der Position der Alten. Diese machte bey den Römern alle Selbstlaute, und bey den Griechen (welche schon an sich selbst lange hatten) die zweyzeitigen, und kurzen Selbstlaute lang. Bey uns hingegen verlängert die Volltönigkeit nur ein wenig. Denn nicht das Mechanische der Sprache, sondern das, was durch sie bezeichnet wird, ist bey uns der Bestimmungsgrund des Tonmaasses.

 

(nur eben die Länge) Dieß wird, bloß in Beziehung auf den festen und mänlichen Tritt unsrer übrigen Längen, gesagt; und gar nicht damit gemeint, daß die langgewordnen fastkurzen keine wirkliche Länge bekommen hätten.

 

(Nachdruk. Leidenschaft.) Leidenschaft kent man leicht. Nachdruk ist z.E. in folgendem: Muß ich denn immer wiederholen, daß er damals nicht in, sondern vor dem Hause war? Leidenschaft komt übrigens viel öfter in Gedichten vor, als Nachdruk. Sonst ist von beyden noch anzumerken, daß die unveränderlichen Kürzen ihrer gar nicht fähig sind, und daß sie den unveränderlichen Längen die Überlänge geben.

 

(Tonstellung) Ausser denen mit unsrer verwandten Sprachen komt sie, so viel ich weis, in keiner andern Sprache in Betrachtung. Mir ist nicht bekant, welchen Umfang sie in den verwandten hat. Da ihre Wirkung bey uns Bestimmung der Zweyzeitigkeit ist; so muß man sie mit dem Accente der Griechen (Leute, die viel Kentnisse, und nicht weniger Urtheil zu haben glauben, haben es so gar mit unserm Tonmaasse überhaupt so gemacht) nicht vergleichen. Denn ob ich ánthroopos oder anthróopu bezeichnete behalten an und throo eben dieselbe Quantität. Ich führe dieß nur an, um der so oft von Deutschen, und mich deucht allein von Deutschen, gemachten Beschuldigung zu begegnen, daß unser Tonmaaß Accentquantität wäre. Ich gebe gern zu, daß mancher Deutsche mehr Griechisch, als Deutsch wisse; aber ich kann nicht zugeben, daß man viel Griechisch wisse, wenn man sich nicht erinnert, daß bey den Griechen der Accent die Quantität nicht allein nicht bestimte, sondern daß jener so gar nach dieser verändert wurde.

 

(keine oder fast keine Wirkung) Dieses findet besonders alsdann statt, wenn nur Eine kurze Sylbe neben der zweyzeitigen steht. Es ist die Sache des guten Dichters, diese Tonstellung zu vermeiden.

 

(keine Wirkung) Wenn man z.E. vor unsterblich noch so viele Kürzen sezt, so behält un doch sein Tonmaaß: und wenn nach Schönheit, so behälts heit auch. Es ist hier nur Eine Ausname, und die findet nur unter der Einschränkung statt, daß ein mehrsylbiges Wort mit einer zweyzeitig gebliebnen, und also durch die ändern Sylben des Worts nicht bestimbaren Sylbe ende. Denn diese wird durch die folgende Länge kurz, als Herlichkĕit strahlt; durch eine folgende Kürze wird nichts verändert. Die zweyzeitige Endsylbe bleibt unbestimt.

 

(nicht alle auf gleiche Art) So bleibt z.E. mein in hätte mein Gesang zweyzeitig; aber heit wird in Seltenheiten lang.

 

 

 

Neunter Morgen.

 

 

Die Aldermänner untersuchen, ob ein Gerücht gegründet sey, daß es von Ausländern darauf angelegt würde, eine Kirche für die Freygeister in Deutschland zu bauen.

 

Es hatte sich ein Gerücht ausgebreitet, daß abgeschikte Ausländer, die aber mit Deutschen in Verbindungen stünden, auf dem Landtage wären, und sich nicht wenig Mühe gäben, es dahin zu bringen, daß in Deutschland eine Kirche für die Freygeister erbaut würde. So erzählten's einige; andre hingegen hatten nur von einer Capelle gehört. Was Capelle? sagten wieder andre, Gott wird nun bald nur Capellen; aber der Teufel wird Kirchen haben! Verschiedne gutdenkende und entschlosne Jünglinge hatten dem Rufe zwar sehr lebhaft, aber zugleich auch mit Behutsamkeit und Anhalten nachgespürt, um bis an seine Quelle zu kommen. Allein er schlängelte so sehr umher, daß sie oft wieder weiter von der Quelle wegkamen. Sie hatten es nicht von sich erhalten können, sich in Freygeister zu verstellen; denn sie waren auch darinn Deutsche, daß sie alle Verstellung, selbst diejenige, welche die Klugheit notwendig zu machen scheint, von ganzer Seele hasten. Hätten sie anders gedacht; so wären sie vielleicht früher, und näher zu ihrem Zwecke gekommen. Unterdeß hatten sie sich doch nicht ganz fruchtlos bemüht. Als heute die Landgemeine kaum zusammen gekommen, und noch kein Anwald aufgestanden war, brachen die Jünglinge unvermutet auf, und gingen zu den Aldermännern. Der Ruf von der Freygeisterkirche, sagten sie, würde auch zu den Aldermännern gekommen seyn. Ihnen wären bey ihrer Nachforschung, die sie nicht ohne Eifer und Überlegung fortgesezt hätten, endlich Papiere in die Hände gefallen, die, wenn sie zuverlässig wären, die Sache völlig entwickelten. Sie erwähnten der möglichen Unzuverlässigkeit deswegen, damit die Aldermänner sähen, wie sehr sie gegen jugendliche Übereilung auf ihrer Hut wären. Sie könten aber mit Wahrheit sagen, daß sie nicht die geringste Ursache hätten, an der Zuverlässigkeit der Papiere zu zweifeln. Sie hätten sich selbst nicht wenig Zweifel gemacht; allein sie wären daher auch zur Beantwortung der Fragen, die ihnen etwa gethan werden könten, desto bereiter. Sie erwarteten den Befehl der Aldermänner, den gefundnen Aufsaz ablesen zu dürfen. Diese würden besser, als sie, beurtheilen können, ob, und wie viel Beweis der Zuverlässigkeit in der Beschaffenheit des Aufsazes selbst läge. Die Aldermänner bezeigten den Jünglingen Hochachtung, und liessen sie, nachdem die dazu eingeladnen Anwalde und der Rathfrager angekommen waren, den Aufsaz ablesen. Dieser lautete so:

   Wir zwar nicht Unterschriebene, aber doch von den liebsten und getreusten der Unsern Wohlgekante machen hierdurch allen, denen man diese Blätter anvertrauen wird, bekant, daß wir auf den Landtag der deutschen Gelehrten Abgeordnete geschikt haben, in der Absicht, daß diese sich dort bemühen sollen, daß dasjenige, was wir schon so lange auszuführen vorgehabt haben, nämlich eine Kirche für uns Freygeister zu bauen, in Deutschland ausgeführt werde. Wir haben Deutschland dazu ausersehn, weil es leider! weder in Italien, noch in Frankreich, ja so gar nicht einmal in England angehn will. Die Hofnung, die wir uns in dieser Sache von Deutschland machen, gründet sich auf folgendes: Die Gelehrten dieses Landes (wir wissen, daß nun endlich die Zahl der Unsern unter ihnen nicht mehr klein ist) pflegen das mit vielem Eifer zu betreiben, was sie sich durchzusezen vorgenommen haben.

   Die Jünglinge unterbrachen hier die Ablesung durch die Nachricht, daß diejenigen der Abgeordneten, die am meisten von der Sache wüsten, es nicht ganz verschwiegen hätten: Die wahre Ursach, warum man sich an die deutschen Gelehrten wendete, wäre, weil diese sich, so wie überhaupt die ganze Nation, von Ausländern leicht zu etwas beschwazen liessen.

   Nun ists uns zwar (wurde weiter gelesen) recht gut bekant, daß sie mit ihren Fürsten beynah in gar keiner Verbindung stehen; aber dieses ist unserm Vorhaben bey weitem nicht so hinderlich, als es beym ersten Anblicke etwa scheinen möchte. Denn die meisten deutschen Fürsten, besonders die kleineren sinnen nachtnächtlich darauf (denn den Tag über sind sie auf der Jagd, oder lassen ihre Heere Kriegsübungen machen) sie sinnen, sagen wir, nachtnächtlich, und so sehr darauf, ihre Einkünfte zu vermehren, daß jeder Vorschlag, der hierzu Mittel an die Hand giebt, bey ihnen leicht Gehör findet. Wenn also ein deutscher Gelehrter, wir sagen nicht das Ohr, sondern nur den Ohrzipfel eines solchen Fürsten hat; so kann er es bald dahin bringen, daß sein Vorschlag ins Werk gerichtet werde. Und daran wird doch wol Niemand zweifeln, daß diejenige Stadt, wo man in eine Freygeisterkirche wird gehn können, gar sehr an neuen Bewonern zunehmen, und so viele oft wiederkommende Fremde, deutsche und ausländische, beherbergen werde, daß der Besizer dieser Stadt die Auflagen um ein Erklekliches wird steigern können. Die Sache kann also von Seiten der Fürsten keine Schwierigkeit haben. Es wird daher nur darauf ankommen, daß sich ein gutgesinter deutscher Gelehrter finde, der für das wahre Wohl seiner Mitbrüder, der Freygeister, die kleine Sorge übernehme, mit dem Vorschlage zu obenerwähntem Kirchenbaue, seine Aufwartung an einem Hofe zu machen. Jezo müssen wir euch, denen unsre Abgeordnete dieses vorlesen, oder zu lesen geben werden, näheren Bescheid von der ganzen Sache ertheilen. Hoffentlich wird der Fürst, an den man sich wenden wird, selbst ein Freygeist seyn. Solte man, wider alles Vermuten, den lächerlichen Fehltrit begehn, und sich an einen, der ein Christ wäre, wenden; so wird man sich doch rechts oder links bald wieder zurecht finden können. Man braucht also dem Fürsten kein Geheimnis daraus zu machen, daß wir deswegen eine Kirche bauen lassen, damit unsre Lehre öffentlich und oft durch Prediger vorgetragen, und eingeschärft werden könne; und daß es nur des gemeinen Mannes halben geschehe, wenn wir derselben, so viel sich dieses nur immer thun lassen will, das äusserliche Ansehn einer Christenkirche geben. Sie soll von Marmor, eyförmig, und so groß seyn, daß sie, gleich einer Hochstiftskirche, auf die Stadt heruntersehen kann. Denn was brauchen wir die Kosten zu sparen; wir haben's ja dazu. Ihr werdet wissen, daß viele auch von den reichen Grossen, und, unter den Wucherern, die gierigsten Sauger der Unsern sind. Diese achten, wie bekant ist, auf das abgeschmakte Geschrey der Vervortheilten, der Witwen, und der Waisen nicht. Aber bisweilen (wer hat nicht Thorheiten und Schwachheiten an sich?) achten sie denn doch gleichwol ein wenig darauf. Dessen bedienen wir uns dann, und sagen ihnen, daß sie, durch Beysteuer zu unserm Kirchenbaue, alles wieder gut machen können. Besinnen sie sich aber eines besseren, und lenken wieder ins alte Gleis ein; so machen wir ihnen, zwar nicht die Hölle, aber doch den Kopf dadurch heiß, daß wir ihnen vorstellen, nichts würde sie so gut aus der übeln Nachrede, in der sie stünden, bringen, als die Beysteuer; ja, sie würden noch vielmehr, als da nur heraus gebracht, sie würden von dem grossen Haufen so gar für recht heilige fromme Christen ausgeschrien werden, weil sie zum Baue einer so schönen neuen Kirche so viel von dem Ihrigen hergegeben hätten. Ihr sehet, daß die Sache, auf Seiten der erforderlichen Kosten, ganz und gar keine Schwierigkeit hat; und daß man also den Fürsten, wenn ihm Zweifel dieser Art aufsteigen solten, sehr leicht wird beruhigen können. Wir kommen zu wesentlicheren Punkten der Sache, als die Schönheit und Grösse der Kirche, und die leicht zu bestreitenden Baukosten sind.

   Wir (denn ihr müsset nun auch gelegentlich erfahren, wer diejenigen sind, die mit euch, theils durch diese Blätter, und theils durch den Mund der Abgeordneten reden,) wir gehören zu den so genanten Semideisten. Wir können es nun einmal nicht ändern, daß wir so heissen; aber wir solten es billig nicht, sondern vielmehr den Namen Freygeister vorzugsweise führen. Denn wir sind es allein, die die wahre reine Lehre der Freygeisterey haben; und es wird dadurch eine schreyende Ungerechtigkeit an uns begangen, daß man uns durch die Benennung: Semideisten gleichsam zu einer Secte machen will. Wir verwahren uns aber auch hiermit vermittelst eines feyerlichen Widerspruchs gegen das Unrecht, welches uns durch diese verkleinerliche Beschuldigung der Sectirerey geschieht. Wer seine fünf Sinne nur noch einigermaassen beysammen hat, wird einsehen, daß wir die allein Rechtlehrenden sind. Denn was höret man bey uns wol anders, als die grossen, tiefgedachten Säze: Die Unsterblichkeit der Seele muß man bald annehmen, und bald nicht annehmen, nach dem einem nämlich entweder das Eine oder das Andre, um mit den Herrnhutern, die doch auch ihr Gutes haben, zu reden,  gemütlich,  oder es etwas weltlicher, aber nicht viel anders auszudrücken, empfindsam ist. Von der Sittenlehre muß man nur so viel annehmen, als einem jezt eben thunlich ist. Morgen oder Übermorgen macht man's besser, wenn man kann. Man muß alle Secten der Freygeister dulden, die Türken auch (von den Heiden versteht sichs von selbst) nur die Christen nicht! Denn es ist eine lächerliche Schwachheit, wenn man es auch nur einigermaassen an sich kommen läst, die grosse Lehre von der Duldung bis auf die Christen zu erstrecken. Wir müssen vor allen Dingen den Lehrpunkt die Christen betreffend ein wenig erläutern. Rühmen sich nicht die inquisitorisch gesinten Christen, und nur diese sind die rechten eigentlichen Christen, denn alles übrige ist Secte; rühmen sie sich nicht gegen uns, daß sie die Feder und den Degen zugleich führen; da wir Freygeister hingegen nichts, als die Feder allein führten? Ja freylich seyd ihr wahre Cäsare, Borgia nämlich, ihr Hunde! Denn auch dieser Cäsar führte Feder und Degen zugleich, aber eine schlechte, elende, jämmerliche Feder, eine wie die eurige ist! (Fast hätten wir uns ein wenig ereifert!) Und solchen Leuten, die uns mit diesem Stolze begegnen, die sich des hinzukommenden Degens gegen uns rühmen, (Mögt ihr euch doch unsernthalben auch des hinzukommenden Scheiterhaufens  rühmen, und Gesinnungen bey euch hegen und pflegen, nähren und füttern, ihr Vieh! wie der Inquisitor, einer der zwölf Blutrichter hatte, der es dem Herzog Alba recht einzubringen wuste, daß er nur dreyssig tausend hatte hinrichten lassen, indem er zu dem getünchten Philipp sagte: Ich weiß es, ich weiß es, was Schuld ist, daß die Empörer nicht sind gedämpft worden! Die grosse Gelindigkeit des Alba ist Schuld!) solchen Leuten solten wir unsre mit so vielem Rechte gepriesene Duldung angedeihen lassen? Aber uns denn doch wenigstens, sagt vielleicht ein Christ, der ein Sectier er ist. Euch auch nicht! Denn ob ihr euch gleich auf den Degen nichts zu gute thun könt, und auch wol eine bessere Feder führt, als das Inquisitorgezücht; so seyd ihr denn doch einmal Christen; und so bald wir diesen Namen auch nur von ferne hören, so können wir schlechterdings keine Duldung widerfahren lassen. Wir kommen auf die, bey denen unsre Duldung statt findet. Wir dulden also: Die Deisten, plumpe Philosophen, die leicht etwas für einen Grundsaz halten, was doch nur eine Folgerung ist, und so bald sie eine Schlußkette gewahr werden, sich gleich zu Gefangnen ergeben. Sie glauben die Unsterblichkeit der Seele erweisen zu können. Ferner: Die Zweifelsüchtigen. Denn man muß mit seinem kranken Nebenmenschen Mitleiden haben. Diese Secte wird immer kleiner, weil ihre beyden Spröslinge die Oberhand täglich mehr bekommen. Die wenigen übrigen Sectierer von der alten Art zweifeln bloß aus Liebhaberey des Grillenfangs. Die beyden sehr zunehmenden Spröslinge sind: Die Schwarzsüchtigen, die aus Schwermut zweifeln; und die Gerntäuscher, die ihren Zweifeln recht nach Herzens Lust nachhängen. Wir dulden ferner: Die deistischen Herrnhuter. Sie lehren, daß es ohne einen gewissen Sinn ganz und gar keine Glükseligkeit gebe. Die Wolgesitteten. Weil es in einigen Geselschaften der grossen Welt wider den Wolstand ist, ein Christ zu seyn, und die Wolgesitteten kein höheres Glük kennen, als dort nur so eben ankriechen zu dürfen, so verleugnen sie das Christenthum, von dem sie so wenig, als von der wahren Lehre der Freygeister oder von ihren Irlehren wissen. Die Spottgläubigen. Diese haben ein so schwaches Gehirn, daß die Spötterey bey ihnen einen eben so unwiderstehlichen Eindruk macht, als die immer wiederkommenden Einbildungen der Schwermütigen bey diesen zu machen pflegen. Bey ihnen hält keine Untersuchung gegen die Bilder stand, die ihnen von Spöttereyen über die christliche Religion, glüklichen, oder unglüklichen, das ist alles einerley, übrig geblieben sind. Wir dulden ferner: Die Atheisten, weil man (uns deucht dieß steht gar in der Bibel) sich auch des Viehes erbarmen muß. Die Gespenstergläubigen. Ahndungen, und wie es sonst heist, gehören mit dazu. Diese Secte lehrt, man könne von jeder andern Secte seyn, selbst ein Atheist; nur müsse man, was den Gespensterglauben anlange, keine Irthümer, noch viel weniger Zweifel hegen. Schlieslich dulden wir auch: Die Socinian-Deisten*, oder diejenigen, die den Socinianismus noch mit zum Christenthume rechnen, und diesen gern mit dem Deismus (man verstehe uns ja recht, wir reden nicht von der allein reinen Lehre, nämlich dem Semideismus) vereinigen wollen. Die Socinian-Deisten haben einen ziemlich harten Stand, indem sie die Secte der Socinianer noch unter den christlichen anbringen wollen. Denn diese Secte muß sich völlig darüber wegsezen, daß sie ihre Meinungen auf keine andre Art erweisen kann, als wenn sie die Bibel ganz anders erklärt, wie man sonst ein Buch zu erklären pflegt, oder auch ein Gespräch, einen Brief, einen Contract, selbst ein Vermächtnis, ja so gar ein Bündnis, so lange nämlich das Schwert noch nicht wiedergezogen ist: denn ist es gezogen; so geht es bey den Auslegungen freylich so ziemlich socinianisch zu. Aber wie dem auch seyn mag; so dulden wir gleichwol die Socinian-Deisten. Denn es ist denn doch völlig ausgemacht, daß sie keine Christen sind.

   Unsre Abgeordneten werden euch einen Riß zu der neuen Kirche zeigen. Er wird euch gefallen. Es ist Streit unter uns gewesen, wie wir sie nennen solten; und die Wahrheit zu gestehn, dieser Streit ist noch nicht völlig geschlichtet. Einige verlangten, sie solte die Kirche der heil. Petronia heissen, weil dieß die ächten Kenner unsrer Säze und unsrer Anwendungen auf den liebenswürdigen Schlemmer, Petronius Arbiter, der, wenn es Schuzheilige gäbe, gewiß der unsrige seyn würde, sehr deutlich verwiese. Andre wolten sie nach der heil. Stomachalis, und das wirklich auch aus recht triftigen Ursachen, genent haben. Die Ursachen hielten sich auf beyden Seiten ziemlich lange das Gleichgewicht, bis endlich einer von uns noch Eine anführte, welche viele von denen, die der heil. Petronia zugethan waren, auf seine Seite brachte, er sagte nämlich: Wenn wir den Namen der heil. Stomachalis wählen; so nent der gemeine Mann die Kirche, und die Namen, die er bey solchen Anlässen giebt, bleiben, der gemeine Mann nent sie die Stomachalkirche, und das klinget dann den Leuten fast wie Cathedralkirche; ein kleiner Umstand, wie es denen, welche die Welt nicht kennen, etwa vorkommen möchte, der aber gewiß für uns und unsre Kirche sehr erspriesliche Folgen haben wird.

   Unser grosser und fester Grundsaz ist: Es soll in unsrer Kirche, so weit dieß nur immer thunlich ist, von ungefähr eben so hergehn, wie in einer Christenkirche.  Aber Prediger müsten wir,  selbst wenn auch unser Grundsaz nicht wäre, notwendig haben. Denn darauf komt es uns ja eben an, daß wir, unter dem Verwande, die Sittenlehre, im Nothfalle so gar die christliche, vorzutragen, unsre Lehre, mit dem Scheine, als entfiele uns das nur so von ungefähr, rechtschaffen einschärfen. Kurz, die gute Verwaltung des Predigtamts ist der Mittelpunkt, um den sich alle unsre Zirkel drehn, die grossen und die kleinen. Unsre Prediger sollen Bischöfe heissen. Das klingt viel besser, als Paster, Magister, Probst, Inspecter, Supperndent. Denkt's nur recht nach, wie viele, und wie fleissige Kirchengänger unsre Cathedrale,  besonders wenn Bischöfe darinn predigen, haben werde. Wir können hier nicht unberührt lassen, daß uns der Sinn auch schon nach einem Erzbischofe steht. Der wird vollends den Leuten Dünste von gehöriger Bläue vormachen. Wenn er seine Hirtenbriefe ergehen läst, so soll er sie so anfangen: Wir Erzbischof der deutschen Hauptkirche der heil. Stomachalis, wie auch Bischof in omnibus Partibus Infidelium .. Aber so wol er, als die andern Bischöfe haben keine Einkünfte. Sie müssen und werden sich an der Ehre, durch die Beredtsamkeit zu herschen, genügen lassen. Hätten wir diesen vortreflichen Gedanken, den Bischöfen keine Einkünfte zu geben, nicht gehabt, so würd es uns, wie ihr in der Folge hören werdet, gar schlimm mit Voltairen ergangen seyn. Denn er bestand schlechterdings darauf, Bischof zu werden; und das ging denn doch nun einmal auf keine Weise an, weil er es bekantlich gar zu toll macht, und uns daher seine Predigten, wie rein seine Lehre auch ist, sehr nachtheilig seyn würden. Aber da er von den Nicht-Einkünften hörte, so stand er auf Einmal von seiner Foderung ab. Wir kenten den Mann, und wüsten, daß er gleichwol unversehns wieder umkehren könte; wir boten ihm daher Sachen an, die sich gewaschen hatten, wie ihr auch in der Folge hören werdet. Wir müssen unsrer Kirche, wie schon gesagt ist, das äusserliche Ansehn einer Christenkirche so sehr geben, als wir nur immer können. Wir haben daher Oberküster, Unterküster, Klökner, Thurmbläser, Klockenspieler, Organisten. Diese lezten wissen wir genung zu beschäftigen; aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht. Denn was solten wir wol singen lassen? Wir schränken uns daher weislich auf die Instrumentalmusik ein. Unterdeß durften wir es doch, des Äusserlichen halben, an den Cantoren nicht fehlen lassen. Diese Leute haben insgesamt grosse Einkünfte. (Die Cantoren essen ihr Brodt mit Sünden; mögen sie doch!) Aber diejenigen, die unsre Schazkammer am meisten leeren, sind die Todtengräber. Gleichwol war es auch grausam, wenn wir Leute, die sich mit so sehr widrigen Dingen beschäftigen müssen, nicht gut bezahlen wolten. Auch der Kirchenarzt kriegt sein gutes Theil. Wen es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt haben, der ist noch ein Neuling. Kann denn einem ehrlichen Manne nicht mitten in der Kirche unvermutet eine Todesfurcht dergestalt anwandeln, daß er der schleunigen Hülfe eines zu rechter Zeit angebrachten Aderschlages bedarf? Der Kirchenarzt führet den Titel Grosmächtiger. Auch unsre andern Kirchendiener haben gehörige Titel. Denn wir müssen allen diesen Sachen ein gewisses Ansehn geben. Um nur noch des Todtengräbers zu erwähnen, so heist der: Gestrenger Herr. Weil wir Voltairen schlechterdings auf unsrer Seite behalten musten; so suchten wir, und fanden auch glüklich einen Ausweg, wodurch wir uns aus den Schwierigkeiten, in die wir mit ihm waren verwickelt worden, heraushalfen. Wir boten ihm nämlich alle Kirchenämter ausser dem bischöflichen an, mit den Einnamen versteht sich, nur daß er etwas Weniges an Gevollmächtige, welche die Ämter an seiner Statt verrichten solten, auszugeben hätte. Wir hatten dabey den Bälgentreter vergessen. Es käme ihm, sagte er nicht ohne Hize, sonderbar vor, daß wir so vergeslich wären. Wir fügten ihm natürlicher Weise so gleich auch hierinn, und die Sache wurde daher auf das beste, und zu beyderseitigem Vergnügen festgesezt, so daß also Voltaire Oberbälgentreter, Oberklökner, Oberthurmbläser, erster Oberküster, (man erlaube uns einige Auslassungen) Oberkirchenarzt, und Obertodtengräber an der Stomachalkirche seyn, und unter andern die Titel: Obergrosmächtiger, und Obergestrenger Herr führen wird. Die Namen der ernanten Bischöfe zeigen wir euch an, so bald wir Nachricht von dem angefangnen Kirchenbaue erhalten.

   Die Aldermänner schritten gleich nach der Ablesung zur Untersuchung. Diese fingen sie damit an, daß sie denjenigen vor sich fodern liessen, aus dessen Händen die Jünglinge den Aufsaz bekommen hatten. Nachdem man einige Zeit von Hand zu Hand zurükgegangen war, so kam man endlich an einen, der eingestand, daß er den Aufsaz mit auf den Landtag gebracht hätte. Allein, fuhr er fort, ich besinne mich nicht, denn ich bin, wie meine Bekanten wissen, etwas zerstreut, von wem ich dieß Papier vor meiner Abreise erhalten, und es ist ein blosser Zufall, daß ich es mitgenommen habe. Ich hab es nicht gelesen. Die Überschrift: Finanzvorschlag, die es hat, wie ihr sehet, hielt mich davon ab. Denn ich hasse Schriften, die in diese Materie einschlagen, eben so sehr, als sie mein Freund hier liebt, der sich das Papier, ohne diese für ihn so verführerische Überschrift, gewiß nicht zum Durchlesen würde ausgebeten haben. Man muste dieses nun wol glauben, und das um so mehr, weil man es auf keine Weise auf diesen ersten Ausleiher des Aufsazes bringen konte, daß er sich als Abgeordneter betragen hätte. Wider zwey andre von denen, durch deren Hände der Finanzvorschlag gegangen war, zogen sich zwar einige Wölkchen Verdachts zusammen, daß sie hier und da Geschäfte der Abordnung hätten verüben wollen; aber sie wüsten sich, ob sie gleich hatten gestehen müssen, sie wären Freygeister, doch so gut heraus zu helfen, daß man ihnen nichts entscheidendes zur Last legen konte.

   Die Aldermänner, welche die Hofnung, durch weitere Untersuchung mehr heraus zu bringen, dem Scheine nach, aufgaben, brachen jezo das Verhör auf Einmal ab, und dankten den Jünglingen, daß sie so gedacht, und so gehandelt hätten.

   Beym Heruntergehn, machten sie mir, (Salogast schreibt dieses) den Inhalt einer neuen Polizeyverordnung in der Absicht bekant, daß ich sie aufsezen solte. Künftighin, war ihre Vorschrift, würd es gar nicht mehr als Unverstand, oder als Mangel an Kentnis, sondern lediglich als ein grober Verstoß gegen das, was sich ziemte, angesehn werden, wenn einer dieß, und das, und wieder das gleich für die Denkungsart und den Geschmak der Nation ausgäbe, weil es in zwey drey Büchern stünde, die heute Mode wären, und übermorgen altväterisch, und die man nur läse, weil man eben etwas zu zehren haben müste, und gleich nichts anders bey der Hand wäre; so wie volkreiche Städte täglich, aus gleicher Nothdurft, irgend ein grosses Thier von Neuigkeit, einen Lindwurm, eine Seekuh, oder desgleichen verschlingen müsten. Sie wolten mir, wenn ich den Aufsaz brächte, schon sagen, ob diese besondre Gattung von Schwäzern, die sich unterstünde der Nation so etwas aufzubürden, dem Schreyer, oder wem sie sonst zur Züchtigung heimfallen solte

 

 

 

Der Abend.

 

 

Aus einer neuen deutschen Grammatik.

[Die Anmerkungen befinden sich am Ende des Abschnitts.]

 

Umendungen der Hauptwörter. Einleitung. Die Endungen werden so genant: Die Wirkung. Der Tag leuchtet; der Tag wird verfinstert. Die Verkürzung. Die Schönheit des Tages. Die Abzweckung. Dem Ohre angenehm. (Der Begrif einer Abzweckung findet vielleicht in den meisten Fällen statt) Die Behandlung. Den Stein forttragen. (Auch dieser Begrif findet in nicht wenigen Fällen statt) Bey den Richtungen, die entweder mit der Abzweckung, oder Behandlung, oder mit beyden verbunden werden, hat man diese Begriffe nur selten; und den Begrif der Verkürzung gar nicht mehr, wenn diese durch eine Richtung entsteht.

   Die Umendungen. Kenzeichen, die alle Umendungen gemein haben. 1 In der Mehrheit sind Wirkung, Verkürzung, und Behandlung einander gleich, 2 Die Abzweckung hat in der Mehrheit durchgängig n oder en. Kenzeichen, die einige Umendungen gemein haben, 1 Die zweyte, dritte, vierte und fünfte Umendung haben s oder es in der Verkürzung. 2. In der ersten, zweyten, und dritten Umendung sind sich Wirkung und Behandlung in der Einheit gleich. 3 Abzweckung, und Behandlung sind sich gleich in der ersten, zweyten, vierten, fünften, und sechsten Umendung. 4 Die vierte, fünfte und sechste Umendung haben niemals den Umlaut. 5 Die vierte, und fünfte Umendung haben: a) n oder en in der Abzweckung, und Behandlung, b) Dieses n oder en wird weggelassen, wenn ein Beywort voransteht, c) Ihre Wörter sind mänliches und weibliches Geschlechts. 6 Die dritte, und sechste Umendung haben die Buchstabenendung.

   Umendung 1. Mit der gleichen Einheit. Einheit. Wirkung: Die Zahl. Verkürzung: der Zahl. Abzweckung: der Zahl. Behandlung: die Zahl. Mehrheit W. Die Zahlen, V. der Zahlen. A. den Zahlen.

   Kenzeichen. 1 Die Wörter haben die Buchstabenendung, und die Sylbenendung. 2 Alle Endungen sind sich in der Einheit gleich. 3 Die Wirkung hat in der Mehrheit e und n oder en. N oder en ist am gewönlichsten. E wird nie an die Sylbenendung; beyde werden an die Buchstabenendung gesezt. 4 Alle Wörter weibliches Geschlechts, nur einige weibliche Namen und Vornamen ausgenommen, gehn nach dieser Umendung.

   Wörter. Buchstabenendung: Jagd, That, Wahl, Spur, Maus, Freude, Finsternis, Au. Sylbenendung: Bildung, Leidenschaft, Klarheit, Heiterkeit, Einsiedeley, Jugend, Königin, Amsel, Mauer. Die Namen einiger Länder und Bezirke, als: die Schweiz, die Wetterau, gehn auch nach dieser Umendung.

   Ausnamen. (Kenzeichen 2.) Zu unsrer lieben Frauen, auf Erden. (Kenzeichen 3. E wird nie an die Sylbenendung.) Die in nis Finsternisse. (Ich führe diese Ausname an, ob sie gleich nur scheinbar ist. Denn nis, das in der dritten Umendung als Stamsylbe angesehn wird, kann hier eben so wol dafür gelten) Mütter, Töchter bekommen keinen Zusaz.

   Umendung 2. Mit der Wiederholung. Einheit, w. Der Himmel. V. des Himmels. A. dem Himmel. b. den Himmel. Mehrheit. w. Die Himmel, v. der Himmel. a. den Himmeln.

   Kenzeichen. 1 Die Wörter haben die Sylbenendung. 2 Alle Endungen, ausser der Verkürzung, sind in der Einheit der Wirkung gleich. 3 Die Wirkung der Mehrheit wiederholt die Wirkung der Einheit. 4 Die Wörter sind mänlich, und geschlechtlos. Die Zahl der lezten ist die gröste.

   Wörter. Räthsel, Richter, Namen, Kindlein, Athem, das Gehen, das Gerede, und die fremden: Puritaner, Tempo, Gummi, Physiker. Die Namen in n und m. Die Namen der Städte, und verschiedner Länder. Bey diesen braucht nicht darauf gesehn zu werden, ob sie die Buchstaben- oder Sylbenendungen haben.

   Ausnamen. Die fremden Wörter in: or und um Doctoren, Privilegien. Die Namen der Städte, die in e, s nach einem langen Selbstlaute, x, z, st, xt, zt, seh, und sk endigen. Diese sezen, so wie die Wörter der fünften Umendung, ein n vor das s der Verkürzung.

   Umendung 3. Mit dem E. Einheit, w. Der Tag. v. des Tages. A. dem Tage. B. den Tag. Mehrheit. w. Die Tage. v. der Tage. A. den Tagen.

   Kenzeichen. 1 Die Abzweckung hat ein hinzukommendes E. 2 Die Wirkung hat in der Mehrheit e, er, und en. E ist am gewönlichsten, er nur in dieser Umendung, und n komt sehr selten vor. 3 Die Wörter haben den Umlaut am öftesten. 4 Die Wörter sind mänliches Geschlechts, und geschlechtlos. Die Zahl der ersten ist die gröste.

   Wörter. Stab, Geripp, Pfad, Spott, Rath, Reif, Rock, Flug, Keil, Kern, Halm, Rohr, Gleis, Bliz, May, Klee, Auge, Thau, Stroh; auch die fremden Wörter: (es ist dabey gleichgültig, ob sie wirklich, oder nur dem Scheine nach, eine Stamsylbe ausmachen, oder mit einer endigen) Original, Officier, Factor, Creditiv, Baron, Faun, Phantom, Theorem, Decret, Subject, Discant, Centaur, Regiment, Chirurg u.s.w.

   Ausnamen. Wir sagen nicht Gotte, wenn wir das höchste Wesen nennen; aber wol dem Gotte, wenn von einem Gözen die Rede ist. Drey Fuß lang, tausend Mann ist in seiner Art eben so fehlerhaft, als wenn commandirt wird: Herstelt euch. Unterdeß ist es einmal in der Sprache.

   4. Umendung Mit zwey N. Einheit, w. Hermann, v. Hermanns. a. Hermannen. B. Hermannen. Mehrheit, w. Die Hermanne, v. der Hermanne. A. den Hermannen.

   Kenzeichen. 1 Die Wirkung der Mehrheit wiederholt die Wirkung der Einheit, oder bekomt ein e. 2. Bey den alten Namen mänliches Geschlechts, die in o endigen, wird zwischen das o der Einheit, und das hinzukommende e der Mehrheit ein n gesezt.

   Wörter. Namen der Männer und Weiber, der lezten nur wenige alte.

   Ausnamen. Diese Umendung hat keine Ausnamen.

   Umendung 5. Mit drey N. Einheit. W. Leibniz. v. Leibnizens. A. Leibnizen. B. Leibnizen. Mehrheit, w. Die Leibnize. v. der Leibnize. A. den Leibnizen.

   Kenzeichen. 1 Die Wörter endigen in e, s, x, z, st, xt, zt, seh, oder sk. 2. In der Einheit wird vor das s der Verkürzung ein n gesezt. 3 Die Wirkung hat in der Mehrheit e und n oder en. E ist am gewönlichsten.

   Wörter. Namen der Männer und Weiber.

   Ausnamen. Das Herz in der Behandlung; dieß Wort ist auch geschlechtlos.

Die Namen in s mit vorhergehendem kurzen Selbstlaute, werden gar nicht umgeendet. Unsre Alten verstanden das besser, als wir. Sie sagten: Johanneses, Jonases.

    Wer die vierte und fünfte Umendung lieber in Eine verwandeln wolte, hätte deswegen Unrecht, weil beyde Kenzeichen haben, die sie genung unterscheiden; und weil, wenn sie Eine Umendung ausmachten, mehr Ausnamen dabey seyn würden, als sonst wo in dieser Grammatik vorkommen werden. Eine Regel mehr mit wenigen oder fast keinen Ausnamen behält man viel leichter, als man es anrechnet, daß eine Regel weniger da ist, wenn diese Vermindrung der Regeln viele Ausnamen veranlasset.

   Umendung 6. Mit dem herschenden N. Einheit, w. Der Mensch, v. des Menschen. a. dem Menschen. B. den Menschen. Mehrheit. w. Die Menschen, v. der Menschen. A. den Menschen.

   Kenzeichen. 1 Ausser der Wirkung, sind alle Endungen n oder en. 2 Das Geschlecht ist das mänliche.

   Wörter. Bote, Pfau, Graf, Gesell, Thor, Genoß, Gefährt, (der Geliebte, ein Geliebter, die Schöne, das Vortrefliche gehören zu den Umendungen der Beywörter) sonst auch noch fremde Wörter, als: Chinese, Philosoph, Theolog, Astronom, Tartar, Supplicant, Dissident, Eremit, Patriot, Enthusiast.

   Ausname. Der Bauer.

   Die kürzesten Benennungen der Umendungen wären wol diese: Nach welcher Umendung geht Zahl? Nach der gleichen. Nach welcher Himmel? Nach der Wiederholung. Und Tag? Nach E. Hermann? Nach zwey N. Leibniz? nach drey N. Und Mensch? nach N.

 

 

[Anmerkungen]

 

(Kenz. 1. einander gleich) Die Zahlen, der Zahlen, die Zahlen. Die Himmel, der Himmel, die Himmel. Die Tage, der Tage, die Tage. Die Hermanne, der Hermanne, die Hermanne. Die Leibnize, der Leibnize, die Leibnize. Die Menschen, der Menschen, die Menschen.

   (Kenz. 2. durchgängig n oder en.) Den Zahlen. Den Himmeln. Den Tagen. Den Hermannen. Den Leibnizen. Den Menschen.

   (Kenz. 1. s oder es) Des Himmels. Des Tages. Hermanns. Leibnizens.

   (Kenz. 2. in der Einheit gleich) Die Zahl, die Zahl. Der Himmel, den Himmel. Der Tag, den Tag.

   (Kenz. 3. sind sich gleich) Der Zahl, die Zahl. Dem Himmel, den Himmel. Hermannen, Hermannen. Leibnizen, Leibnizen. Dem Menschen, den Menschen.

   (Kenz. 5. b) Dem grossen Hermann, den grossen Hermann. Dem tiefsinnigen Leibniz, den tiefsinnigen Leibniz.

   (Sylbenendung) An den Sylbenendungen fehlen nur: en, em, und ein.

   (Die Zahl der geschlechtlosen die gröste)  Wir haben viel solche Wörter als Mädchen, das  Sizen,   Gelispel,   Gewimmer,  Gesinge. Gesinge, und solche haben zwar die Buchstabenendung; aber der ändern sind so viel, daß jene nicht in Betracht kommen.

   (Namen) Die Dichter dürfen auch Name, Friede u.s.w. sagen.

   Anmerkung. Daß wir König, Fittig, Zeisig, Wütrich, und ähnliche; Zierath, Kleinod, Heiland, Elend, Abend, Reichthum, Leichnam, Labsal, Frühling, Geständnis nach dieser Umendung verändern, auch dieß beweist, daß sie aus zwey Stamsylben bestehn. Von einigen derselben kann man es auch ausserdem beweisen. Nur and und end sind in: Heiland und Abend keine Stamsylben. Denn Heiland ist so viel, als: der Heilende, und Abend, als: der abende (weggehende) Tag.

   (Kenz. 2. er nur in dieser Umendung) Sie drükt bisweilen etwas Unedles aus, als: Er macht Gesichter. Man sagt: Er sah Gesichte.

   (n sehr selten) Mich deucht nur in: Ohren, Augen, Schmerzen, Strahlen.

   (Kenz. 3. Umlaut am oftesten) Obgleich der Umlaut kein Kenzeichen werden kann, weil er bald hier, und bald da ist; so kann es doch der Umstand, daß ihn Eine Umendung am öftesten hat.

   (die gröste) In Umend. 2 war sie die kleinste. Daher stehn diese Kenz. nicht S. [xxx].

   (Kenz.   2. ein n gesezt)   Die Cicerone,   aber nicht: die Sapphone, auch nicht: die Sucrone.

   Anmerk. Bey dieser vierten, und bey der fünften Umendung kommen Buchstabenoder Sylbenendung nicht in Betracht. Denn man sieht die Wörter derselben, wenn sie auch eine Bedeutung haben, nicht mehr von dieser Seite an. Es ist also nicht nötig, sich dabey auf die Regeln der Ableitung zu beziehen. Man bezieht sich aber auf diese Regeln, wenn man Buchstaben- und Sylbenendung unterscheidet.

   (Kenz. 2. ein n gesezt) Gisekens, Thomasens, Rexens, Opizens, Kleistens, Calixtens, Duschens.

   (Kenz. 3. am   gewönlichsten)   In Umend. i war's n oder en. Daher stehn diese Kenz. nicht S. [xxx].

   Anmerkung. Einige fremde Wörter der dritten Umendung haben die Buchstabenendung auch. Diejenigen, welche davon geschlechtlos sind, kommen hier nicht in Betrachtung, weil diese Umendung keine geschlechtlose Wörter hat. Die wenigen ändern gleichendenden Wörter kann man leicht behalten, als: des Flors, des Thoren, des Dis-cants, des Supplicanten, des Respects, des Patrioten.

 

 

Rohrdommels Verhör.

 

Die Geselschaft in der Laube wurde so groß, daß die, welche sich dorthin bestelt hatten, nach und nach die Unterredung abbrachen. Ein Aldermann machte dem unangenehmen Stillschweigen, das zulezt entstanden war, auf folgende Art ein Ende. Ihr wist, sagte er, was sich die vorige Nacht mit Rohrdommeln, und einigen Jünglingen zugetragen hat. Ich fürchte, daß die Sache morgen bey versammelter Landgemeine angeregt, und durch sie die Geschäfte des Landtages könten verzögert werden. Wenn ihr es genehmigt, so laß ich Rohrdommeln jezt kommen, verhör ihn, und spreche das Urtheil. Es komt freylich darauf an, ob er sich meinem Urtheile unterwerfen wolle. Denn verlangt er, daß die Sache vor der versammelten Landgemeine untersucht werde; so muß ich's mir gefallen lassen, und kann nichts gegen ihn machen. Doch so sonderbar er auch immer seyn mag; so ist er doch im Grunde ein gescheiter Mann, und ich hoffe, daß ihm an meiner Entscheidung gnügen werde. Wir können es wenigstens versuchen.

   Rohrdommel, und die Jünglinge erschienen, und erklärten, daß sie sich dem Urtheile des Aldermanns unterwerfen wolten. Dieser sezte sich herum, und das Verhör nahm seinen Anfang.

   Der Aldermann. Dein Namen? Rohrdommel. Laurenz Rohrdommel. A. Gebürtig? R. Aus dem Freyreichsdorfe Urlau belegen auf der leutkircher Heide in Schwaben. A. Dein Alter? R. Hundert und drey Jahre. A. Deine Wissenschaft? R. Die Zauberey. A. So? Was machst du hier? R. Ich bin seit meinem achtzehnten Jahre auf allen euren Landtagen gewesen; ich wolt auch auf diesem seyn. A. Warum hast du diese Jünglinge hier zu den Geisterbannungen verführt? R. Da's keiner von euch kann, sollet ihr's dem, der's allein kann, danken, daß er's thut. A. Kenst du unsre Verbote nicht? R. Was gehn mich eure Verbote an? A. So? Was thust du eigentlich, wenn du banst? Worauf komt's dabey an? R. So fragt man die Leute auch aus, die Goldmacher zum Exempel, oder mich! Die Schale davon steht dir zu Dienste; vom Kerne kriegst du nichts. A. Wie machst du's? Machst du einen Kreis? R. Was Kreis? Wer unter meiner Obhut und Einwirkung steht, wenn ich die Geister untergegangner Bücher, diese animulas vagulas, minime blandulas, aus ihren locis squalidis, luridis, tetricis herauf banne, nähert sich einem Druidenschuhe, den ich .. A. Wo hast du den Druidenschuh hergekriegt? R. Ey was? Ich zeichne den Schuh auf den Boden, mit einer Farbe, die theils aus Misteln gekocht ist. Du weist doch, daß ein Druidenschuh ein Fünfek ist ? In so was alltägliches, als ein Kreis ist, und das selbst ein Pfuscher in der Zauberey machen könte, komt kein Büchergeist; es müste denn etwa der Geist einer politischen Deduction seyn, der sich dahinein locken liesse. A. Und wenn der Schuh fertig ist; dann vermutlich allerhand Worte hergemurmelt? R. Unwissender! nie wird gemurmelt! gesungen wird! A. Kanst du denn singen? r. Ob ich kann? Da frag die hier.

   Die Jünglinge betheuerten insgesamt, er hätte eine trefliche Kehle.

   A. Und was wird denn gesungen? R. Die Titel der Bücher, denen die Geister ausgefahren sind, werden abgesungen. A. Der Namen des Verlegers auch mit? R. Allerdings. Manchmal auch die Überschrift der Dedication. Ja einmal hab ich so gar die ganze Dedication durchwaten, und bis auf den geliebten Leser, und den Anfang der Vorrede kommen müssen. So hartnäckig und starrköpfisch war dießmal der Geist, eh er sich wolte sehen lassen. A. Niemals weiter? r. Ach! erinre mich an den verdrieslichsten Vorfall meines Lebens nicht! Noch möcht ich vor Zorne bersten, wenn ich daran denke. Stelle dir's nur einmal vor! Ein dickes Buch mit Anmerkungen war's! ein Quartant war's! Und nun hatt ich schon bis in die Mitte hineingesungen; aber noch immer der Geist nicht! und nun bis zum Ende, und nun bis ins Register hinein; aber immer, immer noch kein Geist nicht! und nun gar das lezte Wort des Registers; und der widrigste unter allen Geistern, die jemals in einem Buche gewesen sind, noch, noch, noch nicht! Aber ich kriegt ihn auch dafür! Ich entschloß mich als ein Mann, und sang zurük. Davor hatte er sich nicht gehütet. Kurz, er kam, und ich ließ ihn aus Rache wenigstens so lange stehn, als ein Knecht, (ist aus'm Englischen) der was anhängig machen will, im Vorzimmer stehen muß, wenn der Fürst .. nichts zu thun hat. A. Wie geht dir's, wenn du ein Buch für Todes verfahren hältst; und es doch nicht Todes verfahren ist? R. Für erst weis ich so ziemlich gut, welche es sind, und welche nicht; und dann, wenn ich mich hier auch einmal irre, so geschieht es doch eben nicht sehr. Denn mit solchen Büchern, bey denen ich etwan einmal in Irthum gerathe, pflegt es auf die Neige zu gehen. Dieß wittre ich aus folgendem: Allerhand Geisterchen aus Zeitungen oder Monathschriften, in welchen dieß Buch sehr ist gelobpriesen worden, schleichen herbey, so bald das Beschwören angeht, und lassen ein gar klägliches Gewimmer von sich hören. Da hab ichs dann gleich weg, und singe, wenigstens diesen Tag, nicht weiter. A. Jezo, Jünglinge, mit denen wir eben nicht zufrieden seyn können, weil ihr unsre Verbote so wenig geachtet habt, ist die Reihe an euch. Ihr solt mir vornämlich auf zwey Dinge antworten: Welche Geister ihr habt in das Fünfek rufenlassen, und wie sie ausgesehen haben? Zweytens: Woher es gekommen ist, daß man euch wie todt gefunden hat ? War es zulezt nur nicht so schlimm abgelaufen, Alter! so möcht es dir allenfalls hingehn, daß du dich von der Neubegierde dieser jungen Leute zu deinen Bannungen hast verführen lassen. Wem ich unter euch winke, den frag ich. Der Anfang eurer Bekantschaft mit Laurenz Rohrdommeln? J. Gestern Abend beym Mondlichte. Wir sahen ihn gehn. Er strich sich den Bart, und sang dabey. Da gingen wir zu ihm hin. A. Was sagte er euch? J. Kein Aldermann könte, was er könte. Wir fragten ihn ziemlich hönisch: Was er denn könte? Nur nicht gespottet, junge Herren, sagte er. Wenn ich bey der Laune bleibe, in der ich jezo bin; so will ich euch noch diese Nacht zeigen, was ich kann. Und was kanst du denn ? riefen wir, was denn? was? Er antwortete: Die Geister verblichner Bücher in ihrer völligen langen hagern Gestalt vor eure sichtlichen Augen hinbannen, daß ihr sie, so lange ihr nur möget und wolt, da vor euch betrachten könt. Nun hatten wir schon oft von diesen Geisterbannungen gehört; freylich hatten wir's nie so recht glauben können: aber jezo war denn doch der Augenblik da, der's entscheiden konte, was an der Sache wäre. Ausser dem war unsre Neubegierde unaussprechlich groß. Weil einer von uns Unteraufseher des grossen Büchersaals ist; so konten wir mit Rohrdommeln, wie er verlangte, dahinein gehn. Kaum war die Thüre hinter uns verschlossen, so fing er an das Fünfek auf den Boden zu zeichnen. Als er fertig war, sagte er: Wir möchten uns nun auf die Bücher besinnen, von denen wir glaubten, daß es mit ihnen vorbey wäre, und deren Gespenster wir sehen wolten. Wären sie aber, seiner Einsicht nach, noch am Leben; so beschwur er nicht, und dann müsten wir andre nennen. Übrigens solten wir, wenn er sänge, so gut wir konten, aber nur leise, mitsingen. Uns war noch immer sehr lacherhaft zu Mute; aber wir nahmen uns gleichwol vor, zu thun, was er sagte. Er strich, so lange er redte, und eh wir uns besonnen hatten, diesen grossen Bart, den ihr vor euch sehet, mit besondrer Lebhaftigkeit und gleichsam nach dem Tacte, ja bisweilen kräuselte er auch daran. Wenn der erste Schrecken vorbey ist (wir mochten wol angefangen haben ein wenig blaß auszusehn) so ist aller Schrecken vorbey! rief er einmal übers andre; aber darinn hat er nicht wahr geredet. Denn zulezt wurd es leider! über die Maassen arg. r. Was kann ich davor, daß ihr so tollkühn wurdet, und das, mit solchem Ungestüme, von mir verlangtet? Must ich denn etwa nicht endlich nachgeben ? J. Als wir Rohrdommeln jezo zu erkennen gegeben hatten, daß wir uns auf Bücher besonnen hätten, so hieß er uns dem Fünfecke etwas näher treten. A. Nantet ihr dieß oder jenes Buch aus besondern Ursachen, oder nur, weil es euch zuerst eingefallen war ? J. Wir hatten die Schränke gegen uns über aufgemacht, und so wie unsre Augen auf ein Buch fielen, und wir mutmasten, es könte wol dahin seyn; so wählten wir's. Mich foderte er zuerst auf. Als ich ihm das Buch nennen wolte, sagte er: Bring mir's her, und dann stell dich wieder hin, wo du gestanden hast. Ich that's. Er sezte seinen Brill auf, hielt das Buch ganz dicht ans linke Auge, und nachdem er zwey dreymal recht kräftig Tobak genommen hatte, sang er. Sonderbar war es, daß er von unten zu singen anfing. Wir hätten fast gelacht; aber das Blatt wandte sich gewaltig, als nach Absingung der wenigen Worte: Ches Haude & Spener a Berlin der Geist auf Einmal vor uns in dem Fünfecke stand! Wir verlangen es gar nicht zu leugnen, daß dieser unser erster Schrecken groß war. Aber wie kont's auch anders seyn ? Denn hager, grau, wie ungebleichtes Leinen, breitköpfig war der Geist! Ein Spinnwebengesicht hart er! Augen hatt er nicht; aber wol eine Nase. Langnasig, spiznasig war er! Wir wünschten ihn weg; aber das half nichts. Denn Rohrdommel wolt's noch nicht; und so blieb er denn. Wie gesagt, grau, breitköpfig war er, und spinnwebig im Gesicht, und langnasig, und spiznasig! A. Wie machte es der Mann, daß er den Spuk wieder wegbrachte ? J. Er pfif auf dem Finger, daß es schmetterte, da war der Geist weg. Nur die Nase tummelte sich noch ein wenig allein in der Luft herum. Wir nahmen einen guten Schluk Wasser, um uns zu erholen; und keiner von uns hatte so recht Lust einen zweyten Gang zu wagen. Nun wie steht's? sagte Rohrdommel, kann ich nun Sachen, welche die Aldermänner nicht können ? Frisch! denn es soll noch viel ärger kommen. Wir fasten uns endlich. A. Ich seh es dir da an, daß du ihm das zweyte Buch gebracht hast, J. Das hab ich auch. Rohrdommel sang. Kaum war er auf dem Titel zu den Worten: Zusammengetragen, und nachgeahmet (mit deren vier Aaen er ungemein melodische Dehnungen verübte) gekommen; so war der Geist plözlich da! A. Vom Haupte bis zu den Füssen brauchst du ihn eben nicht zu beschreiben. Was war dir an ihm merkwürdig? J. Im Anfange fast nichts, als seine Gegenwart, ausser daß seine Finger aus Federn bestanden, deren Spizen beynah alle eben eingetunkt und gegen uns gerichtet waren. Aber zulezt erschrekte er uns doch ein wenig. Denn er nahm die Hirnschale ab, bükte sich gegen uns, und zeigte uns seinen leeren Kopf. Auch wanderte er', nachdem er uns nicht wenig solcher Büklinge gemacht hatte, mit der Hirnschale unter dem Arme, wieder fort .. A. Das war ein offenherziger Geist. Ihr hättet ihn wol ruhen lassen können. Die Bücher, mit denen es aus ist, sind uns sehr gut bekant; wir verlangen daher keine weitere Bannungen zu hören. Also nur noch einige Fragen. Wie sahen die Geister der Lehrgebäude aus? J. Sie waren lang und dürr wie Hopfenstangen; hatten stroherne Gesichter, gewönlich bleyerne Füsse, und nicht selten ein hölzernes Bein. A. Und die Gespenster der kritischen Ausarbeitungen ? J. Sie hatten Köpfe, wie Kalkuten ; der meisten Hände waren etwas krallenhaft. Wenn sie die Hände auf den Rücken hielten, so war das ein Zeichen einer sehr sichtlichen Krallenhaftigkeit. Pfif ihnen aber Rohrdommel, so musten sie gleichwol mit den Händen herum. Hierbey pflegten sie blauroth in den Gesichtern zu werden. Sehet nur recht hin, sagte Rohrdommel, und spiegelt euch daran. Denn ihr könt ja leider! nicht wissen, was einst aus euch werden wird. Das ist Röthe des Zorns, und nicht der Scham. Denn die Röthe der Scham fält nicht ins Bläuliche. A. Was für eine Stimme hatten sie? R. Kein Büchergespenst kann reden. Sie sind stumm, weil sie, da sie noch im Leben waren, so viel geschwazt haben, J. Gleichwol glaub ich doch gehört zu haben, daß etliche wie Mücken trompeteten. Eins muß ich doch noch erzählen. Als Rohrdommel, ich besinne mich nicht mehr, welchen Büchergeist (dieser Art sind so viele, daß man bey ihnen wol ein wenig vergeslich seyn darf) herbeybannen wolte, so kamen schon bey dem ersten Triller, den er machte, ganze Schwärme Geisterchen, und erhuben eine gar betrübte Wehklage. Da hörte er gleich auf. A. Wie sahn die Geisterchen aus ? J. Wie allerley Geschmeiß. A. Und wie ist's gekommen, daß man euch des Morgens in einem so schlimmen Zustande gefunden hat ? j. Damit ist es so zugegangen. Wir hatten nun schon so viele Gespenster gesehn, daß wir die neugerufnen ohne alle Furcht in den Schuh treten sahn. Da stand es uns nicht mehr an, sie nur einzeln zu sehen. Wir brachten Rohrdommeln durch vieles Bitten dahin, daß er einen ganzen Bücherschrank bante. Das that er auf folgende Art: Schrank! Schrank! tiefer Schrank! breiter Schrank! hoher Schrank! Schrank! Schrank! o du Schrank! Aber kaum hatte er auch ausgesungen, als das ganze wütende Heer Gespenster auf Einmal über uns herfiel, und uns so übel zurichtete, wie wir hernach sind gefunden worden. A. Nun ich hoffe denn doch, daß sich Andre an eurem Exempel spiegeln werden. Waren viel Streitschriften in dem Schranke? J. Vermutlich. Die Bücher standen in drey Reihen hinter einander. In der vordersten sah es, mich deucht, hier und da etwas polemisch aus. A. Kam Rohrdommel ganz unbeschadet davon? J. Was wolt er? Ihr sehet ja, wie ihm auf der linken Seite der Bart ausgerauft ist. Als wir wieder zu uns selber kamen, fanden wir um uns herum viel weisses Haar liegen. Am diksten lag's im Schuhe. Der Spuk mocht's wol aus Rache dahin zusammengeschlept haben. A. Wirst du fortfahren zu bannen, Rohrdommel? R. Warum nicht? A. So? Und ihr wolt ihr wieder bannen lassen? J. Ganze Schränke nun eben nicht; aber sonst .. wir glauben, daß es uns denn doch sonst wol könte verstattet werden; wiewol wenn in den Schränken keine Streitschriften wären .. A. Man kann es euch jungen Leuten eben nicht so sehr verargen, daß ihr gern wissen wolt, wie es mit der Dauer dieser und jener Schrift beschaffen sey. Diese Kentnis kann euch auf den Fall hin, daß ihr etwa selber was schreiben wollet, gar heilsam seyn: aber unsre Verordnung, die Todten in Ruhe zu lassen, ist gleichwol einmal da, und das habt ihr gewust; überdieß hättet ihr euch ja nur bey Zünftern, oder bey uns erkundigen können, wie es mit solchen Schriften stünde, und eben eure Zuflucht nicht zu einem Zauberer nehmen dürfen.

   Herold! so lange der Landtag dauert, führst du Laurenz Rohrdommeln, und diese fünf Jünglinge, einen Abend um den andern, jedesmal auf eine Stunde, in den grossen Büchersaal. Dort solt ihr Rohrdommeln aus den Büchern, deren Gespenster ihr durch ihn habt bannen lassen, (ihr müsset Sorge tragen, daß er ja nicht darüber einschlafe, denn sonst würdet ihr ihm und euch nur neue Strafe zuziehn) diejenigen Stellen, wo die Bücher am kränksten gewesen sind, und wo sie die unheilbarsten Beulen gehabt haben, solt ihr ihm dort so gut, als es die sorgfältigste Declamation nur immer vermag, vorlesen. Und trift's Bücher, die bey ihren Lebzeiten eine blühende, hochrothe Farbe gehabt haben, und hernach an der gestorben sind, die solt ihr nicht stellenweise, sondern ganz vorlesen.

   Rohrdommel hatte vom Anfange des Verhörs an die Hand von der linken Seite des Kinns nicht weggebracht; und da behielt er sie auch jezo, indem er von dannen schied, und sich dem Urtheile, über dessen Strenge er nur zweymal einen lauten Schrey gethan hatte, unterwarf.

 

 

 

Zehnter Morgen.

 

Die Berliner und Manheimer Academien werden angeklagt. Der Müncher Academie wird gedankt. Französische Botschafter kommen an. Die Zunft der Naturforscher erhält einen Vorzug.

 

Schon seit dem Anfange des Landtages hatte ein geheimes Feuer in der Asche geglommen, dessen nahen Ausbruch man nun beynah mit Gewisheit voraussehen konte. Wir haben mit Vorsaz noch nichts davon erwähnt, weil wir die Geschichtschreiber eben nicht sehr bewundern, welche, nachdem die Sachen nun geschehen sind, bis zu dem frühesten Vorhergange zurük spüren, und in demselben das Geschehne, als notwendig künftig, bisweilen zwar wol recht gut, aber doch immer zu spät entdecken. Dieß verleitet oft scharfsichtige, und sogar tiefsinnige Männer zu Geschwäz; und vornämlich bringt es sie von ihrem Hauptzwecke ab, welcher kein andrer seyn kann, als die wirklichen Begebenheiten nach ihrer wahren Beschaffenheit zu erzählen. Sobald aber der Vorhergang schon einen Theil der Begebenheiten selbst ausmacht, ob er gleich, wegen noch fehlender Folge, nicht mit völliger Gewisheit dafür gehalten werden kann; so darf ihn der Geschichtschreiber, als einen solchen, anführen. Die meisten Mitglieder der Berliner und Manheimer Academien hatten sich, ob wol verschiedne von ihnen auch auf ändern Zünften hätten seyn können, auf die Zünfte der Naturforscher, der Mathematiker, und der Weltweisen begeben. Die Absicht, warum sie vornämlich auf diesen Zünften Einflüsse zu haben gesucht hatten, war gestern, durch gewisse Erklärungen wider einige Geseze vom Hochverrathe, sehr kenbar geworden. Die übrigen Academisten waren so auf etlichen andern Zünften vertheilt, daß die Art der Vertheilung nur durch die Absicht, auch hier nicht ohne Einflüsse zu seyn, gut erklärt werden konte. Auch diese hatten sich seit einem Paar Tagen immer lebhafter bemüht, sich ihrem vorgesezten Ziele zu nähern. Die Zunft der Naturforscher hatte sich bestrebt, zwey Stimmen zu bekommen; und dieß würd ihr auch, wegen ihrer Grosse, und wegen ihrer Vortreflichkeit, gelungen seyn, wenn die andern Zünfte nicht entdekt hätten, daß die Academisten die Veranlasser dazu gewesen wären. Die Aldermänner hatten mit ihrer gewönlichen Festigkeit, aber lebhafter, als sonst erklärt, daß die Beratschlagungen über das Ansuchen der Naturforscher noch müsten aufgeschoben werden. Dieß hatte die Zunft der Dichter auf die Vermutung gebracht, daß es die Aldermänner wider die Academisten auszuführen vorhätten. So sehr sie dieses auch freute; so branten sie gleichwol auch vor Begierde, es selbst auszuführen. Aber sie hielten dafür, der wahre Zeitpunkt der Ausführung wäre noch nicht da; und dieß unter anderm auch deswegen, weil sich die Academisten mit sehr gutem Erfolge bemüht hatten, auch das Volk für sich einzunehmen. Dieß müste, meinten sie, ausser dem, was sonst noch zu thun wäre, erst wieder zurükgebracht werden, eh man es unternehmen könte. So standen die Sachen diesen Morgen, als es schien, daß die Aldermänner der Bilder wegen Verhör halten würden. Aber unvermutet ging ein Aldermann auf seinen Hügel. Die Stille war gleich allgemein, weil man deswegen, daß er den halben Kreis verlassen hatte, etwas ungewönliches erwartete. Er redete die Landgemeine so an: So oft bisher bey uns ist angefragt worden, ob wir Vortrag halten wolten; so haben wir es allezeit ausgesezt, um den Zünften die Verehrung, mit der wir immer an sie denken, zu zeigen, und dem, was sie etwa zum Besten der Republik zu sagen hätten, auf keine Weise im Wege zu stehn. Wir würden dieß unser Betragen auch jezo noch nicht ändern, wenn wir nicht wichtige Gründe dazu hätten. Wir sind gerührt, daß wir streng seyn müssen. Dieß sey genung. Denn ihr verlangt gewiß nicht von uns, daß wir heute das erstemal weitläuftig sagen, was wir zu sagen haben. Jeder weiß, daß die Academisten zu Berlin, und zu Manheim nicht in unsrer Sprache schreiben. (Den Müncher Academisten werden wir hernach unsern Dank öffentlich dafür abstatten, daß sie wissen, daß sie Deutsche sind!) Die Republik hat den vorigen Landtag beschlossen, daß, wenn ganze Geselschaften in einer fremden Sprache schrieben, ihre Mitglieder als Hochverräther selten angesehen werden. Es ist, wie ich hoffe, überfliessig, daß ich die Rolle von der notwendigen grossen Säuberung, wenn in hellen Haufen, Schaaren, und Heeren bringen lasse. Diejenigen Academisten, deren meiste Schriften nicht academisch, und zugleich deutsch sind, entfernen sich von den übrigen. Sie haben zwar in den Hochverrath gewilligt; aber wir müssen ihrentwegen gleichwol einen zweyten Vortrag halten. Herold, samle die Stimmen wegen der Angeklagten.

   Die Academisten hatten einen so schnellen Ausbruch nicht gefürchtet. Auf eine Vertheidigung konten sie sich nicht einlassen. Das Gesez wider sie war zu klar. Es kam also jezt allein darauf an, zu erwarten, ob ihre vielfachen Bemühungen bey ihren Mitzünftern und dem Volke die Wirkung haben würden, daß das Gesez schweigen müste. Hätten sie die Abschaffung desselben in Vorschlag bringen wollen; so wären sie desto gewisser verloren gewesen. Und gleichwol war ihnen, wenn sie ja was unternehmen wolten, nichts anders als dieses übrig. Einer von ihnen redete zwar viel von seiner Verwunderung, daß die Göttinger Academie nicht auch angeklagt würde; aber er muste bald davon abstehn. Denn die Aldermänner erklärten ihm, daß sie keine Rechenschaft darüber zu geben hätten, wen sie anklagten, und wen sie nicht anklagten. Andre machten ihm deutlich, daß man sich heute gewiß nicht in Schwierigkeiten verwickeln würde. Und dazu würde man doch gezwungen seyn, wenn man die Sache der Göttinger Academisten auch untersuchen wolte. Denn sie hätten nicht nur in der lateinischen Sprache, sondern auch in unsrer geschrieben. Übrigens wäre der jezige Aufschub dieser Untersuchung kein Beweis, daß sie diesen Landtag nicht noch vor sich gehen könte.

   Die Angeklagten hätten nicht einmal so ruhig scheinen können, als sie noch schienen; wenn sie ihren Entschluß auf den Fall, der sich jezt zutrug, nicht schon hätten gefast gehabt. Aber ihre scheinbare Ruhe war nicht ohne Verdruß, und auch nicht ohne Kummer. Denn einige liebten ihr Vaterland gleichwol doch ein wenig. Die Stimmensamlung ging deswegen etwas langsam vor sich, weil viele Zünfte während derselben beständig an einander schikten. Dieß vermehrte die Unruh bey Erwartung des Ausgangs nicht wenig. Den alten Herold hatte es so angegriffen, daß er nicht im Stande war, den Ausruf zu thun. Ein Unterherold muste daher sein Amt verrichten. Endlich wurde der Ausgang, den die Sache genommen hatte, bekant. Die Zunft der Drittler erklärte beynah mit allen Stimmen; der Rechtsgelehrten mit zwey Stimmen Mehrheit; der Mathematiker durch den Ausschlag des Anwaldes; die gemischte Zunft durch sieben Stimmen Mehrheit, und das Volk mit drey Stimmen, daß die Entscheidung bis gegen das Ende des Landtages solte ausgesezt bleiben. Aber alle übrigen Zünfte, und unter ihnen die Zünfte der Naturforscher, der Dichter, der Redner, und der Geschichtschreiber mit allen Stimmen, waren für Urtheil und Recht nach den Gesezen.

   Drey Aldermänner verliessen den halben Kreis, und gingen nach derjenigen Zunft zu, auf welcher sie die meisten Mitglieder der Müncher Academie sahen. Einige Academisten kamen ihnen entgegen. Wir kommen, euch unsern Dank abzustatten, sagten die Aldermänner.

   Wir würden erröthen, deswegen Dank anzunehmen, weil wir thun, wir sagen nicht, was wir zu thun schuldig sind, denn an die Schuldigkeit hatten wir nicht nötig zu denken, sondern was wir gern thun.

   Wohlan denn, ihr wehrt uns, euch zu danken; aber euch unsre Freude zu bezeugen, solt ihr uns nicht wehren. Wir freuen uns, daß ihr wist, wer ihr seyd! und daß ihr unsern Dank ausschlagt! Die Aldermänner, und die Academisten gingen hierauf nach ihren Pläzen zurük.

   Niemals ist solche Freude, und solche Betrübnis an so Vielen zugleich gesehen worden, als diesen Tag. Überall wurde Abschied genommen, und beklagt, daß die Republik so viele verdienstvolle Männer auf Einmal verlöre; aber es wurden auch beynah von allen Zünften, selbst von denen, welche den Aufschub der Entscheidung verlangt hatten, die Anwalde an die Aldermänner geschikt, ihnen zu ihrer mänlichen und patriotischen That Glük zu wünschen. Der Anwald der Dichter endigte seine Anrede so: Wir haben es auch thun wollen; aber ihr seyd uns zuvor gekommen. Ihr habt den wahren Zeitpunkt besser, als wir gekant. Keiner andern Zunft hätten wir es verziehn; euch verzeihn wir's, weil ihr die Aldermänner, und es heute mehr als jemals seyd: allein uns selbst können wir kaum verzeihen, daß wir durch allerhand Vorstellungen von noch fortwährender Unreife der Sache unsre Entschlossenheit unwirksam gemacht haben. Damit wir aber heute doch auch etwas Bidermännisches thun, so schlagen wir vor, daß, so bald sich die Verwiesenen werden entfernet haben, der Zunft der Naturforscher die zwey Stimmen gegeben werden, doch unter der Einschränkung, daß sie dieselben nur dann habe, wenn die Stimmen der Zünfter über zwey Drittheil gehn. Denn wie sehr wir die Zunft der Naturforscher auch verehren; so dürfen wir sie doch den Aldermännern nicht völlig gleich machen.

   Da den Academisten die weissen Stäbe schon waren gereicht worden, und sie wol sahen, daß man geneigt war, jezo gleich zu der Stimmensamlung, der Naturforscher wegen, zu schreiten; so brachen sie auf. Die vorseyende Stimmensamlung war die einzige Ursach, daß sie unbegleitet weggingen.

   Der Herold war bey seinem heutigen Geschäfte so hinfällig geworden, daß er sich noch immer nicht erholen konte. Dieß verzögerte die Stimmensamlung wegen der Naturforscher. Endlich ging sie vor sich. Sie war kaum halb vollendet, als Nachricht bey den Aldermännern ankam, daß Botschafter der französischen Gelehrtenrepublik, die sich auch versammelt hätte, in der Nähe wären. Die Aldermänner hiessen den Herold inne halten. Dieß geschah deswegen, weil die Botschafter gleich bey ihrer Ankunft eine wichtige Entscheidung der Republik mit ansehn solten. Bald darauf schikten die Franzosen ihren Dolmetscher, liessen von ihrer Ankunft Nachricht geben, und zugleich anfragen: Ob, eh sie erschienen, ein Ceremoniel solte festgesezt werden? Die Aldermänner (die Zünfte erlaubten ihnen zu verfahren, wie es ihnen gefiele) schikten einen Dolmetscher zurük, und liessen den Botschaftern sagen: Die deutschen Gelehrten hasten alles Ceremoniel, so sehr es auch viele Altfranken noch liebten. Sie würden aus freyer Neigung so gleich drey Anwalde losen, und sie ihnen, so weit sie nur kommen könten, entgegen gehn lassen. Ein Aldermann solte sie bey Leibnizens Eiche empfangen, und das nicht deswegen, weil sie nahe, sondern weil es Leibnizens Eiche wäre. Das einzige, was etwa vorher festzusezen wäre, bestünde darinn, daß bey den Unterredungen Dolmetscher gebraucht würden. Das Loos traf die Anwalde der Kundigen, der Mathematiker, und der Drittler. Der Anwald der Geschichtschreiber erhielt es von diesem, seine Stelle zu vertreten. Unser Dolmetscher kam zurük, und berichtete, wo die Anwalde, und die Botschafter sich angetroffen hätten, und daß diesen zuvor etliche unsrer Verwiesenen begegnet wären. Die Botschafter hätten's ihnen abgeschlagen, sich bey ihrer Republik dortiger Aufname halben zu bemühen, weil sie sich jezo, da sie an die Deutschen gesandt würden, ganz und gar nicht auf solche Empfehle einlassen könten. Und überdieß müsten sie gestehn, die Ursach der gewünschten Verpflanzung wäre von einer Art, daß sie nirgends so wenig, als in Frankreich, würde bewundert werden. Die Botschafter kamen an. Der Aldermann, die Anwalde, und einige Franzosen, die vor ihnen auf den Landtag gekommen waren, begleiteten sie. Sie gingen, weil sie den Weg von den Ahornwäldchen her genommen hatten, zwischen dem Volke, und den Zünften der Kenner, der Wisser, dem Zunftplaze mit dem Denksteine, den Zünften der Geschichtschreiber, der Weltweisen, der Mathematiker, und der Astronomen nach dem halben Kreise hinauf. Die Aldermänner empfingen sie mit Hochachtung, und deutscher Offenherzigkeit; und weil die Franzosen das Ceremoniel auch verachteten; so verschonte man sich so gar mit feyerlichen Anreden, und Antworten. Die Botschafter entdekten die Ursach ihrer Absendung ohne alle Umschweife. Sie wären, sagten sie, gekommen, unsre Geseze, von denen man bey ihnen gehört hätte, genauer kennen zu lernen, und einige davon ihrer Republik zu überbringen. Sie bäten also um die Mittheilung derselben. Sie hätten, der Wahl halben, keine gemesnere Befehle, als bey Dingen, von denen man nicht genung unterrichtet wäre, könten gegeben werden. Wolte ihnen die Republik vergönnen, ihre Jahrbücher zu sehn; so würden sie dadurch desto mehr in den Stand gesezt werden, von dem Sinne der Geseze ein richtiges Urtheil zu fällen. Ausser dem würde dieses auch ihr Vergnügen einige Zeit auf dem Landtage zuzubringen vermehren. Die Aldermänner bezeigten den Botschaftern ihre Freude über die Absicht ihrer Ankunft, und erboten sich, ihnen die Kentnis der Geseze auf alle Weise zu erleichtern. Was die Jahrbücher beträfe, so könten sie darüber nichts entscheiden; sondern sie müsten deswegen bey den Zünften und dem Volke anfragen. Dieses würden sie so bald thun, als es ihnen die Geschäfte des Landtages zuliessen, deren einige so beschaffen wären, daß ihre rechte Zeit nicht dürfte verabsäumt werden. Nachdem sie mir hierauf (Wlemar schreibt dieses) noch den Befehl gegeben hatten, die Botschafter so bald sie es verlangten, in die grosse Halle zu führen, und ihnen aus den Rollen zu übersezen; so hiessen sie den Herold mit der Stimmensamlung fortfahren. Die Naturforscher erhielten ihren Zwek, den sie durch alle Stimmen zu erhalten, so sehr verdienten, doch nur durch Eine-Stimme-Mehrheit. Aber von den Zünften, die einwilligten, war auch beynah keine, die es nicht mit allen einzelnen Stimmen gethan hätte.

 

 

 

Der Abend.

 

 

Von einer alten Felsenschrift.

 

Man unterhielt sich von nichts anderm, als von einer alten deutschen Aufschrift, die an einem Felsen war gefunden worden. Hiermit war es so zugegangen.

   Am Ausgange des kühlen Thals liegt ein abgesonderter Fels. Seine Lage, und die von vielen geglaubte Erzählung, daß in den ältesten Zeiten bey ihm der Genossam zusammengekommen wäre, machen ihn merkwürdig. Diesen Nachmittag hielten sich einige bey dem Felsen auf, weil ein verdorter Baum, der aus einer Spalte desselben hervorgewachsen war, weggenommen wurde. Sie wolten den lieben Baum noch einmal sehen, der ihnen durch seine Schönheit, und durch seinen Schatten so oft Vergnügen gemacht, und der nun diesen Frühling nicht wieder geblühet hatte. Indem bey dem Wegnehmen des Baumes unter seinen Zweigen das Moos hier und da von dem Felsen losging, so wurden sie in diesem alte Schrift gewahr, die sie desto aufmerksamer machte, je mehr sie davon entdekten. Sie sahen bald etliche Worte, die sie für deutsche hielten. Einer unter ihnen behauptete dieß mit noch mehr Zuversicht, als die übrigen, weil er mit dem alten Deutschen, wofür er die Schrift erklärte, nicht unbekant war. Ein andrer rief Freunde herzu, von denen er glaubte, daß sie über die Sache noch entscheidender urtheilen könten. Es währte gar nicht lange, so war eine nicht kleine Anzahl bey einander, die belehrten, lernten, und widersprachen. Jezo kam auch derjenige, der unsre alte Sprache genau wüste, und der zulezt die andern Ausleger überzeugt hat, daß sie seiner Beyhülfe bedürften, um zur völligen Gewisheit zu kommen. Damals war das Moos hier und da noch nicht genung weg; aber man bemerkte dieß nicht, und glaubte schon alles zu lesen; und es fehlte nicht viel, daß man nicht auch alles zu verstehn glaubte. Hier folgt das, was man damals las, und beynah ohne überbleibende Zweifel erklärte. Denn der erwähnte Sprachkenner konte bey der Hize, in der man war, mit seiner Bemerkung, daß hier und da noch ein wenig Moos vorhanden wäre, kein Gehör finden. Man las:

   Ena furi alliu di alliu furi eno. So wher s birit fra themo farborgenode endi is libbia sagit efto singit then aldon frankonon hesare ist elline endi skal obarreckeanne helithos litheodono imo burit blado fram them helag Ek joh thaz her sittea in samninge undar louthi endi bi idiseo thero skonista. Si is thesan anblekit thie gramo her infengit tweena blado fram them lag Eek. Hail was joh skimo in hageno themo biderbe ther tha horit sang in wordo wittena. Ena furi alliu endi alliu furi eno.

   Dieß übersezte man wörtlich so, und verstand es auch, wie man meinte. Das Moos hatte dabey nicht alle Schuld.

   Einer für alle, die alle für Einen. So sey es! Wer es nimt von dem Verborgnen, und seine Lippe es sagt oder singt den alten Franken, sehr ist er es allen. Er wird es (nur diese Stelle hielt man für etwas schwer) den Helden des kleinen Eigenthums überreichen. Ihm gebührt das Blatt von der heiligen Ecke, (von dem Druiden nämlich. Denn die Druiden trugen fünfeckichte Schuhe) ja, daß er size in der Versandung unter den Männern, und bey dieser Schönsten. Sie ist es! Diesen blekt der Höllenhund an. (Gramo, durch die Versezung, für: garmo. Hela's Hund hieß Garm) Er empfängt zwey Blätter von der Eiche des Gesezes. Heil sey, ja Schatten im Haine dem Bidermanne, der Gesang hört in den Worten der Richter.

   Indem man schon alles zu lesen glaubte, und auf die angeführte Weise getrost übersezte, ließ der Sprachkenner das übrige dünne Moos mit Sorgfalt abnehmen, damit die vermutlich noch fehlenden Buchstaben nicht beschädigt würden. Unterdeß hatte sich die Nachricht von der entdekten Felsenschrift auch ausser dem kühlen Thale ausgebreitet. Man könte sie, wurde gesagt, schon ganz lesen, schon erklären. Sie wäre von eisgrauen Zeiten her, und enthielte viel Merkwürdiges. Die Druiden kämen darinn vor; auch eine unbekante Heldin. Man hätte damals eine Eiche gehabt, die hätte die Eiche der Geseze geheissen. Der Schreyer lief unter seinen ausgesuchtesten Busenfreunden ganz athemlos umher, und machte bekant: Ja an dem Felsen des kühlen Thales ist sie gefunden worden. Dort sind sonst die Genossame zusammen gewesen; und dort soll künftig das grosse Volk auch zusammen kommen, und nirgends anders! Wist ihrs schon? In dieser Schrift steht ein langes und breites von verborgnen Schäzen! Sie haben auch einen Druidenschuh in der Kluft wo gefunden. Es fält auch eine Liebesgeschichte von einer Prinzessin in dieser alten Nachricht vor, Garm (das ist der Höllenhund!) reist sich los, und verfolgt die Prinzessin; sie kann aber ein Paar Äste einer bezauberten Eiche erwischen, und damit schläfert sie den Höllenhund ein. Indem er nun liegt, und schnarcht; so entkömt die Prinzessin glüklich!

   Einige Aldermänner, die eben bey einander waren, schikten, ob sie gleich von der ganzen Sache beynah noch gar nichts glaubten, Jemanden ins kühle Thal, der selber sehen, und Nachricht bringen solte. Der Abgeschikte kam mit dem Sprachkenner, dessen wir erwähnt haben, zurük. Dieser überbrachte den Aldermännern seine Abschrift, von der er, nach Erzählung des ganzen Hergangs, sagte, daß sie genau, und daß nun kein Buchstaben mehr unter Moose verborgen wäre. Weil die Aldermänner ihren Mann kanten, so erhielt die Sache auf Einmal ihre Aufmerksamkeit. Sie liessen noch drey andre kommen, denen sie gleiche Kentnis der alten Sprache zutrauten. Diesen solte die Abschrift, und die Übersezung nebst den Gründen derselben vorgelegt werden. Dieß geschah. Man glaubte zu bemerken, daß die Aldermänner während der Untersuchung sehr vergnügt über die Entdeckung würden. Dieß breitete unter denen, welche sich um sie versammelt hatten, gleiches Vergnügen aus, nur daß es durch die Ungeduld, die Sache auch zu wissen, ein wenig unterbrochen wurde. Nachdem der Abschreiber die ihm gemachten Einwürfe so beantwortet hatte, daß kein Zweifel mehr übrig zu seyn schien; so waren die Aldermänner gleichwol noch nicht zufrieden. Sie schikten die Drey nach dem kühlen Thale, daß sie die Abschrift mit dem, was sie an dem Felsen lesen würden, vergleichen sollen. Diese kamen endlich zurük, und nun wurde die allgemeine Neubegierde durch die Ablesung der Übersezung befriedigt. Diese war mit Fleiß wörtlicher gemacht, als man sonst bey Übersezungen seyn darf. Um der wenigen Leser willen, die etwa von der Urschrift miturtheilen können, lassen wir dieselbe vorangehn. Sie werden dann am besten sehen, ob dem Sprachkenner, und seinen Gehülfen ihre Arbeit schwer, oder leicht gewesen sey, wenn sie mit Lesung der Übersezung warten, bis sie die Urschrift selbst heraus gebracht haben.

   Ena furi alliu endi alliu furi eno. So wher s birit fra themo farborgenode endi is libbiand sagit efto singit then aldon frankonon thesare ist elline endi skae obarreckeanne helithos elitheodono imo burit blado fram them helag Ek joh thaz her sittea in samninge undar blouthi endi bi idiseo thero skonista. Si is thesan anblekit thie gramo her infengit tweena blado fram them helag Eek. Haie was joh skimo in hageno themo biderbe ther tha horit sang in wordo Wittena. Ena furi alliu endi alliu furi eno.

   Einer für Alle, und Alle für Einen. Wer es aus der Verborgenheit hervorbringt, und es den alten Franken lebendig sagt, oder singt, der ist vortreflich, und er wird über verehrte Ausländer hervorragen. Ihm gebührt das Blatt von der heiligen Eiche, und daß er in der Zusammenkunft unter Blüthe, und bey dem schönsten Mädchen sitze. Geschieht es ihm, daß ihn der Neidische anblekt;so empfängt er zwey Blätter von der heiligen Eiche. Heil sey, und Schatten im Haine dem Guten, der Gesang hört in dem Worte der Weisen: Einer für Alle, und Alle für Einen.

   Diejenigen, welche über das eigentliche Alter der Felsenschrift, und darüber, ob man damals unter alten Franken eben das verstanden hätte, was wir jezt unter Altfranken verstünden, viel vorzubringen anfingen, wurden bald unterbrochen. Man ließ sich allein auf die Untersuchung der Fragen ein: Ob die entdekte Schrift nicht ein Gesez wäre? und ob die Republik dieses Gesez nicht von neuem annehmen solle? Alles war in Bewegung. Man ging, den ganzen Abend über, zwischen den Ulmen, der Laube, und dem Thale hin und wieder, und theilte sich seine Gedanken und Entschliessungen mit.

 

 

 

Elfter Morgen.

 

Die alte Aufschrift wird für ein Gesez gehalten, und als ein solches von neuem eingeführt. Wozu das Ekharden veranlast. Zwey Zünfte, und das Volk drohn ihn zu verklagen.

 

Die Aldermänner erklärten die Felsenschrift für unser ältestes Gesez, und indem sie dem Herolde winkten, die Stimmen zu sammeln: ob dasselbe erneuert werden solte? riefen wir uns aus allen Zünften mit Einem lauten Glükauf! zu, daß wir das alte Gesez wieder annähmen.

   Ekhard stieg auf seinen Hügel. Der eisgraue Mann hatte Blatt und Eichel in der Hand, indem er die Landgemeine auf folgende Art anredete: Daß ich ein ächter wahrer Abkömling des treu'n Ekhards bin, das fühl ich heute so sehr, als ich es kaum noch gefühlt habe. Daß ich's Vaterland liebe, wist ihr schon; aber, wie sehr ich es liebe, wist ihr wol noch nicht so recht. Ich kann mich noch immer der Thränen nicht enthalten, und will mich ihrer auch nicht enthalten! daß wir das alte liebe Gesez von der brüderlichen Eintracht der Gelehrten unter einander wiedergefunden haben. Der gute Genius Deutschlands wache über euch, liebe rechtschafne Biderleute, und erhalte diese brüderliche Eintracht unter euch! Wisset ihr denn auch, was in einer deutschen Seele vorgeht? Überm Rheine flamt's auf, und dampft's; überm Meere brent's, und sprüht's Funken: aber diesseits glüht's! Bey meinem grauen Haare, eurer etliche wusten das noch nicht; ich must es ihnen also sagen. Wenn wir die liebe, deutschartige, alte Felsenschrift uns recht durch Mark und Bein gehn lassen; wenn wir sie mit dem Anhalten, mit der Ausdauer, die wir haben, und die kein anderes Volk hat, in Ausübung bringen: so sind wir's, denen es kein anderes Volk rings um uns her künftig mehr bieten wird. Wozu wir uns, laut des alten wiedergefundnen, und wieder aufgenomnen Gesezes, (es ist dieß zwar nicht den Worten nach drinn enthalten; aber es liegt doch drinn) wozu wir uns auf recht gut deutsch vereinigen sollen? Etwa zu Erhaltung kleiner Zwecke? Auf den blicke der Genius des Vaterlands, nicht mit Zorne, denn wie war er Zornes werth? aber mit Verachtung herunter, dessen kleine Seele an der Sucht der Kleinigkeiten siechet, an dieser Lust und Liebe zur Nachahmerey, zur Nachpinseley, zur Nachschwäzerey, zur Nachsophisterey, zur .. doch wer mag solchen Alfanz und Firlfanz weiter fortnennen? Dazu sollen wir uns, laut der alten Felsenschrift, vereinigen, daß wir die andern Nationen übertreffen. Damit ich von dem Feuer, in dem ich jezo bin, in dem ihr auch seyd! zum kalten Blute wiederkehre; so muß ich euch schon jezo sagen, ob ich es gleich erst hernach sagen wolte, daß, wenn wir uns auf recht gut deutsch vereinigen, die andern Nationen zu übertreffen, wir sie auch übertreffen werden. Das thun wir zwar schon jezo in Vielem; aber wir müssen es in noch Mehrem thun, damit es unsre Bescheidenheit, und ihr Stolz so ganz durchaus fühlen, daß wir es thun! Dieses euch einmal recht heraus sagen zu können, hat mir schon lange, wie eine Last, auf der Seele gelegen; und nun ist endlich die Zeit gekommen, daß ich sie vor euch so gerade zu habe hinwerfen können die schwere liebe Bürde. Es würde mir dünken, als wäre die Landgemeine nicht bey einander gewesen, wenn wir nicht von diesem Augenblik an, da ich rede, darauf sännen, recht tief darauf sännen, Weg und Steg zu finden, auf dem wir bey unserm grossen Ziele ankommen können. Also dahin gilt's! Geseze müssen seyn; gute Sitte muß auch seyn. Gute Sitte ist mehr, denn Geseze; aber Geseze müssen seyn! Weil denn auch diese seyn müssen; so bitt ich die ehrenvollen Zünfte, und das gute Volk, daß sie sich besonders auch darinn recht brüderlich fest vereinigen, noch auf diesem Landtage ein Gesez zu geben, das mit der guten Sitte in einen festen ewigen Bund trete, und uns mit ihr zugleich zu dem grossen Ziele hinführe. Viel ist's, zu sagen, daß man übertreffen wolle; und thöricht war's, wenn man nicht schon oft übertroffen hätte: aber hat man's gesagt; so muß man auch Grundfesten zum Worthalten legen, die nichts erschüttern kann. Ich fürchte nicht, daß es Noth thue, euch die Art und Beschaffenheit der guten Sitte bekant zu machen. Sie arbeitet, wie eine Feuerflamme, die volle Nahrung hat, immer vor sich hin, wenn auch kein Wind nicht wehet. Das ist die gute Sitte; und ihr wisset es so gut als ich, daß sie das sey: aber kont ich gänzlich von ihr schweigen, da ich an sie dachte ? Etliche der Unsern haben nicht erst auf Geseze geharret, um zu lernen, was sie thun, und was sie lassen solten; sie sind ohne weiteres der guten Sitte gefolgt. Aber Geseze gehören doch auch zur Sache, wie wir mit einander ausgemacht haben. Am besten segelt sich's mit Strom und Winde zugleich. Die Aldermänner sollen, bey der Gebung des Gesezes vom Übertreffen, eine Schäzung von den Verdiensten der Ausländer machen, nach ihrem Werthe nämlich, nicht dem scheinbaren, sondern dem wirklichen, und das mit deutscher Gerechtigkeit. Versteht mich nur recht, das heisset für diesesmal nicht, mit deutscher Ungerechtigkeit gegen uns selbst. Sie sollen diese Schäzung auf eine grosse Tafel eingraben lassen, und sie dort an eine der vordersten Bildsäulen des halben Kreises hinstellen. Sie soll mit grossen Buchstaben geschrieben werden, damit sie jeder, wer da will, auch von weitem lesen könne. Mag die Tafel doch die Bildsäule ganz bedecken, auch die Symmetrie verderben, das thut ihm alles nichts. Ihr habt, wie ich, von dem Zurufe gehört, den im Jahre 1769 Alt und Jung bey einer brüderlichen Zusammenkunft beschlossen haben. Diesen Zuruf hab ich mir gesagt seyn lassen. Gute Jünglinge, und Männer, da hört ihr's, daß es der alte, auch treu' Ekhard nicht verhehlen will, daß ihr ihm den ersten Stoß gegeben habt, eine Schäzung der Ausländer in Vorschlag zu bringen. Die Schäzung werden die Aldermänner machen; das Gesez hab ich gemacht. Ihr könt es nun verwerfen, oder geben. Ich hab es, unsrer ehmaligen Gewonheit nach, nur auf eine Rolle geschrieben. Ich wolte lieber diesen Fehltrit thun, als auf die Langsamkeit des Griffels warten. Der kann schon noch gebraucht werden.

   Indem winkte er einem der Jünglinge, die ihn auf den Hügel begleitet hatten; und dieser brachte ihm die Rolle. Ich habe, sagte er noch, indem er die Rolle aufmachte, diesesmal mehr gethan, als mein Stamvater. Ihr wisset durch das Sprichwort: Der treu' Ekkard warnt, was dieser that. Ich habe in dem Geseze zwar auch vor einem gewissen Wege gewarnt; ich habe aber darinn auch einen andern gewiesen. Hört jezo die Rolle:

   »Will einer irgend einen Weg auf dem weiten Felde der Wissenschaften gehn, so zieh er zuvor genaue Erkundigung ein von dieses Weges Beschaffenheit. Sind ihn andre schon gegangen, und sind diese auf selbigem berühmt worden; so frag er sich dreymal, und das ja nicht mit Liebkosung seiner selbst: Ob er auch, ohne Nachahmung der Vorgänger, ja selbst ohne den Schein derselben, auf diesem Wege gehen, und gut gehen könne? Kann er nicht; so kehr er straks um, und meide, so lieb ihm seine und seiner Mitbürger Ehre ist, solchen Weg, als war er unten hohl, und als kröchen oben darauf Schlangen herum. Findet er dann einen andern Weg, der des Betretens werth ist, und Vorgänger darauf des Ubertreffens werth; und kann er ihn gehen, nicht nur ohne hin und her zu wanken, sondern mit festem Schritt: so kies er ihn sich aus, und walle auf selbigem frisch und fröhlich einher. Jünglingskühnheit, und Mut und Kälte der Männer geleiten ihn, wenn nun bey Anbruche der Nacht sein Weg schmäler wird, und die Wasser unten am Felsen brausen. Wer das erste last, und das andre rechtschaffen thut, der hat der Ansprüche auf die Belonungen der Republik nicht wenige. Denn er weis, was Verdienst ist.

   Also urtheilte, nach reifer und kalter Erwägung, Aldermann Ekhard auf dem Landtage zwey und siebzig, achtzehntes Jahrhundert.

   Auf dem Landtage angezeigtes Jahrs angenommen, in der Halle aufgestelt, und mit vollgeltender Obergewalt versehn von der versammelten Landgemeine; verworfen von dem Volke, von den Gemischten, und den Drittlern, mit welchen samt und sonders der Schuzgeist deutscher Nation dergestalt schalten und walten wolle, daß es ihnen nimmer, wie nicht an Helle des Kopfes, also auch nicht an Wärme des Herzens, gebrechen möge.«

   Ekhard war der Liebling von Vielen; aber das neue Gesez würd auch ohne diese Neigung gegen ihn durchgegangen seyn. Selbst das Volk, und dieß zwar mit den drey Stimmen, die gemischte Zunft, und die Zunft der Drittler nahmen es an; aber die beyden Anwalde, und der Rathfrager drohten Ekharden auch, ihn morgen, der zugefügten Beleidigung halben, öffentlich anzuklagen.

 

 

 

Der Abend.

 

 

Unterstüzung der Wissenschaften, die wir zu erwarten haben.

 

Die Versamlung im Thale war heute sehr zahlreich. Es wurde viel, und lebhaft von der Republik gesprochen. Unter anderm wurde Klopstock auf eine Weise veranlast, daß er es nicht von sich ablehnen konte, sich über den Inhalt der Zuschrift, die vor Hermanns Schlacht steht, näher zu erklären. Er wolt es, sagte er, der Geselschaft überlassen, nach einigen Stellen aus einem Plane zur Unterstüzung der Wissenschaften in Deutschland, und aus darüber gewechselten Briefen, von dem Inhalte dieser Zuschrift, zu urtheilen.

   Der Plan hatte die Überschrift: Fragment aus einem Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts. Wir müssen erst übersehn, (stand darinn) in welchem Zustande der Kaiser die Wissenschaften fand, eh wir von dem, in welchen er sie gesezt hat, urtheilen. Dieser Zustand war, daß die Gelehrten Deutschlands von keinem ihrer Fürsten unterstüzt wurden; und daß, indem sie das Verdienst hatten, alles, was sie thaten, allein zu thun, die Unterstüzung, auf die man sich hier und da ein wenig, und nur auf kurze Zeit einließ, viel zu unbedeutend war, als daß sie auf die Gegenwagschale jenes Verdienstes gelegt werden konte. Stolz konte freylich ein solches Verdienst diejenigen machen, die es hatten; aber zu einer Zeit, da eine Nation in Absicht auf die Wissenschaften in einer gewissen Bewegung ist, ist dem Fortgange derselben, und der Erreichung eines hohen Zieles nichts hinderlicher, als es haben zu müssen. Der Kaiser sah die Bewegung, in der die Nation war, und daß er in einem Perioden lebte, den seine Vorfahren vergebens würden haben hervorbringen wollen; er ergrif den Augenblik des Anlasses, und entschloß sich zu seyn, was er, weil er vaterländisch dachte, zu seyn verdiente ...

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(...) Wo drey Puncte stehn, fehlt etwas.

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Unterdeß fuhr die Nation fort ihre Sprache zu lieben, die Werke ihrer guten Scribenten mit Beyfalle aufzunehmen, und überhaupt Talenten mit viel mehr Antheile, als sonst gewönlich gewesen war, Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Und dieß war der Zeitpunkt, in welchem ein junger Kaiser, der den Geist Karls des Fünften in sich fühlte, Deutschlands Oberhaupt wurde. Die Nation war ungeachtet der Bewegung, in welcher er sie fand, gleichwol noch nicht patriotisch genung; einige der besten Werke der schönen Wissenschaften waren noch ungeschrieben, und viele Erfindungen der philosophischen waren noch nicht da. Ein Volk, das in viele Fürstenthümer abgesondert ist, konte auch nicht eher mit einem gewissen Feuer, und mit Festigkeit vaterländisch seyn, als bis man es veranlaste, Gesinnungen der Verehrung und der Dankbarkeit in seinem Oberhaupte zu vereinigen. Dieses, auch durch Unterstüzung der Wissenschaften, zu thun, und ihm durch die Kürze der Zeit, in der es ausgeführt wurde, eine noch stärkere Wirkung zu geben, war, und verdiente das Werk eines Kaisers zu seyn, dessen Namen unsre besten Dichter, und unsre strengsten Geschichtschreiber so oft ausgesprochen haben. Da die, welche in den philosophischen, und in den schönen Wissenschaften gut schrieben, als solche von Männern erkant wurden, denen man Entscheidung auftragen konte; so wurde hierdurch ein Grund gelegt, ohne den die Belonungen würden Verschwendungen gewesen seyn. Die Zahl derer, die zu entscheiden hatten, war klein. Sie hatten, und durften nichts Geringers, als die Ehre des Vaterlandes, des Kaisers, und der Beschüzer der Wissenschaften, die der Kaiser durch diese Befehle unterscheiden wolte, zum Zwecke haben. Auch ihre eigne Ehre konte ihnen nicht gleichgültig seyn. Sie hatten andern Gelehrten, oder wer sich sonst ins Urtheilen mischen wolte, gar keine Rechenschaft, aber dem Kaiser und den Beschüzern der Wissenschaften alle mögliche von ihren Urtheilen zu geben: und da diese oft gegeben wurde; so sähe man in das Innerste der Sache, und war nicht in Gefahr, Unwürdige zu belonen.

   Der Gedanke, eine kaiserliche Druckerey zu errichten, und darinn die besten Werke zum Vortheile ihrer Verfasser zu drucken, fand deswegen nicht statt, weil es zu schwer war auszumachen: Welchen Grundsäzen die Censoren dennoch folgen müsten, wenn es auch bey den Büchern nicht in Betrachtung kommen solte, ob die Verfasser Katholiken, oder Protestanten wären. Wenigstens hätte die Festsezung dieser Grundsäze zu viel Zeit erfodert; und man hätte sich gleich Anfangs in Schwierigkeiten verwickelt, statt mit schnellen Schritten zur Erreichung des vorgesezten Zweckes fortzueilen.

   Die Belonungen für die guten, und für die vortreflichen Scribenten, und für die nicht schreibenden Erfinder von gleichem Unterschiede, bestanden in Geschenken von zweyerley Art. Die ersten erhielten Geld und Ehre dadurch, daß ihnen jenes gegeben wurde; die zweyten Geschenke zwar auch nicht von geringem Werthe der ersten Art, aber zugleich von solcher Beschaffenheit, daß der Empfang nicht allein die Ehre derselben ausmachte. Man kante alle, die Verdienste um die Wissenschaften hatten, so unbekant sie auch ausser ihrem Kreise zu seyn glaubten; und man ließ es ihnen dadurch merken, daß man sie zu Schriften oder zu Erfindungen auffoderte. Diese Ausspähung des bescheidnen Verdienstes erhielt den Beyfall der Welt so sehr, daß ihr Deutschlands Kaiser alle Fürsten zu übertreffen schien, die jemals durch die Unterstüzung der Wissenschaften waren berühmt geworden. Man war so gar auf junge Genies aufmerksam, und sie bekamen Beyhülfe, sich weiter zu bilden. Wenn für angezeigte Erfindungen, oder für Schriften von bestimtem Inhalte Preise ausgesezt wurden; so erfuhren die, welche sie erhielten, oder sich umsonst darum bemüht hatten, die Namen derjenigen, die ihre Beurtheiler gewesen waren ... Überhaupt wurde auf eine Art verfahren, die den Werth dessen, was geschah, noch erhöhte. Mannigfaltigkeit in dem Betragen, und Neigung, das Verdienst liebenswürdig zu machen, gab Allem eine Wendung der Anmut, mit der nichts, als die gutwählende Beurtheilung konte verglichen werden ... Durch dieses alles stieg der Ruhm des Kaisers so schnell, daß es bald lächerlich wurde, ihm publicistisch zu räuchern. Denn er ward wirklich verehrt, und geliebt ... Lessing und Gerstenberg, die Unteraufseher der Schaubühne, wählten so wol die deutschen Stücke, die gespielt, als die ausländischen, die für die Vorstellung übersezt werden sollen. Sie hatten die Gewalt, ohne Jemanden von dem Gebrauche derselben Rechenschaft zu geben Schauspieler anzunehmen, und fortzuschicken. Sie gaben ihnen zugleich Unterricht in der Kunst der Vorstellung, und bereiteten sie zu jedem neuen Stücke. Bey der Wahl der Stücke wurde nicht allein auf ihre poetische, sondern auch auf ihre moralische Schönheit gesehn. In Absicht auf diese hatte der Oberaufseher den streitigen Fall zu entscheiden. Denn dieser höchstwichtige Punkt ist nicht die Sache der Kunst, sondern des Staats. Weil die Schaubühne nicht allein von ihren Einkünften, sondern im Falle des Mangels auch vom Hofe unterhalten wurde; so kam der Gedanke, daß man weniger Zuschauer haben würde, wenn man auf diese oder jene Art verführe, nicht in Betrachtung, und man konte kühn mit dem griechischen Dichter sagen: Ich bin nicht da, ihr Athenienser, von euch, sondern ihr seyd da, von mir zu lernen ... Endlich eine Geschichte unsers Vaterlandes schreiben zu lassen, dazu gehörte mehr Zeit, als die Schaubühne zu heben, oder ein Singhaus (es ist hier nicht von der Oper die Rede) einzurichten. Einige Gelehrte, die bloß Samler waren, erhielten von zwey Geschichtschreibern, einem Katholiken, und einem Protestanten eine genaue Anweisung zu dem, was sie sammeln sollen. Sie konten nicht eher, als nach einigen Jahren von ihrer Reise zurükkommen. Nun waren zwar die Geschichtschreiber von einer grossen Menge Stof, Ruinen, aus denen sie bauen solten, umgeben; aber gleichwol musten sie erst lange und sorgfältig wählen, eh sie schrieben. Wir dürfen sie keiner Zögerung beschuldigen. Was hatten sie nicht zu thun. Sie musten festsezen, was wirklich geschehn sey, und sie durften aus dem Wahren nur dasjenige herausnehmen, was wissenswürdig war. Sie konten also nicht anders, als mit langsamen Schritten fortgehn. Dafür haben sie uns aber auch ein Werk geliefert, das uns auf unsre Nation, und auf sie stolz machen kann.

   Kopenhagen den 28 Apr. 68. Ew. Durchlaucht sehen, daß der Zwek dieses Entwurfs ist, den Gelehrten, welche man der Belonung würdig hält, ausser den Ermunterungen der Ehre, auch Müsse zu geben, und zwar eine solche, die ihrer Arbeitsamkeit angemessen ist. Nur neue Arbeiten können nach demselben neue Geschenke veranlassen ... Die Ausgaben können von keiner Erheblichkeit seyn. Nur im Anfange konten sie es einigermaassen seyn, weil schon vieles da ist, das Belonung verdient. Aber auch den Anfang mit gerechnet, hat doch dem vorigen Könige von Fohlen seine Oper, in wenigen Jahren, mehr gekostet, als diese Unter-stüzung der Wissenschaften, in vielen, kosten würde. Und welcher Unterschied der Folgen. Auf der einen Seite diese nun vergesne Oper, die einigen Vergnügen gemacht hat; und auf der andern Seite: Die Wissenschaften in Deutschland zu einer Höhe gebracht, welche von der Geschichte als Epoke wird bemerkt werden ... weil ich für mich selbst nichts suche, und mich für glüklich halte, wenn ich etwas für die thun kann, denen es in den Wissenschaften gelungen ist ... Die Unterstüzung der Wissenschaften solte eben so wenig den Geist der Nachahmung haben, als ihre Werke. Auch aus diesem Grunde brauchen wir keine Academie.

   K. den 12 Jul. 68. Es hat mir nicht wenig Überwindung gekostet bis jezo still zu schweigen. Denn mit eben der Unruh und Ungeduld liebt man, (ich bin einst glüklich in der Liebe gewesen) mit der ich oft mitten in andern Beschäftigungen zu dieser unsrer Sache, und gewiß des Vaterlandes, wenn sie gelingt, zurük gekommen bin ... Ich glaube jezo Ew. Excellenz einen noch kürzeren Weg, als in dem Plane von der Geschichte unsers Vaterlandes steht, anzeigen zu können. Die Hauptidee davon ist: Unsre Geschichte in Perioden abzusondern, und für die Ausarbeitung eines jeden einen Preis zu bestimmen. Die Preise für die gute, und für die vortrefliehe Ausarbeitung sind nicht allein verschieden; sondern wenn für Einen Perioden eine gute, und eine vortrefliche Ausarbeitung erscheint, so bekomt diese den grösseren Preis, und jene keinen. Solche Erklärungen in einer Ankündigung sind Stacheln, die in dem olympischen Wettlaufe das Pferd, das leicht genung zum Siege ist, zwar nur von ferne blinken zu sehn braucht; aber sehn muß es sie gleichwol ... Der lezte Periode dieser Geschichte ... wenn der Kaiser überhaupt fortfährt zu handeln, wie Er thut; und wenn Er ins besondre die Ehre der vaterländischen Wissenschaften an Sein Zeitalter mit Blumenketten fesselt.

   Constanz den 14 Aug. 68. Der Graf hat bey der ersten Gelegenheit dem Fürsten Kauniz alles vorgetragen, und Ihm sodann die Schriften übergeben. Er hat auch noch anderwärts die Sache angebracht, um sie zu befördern, und, ich muß Ihm die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, sich ihrer so ernstlich, als es sich nur thun läst, angenommen. Er hat aber doch bis jezt noch keine positive Antwort bekommen ... Der Kaiser ist, wie Sie wissen, spät zurük gekommen, und bald wieder verreist.

   Langenstein den 16 Sept. 68. Ich habe nun erfahren, daß der Kaiser die Dedication angenommen habe. Ich sage Ihnen dieß nur sub rosa. Das weitere werden Sie alles von dem Grafen schon hören.

   K. den 20 Sept. 68. Ich kann mir vorstellen, daß viele und grosse Geschäfte die Untersuchung solcher Sachen hindern, die noch ausgesezt werden können. Jene unterdrücken selbst den Entschluß, diese zu untersuchen. Denn sonst würden leicht zu entscheidende Dinge oft nicht so langsam entschieden werden. Wenn ich mir eine andre Ursach der aufgeschobnen Entscheidung denke; so furcht ich alles. Aber ich habe gute Gründe diese Furcht zu entfernen, erst Ihren Charakter, nach welchem Sie bey mir unter die Wenigen gehören, die mehr halten, als sie versprechen; und dann alles das, was ich durch Sie von dem Fürsten Kauniz weis. Aber lassen Sie uns einmal das Schlimste sezen, ich meine, daß der Fürst Kauniz keinen Geschmak an der Sache fände. Dieß also gesezt, frag ich Sie: Wollen Sie dann nicht mein Führer werden, wie ich es machen muß, die Sache unmittelbar an den Kaiser selbst gelangen zu lassen? ... Ich habe Ew. Excellenz in meinem lezten Briefe gestanden, (ich that es, weil ich nichts Geheimes in der Sache vor Ihnen haben mochte) daß ich mit einigen meiner Freunde von unsrer Sache geredet habe. Ich habe sie durch meine Hofnung des guten Erfolgs zum Hoffen gebracht. Sie waren desto eher dazu zu bringen, je bekanter es ihnen ist, daß ich sonst eben kein grosser Hoffer bin. So oft ich mir die Sache als mislungen denke; so ist mir die Vorstellung von dieser Mittheilung derselben unangenehm. Unterdeß kann ich es nun nicht mehr ändern ... Ich fürchte nicht, daß, wenn irgend ein Theil meines Plans keinen Beyfall erhalten solte, dieser Umstand Einfluß auf das Ganze haben werde. Es giebt viele Arten der Ausführung einer so vielseitigen Sache. Ich hätte noch mehre anführen können, als ich angeführt habe, wenn ich mir hätte erlauben dürfen auch nur weitläuftig zu scheinen. Es ist nur Ein Punkt, von dessen Gegentheile ich schwer zu überzeugen seyn werde. Dieser ist: Der Kaiser muß entweder gar nichts für die Wissenschaften thun, oder Er muß etwas dafür thun, das Seiner würdig ist. Es würde völlig überfliessig seyn dieses Grundsazes erwähnt zu haben, wenn ich nicht in der Geschichte die Meinung so oft an den Höfen fände, daß es genung sey, diese und jene Kleinigkeit für die Wissenschaften zu thun. Aber die Beschaffenheit des Verfahrens an sich selbst, und die Geschichte haben mich gelehrt, daß der Erfolg des Nuzens und der Ehre auch nur von geringer Bedeutung seyn könne; und gewesen sey. Vielleicht sind Sie auf diese Meinung, in Betrachtung deß, was sie in der Geschichte, die sie in ihren Wirkungen zeigt, für Eindrücke macht, nicht so aufmerksam gewesen, als ich. Dieses ist die Ursach, warum ich sie berührt habe. Wenn Sie in den Fall kommen solten, sie bestreiten zu müssen; so kenne ich keine besseren Waffen, als sich auf ihre Folgen zu beziehn ... Ich wünschte sehr, daß Sie in Ihren Bemühungen für unsre Sache bald einmal zu der Frage kämen: Wie viel man jedes Jahr, und zwar fürs erste nur auf einige Jahre, für die Wissenschaften bestimme? ... Ich bin nicht gern Vorausversprecher; aber ich bin überzeugt, daß der Erfolg weniger Jahre so seyn würde, daß man sie, ohne meine Bitte, würde vermehren wollen.

   Wien; den 19 Oct. 68. Da wir wieder auf dem Plaze sind, wo der Graf handeln kann; so sind wir doch schon wieder so viel näher ... Es wird doch, wenn nicht im Ganzen, doch gewiß zum Theile gut gehen; und was Sie immer freuen solte, und was mich auch für Sie, und für Wien unendlich freut, ist, daß man Sie hier kent, und daß Sie durch die jezige Negociation noch mehr und genauer bekant werden ... Der Ausdruk, dessen ich mich bedient, und der Sie nicht vollkommen befriedigte, will sagen, daß der Graf die Sache auch bey Verschiednen, die man, ich meine der Fürst, wenn von den Wissenschaften die Rede ist, anhört, angebracht, und Sie auch empfolen habe.

   W. den ioDec.68. Ich wiederhol es Ihnen: Mit der edelsten, mit einer Seiner würdigen Art, hat unser angebeteter, hoffnungsvoller Kaiser Ihre Declamation angenommen ... Der Graf hoft alles wieder gut zu machen, wenn Er Ihnen selbst schreiben werde. Sie sollen alsdann auch die Zueignungsschrift mit den wenigen Veränderungen, die mir wirklich, die Wahrheit zu gestehn, nicht bekant sind, die aber, wie ich höre, nicht groß seyn werden, so wie sie gedrukt werden darf, von Ihm erhalten.

   W. den 24 Apr. 69. Wegen des Plans könne Er nichts weiter sagen. Freylich hätt es der Fürst Kauniz gut aufgenommen, aber noch keine weitere Erklärung oder Entschliessung gemacht. Vielleicht würde die Sache früher, als wir dächten, genuzt, und in Ausführung, wo nicht im Ganzen, doch in etwas gebracht werden.

   K. den 9 May 69. Ich habe bey Übersendung des Plans an den Fürsten Kauniz geschrieben, daß ich nichts für mich suchte. Bey dieser Gesinnung freute mich das Geschenk des Kaisers vornämlich deswegen, weil es demjenigen gegeben wurde, dessen Plan für Andre der Kaiser mit dieser Gnade angenommen hatte. Wenn aber (nach der oben angeführten Nachricht) der Plan nun nicht angenommen seyn soll, oder die Annehmung doch wenigstens so ungewiß ist, und also auch die Zuschrift aufhört ein Theil des Plans zu seyn; (sie ist dieß dadurch, daß sie eine jezige Ankündigung der Sache enthält) so bin ich wirklich in einer Stellung, die nicht ohne Schwierigkeit ist sie zu ändern. Ich habe gleichwol auf den Fall hin, daß jene Nachricht völlig gegründet ist, meinen Entschluß gefast. Ich werde nämlich, ohne Tadel von denen zu fürchten, deren Beyfall ich am meisten wünsche, die Erlaubnis zu erhalten suchen, das Gedicht lieber ohne Zuschrift herauszugeben. (Dieser Brief wurde, weil der gleichfolgende darüber ankam, nicht weggeschikt.)

   W. den 4 May 69. Von diesem werden Sie die Dedication, so wie sie darf gedrukt werden, nämlich mit Auslassung der Stelle: aber nicht Friederich; und Deutschland war doch auch sein Vaterland . erhalten ... Es steht Ihnen völlig frey, die Dedication so drucken zu lasssen wie Sie dieselbe empfangen werden. Denn so ist sie von der Hofcanzley durch einen Vortrag an den Kaiser gegangen; und auch so von Ihm gut geheissen worden.

   K. den 16 Sept. 69. Die Anmerkungen zu dem Plane sind erst jezt hinzugekommen. In der Voraussezung, daß Sie die Beylagen durchgesehn haben, hab ich jezo nur noch dieses zu sagen. Ich bin darauf, daß ich das edle Vorhaben des Kaisers in der Dedication vor Hermanns Schlacht zuerst habe bekant machen dürfen, so stolz, als wenn ich die Erlaubnis erhalten hätte, eine Aufschrift unter eine Bildsäule des Kaisers zu sezen, und meinen Namen dabey zu nennen. Ich lese bisweilen in Gedanken jene Worte der Bekantmachung, als eine Umschrift des von mir oft wiederangesehnen Brustbildes der Medaille, die Seine Majestät mir zu geben die Gnade gehabt haben ... (guten und vortreflichen) Man war mit den Urtheilen, die eine Schrift oder Erfindung für gut erklärten, sparsam; und mit denen, die ihre Vortreflichkeit entschieden, geizig. Nicht wenige derer französischen Werke, welche dem Jahrhunderte Ludewigs des Vierzehnten angehören, würden die deutsche Untersuchung nicht ausgehalten haben. (Ausspähung des bescheidnen Verdienstes) Diese Art zu verfahren war allein schon zureichend, die Unterstüzung der Wissenschaften durch Joseph den Zweyten von denen zu unterscheiden, die in andern Ländern und Zeiten, gröstentheils bloß zur Schau, sind unternommen worden. Denn es ist hier der so wesentliche Unterschied des Scheinens und des Seyns ... (der Geist der Nachahmung) Er hält die Erreichung eines hohen Zieles in den Wissenschaften eben so sehr zurük, als er der Ehre der Nation nachtheilig ist; und es ist unter dem Kaiser, ihm auch nur mit Einem leisen Tritte zu folgen.

   K. den 16 Sept. 69. Nur Einen ununterbrochnen Abend bitte ich mir von Ihnen Beyden aus, und daß Sie Ihren Freund überzeugen, Er thue etwas recht nüzliches, und ruhmvolles, oder mit Einem Worte, etwas, das recht deutsch ist, wenn Er diese vaterländische Sache dem Kaiser mit Wärme vorträgt. In dieser Stunde Ihrer Zusammenkunft, und zugleich der Grundlegung zu daurenden Denkmalen wird Deutschlands Genius mit hoher Fackel vorleuchten. (Der Erfolg wird zeigen, daß mein poetisch scheinender Ausdruk Prosa war) Es giebt auch fürs Vaterland Thränen der Ehrbegierde, und Seufzer einer edlen Rache, wenn es verkant worden ist. In der auf jene folgenden Stunde des Ausspruchs:

               Has inter lacrimas sedet et suspiria Caesar.

   W. den 24 Sept. 69. Weil ich Verschiedner, deren Stimmen gezählt werden, Gesinnungen gegen Sie erfahren habe, so getraue ich mir, Ihnen eine Reise zu uns zu proponiren ... Ich habe mit van Switen beynah eine Stunde von Ihnen gesprochen, und gefunden, daß er Sie ungemein liebt. Er sagte unter anderm, daß Sie hierher kommen, und unsre Maria Theresia, und unsern Joseph kennen lernen müsten. Nun denken Sie, wie er mein Project, daß Sie hierher kommen möchten, aufgenommen habe.

   W. den 23 Apr. 70. Wir müssen die Hofnung und die Geduld nicht verlieren. Man kann bey der jezigen Lage der Sachen nichts anders thun, als nur immer die guten, und nicht einmal gesucht zu seyn scheinenden Gelegenheiten abpassen, wo man nötige Erinnerungen machen kann, die dann, wenn es einmal recht Ernst wird, gewiß nicht ohne Wirkung seyn werden.

   K. den 9 Jun. 70. Graf Dietrichstein schrieb mir im Dec. des vorigen Jahrs, daß zur ächten Ausführung ich, und vielleicht ich allein der Mann wäre; schrieb aber auch, daß, was die Zeit derselben anbeträfe, wir noch andre Umstände abwarten müsten. Ich habe bisher noch nicht geantwortet, weil ich nicht dringend scheinen wolte. Aber wenn ich nicht ungewiß wäre, ob Er schon von Berlin zurükgekommen sey; so würd ich nun antworten. Ich mache mir jezo Vorwürfe wegen des Aufschubs. Denn nur immer nicht dringend zu scheinen, damit kann das Leben hingehn, ohne daß man etwas gethan hat ... Die Meinung war, daß die Reise schon im damals bevorstehenden Frühjahre geschehn solte. Mehr Einladung, und also auch mehr Hofnung, etwas auszurichten, würde gemacht haben, daß ich sogar das Unangenehme einer Winterreise nicht würde geachtet haben.

   W. den 19 Jul. 70. Es war mein und Ihrer andern hiesigen Freunde Gedanken, die Sache während Ihrer Anwesenheit ganz anders anzugreifen, und sie hoffentlich zu Ihrem völligen Vergnügen zu endigen. Freylich können Sie mehr Einladung verlangen ... Der Kaiser selbst ist Ihnen geneigt. Was begehren Sie denn mehr ? Lassen Sie sich das für dießmal genung Einladung seyn.

 

 

 

Zwölfter Morgen.

 

Die Aldermänner halten Vortrag. Die Zunft der Drittler widersezt sich denselben.Was darauf erfolgt. Bitte einiger Jünglinge. Die Anwalde der Weltweisen, der Naturforscher, und der Dichter erklären sich über den Vortrag der Aldermänner.

 

   Die Aldermänner waren heute beym Heraufgehn auf die Fragen, welche ihre Begleiter an sie richteten, sehr kurz in ihren Antworten. Sie schienen mit tiefen Entwürfen beschäftigt zu seyn. Dieß währte fort, und wurde, als man nun ganz versammelt war, überall bemerkt; und vielleicht war es die Ursach, daß kein Anwald vor den Aldermännern erschien, Vortrag zu halten. Als diese sahen, daß ihnen kein anderes Geschäft im Wege stünde; so trat ihr heutiger Wortführer aus dem halben Kreise hervor, sahe kurze Zeit mit kaltem Nachdenken umher, und sagte:

   Es sind wenig Zeitpunkte, in denen man durch zusammentreffende Umstande unterstüzt, grosse Entschliessungen fassen kann; und noch seltner ist es, daß die gefasten Entschliessungen ausgeführt werden. Wie oft bleibt man so gar auf der Schwelle der Ausführung stehen. Kaum daß sich Schwierigkeiten zeigen, und es nun auf ausdaurendes Fortfahren, auf den unermüdeten Schritt ankomt, den nur Männer haben; so ist es mit der Sache vorbey, und das grosse Gebäude, welches sich nur eben über seine Grundlegung erhoben hatte, sinkt in Trümmern. Lieber die Hände völlig in den Schooß, unbemerkt gelebt, und unbemerkt gestorben, lieber nicht den ersten Gedanken zu irgend einem Entschlusse, als den überdachtesten, den mänlichsten, den kühnsten so ausgeführt! Doch von euch fürchten wir eine solche Ausführung nicht. Denn ihr seyd Deutsche! Aber euch zu überzeugen, daß der Entschluß, den ich bald bekant machen werde, zu fassen sey! darauf komt es an. Das alte wiedergefundne Gesez hat Ekharden, und er die Republik nicht wenig Schritte vorwärts auf der grossen Laufbahn gebracht. Wo das gegebne neue Gesez mit seiner Wirkung stehn bleibt, da fängt unser Entwurf an. Und wohin dieser von dort an führe? Bis zu einem Ziele, denken wir, das ihr euer, und unser würdig finden werdet. Was wir Deutschen, weil wir unsre ersten oft tiefen und weitsehenden Gedanken entweder nakt hinwerfen, oder sie durch weitläuftigen Vortrag, wie in einer Vermummung, beynah ersticken; (wenigstens haben wir erst seit kurzem aufgehört dieß zu thun) weil wir zu bescheiden von uns selbst urtheilen, und die Ausländer eben dieß Verdienst mehr nicht nur verkennen, sondern so gar zu unserm Nachtheile anwenden; was wir aus diesen Ursachen zu seyn scheinen, daran liegt wenig: aber alles daran, was wir sind! Wenn wir, in den meisten abhandelnden Wissenschaften, den rechten Weg zuerst gesehen, in vielen ihn zurükgelegt, in keiner unbetreten gelassen haben; wenn wir, in den darstellenden, neue Bahnen gebrochen haben, und auf einigen derselben weiter vorwärts gegangen sind, als manche Ausländer, auf alten lange bereisten Wegen und Stegen; wenn wir überhaupt mehr Altes verkürzt, umgebildet, verworfen, mehr Neues gefunden, entdekt, erfunden, es tiefsinniger bestimt, lebendiger gefast, gerader und stärker zum Gebrauche angewendet haben: wenn das unsre von vielen ungekante, aber wirkliche Vorzüge sind, warum sollen wir länger anstehn einen Entschluß zu fassen, zu dem solche Vorzüge nicht nur auflodern, sondern dem sie auch das, was zulezt, die Zuschauer mögen viel oder wenig gezweifelt haben, alles entscheidet, nämlich die glükliche Ausführung, in voraus versichern. Es gelte also das neue Gesez vom Übertreffen; mit gleichem Verfahren werd es aufrecht erhalten, und sein Erfolg breite sich in dem ganzen Umfange aus, den er haben kann. Aber lasset uns auf diesem Pfade fort, und weit fortgehn.

   In dem grossen beynah gränzlosen Bezirke der Wissenschaften, oder dessen, was von dem Denkenden und Tiefsinnigen gekant, und von dem Guten und Edlen empfunden zu werden verdient, liegen Gegenden, Landschaften, auch wol Reiche, die von uns und den Ausländern gemeinschaftlich oder allein, halb oder ganz besessen werden, schlechter oder besser sind angebaut worden; liegen andre unentdekte Länder, die man theils glaubt von fern gesehn zu haben, und theils nicht einmal mutmasset. Wenn die Republik auf dem jezigen Landtage den grossen Entschluß fasset, den wir euch gleich anzeigen wollen, wenn er mit deutscher Beständigkeit, mit diesem unüberwindlichen Ausdauren, ins Werk gerichtet wird; so werden die, welche ein Jahrhundert nach uns Landtag halten, unsre Male mit Blumen bestreun, daß wir ihn gefast, daß wir es zum bleibenden unveränderlichen Grundsaze der Republik gemacht haben, von dem nur der Feige, und der Geistlose abweichen dürfen, den der Greis dem Jünglinge, der Freund dem Freunde, aber auch der Jüngling dem Greise, und der Feind dem Feinde zurufen soll:

   »Hinzugehn, und in jenem grossen Umkreise der Wissenschaften, die Länder, welche nur halb besessen werden, ganz einzunehmen; die Mitbesizer der andern Hälften nicht nur dadurch zu schwächen, daß wir in diesen Hälften besser als sie anbaun, sondern auch dadurch, daß wir es da thun, wo wir uns allein niedergelassen haben; nirgends der falschen Cultur zu schonen, über alle Gärten, wo nur Blumen wachsen, den Pflug gehn zu lassen, jedes Gebäude, das in den Sand gebaut ist, niederzureissen, und selten ganze Städte auf solchem Grund und Boden liegen, und war es dann auch mitten in den besten gemeinschaftlichen Besizen, oder auf Landwinkeln der französischen Gelehrtenrepublik, der englischen, wo wir sie anträfen, und würden sie auch von Chimären bewacht, die Feuer und Flammen spien, diese Städte an allen Ecken anzuzünden, und nicht eher von dannen zu ziehn, als bis der Dampf überall aufstiege: uns aufzumachen, und neue Länder zu suchen, auf der kühnen Fahrt selbst nicht die kleinste Insel, kein Pünktchen in dem Oceane liegen zu lassen, sondern überall zu landen, alles zu umgehen, auszuspähn, zu untersuchen; in den anbaulichen Entdeckungen gleich die Erde auf zureissen, und Saat zu streun; und treibt die unüberwindliche Unruh des Aufsuchens so gewaltig fort, daß nur in dem nächsten dem besten Felsen gegraben wird: Hier sind Deutsche gewesen! damit wenn Sturm oder Nadel Ausländer auch dahin bringen, sie unser früheres Recht sehn; dennoch gleich einen der edlen Abentheurer nach der Heimath zu schicken, damit er deutsche Anbauer herüber führe, und diesen solche Eile und Ämsigkeit gebieten zu lassen, daß die Ausländer (denn verwerflich ist unsre alte Sitte, daß wir nur immer entdekt, und dann Andre haben anbaun lassen!) von der Entdeckung, und von der blühenden Einrichtung zugleich Nachricht bekommen.«

   Wenn wir auf diese Weise ein halbes Jahrhundert das werden vereinigt gethan haben, was vor uns nur einzelne kühne Männer thaten, und eben dadurch den Grund legten, daß wir uns, ihre Unternehmungen fortzusezen, vereinigen konten; dann werden wir rings um uns vernehmen, daß man uns für Eroberer hält, deren weitaussehenden Absichten man sich widersezen müsse. Glüklicher Zeitpunkt! Ihr könt ihn erleben, Jünglinge, deren Herz jezo laut vor Unruh schlägt, ob die Republik den grossen Entschluß, sich zu diesem Zwecke zu vereinigen, fassen werde. Ist er gefast; so macht euch nichts mehr Unruh. Denn ihr wisset, daß der Deutsche gewiß ausführt, wenn er einmal beschlossen hat auszuführen! Die Zeit, in welcher die Eroberer am mutigsten und kräftigsten handeln, ist die, wenn sie schon vieles gethan haben, Schrecken und Bündnisse verursachen, und in ihrem Laufe noch können aufgehalten werden. Nie sind sie furchtbarer und unwiderstehlicher, und nie geschehn grössere einzelne Thaten. Das alles könt ihr erleben, Jünglinge, und daran könt ihr Theil haben! Ich will euch sagen, wie es zu dieser Zeit seyn wird. Der Anblik unsrer neuen, von uns selbst angebauten, und fruchtreichen Besize wird uns alsdann beynah eben so sehr zur Fortsezung der Entdeckungen reizen, als es die Schwierigkeit sie zu machen nur immer thun kann; und dieser doppelte Reiz wird uns, gleich einem unaufhaltbaren Strome, mit sich fortreissen. Wer diese Zeit erlebt, eine Seele hat, und gleichwol stillsizt, und zusieht, den wird man, auch bey der grösten Neigung zur Nachsicht, aus der Republik verbannen. Hat diese dann, nach dem Verflusse nur noch einiger Jahre, ihre Besize nun so sehr erweitert, daß fast keine Wissenschaft ist, in welcher die ausländischen Republiken nicht von ihr, mehr oder weniger, aber lernen müssen; so ist sie bis dahin gekommen, wo die Eroberer anfangen mit Gelindigkeit zu herschen. Die Herschaft einer Gelehrtenrepublik über eine andre ist an sich selbst schon gelinderer Art, als die Herschaft derer ist, die durch Blutvergiessen erobern: wie sehr muß sie also vollends alsdann seyn, wenn es nicht mehr nötig ist, jedes Recht der Vorzüge, die man erlangt hat, gelten zu machen. Wenn ich gelten machen sage; so nehme ich es so, wie es von Deutschen genommen werden darf, nämlich, ohne Herablassung bis zur Eitelkeit, und durch Darzeigung solcher Dinge, deren Werth von selber redet. Der Charakter der blutigen römischen Eroberung war: Derer, welche sich unterworfen hatten, zu schonen ; und die Stolzen bis zur Vertilgung zu bekriegen. Der Charakter unsrer Eroberung muß, und wird seyn: Die, welche sich unterwerfen, zu Bundesgenossen aufzunehmen; und die Stolzen, welche unsre Unterstüzung von sich stossen, ihrem Mangel, und dem Bewustseyn zu überlassen, daß wir über sie erhaben sind. Bleiben wir uns alsdann gleich; so werden sie sich nicht gleich bleiben. Der Mangel wird sie drücken, ihr Bewustseyn wird zu sehr bemerkt werden, als daß sie es länger verbergen könten. Sie werden sich unterwerfen, und wir werden sie in unsern Bund aufnehmen. Denn wir hatten edler gedacht; wir hatten erobert, glüklich zu machen.

   Ich fodre Niemanden auf, sich auf diesem grossen Schauplaze der Eroberung für die Republik aufzuopfern. Wer zur Aufopferung Kraft in der Seele hat, der thut's ohne Auffoderung zu erwarten, ohne sie nur einmal zu dulden! Wie Männer sich betragen, die solche Auffoderungen so gar beleidigen würden? Meint ihr, daß sie ihre Gesundheit, ihre Ruhe, ihr Leben nicht wie andre lieben ? So gar mehr; denn sie sind lebhafter, als andre. Aber komt die Zeit, daß die Gegner keine Siege mehr erdulden wollen, daß sie auch fechten, daß der Kampf um grosse Besize hart und heiß wird, so heiß, daß der Sieg schwankt: dann sind es jene Männer, die nicht hinter sich sehen, wer flieht, oder wer steht, sich nicht etwa nur die Vergnügungen, sich so gar die Erholungen des Lebens versagen, mit Kälte, und mit Feuer wider die, welche sich gelüsten lassen, überwinden zu wollen, heranstreben; mit Kälte, die die Wendungen, die Stärke, die Schwäche der Gegner scharfes Bliks entdekt, mit Feuer, das die ganze Kraft da schnell anwendet, wo die Kälte hingeführt hatte, so lange, und so unüberwindlich heranstreben, bis, wer sich wandte, umkehren, und siegen helfen kann.

   Der Aldermann trat nicht, wie das sonst nach gehaltnen Anreden zu geschehen pflegt, auf dem Plaze zurük; sondern blieb stehen, und sahe, mit dem heitern Ernste der Entschlossenheit, rings umher. Er war bald mit ungewönlich tiefem Stillschweigen, und bald mit lauten Ausbrüchen der Freude gehört worden. Unsre ältesten Mitbürger haben bezeugt, daß sie noch niemals eine solche Bewegung auf einem Landtage gesehn hätten. Nachdem die ersten und wärmsten Berathschlagungen vorüber waren, breitete sich die Erwartung, welche Zunft sich zuerst erklären würde, fast überall aus. Wider alles Vermuten that es die Zunft der Drittler. Ihr Anwald sahe die Sache, in einer langen Erörterung, von vielen falschen Seiten an, und schloß endlich, daß sich also hiermit die Zunft wider die Aldermänner erkläre! Diese antworteten dem Anwalde nicht, sondern liessen durch den Herold ausrufen: Daß es jezo zu seiner vollsten Reife gekommen wäre, was die Republik schon lange wider die Drittler beschlossen hätte; und daß also die Zunft, und zwar nun gleich, müste aufgehoben werden. Diesem zufolge bäten sie die Zünfte, den Herold nicht abzuwarten, sondern dadurch, daß sie die Anwalde auf den Pläzen vortreten, und die Stimmen geben liessen, die Sache kurz abzuthun. Dieß geschah; und die Zunft der Drittler sahe sich, mit einer Verwunderung, welche die andern Zünfte nicht recht begriffen, auf Einmal unter dem Volke. Man hat nachher erzählt, daß die gemischte Zunft die Drittler hätte in Schuz nehmen wollen, aber durch die Befürchtung eines gleichen Schiksals davon wäre abgehalten worden; allein wir müssen zur Steuer der Wahrheit, die uns über alles geht, sagen, daß wir, nach langer und sorgfältiger Nachforschung, das Gerücht falsch befunden haben. Die eingegangne Zunft breitete sich schnell unter dem Volke aus, und bekam, ob man gleich sehr wol hätte einsehn können, aus welchen Ursachen diese neuen Mitglieder handelten, eben so schnell Einflüsse unter demselben. Geschrekt durch die vielleicht ganz nahe Gefahr, daß das Volk nun gar die drey Stimmen wider die Aldermänner geben könte, sprangen zwölf edle und vaterländische Jünglinge, die einander zugewinkt hatten, auf Einmal auf, sonderten sich von dem Volke, zwangen ihrer einen zum Anführer, und gingen bleich und zitternd, aber dennoch sehr mutig, nach dem halben Kreise zu. Die Aldermänner winkten, und riefen ihnen Rükkehr entgegen; allein die Jünglinge sahen und hörten nichts mehr, gingen hinauf, sagten: Es wäre jezt eben eine weitansteckende Seuche unter das Volk gekommen! baten, beschworen die Aldermänner (sie hätten sich beynah vor ihnen niedergeworfen; der Anführer konte nicht reden, also redeten alle) beschworen sie bey der Ehre der Nation, beym Vaterlande, nicht hart zu seyn, ihnen es nicht zu versagen, nicht abzuschlagen, heute, an diesem festlichsten ihrer Tage, eine Stimme haben zu dürfen! Ekharden stürzten dabey die Thränen der Freude so heiß herunter, daß er sich wegwenden muste. Auch den übrigen Aldermännern wurd es schwer zur Rede zu kommen; und nicht wenig nahm ihre Freude zu, da sie beynah aus allen Zünften die Anwalde laut rufen hörten, daß den Jünglingen ihre Bitte nicht verweigert werden müste! Die Aldermänner gestanden sie zu, Die Jünglinge gingen nicht wieder zum Volke hinunter. Sie traten seitwärts neben die Bildsäulen, blieben dort stehen, und schlugen, mit jeder Anmut der Bescheidenheit, und mit der schönen Röthe des zurükgehaltnen Feuers, die Augen nieder.

   Der Anwald der Weltweisen kam langsam auf dem Zunftplaze vorwärts gegangen, und sagte, indem er sich gegen den halben Kreis wandte: Die Aldermänner, und wer sonst wie sie dächte, würden seine Kälte nicht in einem falschen Gesichtspunkte ansehn. Sie hätte keine andre Ursache, als die Neigung, vor dem Entschlüsse, zu untersuchen. Die Aldermänner hätten diese allerdings wichtige Sache nicht der ganzen Republik vortragen sollen, sondern einige würdige, und zur Ausführung vorzüglich fähige Männer wählen, diesen ihre Absicht anvertraun, und durch sie den Versuch sollen machen lassen, ob die Unternehmung nicht zu kühn sey. Denn groß in den Wissenschaften wären die andern Gelehrtenrepubliken, und gefahrvoll das Bestreben, über sie hinaus zu steigen. Wenn wenige Ausgewählte, ohne zu erklären, was sie vorhätten, es versuchten, und also nicht die ganze Republik auf die schlüpfrige Laufbahn gewagt würde; so könte das unter ändern auch den Vortheil haben, daß die, wider welche es die Wenigen versuchten, gleichsam unvermutet überfallen würden, und noch auf ihren Lorbern schliefen, wenn die Sache vielleicht schon geschehen wäre. Versuche, sagte der Anwald der Naturforscher, sollen wir machen? und noch dazu ins geheim? Eine Verschwörung soll's? Du meinst wol gar, weil du so klug, und so furchtsam bist, tiefer zu sehen, als die Aldermänner, welche die Republik, und sie so zu den grossen Thaten aufgefodert haben, daß sie nun, was sie beschliest, nicht im Winkel beschliessen kann. Denn du kömst unter anderm auch viel zu spät mit deinen Behutsamkeiten! Du hättest es den Aldermännern anmerken sollen, was ihnen im Sinne läge, und ihnen dann deinen Rath von den Versuchen, und der Verschwörung, ertheilen sollen. Auch hast du von der Grösse der andern Republiken geredet. Kleinmütiger Mann! sollen wir denn etwa den edlen, den ehrenvollen, den vaterländischen Wettstreit mit solchen halten, die nicht werth sind überwunden zu werden? Da sieh dort die Jünglinge bey den Denkmalen an, und lerne von ihnen, Anwald! Euch, Aldermänner, hab ich nur zwey Worte zu sagen, das erste ist mein Dank, und das zweyte eine Bitte. Lasset heute die Stimmen nicht sammeln. Ich habe weit umhergesehen, als euer Wortführer redete. Doch ich hätte das nicht einmal gebraucht. Denn ich kant uns ohne dieß schon. Wir müssen Zeit zu unsern Entschlüssen haben. Es ist kein Vorwurf. Desto besser die Frucht, je länger es keimt!

   Der Anwald der Dichter trat schnell hervor, und rief dem Anwalde der Naturforscher zu: Edler, rechtschafner Mann, du hast die Republik geirrt! »Sage, was du meinst.« Du hast die Republik geirrt! »Wenn du dich nicht erklärst; so hab ich dir weiter nichts zu sagen.« Ich aber habe dir noch etwas zu sagen. Die Verbündung der Ausgewählten, von welcher der Anwald der Weltweisen sprach, hat von einer andern Seite betrachtet, denn sie braucht ja nicht geheim zu seyn, und dadurch einer Verschwörung zu gleichen, sie hat, sag ich, etwas, das mit lauten Tönen zu meinem Herzen stimt. Du weist, was die Aldermänner von dem grossen bleibenden Grundsaze, was sie von der Eroberung gesagt haben. Die Republik, sie das Heer, (Fähnchen mögen nebenher wehn, und dieß und das Kleinere thun) das Heer rükt heran, und mit ihm eine heilige Cohorte. Was diese alsdann thut, wenn die Schalen schweben, wenn gar die gegen uns zu sinken anfängt? In das lezte Fähnchen mit dem, der dieß noch zu fragen hat! »Ich versöne mich mit dir! Aber wodurch hab ich die Republik geirrt?« Dadurch hast du sie geirrt, daß du Aufschub der Entschliessung vorgeschlagen, und sie also veranlast hast, an sich selbst zu zweifeln. Hier Aufschub, Anwald, hier? Welche Wolke umgab dich, als du das aussprachst? »Meine Versönung ist aus, Anwald! Aldermänner, Zünfte, und Volk, ich betheure euch bei meiner Wahrheitsliebe: Ich hab euch nicht irren wollen, am wenigsten so! und hab euch, wie ich gewiß bin, auch nicht geirrt. Ich kenn euch; und mein Kennen ist mit Verehrung verbunden. Ich bleibe fest dabey: Desto reifer, je länger's keimt!«

   Die Aldermänner standen auf, und die Landgemeine ging aus einander.

 

 

Ende des ersten Theils.