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Moritz August von Thümmel:
Reise in die mittäglichen
Provinzen von Frankreich ...
Sechster Theil.  1800


 

 

Lambesc.

 

 

Den 9. Januar 1786.

 

Unter dem Heere von Gedanken, die diesen Morgen auf mein Erwachen zu lauern schienen, war dein Bild, theuerster Eduard, der erste, der mir anflog, so wie es der letzte war, mit dem ich einschlief. Darf es dich wundern, daß ich mich leichter selbst aus dem Auge verliere, als dich? Wem könnte ich denn wohl den Verdruß, der mir aufstößt, billiger zurechnen, als dem Anstifter meiner Reise? so gut wie ich ihm eben so gern das Gute verdanke, das mir begegnet. Nachdem ich dir meine Verbeugung gemacht hatte, und zu der Musterung deiner Nachtreter überging, merkte ich es, durch die letzt vergangenen acht Tage gewitzigt, den meisten bald an, daß ich wohl am klügsten thäte, sie lieber gleich vor meinem Bette abzuweisen, ohne mich an ihre zuvorkommenden Mienen zu kehren. Ich suchte mir Einen unter der bunten Gesellschaft aus, der mich mehr als die andern alle befremdete, von dem ich mir jedoch, wo nicht die angenehmste, doch die lehrreichste Unterhaltung versprach; vorausgesetzt, wenn ich Muth genug hätte, ihm bis in den Schlupfwinkel nachzugehen, in den er sich, wie ich ihn in das Auge faßte, zu verkriechen anschickte. Freylich hätte er mir nicht so neu vorkommen sollen, als er mir schien: denn es war der ewige Gegenstand meiner Betrachtungen — mein eignes Selbst. Da ich aber, wie du nur zu gut weißt, vorige Woche nicht zu mir selbst kam, so wird es begreiflich, wie ich die Veränderungen, die stufenweise mit ihm vorgingen, so wenig bemerken konnte, daß es mir jetzt schwer ward, seine sonst so offene Physiognomie unter den Flecken heraus zu heben, die ihn entstellten. O hätte mich Freund Eduard, seufzte ich, ruhig in dem Winkel sitzen lassen, aus dem ich mit so stolzem Wohlbehagen über die übrige Welt hinblickte! Dort lebte ich unter der strengen Aufsicht meiner moralischen Bücher, kannte keine Heilige, keine Casuisten, und war meiner Tugend gewiß. Dort hätte ich, mit Zufriedenheit meines Beichtvaters, exemplarisch an meiner Hypochondrie verscheiden, und die Rechnung meines Lebens dem obersten Richter vorlegen können, ohne zu erröthen. — Würde ich denn aber auch, warf ich mir auf einmal ein, darum besser gewesen seyn als jetzt? Hätte mir der oberste Richter nicht antworten können: „Du trittst mir zwar unbescholten und mit dem Bettelstolze eines guten Gewissens unter die Augen — du bist unbefleckter als jener Domherr, den eine Reihe schändlicher Thaten verklagt; aber bist du wohl darum viel besser als er? Kannst du dir als Verdienst anrechnen, daß der Zufall, den ich gewähren ließ, dich an eine viel kürzere Kette legte als ihn? — dich in den Zirkel eines kränkelnden, reitzlosen Lebens einzäunte, und dir nur den geläuterten Nahrungssaft zuflößte, den die gesunde Weide hervorbringt, auf der du geboren warst und starbst, ohne daß du die Giftpflanzen zu kosten bekamst, die, in einem andern Erdstriche einheimisch, den Einwohnern zur gemeinen Nahrung geworden und mit ihrem Blute vermischt sind?“

 

     Er! dessen Stimme an mein Herz schlägt, bewahre mich vor dem Unverstande, mit ihm zu rechten! Er mag es wohl besser wissen, als wir selbstsüchtigen Thoren, was wir eigentlich werth sind, und — wie gar nichts unser Antheil an alle dem Guten ist, das aus unserer belobten Freyheit entspringt. O ich erbärmliches Geschöpf! Was ist doch aus meiner Selbstzufriedenheit — was aus den Forderungen geworden, die ich auf die allgemeine Achtung zu machen mich berechtigt glaubte? Eine Spanne Zeit verschlang den Reichthum einer ganzen langen Reihe von Jahren. Jetzt ist es mit der schönen Leichenrede vorbey, die ich mir manchmal im Namen des ganzen Menschengeschlechts in Gedanken hielt, wenn ich mir eine recht behagliche Stunde machen wollte. Der neue Text, den mir die vergangene Woche unterlegt, ist von einem Gehalte, der mir schwerlich die lange Weile über meinem Grabhügel vertreiben kann. So wirke er denn, rief ich endlich aus, was er vermag, und mache mich wenigstens, so lange ich diesseits des Grabes wandele, duldsam gegen andere Schwächlinge, die mir gleichen, und desto verschämter und andächtiger, wenn ich die Worte jenes großen Menschenkenners in den Mund nehme: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ — Ich kenne keine, die einen deutlichern Spott auf unsere Geisteskräfte enthielten. Auf wessen Bedürfnisse paßten sie nicht? In dem Sinne der meinigen gesprochen, was wollen sie anders sagen, als: Mache mich nicht zu gesund am Leibe, damit ich nicht kränker am Geiste werde. Führe mir auf meinem geraden Gange keine Heilige und keinen Heuchler entgegen; denn ich bin zu blind, großer Gott! um sie unter ihren Larven zu erkennen, und zu ungeschickt, ihnen solche abzuziehen, ohne mich selbst zu beschmutzen.

 

     Ich schlug meine Augen in die Höhe — eine Bewegung, die wir uns so gern als ein Zeichen der Andacht anrechnen, da es doch meistens nur ein Hebel ist, durch den wir unsere beunruhigte Seele über ihren eigenen Anblick hinweg zu bringen, und eine andere Richtung zu gewinnen suchen; denn hinter der geringsten unsrer Handlungen steckt Stolz und Betrug. — Mich brachte mein mechanischer Aufblick dießmal nicht höher als in die Region der großen Herren. Mein Wirth war nicht umsonst in Wien gewesen; denn außer seinem Schreibzeuge, das ich dir schon gestern beschrieb, hatte er auch noch das Bild des Kaisers mitgebracht, die Kopie über dem Eingange seines Gasthofs, das Original aber, wie billig, in seinem Staatszimmer aufgehängt, in das er mich — du weiß aus welchem Irrthume — logiert hatte. Ich konnte immer Gott danken, daß es nicht das Bild eines Heiligen war; denn wer weiß, wohin das meine Phantasie, die nur ein Bret suchte um fortzuschwimmen, verschlagen hätte! In dem Deutschen Reiche, wohin mich Joseph der Zweyte trug, war ich wenigstens zu Hause.

 

     Ich schiffte mit ihm auf gerade wohl fort, von einem der Fürsten zum andern, die es theilweise beherrschen, und mein beklommenes Herz erleichterte und tröstete sich an ihren Höfen. Ich war erkenntlich für ihre freundliche Aufnahme, und außerordentliche billig gegen die Fehler, die ich an ihrer Person oder Regierung bemerkte; denn meine einzige Demüthigung machte es mir unmöglich, sie anders als mit der Art von Mitleiden zu betrachten, die ein Hecticus für seinen Bruder empfindet, der Blut speyt. Es wird dich vielleicht Wunder nehmen, Eduard; aber ich mochte im Verfolg meiner Visiten unsere größern oder kleinern Herren so genau mustern als ich wollte, ich zählte immer mehrere, unter deren Zepter oder Krummstabe es sich leidlich genug leben ließ, und die, selbstständig, der Ehre, die wir ihnen erzeigen, so ziemlich werth sind, ehe ich Einmal unter zehnen auf einen traf, bey dem man, wenn man ihn auch, wie viele andere Dinge, mit Respect nennt, es doch so unmöglich findet, einen festen Gedanken zu fassen, wie bey einem Polypen. Da sich der Hauptstock dieses Sumpfgewächses ohne den Inbegriff der kriechenden, schlüpfrigen und wurmstichigen Saugarme nicht denken läßt, die ihn zum Polypen erheben — und hinwiederum diese zu keinem edlern Dienste bestimmt sind, als die unreinen Nahrungssäfte, die sie einschlucken, dem regierenden Klumpen zuzuführen, um sein Pflanzenleben durch die Mechanik des ihrigen zu erhalten; so giebt das Ganze kein unebenes Sinnbild eines solchen Fürsten und seines Hofs. Was kann man mit einem so begabten Zwittergeschöpfe anfangen, als daß man es stehen läßt, so lange Gott will? Denn gesetzt, du nähmest auch das Lebendigste, was an ihm ist — seine Auswüchse, unter die Schere, so wird doch für den einen Ast, den du heute absonderst, morgen ein anderer wachsen, der vielleicht noch häßlicher ist, als der erste. Dieses Mittelding von Thier und Pflanze wird, wie die Regenten, die ihm gleichen, in unserm cultivieten Vaterlande immer seltener, und bald wird die fortschreitende Zeit den Deutschen Boden ganz davon gereinigt haben. Auf dem Platze, den solche Pigmäen aussaugen, werden sich große, selbstständige Bäume erheben, die durch ihren schattigen Umfang alle Schmarotzer= und Wucherpflanzen ersticken, veredelte Früchte tragen, und gute Samen über das Land streuen, das ihren Wachsthum befördert.

 

     Gott segne diese prophetischen Worte! Sie entfließen so leicht einem patriotischen Herzen, und klingen so schön in dem Munde eines Unterthanen des Römischen Reichs, besonders, wenn er sie seinem Oberhaupte in einem Französischen Gasthofe zuruft. Auf alle Weise enthalten sie besser geordnete Empfindungen, als das bittere Gewäsch jenes politischen Geschmeißes, das nicht müde wird, die angebornen Rechte seiner Beherrscher zu benagen, ihren ererbten Stand lächerlich zu machen, und ihren Glanz zu besudeln. Wie oft empört mich die Zudringlichkeit dieser boshaften Tadler, die den Großen der Erde keine Entschuldigung hingehen lassen, selbst die nicht, die in ihrer menschlichen Natur liegt! Wie wollte ein ehrlicher Mann, bey den unaufhörlichen Beschleichungen dieser Weltverbesserer, die sich in ihren Wirbeln immer selbst durchkreuzen und gegen einander anstoßen, nur einen ruhigen Augenblick finden, wenn sie nicht, nach Art der Spinnen, das Gute an sich hätten, daß sie eben so geschwind, als sie anrücken, in ihre Höhlen zurück kriechen, sobald man sie nur von fern mit der Spitze des Fingers berührt! Es giebt kleine Wendungen — ich will dir einige angeben — die auf solche vorlaute Klüglinge nachdrücklicher wirken, als Bücherverbote. Wenn der eine lange genug über die Anmaßungen der Fürsten, und über die Stelzen, auf denen sie sich über uns erheben, gefaselt — der andere ihre häufigen Mißgriffe bey der Wahl ihrer Staatsdiener aufgezählt —  der dritte der Erschlaffung ihrer Staatsdiener in ihren Regierungsgeschäften auf das genaueste entwickelt hat; wenn jener Schwätzer sich mit gelehrtem Anstande in seinem Lehnstuhl festsetzt, um desto bequemer seine philosophische Hitze an dem kaltherzigen Regententroß zu verblasen; wenn dieser ihren festlichen Müßiggang mit schelen Augen verfolgt, die Backen voll nimmt, um ihr Eigenthum als einen Raub zu verschreyen, den ihre ritterlichen Ahnherren an dem gemeinen Wesen begingen, oder wenn er ihnen zumuthet, Rechnungen abzulegen, die durch Gottes Zulassung längst schon geschlossen sind: so ergreift mich die Ungeduld — so schlage ich mich endlich ins Mittel, nehme den einen und nehmen den andern bey der Hand, und führe ihn, Treppe auf Treppe ab, in seinen eigenen verschobenen, lächerlichen oder zerrütteten Haushalt zurück, begleite ihn in das Putzzimmer oder Schlafgemach seiner Gebieterin, oder in die Kerkerstube seiner Knecht und Mägde — schlendere mit ihm seinen verfallenen Scheuern oder verwilderten Krautäckern zu, gehe das Inventarium seiner Wäsche durch, frage ihn, wie seine Vorältern zu dem Zehenten kamen, den sie ihm vererbten, und durch welches Recht Er mehr Spielraum einnimmt als ein anderer, der eben so breit ist als er? Den Grämling endlich, der alle Kron= und Erbprinzen zu Mißgeburten menschlicher Thorheit herabwürdigen, seine Beherrscher wählen, oder zu seinem Idol eine Hyder aus den klügsten Köpfen des Volks — den seinigen jedoch mit eingeschlossen — zusammensetzen möchte, dränge und treibe ich durch das Labyrinth seiner Sophismen nach Berlin, zu den Füßen unsers Monarchen. Sein Daseyn ist schon allein die beste Vertheidigung der Erbfolge. Die klügste Wahl hätte nicht väterlicher für uns sorgen können, als hier die Natur, die aus dem Urstoff so mancher lieblosen, stolzen und schwachen Ahnherren endlich einen König destillirt hat, der, gut, selbständig und groß, alle Herrschertalende vereinigt — der, mit dem feinsten Gefühl begabt, zu jedem Uebel das Gegenmittel zu finden, nie einen stärkern Hebel gebraucht, als die Last erfordert, die er wegschaffen soll. Dieser Brennpunkt, der meine Blicke immer wieder sammelt, wenn sie noch so weit über die Gränze schweifen, vereinigte sie auch dießmal. Ich verlor mich so sehr in Betrachtung dieses merkwürdigen Mannes, daß Kaiser und Reich lange warten mußten, eh΄ ich auf sie zurück kam.

 

     „Meine gnädigen und hochgebietenden Herren,“ beurlaubte ich mich am Ende von der ganzen vornehmen Gesellschaft, „mein langes Ausbleiben beschämt micht; aber das große Vorbild, das ich in ihren Kreis bringe, wird es entschuldigen. Darf ich Ihnen noch zum Abschied einen wohlgemeinten Rath ertheilen, so suchen Sie nur seine einfachern Tugenden zu erreichen — die glänzenden erlassen wir Ihnen gern — und Tausende mit mir werden aufstehen, und Sie gegen das giftige Gewürme in Schutz nehmen, daß Ihre Vorzüge begeifert. Mögen doch Ew. Majestäten und Ew. Durchlauchten durch Verbrechen Ihrer Vorfahren, oder durch Geistesschwäche der unsern, zur Herrschaft über uns gelangt seyn; wir wollen Ihnen den zufälligen Genuß Ihres angeerbten Gewinstes gönneen, ohne über den ersten Erwerb desselben lange nachzugrübeln — wenn Sie Sich nur als edle Spieler betragen — uns nicht durch das stolze Lächeln der Schadenfreude bey jedem Bissen trockenen Brodes, das wir essen, an den Verlust unsers Fettes erinnern, und nicht den Enkeln zu hart die Ungeschicklichkeit ihrer Vorältern entgelten lassen. Mag es noch so gewiß seyn, daß Ihre geheiligte Person durch eben die kleinen Hülfsmittel an uns zum Ritter ward, die Sie jetzt in unsern profanen Händen für verdächtig und strafwürdig erklären — so wollen wir doch in blindem Gehorsam die moralischen Bollwerke ungestört lassen, hinter denen Sie Ihre Rechte verschanzt haben, und der Politik huldigen, die das Gesetz der Vergeltung an den Galgen geschlagen hat — wenn Sie nur nicht gar zu treu dem Beyspiel eines Ihrer Herren Collegen nachgehen. *) Durch eine Flasche Wein gewann der das Gebiet seines Nachbars — und sogleich, als weiser Gesetzgeber, verbannte er das begeisternde Getränk aus seinen eroberten Staaten, versicherte sich der Treue seines Volks — durch Mohnsaft, und vertheilte jedes kraftvolle Männerherz in kleinen Bissen unter ein Heer hungriger Bacchantinnen. Vor solchen politischen Anstalten — meine gnädigsten Herren, bewahre Sie Gott!“

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*) La Mecque étoit auparavant occupée par Abu-Gabsham, qui eut la simplicité d s΄en défaire pour une bouteille de vin, dans un malheureux moment où il se trouva d΄humeur à boire. Il voulut ensuite se relever d΄un marché si préjudiciable et fut appuyé par les gens de sa tribu, mais et lui et eux furent chassés de le Mecque par Cosa, eyeul de Mahomet. vid. Prideaux Vie de Mahomet. p. 3.

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     Ich wurde in meiner stattlichen Rede an die großen Herren drollig genug durch eine noch stattlichere unterbrochen, mit der mich mein Wirth hinterrücks anfiel, der, während ich mich mit Kaiser und Reich unterhielt, unbemerkt mit meinem Frühstück eingetreten war, und, sobald er seine Hände frey hatte, sich mit vielem Anstande nach mir zu kehrte. An der Thüre sah ich zugleich einen hagern Kerl, der, bis auf sein ominöses Gesicht in die Draperie eines Scharlach=Mantels geschlagen, wie die Maske eines Römischen Censors da stand. „Ich habe,“ fing der Wirth an, „die ganze Nacht der Vorsehung gedankt, die meinem Hause das Heil widerfahren ließ, einen Mann wie Sie zu bewirthen.“ — O ho! dachte ich, dieser Herrenhutische Eingang verspricht nicht viel Gutes für meinen Beutel; aber hierin irrte ich mich. — „Immer habe ich gewünscht, den Reisenden, die vor meinem Gasthofe halten, noch ehe ich sie bewillkommne, an das Herz zu reden, und ihnen mit einem großen feyerlichen Gedanken gleichsam in die Pferde zu fallen.“ — Ich spitzte voll Erstaunen die Ohren. — „Was soll man sich bey den Sinnbildern so vieler Wirthshäuser denken, bey dem goldenen Hammel, der silbernen Striegel oder dem Kreuze von Malta? Ich versuchte es im Anfange meiner Wirthschaft mit dem Bilde meiner Frau. — So lange das Bild noch frisch war, that es auch Wirkung. — Nach und nach ward es aber bleich — die Gäste blieben aus, und ich war entschlossen es aufmalen zu lassen. Es ging aber anders: denn eben in dieser Epoche geschah es, daß mich der Prinz auf einem Besuche, den er seinem großen Vetter in Wien abstattete, als Mundkoch mitnahm, und nach seiner Zurückkunft mit dem Titel seines Haushofmeisters entließ. Auf dieser Reise lernte ich erst, ich muß es gestehen, den feinen Geschmack der Französischen Küche mit dem nahrhaften der Deutschen verbinden. Ich sah Joseph den Zweyten nicht ohne Nutzen einigemal speisen, und glaubte es dem Andenken dieser belehrenden Reise schuldig, kein ander Bild auszuhängen, als das seinige. Sieben Jahren hängt es nun da; doch fängt es nun auch an unscheinbar und den Leuten gleichgültig zu werden; ich merke es nur zu sehr schon in meiner Wirthschaft. Da flüsterte mir nun meine Frau diese Nacht zu: — „Andre΄s! Die Erzählung der fremden Bedienten liegt mir immer im Ohr und läßt mich nicht schlafen. Das Wunder, das ihr Herr gestern getan hat, wird bald genug Lärm machen; denn so etwas wächst wie ein Schneeball. Weißt du was! der Herr muß gut seyn, da er Wunder thut — und wir brauchen ein neues Schild. — Sein Porträt würde sich unter allen am besten dazu schicken. — Ich dächte, du bätest ihn darum. Unsre Wirthschaft würde sicher dabey gewinnen; denn nagelneuer kann man keinen Heiligen auftreiben — Thue es, lieber Mann, damit uns kein anderer Gasthof zuvorkömmt.“ So sagte meine gute Frau, und gewiß ist es nicht bloß Eigennutz, sondern Frömmigkeit, die ihr diesen Wunsch abnöthigt. — Schlagen Sie uns solchen nicht ab, würdiger Mann! Nur Eine Stunde — und dieser geschickte Künstler = = =“ Hier bewegte sich der Scharlachmantel, und sein Handwerkszeug fiel mir mit Entsetzen in die Augen. Ich fuhr wie aus einem schweren Traum auf, und sah im Spiegel, daß ich so roth war, wie die Draperie des Malers. — Das, dachte ich, soll auch gewiß der einzige Anstrich seyn, den er dir giebt.

 

     „Halten Sie inne,“ fiel ich dem Wirth mit äußerstem Verdruß in die Rede, und verschonen Sie mich mit solchen — Anträgen: ich will das Beywort, das sie wohl verdienten, verschlucken. Canonisiren Sie, wen Sie wollen, nur mich nicht. Mein sogenanntes Wunder, von dem ich gestern bey Ihnen ausruhte, war, Deutsch gesprochen, nichts mehr und weniger als eine Posse: das können Sie mir nachreden, ohne mir Unrecht zu thun. Ein Herr wäre wahrlich übel daran, wenn er für alles das stehen müßte, was seine einfältigen Bedienten um den Küchenherd von ihm posaunen.“ —

 

     Ich ging ernst und mit großen Schritten die Stube auf und ab. Der Wirth schwieg, und ich sah es ihm an, daß er bey jedem hitzigen Worte, das ich ausstieß, immer mehr an meiner Heiligkeit irre ward. Du mußt wohl, dachte ich, ein wenig einlenken. — Sind doch schon klügere Leute durch solche Albernheiten verblüfft und verrückt worden. — „Es thut mit leid,“ dreht ich mich gelassener zu ihm, „daß Sie einen geschickten Maler hierher bemüht haben; aber Sie sollen nichts dabey einbüßen. Ich will gern das Mißverständniß bezahlen, in das meine Leute Sie gebracht haben, von den vielen Lichtern und Schüsseln des gestrigen Abends an, bis auf den Fleischergang dieses Herrn. Setzen Sie nur alles auf meine Rechnung. Dafür bitte ich mir aber wiederholt aus, daß Sie allen Reisenden, die Sie über mein Wunder in Avignon dogmatisiren hören, daß Verständnis öffnen, und entschuldigen Sie mich aufs beste bey Ihren lieben Frau. Wenn ich Ihnen beyden etwas rathen soll, so behalten Sie ja das Bild unsers guten Kaisers fernerhin bey. Es wird Ihrem Haus gewiß das meiste noch einbringen. Warum sollte es andern Reisenden nicht gehen wie mir? Es erinnerte mich an die guten Tafeln von Wien — das Wasser kam mir in den Mund, und ich kehrte bey Ihnen ein.“ —

 

     Dieses brachte den Mann ganz wieder zu seiner Besinnung. „Sie haben Recht,“ sagte er nach einigem Nachdenken; „Wien ist die hohe Schule der Kochkunst, und ein Wirth, der das seinige dort gelernt hat, sollte eigentlich in keinem Lande verderben. — Das Bild des Kaisers — ja — ja — weil der Herr Maler einmal hier ist, so mag er es heute noch auffrischen. Es bleibt doch noch immer das anlockendste Schild.“ — „O ganz gewiß,“ fiel ich ihm ein: „es erweckt nicht allein große Gedanken, sondern auch lüsterne. Auch ich möchte gern bey Zeiten nach Aix. — Schicken Sie mir meine Bedienten herauf, und sorgen Sie für das Anspannen.“

 

     Ich warf ihm ein Schnippchen nach, und meine Wundergestalt auf einen Stuhl, sobald er sich mit seinem Künstler getrollt hatte. — „So darf man,“ sagte ich mit höhnischem Verdrusse, „nur eine Thorheit in der Welt begehen, oder dem dummen Haufen ein Blendwerk vormachen, wenn man wünscht sich modelirt, gemalt oder in Kupfer gestochen zu sehen, den Kirchen, den Wirthshäusern, den Büchersälen zum Schilde zu dienen. Da forschen denn Zeitgenossen und Nachkommen nach dem Ausdruck unsers Geistes — denken, so muß ein großes Genie aussehen, und, um der Larve ihres Vorbildes gleich zu werden, verzerren sie ihre eigenen. Nein, bey Gott! so ein Affengeschlecht als wir Menschen sind! — Und du,“ — fuhr ich in meiner Galle gegen das Trio fort, das herein trat, „du Bastian — abergläubischer, dummer Kerl, und ihr beyden elenden Puppenspieler — was zum Teufel gehen euch meine Wunder an? Wenn euch nach der Ehre gelüstet, einem Heiligen zu dienen, so sucht euch einen; denn wahrlich euer Unverstand allein wird mich nicht dazu machen. Erwähnt einer von euch das vermaledeyte Avignon noch mit einer Sylbe, so sind wir geschiedene Leute. Ich will dieses Nest durchaus vergessen, und mich nicht bey jedem Bissen Brod und von jedem Esel daran erinnern lassen. Das ist mein letzter Bescheid!“

 

     Sie standen so einfältig und niedergebeugt vor mir, wie Ladendiener vor ihrem Handelsherrn in dem kritischen Augenblicke, wo er ihnen seinen Bankerot ankündiget. Ich sah es ihnen an, daß sie bey meiner Herabwürdigung mehr noch an die ihrige dachten; denn jeder Pinsel, er mag in einer Liverey stecken oder in einem Hofrocke, fürchtet an Werth zu verlieren und in Finsterniß zu versinken, wenn der Nimbus seines Gebieters verlischt. Zwey traten stillschweigend nach meiner Erklärung ab. Nur der Epilogus schien etwas noch auf dem Herzen zu haben, und fing mit seinem gewöhnlichen Anstande an, es auszukramen.

 

     „Unter allen guten Eigenschaften eines Bedienten,“ erhub er seine Theaterstimme, „steht wohl die Ehrlichkeit = = „Keine Chrie, Herr Volksredner,“ fiehl ich ihm ins Wort, „die verbitte ich mir. Sage es ohne Umschweife. Was hast du anzubringen — nun?“ — „Nun denn nämlich,“ stotterte er, „ich bin so glücklich gewesen, eine Entdeckung zu machen.“ — „Und die besteht?“ — „Ja, mein Gott! wie soll ich Ihnen antworten? Ich darf den Ort nicht nennen — Eigentlich braucht es auch nicht — es steckte ja nu in der Liverey, die Sie dort kauften.“ — „Kerl,“ fuhr ich ihn an, das einemal sprichst du wie ein Buch, das andremal noch schlechter — Wo ist denn hier der mindeste Zusammenhang?“ — „Sie wollen ja keinen,“ versetzte er mit weinerlicher Stimme: „Ihr Verbot hat mich so — so irre gemacht, daß ich für alles in der Welt in diesem Augenblicke nicht auf einer Schaubühne stehen möchte — man würde mich auspfeifen; und doch ist das, was mir geschehen ist, ein wahrer Coup de théatre. — Werden Sie nur nicht wieder ungeduldig, mein Herr! — Heute früh, als ich mich in meinen neuen Rock warf — wo muß ich gestern Nachmittags mein Gefühl gehabt haben? — stellen Sie Sich meine Ueberraschung vor, entdeckte ich einen verborgenen Schubsack. — Ja, den wird mir nun freylich niemand streitig machen; wem aber gehören die Sachen, die ich darin fand? Das ist die Frage. Gehören sie Ihnen, der die Liverey bezahlt hat? — dem Bedienten, der sie vor mir trug und verkaufte? — seinem Herrn, der sie anschaffte? — mir, dem sie jetzt auf dem Leib sitzt? — oder dem unbegreiflichen Trödler, der = = =

 

     Indem blies der Postillon, und ich griff nach meinem Hute. — Das that Wirkung. — Der Schwätzer fuhr nun in die Tasche, und zog seinen Fund hervor, der, in Makulatur geschlagen und mit einem schmutzigen Bande umwickelt, nichts viel wichtigeres als einen Pfefferkuchen erwarten ließ. — „O Sie werden gleich sehen, daß es keiner ist,“ antwortete er meiner spöttischen Vermuthung, „wenn Sie noch so lange verziehen wollen, bis ich das Paket aufgeschnürt habe.“ — Ich hätte ihm den Gefallen nicht gethan, wenn meine Neugier auch noch so groß gewesen wäre. „Das will ich bey Gelegenheit schon selbst thun,“ antwortete ich; denn dir will ich gewiß keine geben, dein Geschwätz fortzusetzen.“ — Uns so schob ich das Paket oben zwischen die Weste, und ging — „Nein, mein Herr,“ flüsterte er mir noch auf der Treppe ins Ohr, „es ist wohl ein Bißchen mehr als ein Pfefferkuchen — Bey dem hätte ich mir kein Gewissen gemacht — Es ist eine Schreibtafel — ich habe noch keine von der Schönheit gesehen, und es steckt eine Arabische Handschrift darin, die ich aber weiter nicht untersucht habe.“ — „Das will ich glauben,“ antwortete ich kurz. — „Aber,“ hielt er mich noch auf letzten Stufe bey dem Aermel, „wem gehört sie denn nun?“ — „Wem anders,“ fuhr ich ihn an, „als dem Herrn des lüderlichen Burschen, der vor dir in der Liverey steckte. Eure Unordnung, eure Plaudereyen und eure doppelten Schubsäcke sind den Teufel nicht werth.“

 

     Wie ich an den Wagen kam, stand eine Menge Gaffer darum, die, so früh es auch war, doch vermuthlich schon von meinem Wunder gehörth hatten. Ich stieg ein, ohne den Hut abzuziehen oder sie eines freundlichen Blickes zu würdigen. Das ist immer das sicherste Mittel, den Pöbel von falschem Glauben an uns abzubringen, und mehr wünschte ich jetzt nicht. Ein Heiliger wird es bey der frömmsten Seele nicht lange bleiben, wenn er sich als ein Grobian zeigt.

 

 

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     Ich fand jetzt zum erstenmale, und werde es, fürchte ich, öfter finden, daß ich ein paar Bediente an den Puppenspielern zu viel hatte; denn ich wäre gern Bastianen aus meinem Wagen los geworden, wenn ich nur einen andern unbesetzten Platz für ihn gehabt hätte. So saß er mir hier gegenüber mit seiner freundlichen Miene, in der allerley Erinnerungen lagen, die mir in diesen Augenblicken eben kein besonderes Vergnügen machten. Ich habe dir schon von der sprechenden Aehnlichkeit erzählt, die er mit seiner Schwester hat. Wie ich die Augen aufschlug, kam es mir vor, als ob mich Margot ansähe, und mich eben durch eine naive Frage außer Fassung bringen würde. Hätte ich ihr wohl nur die einfache Erkundigung: Wie haben Sie Sich die Zeit über befunden? beantworten können, ohne zu lügen oder roth zu werden? Es ist doch eine eigene Sache um das Gewissen; es findet in jedem Kinde seinen gestrengen Richter; und zu welcher grausamen Folter wird ihm nicht der flüchtigste Hinblick auf ein unschuldiges Herz! Ich fühlte meine Brust immer beklemmter; und durch eine Verwechselung des Sinnlichen mit dem Geistigen, die gewöhnlicher ist als man glaubt,  schob ich es sehr philosophisch auf das Seelenfieber, das ich mir in Avignon zuzog, ohne eher zu muthmaßen, daß wohl auch eine äußere Ursache daran Schuld seyn könne, als bis ich vor Unruhe mir die Weste aufriß, und nun das Paket, das offenbar meine Hitze vermehrt hatte, heraus fiel.

 

     Es kam mir recht wie gerufen. Meine Brustbeschwerde ließ nach, und die Neugier schaffte mir Zerstreuung. Kaum hatte ich es auseinander, so sah ich mit Erstaunen, in welchem hohen Grade mein Epilogus ehrlich gewesen war, wenn es andere Juwelen besser kennt als das Arabische. Das goldene Schloß an der Schreibtafel war mit Brillanten besetzt, davon sich einer drücken ließ, um es zu öffnen; die Arabische Handschrift aber war nichts mehr und weniger, als ein Deutscher Brief von mehreren Bogen, ohne eine andere Unterschrift, als einen einzelnen Buchstaben: indeß schloß ich doch aus dem Wenigen, was mir das Rütteln des Wagens zu lesen erlaubte, daß er von einem Landjunker herrührte, der — was denkst du wohl? — den guten Geschmack — Gott weiß aus was für Ursachen — förmlich in Klage nimmt. Es hätte mir vielleich die Zeit vertreiben können, einen Herrn dieses Zeichens über einen solchen Gegenstand schwatzen zu hören; nur stellte ich mir den Spaß nicht groß genug vor, um deshalb meinen Wagen auf der offenen Landstraße halten zu lassen. Ich schlug also den Brief wieder zusammen bis auf ein andermal: als ich ihn aber an seinen vorigen Ort bringen wollte, schob sich etwas dazwischen, das ich für ein Schnallenfutteral hielt. Die sind doch nicht auch etwann von Brillanten? dachte ich, häkelte den Deckel auf, und — Himmel und Hölle! und — „Halt — halt, Postillion,“ rief ich, „ich muß an die Luft.“ — Fahr langsam fort — ich werde nachkommen.“ — So sprang ich heraus, blieb an der Straße stehen wie ein Meilenzeiger, und staunte lange vor mich hin, eh΄ ich bemerkte, daß Bastian neben mir stand und mich ängstlich beobachtete. „Warum,“ fragte ich ihn mit hinfälliger Stimme, „bist du nicht sitzen geblieben?“ — „Ach, lieber Herr, weil ich glaubte, es sey Ihnen etwas gefährliches zugestoßen.“ — „Das ist es auch, Bastian: so ein unerwarteter Anblick —  — ich glaubte, der Schlag würde mich rühren. — Da, sieh selbst zu, ob ich recht gesehen habe! Erkennst du = = =“ — Bastian warf, wie er den Deckel des Futterals zurück zog, funkelnde Augen auf das Miniatur=Gemälde, das er hier erblickte, und schien sich und mich und die ganze Welt darüber zu vergessen. — „Nun?“ fragte ich nach einer Weile, — „Ach wunderschön!“ rief der junge Bursche. „Ich bin zwar nicht so glücklich, weiter etwas von dem Porträt zu kennen — als das Gesicht; wenn aber alles an der lieben Mamsell so treffend gemalt ist als das, so habe ich in meinem Leben nicht gleicheres gesehen. — Armes Klärchen!“ fuhr er lächelnd fort, „der Tag ist schwül — wie behaglich mag es dir vorkommen, so allein zu seyn und sich zu lüften! — Ach wie würdest du zusammenfahren, wenn du wüßtest, daß dich ein Maler belauschte! — Der Schalk! Gewiß hatte er sich neben dir eingemiethet, wie wir, guckte durchs Schlüsselloch, zeichnete, pinselte, ohne Athem zu holen, und hat dich nun — ach Gott und wie? über und über verrathen! — Lieber Herr! sagte ich es denn nicht schon vor acht Tagen, wie ich das schöne Kind zuerst an dem Fenster sah, nichts weiter sah als das Köpfchen — daß es ein Engel wäre? Und kann wohl ein, ich frage Sie auf Ihr Gewissen, ein Cherubin reiner und durchsichtiger glänzen als diese unvergleichliche Figur?“

 

     Jetzt merkte ich erst, wie unrecht ich that, den feurigen Jüngling mit der ganz unverhüllten Gestalt dieses Engels bekannt zu machen: denn ob ich gleich noch vor kurzem in meinem Tagebuch dieser Art Cabinets=Malerey das Wort sprach; so setzte ich doch, wie du weißt, gewisse Bedingungen voraus, unter denen sie allein von Nutzen seyn könne; und diese fielen freylich ganz bey meinem guten Bastian weg. Es ward ihm unglaublich schwer, sich von der schönen Waare zu trennen, die ihm hier, vermuthlich zum erstenmale, zur Schau vorgelegt wurde. Es gehören freylich mehr Jahre und andere Erfahrungen dazu, als die seinigen waren, um über diesen Prunk der Natur gleichgültig hinweg zu gaffen.

 

     „Aber wie konnte Sie das schöne Bild so erschrecken?“ fragte Bastian, indem er es mir mit einem Seufzer zurück gab. — „Wie es das konnte?“ antwortete ich ziemlich verlegen: „weil ich, wie du schon gehört hast, an nichts, was in Avignon lebt und webt, erinnert seyn will, am wenigsten an ein Geschöpf, das der hohen Schönheit nicht werth ist, mit der sie die Natur beschenkt hat.“ — „Ach, bey allen den Fehlern des Originals, bey allem, was Sie dem guten Kinde Schuld geben,“ antwortete Bastian, „wird doch gewiß jedermann so ein Bild gern sehen; und es ist wohl glücklich, daß Sie gestern der Propheten=Wirth auf die Spur des Eigenthümers gebracht hat! Er wird sich nicht wenig freuen, wenn er es wieder erhält!“ — „Ja, ja,“ sagte ich, „er hat es theuer genug erkauft, und bezahlt noch daran.“ — „Was muß sein Kammerdiener für ein alberner Mensch seyn!“ fuhr der meinige listig fort. „Wenn mir so etwas zum Aufheben anvertraut würde, ich wollte gewiß das sorgfältigste Auge darauf haben.“ — „O ich kenne deinen Diensteifer,“ antwortete ich lächelnd: „aber jetzt hast du Bewegung nöthig; lauf dem Wagen nach und laß ihn halten.“

 

     Nun war ich allein, konnte nun, wie ich so gern thue, meine Empfindungen gegen mich laut werden lassen, konnte nach Belieben mit den Füßen stampfen und in die Luft reden, ohne daß jemand hinter oder neben mir Angst werden, oder daß er mich fragen durfte: Was fehlt Ihnen? — „Ein heimtückischer Streich!“ rief ich, und warf grelle Augen auf die Mignatur. „Abscheulich schönes Geschöpf! wie weit glaubte ich mich schon von dir und deinem Andenken entfernt, während sich dein Bild, großer Gott! an meinem beängsteten Herzen erwärmte, und sich nun auf einmal so reitzend und unverschämt meinen Augen darlegt, wie es deine Casuisten erlauben! Konnte der Zufall.“ fragte ich bitter, „keinen andern Boten auftreiben als mich, um das Gemälde dieser heiligen Buhlerin über die Gränze zu bringen?“ — Einen Augenblick war ich entschlossen, es an einem Stein zu zermalmen. Die Ehrfucht für die Kunst allein, die Achtung für fremdes Eigenthum, hielten mich ab. Nun! so will ich denn wenigstens, dachte ich, dieser Creatur, ob sie gleich sonst nichts verdient die Feder eines rechtlichen Mannes zu beschäftigen, ein Monument setzen, und ihrem Bilde eine Warnung anhängen, die seine blendenden Farben so gut wie vernichten, und den lüsternen Herren, denen es nach mir unter die Hände kömmt, die Lust schon benehmen soll, das Original aufzusuchen. Ich hoffe, die keuschen Musen, wenn sie wirklich keusch sind, sollen es mir vergeben, daß ich dem Rücken dieser Heiligen den Stempel ihres Lebens zum Correctiv ihres verführerischen Anblicks aufdrücke. Eine widrige Beschäftigung! ich gestehe es gern: da sie aber nun dahin zielt, den Lieblingen meines Herzens, den jungen Unerfahrnen, denen, wie meinem armen Bastian, die Natur so heftig zusetzt, daß sie darüber alles verhören, was ihnen die Sittlichkeit vorpredigt — die Augen über diesen casuistischen Contreband zu öffnen; so ist die Frage, ob in dem ganzen Material ein einziges so gemeinnütziges Epigramm steht, als das meinige hoffentlich werden soll.

 

     Unter diesem Selbstgespräche setzte ich mich, ohne weiter zu zweifeln, ob ich auch diesen Ehrenplatz verdiene, in den Schatten eines Lorberbaums, der nicht weit von dem Wege stand, spitzte meinen Silberstift, und schrieb nun auf die Rückseite des elfenbeinernen Blattes folgende Adresse an die Vorderseite, wobey ich nicht viel andres that, als die Herzensbewegung meines guten Sebastians getreu zu übersetzen, und am Ende ein kurzes Sapienti sat beyzufügen:

 

     Ach, welch ein Engel setzt hier mein Herz und Augen in Brand!

Wirft nicht ein Spiegel, wie der, uns den verlorenen Stand

Der Unschuld wieder zurück? Baut dort in schattiger Lage

Nicht noch die Tugend ihr Nest, wie seit dem ersten Tage,

Als Gott ihr stolzes Gefühl mit einem Kleinod verband,

Für das, der alles genannt, doch keinen Namen erfand?

Dein Aug΄ in Ehren, doch, Freund, vor der Entscheidung der Frage

Leih΄ erst dein prüfendes Ohr der tausendzüngigen Sage.

Dieß Wunder Gottes, spricht sie, so weit das Aug΄ und die Hand

Es zu begreifen vermag, steh΄ als ein eisernes Pfand,

Gleich andern Wundern der Welt, in Mönchs= und Pfaffenbeschlage,

Und — Doch darf es wohl noch, daß ich um Worte mich plage?

Was dir ein Engel verspricht, mit solchen Geistern verwandt, —

Flieh die Erfahrung — versteht sich ohne Glossen am Rand.

 

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     Sobald ich die Schöne mit dieser Aufschrift gebrandmarkt und mein Müthchen gekühlt hatte, ward ich ruhig und heiter, wie ein Mann nach einer gethanen mühseligen Pflicht, steckte das Bild in die Schreibtafel, und schwur, es nicht wieder vor die Augen zu bringen. So gar lange wird es ohnedieß nicht in meiner Verwahrung bleiben: denn schwerlich möchten die Aerzte in Montpellier den rechtmäßigen Eigenthümer vorher entlassen, eh΄ ich hinkomme, wiewohl er ohnehin dieß Souvenir nicht so gar nöthig haben wird, um sich lebhaft an sein Liebchen zu erinnern.

 

     Während des Hingangs nach meinem Wagen überlegte ich, wie ich die vielen Tage, die ich durch meinen abgekürzten Aufenthalt in Avignon gewonnen hatte, um vieles nützlicher in der Hauptstadt der Provence anwenden wollte, nahm meinen geographischen Wegweiser zu Hülfe, überlas alle Merkwürdigkeiten, die er mir dort versprach, und freute mich herzlich der guten Gesellschaft, die, seiner Versicherung nach, dort so einheimisch seyn soll, als es in Avignon die schlechte ist. Mit diesen Gedanken beschäftigt, erreichte ich meinen Wagen, und eine Stunde nachher die Stadt.

 

 

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Ich weiß nicht, lieber Eduard, ob dir die eigene Gewohnheit bekannt ist, der ich mich fast mechanisch überlasse, wenn ich in einen fremden Ort komme. Ich gehe nämlich, so wie ich aussteige, auf seine Beschauung aus, und zwar aus mancherley Ursachen. Denn einmal kann man sich den ersten Tag, wo man noch stockfremd auf den Gassen ist, manches erlauben, wozu man schon den zweyten nach seiner Ankunft nicht mehr das Herz hat, und darüber, die niedrigste zwar, aber auch der erste Sprosse überhüpft, die doch unsere Leiter, auf der wir empor steigen, so gut zusammenhält als die oberste, und mitgezählt werden muß, wenn man die Höhe richtig bestimmen will. In dieser Rücksicht ist die erste Stunde deines Eintritts in ein städtisches Getümmel sich auch die bequemste. Sie ist die einzige, die deinen Launen und deinen Schritten noch ihren Gang frey läßt, der einen Tag später, wo wenigstens dein Wirth und dein Lohnlakay Notiz von dir nehmen, um ein gut Theil beschränkter ist. Dein zerzaustes Haar, die ungesalzene Miene, der staubige Ueberrock, die du von der Reise mitbringst, nöthigen niemand, vor dir den Hut zu ziehen, oder dir höflich aus dem Wege zu treten. Du könntest dich, wenn du es bedarfst, an der Ecke der Straße balbiren lassen, ohne den Blick eines Vornehmen zu scheuen, der etwann bey dir vorbey geht, indeß dich noch oben darein das geheime Bewußtseyn kitzelt, mehr zu seyn, als du vorstellst, und als die guten Leute glauben, unter die du dich gemengt hast. Morgen — wenn du gleich mehr vorstellen möchtest als du bist, ist es mit diesem Kitzel vorbey, und es ist noch die Frage, ob dir das abgeredete Spiel der großen Welt selbst diese kleine, nicht unbehagliche Empfindung ersetzen würde. Aber schon deswegen möchte ich nicht von meiner Gewohnheit abgehen, weil mich die Erfahrung gelehrt hat, daß er erste Eindruck, den die Außenseite einer Stadt, so dunkel er auch ist, bey mir zurück läßt, mich doch weit weniger irre führt, als ihre Topographen und besoldeten Trompeter. Ich könnte dir eine Menge großer und kleiner Städte herzählen, wo ich nichts weiter nöthig hatte, als aus dem Wagen zu steigen, durch den Koth ihrer Gassen zu waden, die Schnörkel an den Giebeln ihrer Häuser zu begaffen, den Drachenköpfen ihrer Dachrinnen auszuweichen, einen Blick auf ihre Marktgeschäfte zu werfen, oder einen ihrer geputzten Gesellschaften mit meinen Augen und Ohren auf der Promenade nachzuschleichen, um geschwind mit mir einig zu werden, — weiter zu fahren. Ich könnte dir = = = Doch ich will dich nicht länger mit meiner Vorklage aufhalten, sondern dir kurz und gut sagen, daß es mir in dem merkwürdigen Aix gerade so ging.

 

     Meine Uhr stand auf zehn, als ich ankam, und auf zwölf, wo ich wieder abfuhr, ungeachtet ich während dieser kurzen Zeit auch eine Klosterkirche besuchte, die außer den Ringmauern lag. Traue einer den Reisebeschreibern! Wie konnte sie es einer einzelnen Gasse wegen, die auf beyden Seiten mit Palästen besetzt, und so breit ist, daß freylich von den Gliedern des Parlaments, die darin wohnen, keines dem andern auf die Finger sehen kann, eine herrliche Stadt nennen, ohne die unzähligen Nebengassen in Anschlag zu bringen, wo der ungleich größere Theil ihrer Einwohner durch schmutzige, verfallene Häuser, wie an einer rostigen Kette, gleichsam an einander geschlossen ist? Alle meine Blicke, die ich neugierig von einem Thore zum andern anschickte, kamen unbefriedigt und schwermüthig zurück. Ich sah doch in der Welt nichts, als einzelne, scheue Menschen, die es auf meiner offenen Stirne zu lesen schienen, daß meine Verhältnisse unter dem Monde glücklicher wären als die ihrigen, und mir mit ingrimmiger Miene aus dem Wege traten, wenn ich sie anblickte. Ein Coffeehaus, in das ich eintrat, vereinigte zehn Bürger, die, jeder für sich, ihr Frühstück einschlürften, ohne einen Laut von sich zu geben, und die von eben so maulfaulen Menschen bedient wurden. Ich schlenderte den geräumigen Markt einigemal auf und ab. — Der Ausdruck einer wohlgenährten groben Selbstliebe in den Gesichtern der Vornehmen, denen ich begegnete, empörte mein Herz; die schüchterne Darlegung derselben in den Mienen der Geringern, auf die sich stieß, erweckte in demselben ein widriges Mitleiden; und die gefühllose Dummheit auf den Stirnen der Mönche, die hinter ihren Schmerbäuchen hertrabten, verdarb mir vollends meine schöne Morgenstunde. Mein Urtheil war geschwind gefällt, und noch erlebte ich hinterher etwas, das mich wahrlich nicht verführen konnte, es wieder zurück zu nehmen. Ich brachte das eine wie das anderein ein paar Dutzend Zeilen, die ich in mein Memorien=Buch schrieb, und auch dir zu deiner Notiz dieser Stadt hersetzen will.

 

     Ihr weises Parlament hält Bürgerschaft und Adel

In gleicher Mäßigkeit und Ruh,

Und dreht hier jeden Kopf, wie der Magnet die Nadel,

Dem Gegenpol der Freude zu.

Gewohntes Beyspiel, träger Wille

Gießt Oel auch in des Jünglings Blut,

Und in den Gassen herrscht solch eine Sabbathsstille,

Wie auf dem Markt zu Herrenhuth.

Auch fühl΄ ich gleich in Einem Vormittage,

So gut als hätt΄ ich es schon Jahre lang gefühlt,

Wie wenig mir ein Puppenspiel behage,

Wo Harlekin die zweyte Rolle spielt.

Indem mich nun der Geist der Langenweile

So vor sich her, gleich einem Kreisel, trieb,

Rief mir mein Taschenbuch zum Glück ins Ohr, ich eile

Dem Tempel jetzt vorbey, wo Friedrich eine Zeile,

Und zwar die einzige für einen Tempel, schrieb,

Weil seinem D΄Argens hier, dem Feinde

Des Irrthums und der Wahrheit Freude,

Das letzte Ruheplätzchen blieb.

Welch Auge blickt nicht gern nach einer Myrtenkrone,

Die, sonder Neid, ein Mitgenoß

Der Seligkeit am Helikone

Um seines Freundes Urne schloß! —

Dem Zuruf eines Aschenkruges

Von dieser Seltenheit geh΄ nie mein Stab vorbey!

Doch hier — betrogne Phantasey! —

Fand ich, statt Friedrichs Wort, ein hämisch aberkluges,

Verworrnes Epitaph im Styl der Clerisey,

Das mir bewies, daß nie ein Weichbild der Abtey

Ein Feind des Irrthums und Betruges

Zu seiner Ruh gekommen sey.

 

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     Noch einige Worte zur bessern Erläuterung dieses Textes. Ich fragte den Minoriten, der mich in seiner Klosterkirche herumführte und den Teppich abnahm, mit dem das marmorne Monument des guten D΄Argens bedeckt war: warum man denn die kurzen königlichen Worte mit einem solchen Schwall anderer vertauscht hätte, als ich hier in goldenen Buchstaben vor mir sah? — „Weil wir sie,“ antwortete er mit dummer Aufrichtigkeit, „in dem Sinne nicht brauchen konnten, die der König hinein legte. Die Freygebigkeit des königlichen Ketzers trugen wir kein Bedenken zur Verschönerung unserer Kirche zu benutzen; aber seiner heidnischen Inschrift geschah nicht mehr als Recht, da sie auf Befehl unserer Obern wegbleiben mußte.“ — „Diese Abweichung,“ antwortete ich, „würde sich kein Kloster in Schlesien erlaubt haben.“ — „Auch wir nicht,“ lachte er laut auf, „wenn wir dem Tyrannen so nahe wären als jene; aber die Entfernung, mein Herr — bedenken Sie nur die Entfernung!“ — Ich brauchte wahrlich dieser seiner Erinnerung nicht, und fühlte es in diesem Augenblicke nur zu sehr, wie weit ich von Berlin verschlagen war. Ich hätte mich mit der Französischen Aufschrift begnügen sollen: denn bey dem haut et puissant Seigneur, mit dem Nachsatze Chambellan, verzog sich mein Mund doch nur zum Lächeln; die Lateinische hingegen erweckte nichts weiter in mir als Aerger. „Instante morte,“ wiederholte ich laut, und dreht mich nach dem Mönche — „Aber, lieber Mann, ist es denn auch so gewiß, als Ihr Latein sagt, daß sich der Marquis noch auf seinem Totenbette zu dem Glauben seiner Väter bekehrt hat?“ — „O nichts weniger,“ fiel der Minorit ein, „das ist nur ein Anstrich, den wir der Sache gaben! Nein, mein Herr, er ist gestorben — Sie werden es hören, wenn Sie nach Toulon kommen — wie er gelebt hat: Erroris inimicus — veritatis amator. Er verlangte hier — in seinem Erdbegräbniß beygesetzt zu werden. — Angemerkt haben wir es auf dem Epitaph — aber wir wußten es zu verhindern: denn was kümmert uns die Asche eines Abtrünnigen, der Judenbriefe geschrieben, und Freund und Anhänger Friedrichs des Großen, oder vielmehr, wie wir das Frederic le grand auf der Inschrift verstehen — des größten Freygeists unseres Jahrhunderts war!“ — Dummes Geschöpf! dachte ich, und suchte es ihm noch durch meine Blicke verstehen zu geben, als ich die Kirche verließ. —  —

 

 

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     Ihr habt doch noch nicht abgepackt? rief ich meinen Leuten entgegen, die an der Thüre des Gasthofs auf mich warteten. — Noch nicht, antworteten sie. — Nun, so laßt in diesem Augenblick anspannen.

 

     Ich trat unterdeß in das Speisezimmer, und fand die Tafel gedeckt, um die schon einige geistliche Herren in hungriger Erwartung herschritten. Der Wirth war ganz betroffen, als er meinen sonderbaren Befehl hörte, überreichte mir den Küchenzettel, und zählte mir alle seine Weine an den Fingern her; da aber auch das nicht verfangen wollte, fragte er mich, ob ich denn schon bey den Capuzinern das unüberwindliche Cruzifix, die Manufactur der Macaroni, und die Sammlung von Reliquien bey den Nonnen der Heimsuchung Mariä gesehen hätte, die einzig in ihrer Art wäre? — Kein Reisender würde es so leicht versäumen, der nur einen Gran = = = „Sollte sich wohl,“ unterbrach ich ihn geschwind mit der Gegenfrage, „der zweyte Kniegürtel der Mutter Gottes darunter befinden?“ — „Kann wohl seyn,“ antwortete der Wirth, „denn die Sammlung ist die vollständigste in der ganzen christlichen Welt! — „Aber warum fragen Sie eben nach dem zweyten?“ fiel ein junger Abbé ein. — „Weil der eine,“ erwiederte ich, „vorige Woche in Avignon versteigert wurde.“ — „Und wer ist denn so glücklich gewesen ihn zu erstehen?“ fuhr er mit sichtbarer Neugier fort. — Daß man es doch nicht lassen kann, auch in unbekannter Gesellschaft, und wäre sie noch so schal, sich eine wichtige Miene zu geben! „Ich, mein Herr,“ warf ich mit vornehmer Gleichgültigkeit hin, und zog mir darüber den ganzen Troß auf den Hals. — Der eine wollte wissen, wie hoch er mir zu stehen käme? der andere, aus welchem Stoffe er bestände? und ein dritter bat sich die Gefälligkeit aus, ihm solchen zu zeigen. Ich bedauerte unendlich, daß er nicht mehr in meinen Händen sey. Da das kostbare Stück von der Toilette einer Dame herrühre, habe ich es für billig gehalten, es wieder an eine zu bringen, die sich aber, wenn die Herren nach Avignon kommen sollten, gewiß ein Vergnügen daraus machen würde, es ihnen vorzulegen. — „Und ihre Adresse, um Vergebung?“ riefen zwey zugleich, und einer so hastig als der andere. Wäre die meinige, die du oben gelesen hast, nicht Deutsch gewesen, und hätte ich es nicht verschworen, mir das Bild wieder unter die Augen zu bringen, wer weiß was ich gethan hätte! Unstreitig etwas ganz überflüssiges — denn kaum daß ich ihnen geantwortet hatte: Es ist eine junge Heilige, Namens Clara, so fingen sie alle zugleich an, mir in das Gesicht zu lachen. — „O meine Herren,“ stimmte ich mit ein, „wie ich sehe, ist Ihnen das fromme Mädchen so gut bekannt, als mir selbst, und so habe ich Ihnen denn auch weiter nichts zu sagen.“ — Sie setzten sich nun mit großer Lustigkeit zu Tische, die ich ihnen von Herzen gönnte, und ich steckte zu einiger Entschädigung des Mittagsmahls, da es doch sehr wahrscheinlich war, daß ich es ungenossen würde bezahlen müssen, das Brod vor dem Couverte ein, das für mich hingelegt war. — „Da thun Sie wohl,“ winkte mir der Wirth zu, „denn in Marseille ist es contreband.“ — „Und warum das?“ fragte ich. — „Weil dieß Product unserer Gegend, wie Sie auch selbst finden werden,“ antwortete er, „so vorzüglich gut ist, daß es uns die reichen Marseiller vertheuern würden, wenn die Ausfuhr davon erlaubt wäre. Indeß können Sie doch bey meinem Vetter, dem Wirth im heiligen Geiste,“ flüsterte er mir in das Ohr, wie er mich an den Wagen begleitete, „täglich so viel davon bekommen, als Sie nur wollen, wenn es Ihnen einerley ist, es unter einem andern Namen zu essen.“ — „Es wird doch nicht eingesegnet?“ sagte ich lächelnd, dankte ihm für die gute Anweisung, die er mir gab, fuhr nun um vieles besser gestimmt durch die leeren Gassen, und hoffentlich zum letztenmale bey dem dummen Minoritenkloster vorbey.

 

     Gott gönne, rief ich noch, der Asche des Verfassers

Der Judenbrief΄ in klügern Maurn Ruh! —

Und flog nun, wie ein Strom zu lang΄ gestemmten Wassers,

Dem lustigen Marseille zu.

 

 

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Ich flog, wie ich nun erst die Vista erreicht, und die große Handelsstadt und den Spiegel des Meers vor mir liegen hatte, durch das reitzendste Land, das sich die schwelgerische Einbildungskraft nicht schöner zu malen im Stande ist. Schade nur, daß es nicht unter dem Zepter des großen Freygeistes steht, wie jene geweihten Zwerge ihn schimpfen! Wie würde Friedrich dieses Feuer der Natur, dieses fruchtbare Clima, diese Weizenfelder und Oelgärten, und die Kräfte dieser bräunlichen lebhaften Menschen benutzen, die jetzt bald von diesem, bald von jenem verdammten Heiligen ihrem Tagewerk entrissen, und, in Processionen zusammengetrieben, aus einem Narrenfeste in das andere zu Grabe gehetzt werden.

 

     Das stärkende Brod, unerachtet ich keinen Brocken davon verstreute, konnte mich doch nicht ganz über die Besorgniß beruhigen, daß ich Marseille nicht zeitig genug erreichen würde, um in dem heiligen Geiste noch einen gedeckten Tisch zu finden. Ich betrog mich zu meinem Vergnügen. In einer Seestadt, wo kein Wind bläst, der nicht den Speisewirthen einen Trupp Ausgehungerter zu führt, finden alle Nationen, zu allen Zeiten des Tags und in jedem Gasthofe, die Einrichtung einer Feenwirthschaft. Unzählige dienstbare Geister nehmen den Ankömmling in Empfang. Immer fertige Gerichte rauchen ihm entgegen, und keiner verläßt den Speisesaal, der nicht in seinem Kauderwälsch Gott für die sinnliche Freude der Sättigung, und für das bängliche Leben dankt, das er ihm wieder um einen Tag fristete. Um wieviel klüger kam ich mir vor, daß ich mich weder durch den Hunger, noch durch die Tischgesellschaft in Aix hatte verführen, und um den mannigfaltigen physischen und geistigen Genuß betrügen lassen, den mir hier eine neben dem Weltmeere errichtete Tafel — den mir die verschiedenen Sitten, Trachten, Gesichter und Zugen versprachen, die das erste menschliche Bedürfniß freundschaftlich um mich herum an einander reihte!

 

     Das war ein guter Geist! Durch ihn ward ich der Qualen

Des Spleens und Hungers los. In seinen Mittagsstrahlen

Erquickt der Matte sich. Hier trieben Ries΄ und Zwerg

Und Juden, Türken, Canibalen,

An einem Tisch vereint, das Selbsterhaltungs=Werk,

Wie Moses, Mahomet und Petrus es befahlen.

Ich, da Deisten auch nicht mehr als andre zahlen,

Nahm meinen Gaum allein zu meinem Augenmerk:

Mein Teller war so reich an Gräthen und an Schalen

Von Hummern, Matripors, Seeigeln, Admiralen,

Wie ein Musee zu Nürenberg.

 

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     Ich konnte mich von dem angenehmen Schauspiele dieser Tafelrunde nicht trennen, selbst da meine Rolle dabey gespielt war. Ich blieb noch immer ritterlich daran sitzen, und erlauerte dadurch ein Vergnügen, das ich seit meiner Reise entbehrt, und auf das ich in diesem Augenblicke am wenigsten gerechnet hatte. Denn eben als ich mich in geheim über den blinden Nationalstolz und über das Vorurtheil eines Spaniers lustig machte, der uns allen beweisen wollte, daß die Mandeln zu Cadix weit voller und schmackhafter wären, als die hiesigen — erschienen zwo junge artige Damen mit einem ältlichen Mann an der Seite, warfen fröhlichen Muths ihre Staubmäntel ab, und setzten sich nach der Anweisung der frischen Couverts, die der Wirth für sie hinlegte, in meine Nachbarschaft. Je näher sie mir kamen, desto weißer schien mir ihre Haut, desto glänzender ihre Augen, desto gütiger ihre Blicke zu werden: aber sie entzückten mich erst über alle Maßen, als ich sie gegen einander sprechen hörte; denn sie sprachen — Deutsch. Nun habe ich immer geglaubt, es erfordere schon die allgemeine Achtung gegen das schöne Geschlecht, daß man nie ein paar Mädchen fortschwatzen lasse, in dem Falle, daß man ihre Sprache versteht, ohne sie in Zeiten von diesem Umstande zu benachrichtigen. Ich that es daher auch jetzt. Es standen frische Erbsen vor mir, ich bot sie der mir nächsten mit der Anmerkung an, daß dieses Gericht für Deutsche etwas sehr neues vom Jahre wäre. — „Ganz gewiß,“ antwortete sie; „unter vier Monaten würden wir,“ du kannst denken wie ich überrascht wurde, „schwerlich in Berlin welche geschmeckt haben.“ — „Wie, meine lieben Nachbarinnen?“ fuhr ich lebhaft fort, „Sie sind Berlinerinnen?“ — „Das sind wir,“ versetzte sie lachend: „wundern Sie Sich darüber?“ — „Freylich sollte es mich wundern“ antwortete ich, „daß ich erst ein paar hundert Meilen von Hause so ausgezeichnete Landsmänninnen kennen lerne.“ — Hier drehte sie sich lustig nach der andern Seite: „Schwester, der Herr will mir weiß machen, er wäre von Berlin; melde es doch dem Vetter, der versteht sich besser aufs Examiniren, als ich.“

 

     Ich bog mich etwas vorwärts, um den Herrn in das Gesicht zu fassen, und fand die Anspielung seiner schönen Nichte sogleich nur zu deutlich erklärt; denn diese Physiognomie konnte niemanden angehören als einem Visitator, und es fand sich auch nachher, daß ich richtig gesehen hatte. Mir war jedoch jetzt mehr daran gelegen, seiner reizenden Nichte, als ihm mein Indigenat zu beweisen; ich fing es aber am unrechten Flecke an. Ich nannte ihr alle meine Berliner Freunde und Bekannten; aber leider gehörte keiner davon zu den ihrigen, und von allen den stolzen Namen, mit denen ich das Maul voll nahm, war auch nicht Einer von ihrer Bekanntschaft! Selbst von dir, lieber Eduard, hatten sie nie gehört, so schön sie auch waren. Ich war trostlos. Indeß schien mir noch nicht alles verloren. — „Nennen Sie mir,“ sagte ich, „nur einige Personen aus Ihrem Zirkel; es müßte nicht gut seyn, wenn wir nicht am Ende zusammentreffen sollten.“ — Aber da ging es eben so unglücklich. Ich wußte ihr auf keine ihrer höhnischen Fragen, weder wo der Monddoctor wohne, noch wen die alte Siblle auf dem Johannis=Markte geheuratet habe, noch auf andere dergleichen Dinge, womit sie mich in die Enge trieb, den geringsten Bescheid zu geben, und ich sah wohl, daß ich so lange bey ihr für einen Prahler gelten würde, bis ich mich durch andere Umstände legitimirte, die besser zu den ihren paßten. Ich erbot mich daher, sie nach Tische auf ihr Zimmer zu begleiten, und mich dem scharfen Examen ihres Herrn Vetters zu unterwerfen. Sie versicherte mich, daß es ihnen lieb seyn würde, setzte bis dahin ihren Verdacht bey Seite, und schwatzte nun von allerley gleichgültigen Dingen, die mir aber so gar nicht unwichtig schienen, so lange sie ihr weißes, freyes, Deutsches Gesichtchen mir zukehrte, in das ich mit wahrer Vaterlandsliebe blickte. Als sich ihr Herr Vetter gesättigt hatte, standen wir alle auf seinen Wink auf; ich bot seinen beiden Nichten den Arm, er schlenderte hinter uns her, und sie hatten nichts darwider, daß ich befahl, uns einige Erfrischungen auf die Stube nachzubringen.

 

     Mein Vorstand bey dem Herrn Vetter war sehr kurz. Nach zwey Worten war er von der Wahrheit meines Vorgebens überzeugt, ich erhielt Ehrenerklärungen von den Damen, und wurde nun mit gegenseitiger Freude für ihren Landsmann erkannt; denn in einer je größern Entfernung von der Heimat man einen Mitbürger findet, desto lieber wird er uns. Es ist, als ob der Gedanke eines gemeinschaftlichen Vaterlandes erst außerhalb desselben Stärke bekäme. Die äußern Verhältnisse, wodurch er dort nur zu leicht geschwächt wird, verlieren ihren Druck durch die Weite des Wegs. Der Abstand der Vornehmen von der Geringern scheint sich von selbst aufzuheben, wo die Abstufungen fehlen, die den Zwischenraum ausfüllen, und man umarmt sich aus patriotischem Gefühl, ohne lange zu fragen, zu welcher Kaste gehört ihr? Es that mir so wohl wieder einmal neben Menschen zu sitzen, die seit ihrer Jugend, wo nicht einerley Gesellschaft mit mir genossen, doch dieselben Glocken, dieselben Trommeln gehört hatten — den Thiergarten so genau kannten als ich, und, so gut wie ich, gegen Berlin alle andere Städte verachteten, durch die sie gekommen waren. Wir wechselten unsere politischen Bemerkungen, wie unsere eigne Geschichte, auf das traulichste gegen einander aus. Ich wäre, glaube ich, aus Ueberfluß des Herzens im Stande gewesen, ihnen mein geheimes Tagebuch vorzulesen, wenn es die Zeit erlaubt hätte, und sie waren eben so wenig zurückhaltend gegen mich. Vorzüglich machte sie ein Glück schwatzhaft, das ihnen über dem Meere bevorstand. Die Sache hing so zusammen.

 

     Eine Schwester des Herrn Visitators und Tante seiner beyden Bruderstöchter, die — sagte die eine — in ihrer Jugend bildschön war, hatte in dem siebenjährigen Kriege einen Französischen Proviant=Bedienten geheurathet, der, nach unglaublichen Abenteuern zu Wasser und zu Lande, sich endlich mit ihr in St. Domingo niederließ, sich dort — fiel der Vistitator ein — erstaunliches Vermögen erwarb, und auf seinem Todbette es seiner Wittwe vermachte. Durch die Länge der Zeit war das gute Weib nun auch hinfällig geworden. Sie soll, lispelte die andere Nichte, sehr kränkeln, und kann sich fast gar nichts mehr zu gute thun. Ihr vieles Geld kann sie auch nicht mehr aus der Welt nehmen. Das bedachte sie, und Gott rührte ihr Herz, daß sie sich noch in Zeiten nach ihren armen Verwandten umsah, und sie mit dem Versprechen zu sich einlud, ihnen ihre Erbschaft zuzuwenden. Der Herr Vetter suchte sogleich, wie er diesen wichtigen Brief erhalten hatte, um Entlassung aus Preußischen Diensten an, die er auch auf das allergnädigste erhielt, und reist nun, überflüssig mit Gelde versehen, das ihm seine liebe Schwester von Banquier zu Banquier anwies, mit den beyden einzig übrig gebliebenen Sprößlingen der Familie einem Reichthum entgegen, auf den er, wie er mich heilig versicherte, in seinem ganzen Leben nie rechnen konnte. Indeß verschwört es der gute Mann nicht, wenn er bald genug zum Besitze dieser Glücksgüter gelangen sollte, wieder in seine Vaterstadt zurück zu kehren; denn er stellt sich es doch als einen großen Spaß vor, sich einmal allen den Augen in einem gewissen Anstande zu zeigen, die ihn von Jugend an nur als einen Lump gekannt hätten.

 

     Ich unterdrückte das Lächeln, zu dem mich diese entfernte Hoffnung des ehrlichen Mannes so kurz vor seiner Hinreise, und die treuherzig wichtige Miene, mit der er sie vorbrachte, nur zu sehr reitzten. Der Gedanke ist so natürlich, Eduard: es scheint uns ja allen, so viel wir unser sind, auch das größte Glück fast kein Glück mehr, wenn wir es immer entfernt von unserer Heimat genießen, und nicht die Freyheit haben sollen, unsere alten Bekannten und Schulgesellen damit zu blenden. Ich hörte, wie du aus meiner genauen Wiedererzählung schließen kannst, zum erstenmale einem Visitator mit aufmerksamer Geduld zu; ob ich mich gleich nicht für eben so verbunden hielt, während er sprach, bey seinen gemeinen Gesichtszügen zu verweilen, da ich die Wahl hatte, meine Augen indeß mit zwey andern Deutschen Gesichtern zu vergnügen, die freylich nicht so alltäglich waren, als das seinige. Doch ich ward bald genug seiner ganzen redseligen Person los.

 

     Der Capitän, dem die Wittwe zu St. Domingo die Ueberfahrt ihrer Verwandten als eine Rückfracht verdungen, so wie sie jenen zugleich die Zeit, wo sie mit ihrem Führer zusammen treffen sollten, bestimmt hatte, ließ ihnen jetzt wissen, daß er wegen seiner nunmehr beendigten Geschäfte sie mit ihrer Habe an Bord erwarte, um noch diese Nacht abzusegeln. Mit dieser Nachricht schickte er ihnen zugleich Träger, um die Koffer zu holen. Der arme Visitator und seine Nichten hätten nun wohl gern noch diese Nacht auf festem Boden von ihrer Landreise ausgeruht; da es aber die Umstände nicht erlaubten, so gaben sie sich heroisch darein, und, nachdem er hastig seine Tasse von der Chocolate und zwey Gläser von dem Champagner herunter gestürzt, die der Kellner für meine Rechnung eben auf den Tisch gepflanzt hatte, so eilte er seinen Koffern nach, versprach seine Nichten abzuholen, wenn es Zeit zur Abfahrt wäre, und überließ uns mit einem freundlichen Winke den Ueberrest der Collation.

 

     Das Zimmer kam mir zwar viel aufgeräumter und geputzter vor, als er weg war: doch machte mich das große Zutrauen eines Onkels nicht wenig stutzig, der mich in der Dämmerung, bey solchen Erfrischungen, mit solchen Mädchen allein lassen konnte, die jetzt in der lustigsten Laune von der Chocolate zu dem brausenden Wein übergingen, und abwechselnd, dem festen Lande, wie sie sagten, zur letzten Ehre, trällernd um den Tisch tanzten, bis es für diese Art Leibesbewegung zu dunkel ward. Fürchte aber nur nicht zu sehr für mich, Eduard. Denn, ungeachtet die Gefahr wuchs, als die funfzehnjährige Schwester, nach wohl errungener Müdigkeit, der sechzehnjährigen den Tummelplatz allein überließ, und sich mit der Bitte in das anstoßende Cabinet begab, sie möge sie ja nicht eher wecken, bis es die höchste Noth sey — und, ob ich dir auch gern gestehe, daß ich in einem gefährlichen Augenblicke vorher, wo die erhitzten Schönen ihre Halstücher abwarfen, und mir nur desto vortheilhafter in die Augen fielen, mir in geheim die spitzfindige Frage vorlegte, ob nicht der strengst Sittenrichter — auf den zwar traurigen, aber doch möglichen Fall, daß diese Rosenknospen auf dem Meere verloren gingen — mir die wenigen in Raub gepflückten Blätter immer noch lieber gönnen würde, als einem Hayfische? — und ob es gleich nicht dunkler werden konnte, als die noch muntere Schwester einen Sitz neben mir auf dem Canapee einnahm, und mich launig aufforderte, ihr die Seekrankheit, vor deren neuer Bekanntschaft sie sich am meisten fürchtete, aus dem Kopfe zu treiben: so schützte mich doch — und ich setze es dankbar auf die Rechnung des vielen Guten, das sich daher entspann — die Erfahrung der vorigen Woche vor jedem casuistischen Gedanken. Ich nahm vielmehr von unserer baldigen Trennung Gelegenheit, dem schönen Geschöpfe, das neben mir saß, noch einige gute Lehren mit auf den Weg zu geben.

 

     „Ihre Bekanntschaft, meine lieben Landsmänninnen,“ sagte ich mit rührender Stimme, „hat mir meinen heutigen Tag recht werth gemacht, und es wird mich herzlich freuen, wenn ich erfahre, daß es Ihnen in der Entfernung wohl geht. Bald eilen Sie nun auf den Fügeln des Windes einem Lande des Wohllebens und der Freude entgegen. Mit so vielen Reitzen geschmückt, als Ihnen beyden die Natur gab, werden Sie dort mehr Aufsehen machen, als selbst in Berlin; und dort, wo bewahrte Unschuld, mit Schönheit verbunden, ungleich seltener ist als Reichthum, wird gewiß bald eine glückliche Ehe — auf die Sie in unserer verarmten Vaterstadt noch lange vielleicht vergebens hatten warten müssen, Ihr Theil werden. Es muß auch von nun an Ihr einziges Ziel seyn, lieben Kinder! Denken Sie, wenn Sie es erreichen, und mit dem stolzen Bewußtseyn einer unbefleckten Tugend die Freuden der Liebe ernten, die Sie zu geben und zu nehmen bestimmt sind — denken Sie dann an das Wahre und Uneigennützige meiner Vermahnung. Erinnern Sie Sich, in welcher für Sie und mich gefährlichen Stunde ich sie Ihnen an das Herz legte — in der Stunde unsers Abschieds — unter der Einladung der Nacht — während der fröhlichen Stimmung Ihres Bluts, das Sie, wenn ich es sagen darf, meine lieben Kinder, ein wenig leichtsinnig, durch unbekannte hitzige Getränke in eine Wallung gebracht haben, die der Aufmerksamkeit auf uns selbst nur zu nachtheilig ist.“ —

 

     Es ging mir zwar hier wie manchem andern Prediger. Die eine Hälfte des Auditoriums, an das meine Rede gerichtet war — schlief, und die mögliche Erbauung der andern — mußte ich Gott anheim stellen. Indeß hätte ich doch um vieles nicht der Hülfe entbehrt, die ich mir gegen meine eigene Zerstreuung dadurch leistete, daß ich meinen Vortrag an eine Seele mehr richtete, als mir zuhören konnte. Diese Kleinigkeit benahm der Dunkelheit, die uns umgab, alle Gefahr; denn ich weiß nicht, ob ich mich so deutlich und ohne Stocken über den Werth der Tugend würde erklärt haben, wenn ich an die Bequemlichkeit meiner Kanzel, in Verbindung mit dem lieben Kinde, so einzeln, wie es neben mir saß, und entfernt von seiner Schwester, gedacht hätte, die, wie du gehört hast, nicht eher gerufen seyn wollte, als „bis es die höchste Noth wäre.“ Doch da dieser Sinnenbetrug, wie ich wohl merkte, in die Länge nicht dauern konnte, so ließ ich es mit dieser kurzen Probe genug seyn.

 

     „Hum!“ sagte ich zum Schluß, „ungerufen, sehe ich wohl, ist es dem heiligen Geiste nicht hergebracht, daß man den Passagieren Licht bringt.“ Ich griff nach dem Schellenzuge. — Die Schnur lag straff, und um sie ziehen zu können, suchte ich die Quaste. Aber gütiger Gott! wohin hatte die sich versteckt, und wie erschrocken fuhr meine Hand zurück! Ich bat das schöne Mädchen tausendmal um Verzeihung; aber, kannst du es glauben? sie hörte mich nicht. Das müde Kind war, trotz meiner Predigt, so tief eingeschlafen, wie in der Kammer die Schwester, und macht mir jetzt keine kleine Angst. Da sie gerade unter der Klingel saß, so war es zwar sehr begreiflich, wie die seidene Trottel, durch ihr Köpfchen gehoben, bey der geringsten Bewegung dahin gleiten konnte, wo ich sie fand; aber wie sollte ich sie nun aus der Klemme bringen, in die sie gerathen war? und ich brauchte doch Licht. Da war nun weiter nichts zu thun: ich mußte mich aus der Verlegenheit ziehen, wie es möglich seyn wollte. Ich fingerte auf das behutsamste, und ward endlich der Quaste habhaft, die so warm was als die Hand, mit der ich sie faßte, und nun stürmte ich in die Klingel. Sogleich stürzte der Aufwärter mit zwo Kerzen herein. Ich wollte schmählen — „O sie brennen schon lange,“ entschuldigte er sich, „aber wir wagen nie, eher Licht zu bringen, als es die Herren verlangen.“

 

     Alles das Geräusch konnte die schlafende Schöne nicht erwecken. — Es war wahrlich eine scharfe Kritik auf meine Predigt. — Ich trat ihr endlich mit den Lichtern unter die Augen, nahm jedoch mit Vorbedacht in jede Hand eins — aber sie rührte sich nicht. Dagegen konnte ich sie desto aufmerksamer betrachten. Es war zum Malen, wie fest der sanfte Schlaf die braunen Augenwimpern zusammen drückte, ein feines Lächeln um den Mund, Carmin um die Wangen zog, und mit kurzen Athemzügen eine Brust hob, bey der sich niemand verwundern durfte, daß die Quaste so fest lag. Ich überließ mich dem Vergnügen dieser süßen Beschauung ohne Bedenken; denn durch die Chocolate, den Wein und durch meine Predigt, die zusammen das Mädchen einschläferten, hatte ich es ehrlich bezahlt. Genau genommen, ging auch diese — ob sie gleich keine lebendige Seele vernahm als meine eigene, deshalb nichts weniger als verloren; denn ungerechnet, daß man sich selbst nicht ungern hört, ward es jetzt nur zu sichtbar, wie erbaulich sie auf mich zurück gewirkt hatte. Ich war mit mir zufrieden, hatte, unter dem Schutze des heiligen Geists, Kirche, wo nicht für andere, doch für mich, gehalten, und ich lasse mir es nicht abstreiten, daß jenes großmüthige Gefühl meiner warmen Hand, das ich mit der seidenen Quaste zurück brachte, mehr Verdienstliches hat, als die paar Groschen, die ein Geitzhals in den Klingelbeutel wirft, und sich wunders etwas darauf einbildet.

 

     Ich setze nun die beyden Lichter, nach dem angenehmen Dienste, den sie mir geleistet hatten, wieder auf den Tisch, und mich mit der heitersten Ruhe an das Fenster. Als ich aber den Mond in dunklen Wolken über das Meer hängen sah, und die jetzige Sicherheit der guten Kinder unter meiner Wache mit den Gefahren verglich, denen sie so unbefangen entgegen schliefen, — da, Eduard, ward mir ganz bänglich ums Herz, und es überfiel mich ein Frost, so oft ein Lärm im Hause vermuthen ließ, man würde sie nun wecken und zu ihrer Bestimmung abrufen. Indeß verging noch eine glückliche Stunde für sie, bis zu Mitternacht.

 

     Nun trat endlich der Visitator schnaufend herein, war ganz betroffen, wie er sagte, von der wilden Wirthschaft, die auf einer Tartane herrsche, und schon über und über schwindlig von der ersten Probe, die seine Füße in dem Schiffsraume gemacht hätten. Seine bekannte Stimme schreckte die beyden Mädchen sogleich auf, da sie sich hören ließ. Sie traten schlaftrunken neben ihn, und fragten, ob ihre Betten auf dem Schiff schon gemacht wären? — Ja, ja, antwortete er, es ist alles in Ordnung, bis auf den Schlaf, den ich euch wünsche. — „O,“ dehnte sich die eine, „wir schlafen heute ungewiegt.“ — „Ungewiegt?“ wiederholte er höhnisch: „das wird sich bald ausweisen — aber kommt nur!“

 

     Ich gab der ältesten Schwester den Arm, die jüngere hing sich an ihren verstörten Vetter. Ein paar Fackeln leuchteten uns. Wir gingen, jedes in seine eigenen Gedanken vertieft, einige Gassen durch, bis an den Hafen; denn ob ich gleich dem Mädchen gern einen Auszug aus der Predigt gegönnt hätte, die sie verschlief, so fürchtete ich doch, sie in einem Selbstgespräche zu stören, das, nach den tiefen Seufzern zu schließen, von denen sie sich los machte, ihr noch zuträglicher schien, als die Warnung eines so frischen Bekannten, der nicht einmal in der unschuldigen Geschichte mit der seidenen Trottel auf ihr Bewußtseyn gewirkt hatte.

 

     Eine Barke, mit lustigen Rudern besetzt, erwartete die Gesellschaft am Ufer. Das neue große Schauspiel, das sich hier mit einemmal ihren Augen entdeckte — das unabsehlich ausgebreitete Meer — das Flimmern seiner Wellen im Mondschein — der Zuruf vieler tausend Stimmen von den schwankenden Schiffen her, die sich mit dem Getöse am Ufer durchkreuzten — alles das nie Gesehene, nie Gehörte, das sie hier umringte, machte einen so heftigen Eindruck auf die armen Stadtmädchen, daß sie mich zitternd ansahen, mir um den Hals fielen und weinten. Ich war bewegt, und da mich die guten Kinder baten, sie bis auf ihr Schiff zu begleiten, hatte ich den Muth nicht, es ihnen abzuschlagen: ich zog mir noch so viel an meinem Schlaf ab, als etwa nöthig seyn möchte, um als Landsmann dem Capitän sie zu empfehlen, und mir durch eine Localkenntniß ihrer schwimmenden Wohnungen das Andenken an sie während ihrer Reise noch mehr zu versinnlichen.

 

     Meine Nachgiebigkeit durfte mich nicht gereuen. Ihr Empfang auf dem Schiffe war so festlich, als ob es Prinzessinnen wären, die sich zu einer kleinen Lustreise einschifften. Wir traten, statt in eine beräucherte Cajütte, wie ich fürchtete, in einen artigen Salon, der, mit bunten Lampen behängt, eine runde Tafel beleuchtete, die mit den ausgesuchtesten Erfrischungen besetzt war, und fanden einen alten freundlichen Mann an dem Capitän, der uns bewillkommte. Er blickte den Mädchen mit beyfälligem Lächeln in die Augen, indem er mich zugleich fragte, wer ich wäre? Ich legte ihm in der Geschwindigkeit Rechenschaft von unserer kurzen Bekanntschaft ab, und empfahl sie ihm als Landsmann. — „Seyen Sie unbesorgt für die guten Kinder,“ anwortete er: „ich bin der älteste Freund ihrer Tante, den sie jetzt auf der Insel hat. Vor dreyßig Jahren schiffte ich sie ein, wie heute ihre Nichten; und diese sollen gewiß nicht übler fahren als sie, das habe ich der guten Frau versprochen. Ich habe wohl Zeit gehabt, — Sie lesen es zur Genüge auf meiner Stirn — mein Handwerk zu lernen. Die Tartane ist mein eigen. — Es ist kein Bettelschiff, wie da viele in dem Hafen auf der Ausbesserung liegen. — Den Tag bringen wir lustig in diesem Raume zu, und des Nachts = = = Kommen Sie, lieben Kinder, ich will Ihnen zeigen, wo Sie schlafen sollen.“

 

     Er führte nun die beyden Schwestern in einen niedlichen Verschlag, der rechter Hand an den Saal anstieß, worin zwey freundliche Bettchen, und dazwischen an der Mittelwand ein Spiegel, der größte vielleicht, den sie noch gesehen hatten, befestigt war. Dieses vollendete ihre Ueberraschung. — „Nein! das ist allerliebst!“ drehten sie sich nach dem Spiegel zu, und setzten ihre Hütchen zurechte. „Hier, sehen wir schon, wird es uns wohl gehen.“ — „Ja! das soll es auch, so Gott will; mein ganzes Schiff steht unter ihren Befehlen,“ antwortete der alte Seemann mit einer Artigkeit, die mich nicht wenig verwunderte. „Auch habe ich weiter keine Passagiere,“ fuhr er fort, „an Bord genommen, um Ihnen den Raum nicht zu verengen;“ und nun nöthigte er uns zusammen an den Tisch. Eine Schale Punsch, die wir unter fröhlichen Gesprächen ausleerten, befeuerte uns noch mehr für den guten Mann, der besonders für die beyden Schwestern die zärtlichste und sogar medicinische Sorgfalt zeigte: denn als sie nach schönen Orangen von Malta langten, die eben vor ihnen standen, erklärte er, daß dieses für sie die einzige verbotene Frucht sey; die er ihnen jedoch, setzte er freundlich hinzu, aufheben wollte, bis ihnen die Abkühlung nöthiger sey als jetzt.

 

     Dieses zuvorkommende Betragen des alten Mannes gegen die Mädchen mußte mir doch wohl auffallen, Eduard? Sollte denn, dachte ich, ihre Schönheit den Greis so sehr bestochen haben, daß er in ihnen die Nichten eines Visitators übersieht, und sie behandelt, als ob sie aus dem Schaume des Meeres gestiegen wären, und St. Domingo beherrschen sollten? Oder hat ihm die Tante ein so reiches Fährlohn ausgesetzt, wenn er sie gesund überliefert? Nun ich gönne den armen Waisen alles mögliche Glück, mag es doch herkommen wo es will.

 

     Du kannst denken, in welch einem vergnügten Erstaunen sich erst die beyden Schwestern befanden. Sie schlürften ein Gläschen Punsch nach dem andern ein, und lächelten einander an. Ueber den vielen Artigkeiten, die ihnen gesagt wurden, hatten sie — das liegt nun einmal in ihren Geschlechte — alle Furcht verloren. Dann und wann, wenn sich das Schiff bewegte, schien es ihnen zwar einzufallen, daß zu viele Herzhaftigkeit ein junges Mädchen nicht kleide — dann thaten sie wohl einen angenehmen Schreiy, und baten nachher in vollem Lachen den Capitän um Verzeihung. Du kennst ja, lieber Eduard, die Ziererey der Weiber. Sie verläßt sie nicht, so wenig auf der See wie auf dem Lande, auf dem Schiffe wie auf dem Sopha — sie mögen eine Spinnen oder einen Wallfisch, einen Zwerg sehen oder einen Riesen. Der Capitän war Weltmanns genug, um zu thun, als ob er an ihr Schrecken glaube. — „Mein Gott!“ sagte er, „bey einer ersten Seereise sind solche kleinen Erschütterungen wohl zu vergeben, zumal jungen Damen. — Machten es doch meine beyden Buben nicht besser, als ich vor zehn Wochen mit ihnen auslief. Sie waren auch noch auf kein Schiff gekommen; denn bis dahin steckten sie in der Schule. Jetzt sind sie der Wirthschaft schon gewohnt, und werden Ihnen jede Ihrer Herzensbewegungen auf das genaueste vorhersagen können, da sie seit kurzem erst selbst die Erfahrung gemacht haben.  — Klammern Sie Sich nur getrost an diese Helden, wenn Sie die Furcht überfällt. — Holla! wo sind sie denn?“

 

     Jetzt traten ein paar starke, blühende Jünglinge herein, die in kurzen Verbeugungen sich der Gesellschaft näherten, und die beydne Mädchen mit ihren feurigen Blicken zu verschlingen drohten. Diese konnten mit ihren Gegenreverenzen nicht aufhören, bis der Capitän seinen Söhnen lächelnd befahl, sich zwischen die jungen Damen zu setzen.

 

     Auf einmal war mir nun das Räthsel ihrer festlichen Aufnahme gelöst, und der alte Schiffer zeigte sich mir nun in einem desto bessern Lichte; denn ungezwungener, klüger und väterlicher, dachte ich, kann man doch kaum einen geheimen Liebesplan anlegen, als ich mir an den Fingern abzählte, daß hier der Vater für seine Söhne, mit oder ohne Vorwissen der Tante, gethan hat. Ich möchte das Mädchen sehen, das, in einer solchen Lage, solchen Werbern entlaufen könnte! Denke nur selbst nach, Eduard! Abgeschnitten von der ganzen Welt sammt ihren Zerstreuungen — eingeschränkt auf einen einzigen Gegenstand der Begierde — so nahe dem Tode in dem Schweben des schönsten Lebensgenusses — jedes Gefäß des Herzens durch die stärkende Seeluft erweitert — jeder durchströmde Blutstropfen tausendfach erwärmt, die ganze Maschine in beständigem Schaukeln, und immer die größte Oper der Welt, den Auf= und Untergang der Sonne, vor Augen — in welche Stimmung von Wohlbehagen, Sehnsucht und Zärtlichkeit muß das nicht eine weibliche Seele versetzen, und in welchem magischen Lichte muß ihr nicht der Jüngling erscheinen, der über ihrem Haupte, nur für ihre Sicherheit und Ruhe besorgt, Wache hält, ihr muthvoll und lächelnd den heran nahenden Sturm ankündigt, sie, wenn er einbricht, in die Arme schließt und an das Herz drückt, und, wenn sich der Aufruhr gelegt hat, mit glänzenden Augen ihre zitternde Hand küßt! Welche süßen Vorgefühle müssen sich nicht bey solchen von der Natur selbst beygeführten Auftritten in der Brust eines Mädchens entwickeln, — und wie armselig kommen mir dagegen die Situationen vor, die sich in jedem Roman wiederholen, den wir unter uns spielen sehen! Denke dir den seligen Augenblick, wo ein junges Paar, nach solchen Prüfungen und Vorbereitungen, endlich an das Land — und endlich dahin steigt, wo es die Liebe erwartet. Hätte ich Töchter zu verheurathen, wahrlich ich würde sie einige Monate mit ihren Liebhabern, und unter der Leitung eines solchen Menschenkenners von Capitän, auf ein Schiff setzen und den Wellen überlassen, wäre es auch nur, um ihnen den schleppenden Gang zu ersparen, den in unserem Zirkel, ein Mädchen wie das andere, aus der Kinderstube gähnend in das Brautbette nimmt.

 

     Da die jungen Herren nur gebrochenes Deutsch, die beyden Mädchen kein besseres Französisch sprachen, so suchten sie, unter vielem Gelächter, Hülfe in der Geberdensprache, die zu ihrer Unterhaltung mehr als hinreichend war. Der alte Seemann beobachtete die jungen Passagiere mit innigem Vergnügen, und ich sah aus allen Anstalten, daß es ihm mit der zeitigern Abfahrt wohl kein sonderlicher Ernst mochte gewesen seyn; denn eine muntere Stunde vertrieb die andere, und es fing schon der Tag an zu grauen, ehe der gute Vater sich entschließen konnte, die frohen Seelen zu trennen. Jetzt aber befahl er seinen Söhnen, auf ihre Posten zu gehen, und auf das Signal Achtung zu geben; den beyden Mädchen aber mit hochrothen Wangen und flimmernden Augen legte er nun selbst die Orangen vor, und gab jeder noch eine mit in die Kammer. — „Ich werde,“ sagte er, „die Segel nicht eher ausspannen lassen, bis Sie fest schlafen, und ich hoffe schon funfzig Meilen von Marseille zu sein, ehe Sie aufwachen.“

 

     Es war kein Wunder, daß den guten Kindern alles, was ihnen heute begegnete, wie ein Feenmährchen vorkam. Sie freuten sich, als sie von mir Abschied nahmen, daß ich Zeuge davon gewesen sey, und schrieben mir die Namen einiger ihrer Freundinnen auf, denen ich es erzählen sollte, wenn ich nach Berlin käme. Ich versprach es, und gedenke es auch zu halten, sollte es mir auch noch so viele Mühe kosten, sie in den kleinen Gassen aufzusuchen, wo sie wohnen mögen.

 

     Der Visitator schien es auch genug zu haben, da die Punschschale ausgeleert vor uns stand, und stolperte seiner Kammer zu, die ihm der Capitän an dem andern Ende des Zimmers, seinen Nichten gegenüber, anwies. Ich umarmte ihn und den braven Seemann mit unbeschreiblicher Herzlichkeit. stieg nun auch in meine Barke, und beruhigte bald die Matrosen, die mich über die Länge meines Außenbleibens etwas mürrisch empfingen, mit dem Versprechen eines dreyfachen Fährgeldes, wenn sie mich glücklich an das Ufer brächten.

 

     Mit dem Schlafe für diese Nacht war es nun vorbey, — und ich entschloß mich, in einer der Coffeebuden, deren eine Menge um den Hafen stehen, die Abfahrt des Schiffs zu erwarten. Während ich nun, das Gesicht dahin gerichtet, neben einem Teller mit Orangen saß, die ich, dem Recepte des Capitäns gemäß, zur Abkühlung meines Bluts nach und nach aussaugte — den ewigen Streit des ungetreuen Elements, das vor mir lag, mit den Kräften des Menschen, die ihm entgegen arbeiten, und den Vortheil der Schiffahrt mit ihrem Nachtheil für unsere Sitten, unsere Ruhe und Gesundheit verglich, machte mir mein Gedächtnis die Freude, mich an die schöne Ode zu erinnern, die Horaz an das Schiff richtete, das sein Freund Virgil nach Athen brachte. *)

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*) Ode 3. lib I. Sic te diva potens Cypri —

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Das erhabene Vorbild reitzte meine Phantasie, ihm von weitem nachzufliegen; und wenn ich auch meinen Landsmann mit seinen Nichten eben nicht animae dimidium meae nennen möchte, so sah sich doch meine Muse gern noch einmal in den Augenblicken nach ihnen um, wo sie mir der Wind — wahrscheinlich auf ewig — entführen sollte.

 

     Ich war eben mit meinem Abschiedliede fertig, als ich, von der Glasthüre aus, die Segel aufziehen sah. — Jetzt schlafen nun die lieben Mädchen, dachte ich. Der Himmel beschütze sie! Und mit klopfendem Herzen trat ich aus meiner Bude an den Strand, und sang — obschon mit etwas heiserer Stimme — meine Wünsche dem Schiffe nach, das ganz aufgeblasen den Hafen verließ und in die Strahlen der Morgenröthe dahin flog:

 

Hängt eure Lampen aus, ihr Brüder

Helenens! Cypris, strahle nieder

Sanft, wie es deinem Stern gebührt!

Und laß auch du, der Winde Vater,

Das Schiff von Stürmen unberührt,

     Das unsern Visitator

     Und seine Nichten führt!

 

Ihr Glücksstern bringe durch die Schatten

Der Nächte sie den Hangematten

Der Rudrer unberaubt vorbey —

Und Fama mache mich des Kummers

Um ihre Jugendblüthe frey,

     Daß sie ja keines Hummers

     Und Meerwolfs Beute sey!

 

Dem war die Brust mit Stahl umzogen,

Der die Bekämpfung wilder Wogen

Zuerst zu seinem Spiel erkohr:

Doch auf den Stufen der Gefahren

Steht ihm die jüngst Schöne vor,

     Die nichts von ihren Waaren

     Auf dem Verdeck verlor.

 

Vergebens schied mit weisem Plane

Zeus und Neptun vom Oceane

Das Menschen angewiesne Land:

Verwegen stoßen sie vom Stapel,

Und holen von dem fernsten Strand

     Peteschen, Mal de Naples

     Und andern Conterband.

 

Ein neuer Dädal, Blanchart, eilet

Vom Piripi hinweg, und theilet,

Den Adlern gleich, der Lüfte Bahn.

Ein Franklin zündet an dem Blitze

Olympens seinen Wachsstock an.

     Auf jedem Musensitze

     Erhebt sich ein Titan.

 

Der Mensch, zu mässigem Genusse

Geboren, nähm΄ dem Ueberflusse

Sein Füllhorn gern auf einmal ab:

Von schwer erstiegnen Schaugerüsten

Stürzt schwindelnd ihn sein Stolz herab,

     Und ein Gefolg von Lüsten

     Begleitet ihn ins Grab.

 

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     Meine thierischen Kräft waren so erschöpft, wie meine poetischen. Ich fühlte die Schlummerkörner, die ich heute so reichlich ausgesät hatte, wurzeln und keimen, und war froh, als ich den heiligen Geist erreichte, wo ich sie bald in meinem Bette zur Reife brachte.

 

     So endigte sich der erste halbe Tag meines Aufenthalts in Marseille, den ich aus Drang von Selbstzufriedenheit, dergleichen ich lange nicht empfand, dir, lieber Eduard, als eine augenscheinliche Probe meiner angehenden Besserung hoffentlich so überzeugend dargestellt habe, als du nur verlangen kannst. Was wolltest du mit Grund dagegen einwenden? —

 

Der heitern Mittagsstunde schlossen

Sich ja die frömmsten Horen an,

Die mich von Psyche΄s Spielgenossen,

Statt mit vergifteten Geschossen,

Mit Blumen nur verwunden sah.

 

 

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M a r s e i l l e .

 

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den 10. Januar.

 

Die volle Sonne hatte Mühe mich zu wecken. Als ich die Augen aufschlug, mußte ich mich einigemal fragen, wo ich wäre und wo ich hinwollte, eh΄ ich es deutlich erfuhr. Das erste, was mir beyfiel, war ein Wechsel auf Herrn Frege, einen Sohn des berühmten Banquiers dieses Namens zu Leipzig. Ich lernte einen artigen und gefälligen Mann an ihm kennen. Sein Deutsch war mir beynahe lieber, als das, womit ich gestern an der Wirthstafel so angenehm überrascht wurde; denn er zahlte mir Geld, und bat mich auf morgen zu Tische. Mein heutiger Mittag hat nichts für mein Tagebuch abgeworfen. Es wollten keine Berlinerinnen kommen, so sehr ich mich darnach umsah. Unter den Anwesenden fand sich nicht Ein Auge, in das ich hätte blicken mögen; und es war eben so gut: denn ich konnte um so viel ruhiger der Erholung pflegen, die mir nach der Nachtwache von gestern sehr nöthig war.

 

     Mit diesem Gefühle in allen Gliedern, und einem Pack Zeitungen, die für die Gäste da lagen, schlich ich wohl gesättigt nach meinem Zimmer. Hier pflanzte ich Bastianen, der sie mir vorlesen sollte, meinem Lehnstuhl gegenüber. Es ging schlecht. — Margot, sagte er zu seiner Entschuldigung, lese auch nicht besser. — Ich setzte den Prologus an seine Stelle, einige Zeilen nachher auch den Epilogus; aber der Zeitungstext und ihre Stimmen paßten so widrig zusammen, daß ich vor der Hand für das beste hielt, auf die Bequemlichkeit des Vorlesers Verzicht zu thun. Es greift doch nichts die Gehörnerven so empfindlich an, als werthlose Neuigkeiten, die uns in einem hochtrabenden Tone verkündiget werden. Der erste declamirte: daß Ludewig der Vielgeliebte zwey Tage und drey Nächte mit Madam Dubarri auf dem Schlosse zu Meudon zugebracht habe. — Der andere: daß der Herzog von Orleans entschlossen sey, eine Reiherbeitze zu halten. — „Das mag er,“ unterbrach ich den Epilogus: „trage nur die unnützen Blätter wieder in den Saal, damit nicht etwann gar jemand darauf warte.“

 

     Der gute Kerl hatte indeß doch nicht ganz umsonst gelesen. Er erinnerte mich, wie er das Maul so voll nahm, an seine so genannte Arabische Handschrift, die ich jetzt Zeit genug hatte nach Herzenslust zu untersuchen. — Ja, dachte ich, das soll auch geschehen; denn ich will doch noch lieber einen Deutschen Landjunker über einen philosophischen Gegenstand schwatzen hören, als einen Französischen Nouvellisten, der immer nur das Volk mit dem Zeitvertreibe seines Königs bekannt macht, nie mit seinen Geschäften. Sind sich diese Schmierer aber nicht in allen Staaten gleich? Ist es nicht, als ob sie dafür bezahlt wären, durch alle den Pomp festlichen Müßiggangs, den sie aus der Tagesordnung der Regenten sorgfältig ausheben, und in ihren Wochenblättern für das Publikum auskramen, dem Unterthan seine saure Arbeit noch mehr zu verekeln, und ihm seine drückenden Abgaben noch unerträglicher zu machen?

 

     Ich zog nun den Brief aus seiner kostbarer Verwahrung, that im Vorbeygehen auch nicht einen Blick auf das berüchtigte Bild, und, glaube mir, ich war mit den paar Stunden, die ich verlas, nicht so gar übel zufrieden. War es der sonderbare Contrast, in welchem mir der Eigenthümer der Schreibtafel und des Gemäldes, gegen das gehalten, erschien, was der Brief von ihm sagte, denn es ist klar, daß er an ihn gerichtet ist; — sind es die Wahrheiten, die hier und da darin vorkommen, und mir oft so hell in die Augen leuchteten, daß sie mir übergingen; — oder waren es die Sophistereyen der Freundschaft, die mich so anzogen? Ich weiß es nicht. Genug, ich übersah die schwachen Stellen mit Lächeln und Nachsicht, verweilte mit Vergnügen bey andern, die von stärkerm Gehalte waren — verglich die Empfindungen des Schreibers mit der Erfahrung der meinigen, und gerieth darüber in ein Gedankenspiel, das mich, in Ermangelung eines bessern Zeitvertreibs, immer leidlich genug beschäftigte.

 

     Wäre der Brief nicht so unerträglich lang, ich schriebe dir ihn ab. — Aber könnte ich dir ihn nicht stückweise vorlegen, und die ganze bunte Masse von Gerichten, die er hier auf einmal auftischt, unter die magern Epochen vertheilen, die etwann, wie heute in meinem Tagebuch, vorfallen? Warum nicht? Aus dem systematischen Zusammenhange werde ich nicht das mindeste reißen: über diesen hat sich der natürliche Menschenverstand des Schreibers glücklich hinweg gesetzt. Dem unerachtet, hoffe ich, sollst du mir meine Mühe verdanken. — Der Brief wird dich immer mit einem sehr seltenen Mann bekannt machen, dergleichen unser guter König wohl nur wenige in seinen Staaten aufweisen kann; mit einem Vasallen nämlich, der zufrieden auf seiner Hufe sitzt, und die Richtigkeit des Satzes praktisch beweist: nihil petenti nihil deest.

 

     Sollte dir nun vollends der Verfasser des Briefs, der, wohl zu merken, als er ihn schrieb, nicht einmal ahnden konnte, neben was für ein Mignaturbild man ihn beylegen würde, die Augen über den nachtheiligen Einfluß öffnen, den, wie er es ernstlich gegen seinen Freund und Feldnachbar behauptet, die Entfernung vom Vaterlande auf unsere Sittlichkeit und Gemüthsruhe hat; so bewirkt vielleicht diese Abschrift den guten Entschluß bey dir, den auch mein Tagebuch zu entkräften leider nicht gemacht ist, daß du deine kranken Freunde künftig nicht mehr so auf geradewohl in die weite Welt schickst.

 

 

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L i e b e r   A u g u s t

 

In der frohen Erwartung deines versprochenen Gegenbesuchs auf meinem Landgute, in den Anstalten zu deiner Aufnahme, die mich eben von dem einen staubigen Winkel meines Hauses zum andern trieben, als ich gestern deinen Abschiedsbrief erhielt, brauche ich wohl kaum zu sagen, wie sehr er mich überrascht hat. Nichts — ich kann dich es auf Ehre versichern, nichts in meinem Leben hat es mehr gethan, als diese Ankündigung deines Aufbruchs nach Avignon. Dein Entschluß ist rasch, lieber August. Schwerlich hast du ihn selbst geahndet, als ich vergangenes Frühjahr einige Wochen bey dir vertändelte; denn sonst würdest du mir ihn doch wohl entdeckt, und die Bewegungsgründe dazu entwickelt haben, die du jetzt meinen eigenen Nachforschungen anheim stellst. Kaum kann ich von meiner Verwunderung zurück kommen. Warum bautest und schmücktest du dein stolzes Haus, möchte ich fragen, daß es dir so Noth that, es zu verlassen? Warum übergabst du es in der Aufschrift über dem Portal der Zufriedenheit, da du die Göttin erst anderwärts aufsuchen willst, der du es hier mit goldenen Buchstaben geweiht hast? Du hast durch deine plötzliche Abreise alle deine Feldnachbarn an dir irre gemacht. Einige erblicken nichts weiter darin, als einen beschimpfenden Vorwurf gegen ihren Zirkel und langweiligen Umgang; andere schütteln die Köpfe, und fürchten, daß dich nur die großen Schulden in die Flucht trieben, in die dich die Thorheit deines Baues gebracht habe. Ich allein kenne dich zu gut, um nicht mehr als zu viel Uebereinstimmung mit deinem Innern auch in dieser deiner Handlung zu finden, und befestige mich noch mehr in den Gedanken, wovon ich den Faden schon vor fünf Jahren in der alten Burg deinerVorältern auffasste, und den ich bey meinem dießjährigen Besuche in diesem neuen Palaste alle Muße fand vollends auszuspinnen. Wäre noch der geringste Anschein geblieben, daß meine stillen Wünsche für dein Glück und alle die schönen Hoffnungen sich mit der Zeit erfüllen würden, um die mich nun deine Abreise bringt, wahrlich, du hättest nicht einmal von meinem heimlichen Gespinste etwas erfahren sollen. Jetzt aber, da ich die Unruhe, die du von deinen ehemaligen langen Reisen zurück brachtest, aufs neue wieder in die weite Welt jagt, und dich von deiner prächtigen Wohnung, wie von den schmucklosen Hütten deiner Freunde, entfernt, jetzt, da ich mir nicht anders zu helfen weiß, mußt du mir vergeben, daß ich dir den ganzen Knaul auf der Post nachschicke, so voll ich ihn, ohne meinen ländlichen Geschäften Abbruch zu thun, habe aufwickeln können.

 

     Erinnere dich, lieber August, der Zeit unserer gemeinschaftlichen Erziehung. Damals vertrauten wir einander so gern unsere kleinen Geheimnisse. Wenn einer von uns ein Vogelnest fand, zog er immer den andern zur Frage, ob es wohl Nachtigallen wären oder Sperlinge? Wenn einem von uns sein Strohut der Quere saß, rückte ihn der andere ohne viel Umstände zurechte. Warum wollten wir in älteren Jahren und bey wichtigern Dingen zurückhaltender seyn, und nicht eben so treuherzig als ehedem unsern Bemerkungen Luft machen? Der Tod deines rechtschaffenen Großoheims, meines Erziehers und Wohlthäters, trennte uns arme Spiel= und Schlafgesellen, und gab jedem eine andere Richtung. Die deinige ging in das Edle, Erhabene und Weite; die meinige hingegen nöthigte mich, auf dem väterlichen Boden, wie Epheu, fortzukriechen, und aus eigener Kraft Wurzel zu schlagen. Funfzehn Jahre vergingen, ehe du mir wieder unter die Augen kamst; und wie falsch waren meine Urtheile über dich, eh΄ ich dich sah! Ich berechnete nach der Summe der vielen frohen Empfindungen, deren ich mir bewußt war, und zu denen ich auf die einfachste Art ohne Aufwand gelangte, wie groß erst die Masse der deinigen seyn müsse, die, unter der Leitung verständiger gelehrter Männer, aus Bestandtheilen zusammen gesetzt wurde, die sich gegen die Materialien meines Glücks wie polirter Marmor zu rohen Feldsteinen verhielten. Meine Neugier trieb mich nicht weniger zu dir, als der Drang meiner unveralteten Liebe. Als ich seit meiner Kindheit nun zum erstenmale wieder den alten Thurm deiner Burg in der Ferne erblickte, ja, bester August, da war es mir so warm um das Herz, als ob alle die verlaufenen Blutkügelchen meiner Jugend wieder zurück strömten. Es grübelte mir in der Nase, und ich würde geweint haben, hätte nicht die Hoffnung, dich nach einigen Augenblicken zu umarmen, den Strom meiner Thränen bis dahin noch in seinem Ufer gehalten. Du weißt, wie viele ich in dem ersten Ausbruche der Freude an deinem Busen vergoß, und wie zugleich meine Blicke arbeiteten, dich aus den fremden Federn zu heben, in die dich Zeit und Verhältnisse tiefer eingebettet hatten, als ich erwartete. Ach, es gelang mir nicht! Und wie konnte es auch? An die Stelle der muntern, offenen, launigen Jungen, wie ich gewohnt war mir meinen August zu denken, war ein feiner, behutsamer, zurückhaltender Denker getreten, der durch bestimmte wohlklingende Ausdrücke mir meine zudringlichen, regel= und zwanglosen Fragen eher zu verweisen, als zu beantworten schien. Eine gewisse Aengstlichkeit schritt, selbst an dem Arme deines Freundes, durch die prunklosen Zimmer neben dir her, die dein Oheim mit immer gleicher Zufriedenheit bis an sein seliges Ende bewohnte. Du warest verlegen in meiner Gegenwart, und sicher dachtest du nicht viel besser von mir, als von dem alten Hausgeräthe, das dich umgab. Wie war doch jetzt alles deinen kritischen Augen so anstößig, von dem rußigen Thurm an, der mir so frohe Herzensbewegungen verursachte, bis auf die unschuldige Sammlung von Hirschgeweihen, die den Saal deines Oheims schmückten — bey denen allein er das Wort: Prächtig! in den Mund nahm, und die er, als das Journal seiner glücklichsten Tage, mit mehrerer Freude betrachtete, als Ludewig die Tapeten, auf die Le Brün seine Schlachten gemalt hatte! Was für ein Fest der Erinnerung war es mir nicht, als ich hinein trat, und dieselben veralteten Armstühle noch in ihren Ecken stehen sah, die mir so manchem schwierigen Augenblick Schutz gaben! Alle die lieben süßen Spiele meiner Kindheit, schien es mir, schlüpften hinter den schweren wollenen Fensterbehängen hervor, und bewillkommten ihren alten Bekannte. Der große blaue Gewehrschrank, der mir damals keine geringe Ehrfurcht einflößte, that es wahrlich um nicht viel weniger, als ich ihn wieder sah, und ich glaubte, das Herz würde mir springen, als ich die hölzerne Wanduhr mit dem Guckuck noch in demselben Tone schnarren und schlagen hörte, wie in jenen flüchtigen Stunden, wo sie so despotisch meine Zeit beherrschte, und der ich mich nie ohne Zittern näherte, weil sie unstreitig das kostbarste Hausgeräth deines Oheims war. Die Mode, wie du weißt, verrückte ihm nie einen Stuhl, und eher würden ihn die Würmer um die Kisten und Kästen seiner Vorältern gebracht haben, ehe es einem Rost, Röndchen oder Martin gelungen wäre.

 

     Du, mein kluger Freund, brachtest andere Augen von deinen Reisen mit, als mir die Natur, Gott sey Dank, bis jetzt erhalten hat. Für dich waren alle die freundschaftlichen Winke verloren, die mir der Schauplatz meiner Jugend aus allen Ecken zuwarf. Mit Betrübnis verließ ich dich endlich in den Anstalten eines neuen Baues. Mein Herz war mir schwer, als ich dich von dem Einreißen der alten Burg sprechen hörte. Ich eilte, um aus dem Staube zu kommen, und es war mir, als hätte ich einen treuen Spielgenossen aus dem einbrechenden Sturme gerettet, als du meinen Hinblick verstandst, und so gütig warst, mir die hölzerne Uhr zu verehren, die zum Andenken deines guten Oheims, selbst in diesem Augenblick, über meinem Schreibtische rasselt.

 

     Lieber Gott, sagte ich unterweges zu mir, was für eine närrische Sache muß es doch um den guten Geschmack seyn, mit dem sich mein ehrlicher August allemal entschuldiget, wenn ihn etwas verstimmt, was ich entweder gleichgültig ertrage, oder was mir wohl gar Freude macht! Immerhin! Wenn mein Freund nicht zufrieden in der alten Burg leben kann, so hat er Recht, daß er sie einreißt, und eine andere baut, die ihm Genüge thut. Ach wenn nur schon die beschwerlichen Jahre der Vorbereitung vorbey und die heiligen Hallen geöffnet wären, die seine muntern Launen zur Wiederkehr einladen, und ihn mit dem Gefolge seiner Tugenden beherbergen sollen, die jetzt der Anblick eines Gothischen Gebäudes in die Flucht jagt! — Diese fünf Jahre verliefen in Mühseligkeit und Erwartung — aber dafür hast du nun auch deinen schönen Plan ausgeführt, und den Reitz unserer ungeschminkten Gegend mit einem Gebäude erhöht, das ein edles Ansehn mit der höchsten Bequemlichkeit und den schönsten Verhältnissen auf demselben Raume vereinigt, der sonst, wenn du willst, eben so viele Sünden dagegen aufstellte. Die einfachen Häuser deiner Nachbarn liegen seitdem, wie beschämt und in gehörigem Abstande, demüthig umher, und es gehören förmliche Einladungen dazu, ehe sich einer von unsern Grauröcken entschließen kann, dich in deinem Tempel zu besuchen. Ich rechnete freundschaftlich auf die erste, die du ausschicken würdest — erhielt sie, ließ nun alles in meiner Wirthschaft stehen und liegen, und schickte mich an, die deinige zu bewundern. Nun, dachte ich, werde ich endlich den Freund meiner Jugend ganz so glücklich sehen, als die Mühe verdient, die er gegeben hat es zu werden. Meine Zufriedenheit wird freylich eine ärmliche Figur neben der seinigen machen; da ich aber nun einmal einen so kostbaren Unterhändler der menschlichen Glückseligkeit, als der Geschmack ist, weder besolden kann, noch zu beschäftigen weiß, so will ich mich einstweilen, ohne Neid, an die frohen Empfindungen halten, die mir die Natur umsonst gab.

 

     Wenn ich nicht irre, empfingst du mich mit einer weit herzlichern Umarmung als das erstemal. Die großen Augen, mit denen ich alles anstaunte, machten dir Spaß. Je weniger ich mich wiederfinden konnte, je bänglicher ich alles das vermißte, was den köstlichen Rost der Erinnerung an sich trug, desto mehr thatest du dir auf die Dinge zu gute, welche du an die Stelle jener setztest, die du so hartherzig aus deinen Augen und von der Erde wegräumtest. Ich will dir nicht die Schönheiten deines ländlichen Palastes herzählen. Sie fallen wohl jedem in die Augen, der nicht blind ist, und ohnehin kennst du ihren Wert besser als ich. Eben so wenig will ich der alten Burg wieder erwähnen. Zu was würde es uns beyden helfen? Aber so viel kann ich dir wohl sagen, daß es mir in deiner neuen Wohnung so ängstlich vorkam, als dir in der alten. Die geschmückten Zimmer, die du mir answiesest, rührten mich nicht eher, als bis ich an die rußigen dachte, die wir zusammen bewohnten. Deine Vasen — ob es griechische oder römische sind, weiß ich nicht — standen mir meistens im Wege, und es war mir immer, als ob ich den Möbeln, die ich unter einerley Namen in meinem Hause sorglos gebrauche, hier zuvor eine Verbeugung machen müßte, eh΄ ich sie berührte. Ich konnte mir nicht bergen, daß von dem Spiegel, der weit über mir weg bis an die Decke lief, der vierte Theil für mich armen Pigmeen schon mehr als zu viel, das übrige theure Glas nur ein Auswuchs des guten Geschmacks, und, wenn dich nicht einmal ein Patagonier besucht, deinen Gästen unbrauchbar sey. Ich blieb, aus Furcht vor unglücklichen Folgen meiner Sorglosigkeit, immer mitten in dem Zimmer stehen, staunte die schön verzierten Wände an, ohne daß ich wagte, mich ihnen mit einem Stuhle zu nähern. Du mußt es mir zu gute halten, lieber August, aber ich finde wenig Vergnügen in der Bewunderung, und alle die trefflichen Kunstsachen, die du hier aufgestellt hattest, machten mich so klein, so schmutzig, daß ich sie schon deswegen in meiner Nähe nicht leiden konnte. Indeß, was hätte das alles zu sagen? Du hast dir eine Wohnung gebaut, und nicht mir. Auch kann ich dich heilig versichern, daß ich die Zeit meines Besuchs über mehr den Gang deiner Zufriedenheit, als der meinigen berechnete, und weniger dein Gesellschafter war, als dein Beobachter. Ich habe dich ganz zu erforschen, mir deine Aeußerungen über dich selbst so gut zu Nutze zu machen gesucht, als dein mißlauniges Stillschweigen, habe dich in dem Zirkel der Gesellschaft belauscht, wie in deiner Einsamkeit, und, wie der Arzt aus den Pulsschlägen der Hand auf die Bewegung des Herzens schließt, habe auch ich den oft schnellen Uebergängen deiner Empfindungen den Ursachen nachgespäht, die mir ihr Steigen und Fallen erklären könnten. Zu was haben mir meine freundschaftlichen Nachforschungen geholfen? Ach! sie überzeugten mich, daß du an einer Krankheit littest, die um so gefährlicher ist, als sie allgemein für eine erhöhte Gesundheit gilt, und um deswillen unheilbar bleibt, weil der Kranke den einzigen Arzt, der ihm helfen könnte, zum Hause hinaus wirft, so oft er sich ihm nähert. Warum gehe ich so um den Brey herum? Das Uebel, mit dem du behaftet bist, heißt, Deutsch zu reden, der gute Geschmack, und der Arzt, dem du mit sechs Postpferden von einem Ende der Erde bis zu dem andern zu entfliehen suchst, ist meine treue Freundin und Hausgenossin, und heißt Natur.

 

     Du hast viele gebildete Menschen — Virtuosen in den schönen Künsten, gesehen, lieber August; aber sahst du wohl je einen von ihnen, der glücklicher dadurch gewesen wäre, als dein Oheim? Alles trug etwas zu seiner Zufriedenheit bey — seine Tugenden wie seine Fehler — seine Stärke sowohl als seine Gebrechen — und wie ungesucht war nicht der Gang seines Glücks! Er dankte Gott eben so herzlich für das, was er besaß, als für das, was ihm mangelte. Die Landwirthschaft war die Beschäftigung, von der er glaubte, daß sie ihm der Herr des Himmels und der Erden unmittelbar anwies, und seine liebste Erholung war die Jagd. Ich bin, gestand er oft mit treuherzigem Ernste, kein Freund vom Nachdenken: denn ich habe es längst weg, daß tägliche tüchtige Leibesbewegung, ohne vieles Sinnen und Betrachten, auch der Seele zu gute kömmt; die Arbeiten aber, die ich meiner armen Seele auflege, blähen nicht allein sich selbst auf, sondern auch den Körper, machen ihn zu einem unnützen Müßiggänger, und bringen ihn aus seiner gefundenen Ordnung. Deswegen war es ihm auch nicht möglich, an das natürliche Verderben des Menschen zu glauben, und den Spruch, den er manchmal von der Kanzel hörten: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken etc.“ hat er bis an seinen Tod für eine unrichtige Uebersetzung gehalten. Bey mir, sagte er, wenn sie ja aufsteigen, kommen sie aus dem Magen. So lange ich mir den nicht verderbe, werde ich nicht so leicht eine Christenpflicht unterlassen oder ein Laster begehen. Aus derselben Unbefangenheit seines Herzens entsprang auch seine launige Abneigung gegen moralische Schriften. Bekam er ja eine von ungefähr in die Hände, so lachte er allemal über die unnöthige Bemühung des Schreibers. Ich möchte wundershalber wissen, sagte er dann, ob das schönste Buch dieser Art einen Kerl, der eben eins von den zehn Geboten übertreten will, davon abhalten wird. Man liest wohl etwas, wenn man ruhig ist, seine fünf Sinne beysammen hat, und den Senf des Autors entbehren kann. — Aber wie dann, wenn das Blut kocht und das Herz braust? Da beweise einer so lange er will, daß man ruhig seyn soll — es wird nicht halb so geschwind wirken, als es nach meiner Erfahrung mit einem frischen Glas Wasser gelingt. Mit was für freundschaftlichen Augen betrachtete er seine Mitgeschöpfe! Er that ihnen gewiß zu viel Ehre; aber was für einen sichtbaren Einfluß auf ihn selbst hatte das nicht! Auf seiner ehrwürdigen Stirne glänzte der sanfte Wiederschein einer ruhigen Seele. Unsere Kinderspiele konnten nicht unschuldiger und herzlicher seyn, als es die fröhlichen Stunden seines Alters waren, und sein Gewissen trieb sich fast auf dieselbe leichte Art herum, als das unsere. Wir hatten für neue Thorheiten nicht Zeit uns der ältern zu erinnern, und Er, wenn er auf seine Sünden zu sprechen kam, sagte mit dem gutmüthigsten Ernste: Unfehlbar habe ich, ungeachtet meiner Diät, deren so große und so viele begangen als ein anderer; aber, Dank sey dem barmherzigen Gott für mein schwaches Gedächtniß! ich habe eine nach der andern so gut vergessen, als das Bißchen Latein, das ich in meinen Schuljahren lernen mußte.

 

     Du Mann von Geschmack, sage mir, lieber August, ob du glaubst, daß ein solcher Zusatz deinen Oheim noch heiterer, menschenfreundlicher und zufriedener würde gemacht haben, als ohne ihn es seine einfache Kost, sein guter Magen, seine Leibesbewegungen und sein schwaches Gedächtniß thaten? Ueberlege es wohl, und setze nicht zu geschwind den vielen, nur zu wirklichen Aufopferungen, die er sich zur Erlangung dieses Scheinguts hätte müssen gefallen lassen, jene magere Liste von Entschädigungen entgegen, die uns alle Compendien der schönen Wissenschaften auskramen; jene erhöhten Freuden des Lebens, die aus euern geschärften Sinnen, aus der Regelmäßigkeit eurer Urtheile, und aus dem systematischen Stolze entspringen sollen, auf den ihr euch unter einander so viel zu gute thut; denn dieser Putz der Seele, wenn es ja einer ist, verliert sehr in der Nähe, und gleicht dem schimmernden Staube eines Johannis=Würmchens, der in der Nacht leuchtet, ohne die arme Creatur selbst zu erwärmen. Dein seliger Oheim besaß nicht das mindeste von dem, was man Geschmack nennt. Er kannte ihn nur in seiner sinnlichen Bedeutung, und da kannte er ihn gut. Der Verdruß, ihn auch in seiner figürlichen kennen zu lernen, war ihm nur für sein Alter aufgehoben. Diese Epoche seines Mißmuths, die unsere lustigen Stunden so sehr verbitterte, ist mir immer gegenwärtig geblieben; doch habe ich mich nie lebhafter daran erinnert gesehen, als letzthin in deinem Hause und bey Betrachtung deines Kunstcabinets. Da wir damals, als dieß vorging, zu viel mit unsern Leimruthen zu thun hatten, so weißt du vielleicht gar nicht, worauf ich ziele, und was für einen ärgerlichen Prozeß ihm seine Unbekanntschaft mit jenem Worte auf den Hals zog. Ich habe mir die Acten dieses sonderbaren Rechtshandels zu verschaffen gesucht, und sie liegen jetzt vor mir; doch zweifle ich, daß dir der Auszug daraus denselben Spaß machen wird, als mir, ob er gleich, nachdem man es nimmt, keine unbedeutende Beylage zur Geschichte der Kunst seyn würde.

 

     Der Freyherr von K... besaß das wichtige Gut in unserer Gegend, das nachher die königliche Domänenkammer an sich gebracht hat. Er war ein Mann von Erziehung und Kenntnissen, hatte seine Reisen trefflich benutzt, kam verheurathet mit einer edlen Römerin zurück, baute sich ein Haus in der Residenz, das in keiner Rücksicht dem deinigen nachstand, und lebte hier wie ein Kenner, dem sein Reichthum erlaubte, jeden lüsternen Wunsch zu befriedigen, den ihm sein Kunstgefühl eingab. Er buhlte, ohne es satt zu werden, um die Meisterstücke der vergangenen und gegenwärtigen Zeit, stellte deren, so viel er habhaft werden konnte, der Bewunderung der Fremden und Einheimischen aus, und überredete sich und ließ sich überreden, daß er glücklich sey, weil er Geschmack habe. Endlich verließ er doch als Wittwer, ziemlich gelbsüchtig und mager, den Schauplatz zwanzig verträumter Jahre, und flüchtete sich und seine Kunstsachen auf sein väterliches Landgut, daß indeß unter den Händen seiner Verwalter weder an Einkünften noch Ansehen gewonnen hatte. War er in der Stadt der guten Gesellschaft überdrüssig geworden, so wollte er es der auf dem Lande lieber gar nicht zumuthen, ihm die Zeit zu vertreiben; und ob ihm gleich oft das Herz für Neugier pochte, wenn er über die Gränzlinie blickte, die schon allein der nur zu sichtbare Wohlstand der Güter seines Nachbars um die seinigen zog, so konnte doch der Besitzer so herrlicher Sammlungen es nie über sich gewinnen, den Junker auf der alten Burg zu besuchen, der für keine andere Sinn hatte, die nicht aus Gerst oder Hafer bestand. Leitete ihn auch manchmal von seinen Gemälden ein Kunstgedanke auf einen ökonomischen, so war es ihm doch nur eine unangenehme Ueberraschung, der er so sehr auswich, als einem langweiligen Gespräche. Er fühlte, daß eine andere Zusammensetzung dazu gehöre, als die seinige war, um den Uebergang von Thomsons Jahrszeiten — zu einer Bodenrechnung, oder von dem Viehstück eines van der Velden zu den blökenden Kühen seines Hofs erträglich zu finden; und so wenig Peter Bembus die Bibel lesen mochte, um sich nicht den Styl zu verderben, so wenig Vergnügen fand auch Herr v. K... an Wirthschafts=Calendern und Saat=Tabellen. Auf diese Weise jagte er sich noch einige Jahre unter seinen Büchern, Bildern und geschnittenen Steinen mit der geschmackvollsten Langeweile herum, bis ihm kein Mittel mehr übrig blieb, um ihrer los zu werden, als sein Sterbebette. Er bestieg es so froh, als einer, der sich eine Veränderung zu machen wünscht; aber auch hier verdarb ihm sein feines Gefühl für das Schöne seine letzte Unterhaltung. Der gute Landgeistliche, der sich andächtig ihm näherte, schüttelte bedenklich den Kopf, als er ihn verließ; denn der Freyherr hatte während der Einsegnung ihn nicht ehrerbietiger behandelt, als Malherbe seine Wirthin und seinen Beichtvater, da er mit sterbender Stimme diese noch über ein Wort auszankte, das die grammatische Probe nicht hielt, jenen aber höhnisch versicherte, er würde ihm die Freuden des Paradieses verekeln, wenn er in dem Tone, den er angstimmt hätte, fortführe. So wenig erbaulich nun auch der Hingang des Herrn von K... in die andere Welt seyn mochte, so gelang ihm dafür der Beweis desto besser, den er in seinem Testamente ablegte, daß man auch noch in der Todesstunde das reinste Deutsch schreiben könnte; denn er gab seiner Gerichtsperson seinen letzten Willen in die Feder, zwar mit schwacher Stimme, aber desto stärkern und gewählten Ausdrücken, entwickelte auf das verständigste die Grundsätze zur Erziehung seines unmündigen Sohns, die er einem bekannten Gelehrten in Leipzig, dem Professor Christ, übertrug, und ernannte mit großer Besinnungskraft deinen Oheim als Vormung, unter der zutraulichen Bitte, die Verwaltung seines nachgelassenen Vermögens zu übernehmen, und seine in etwas verfallenen Güter in bessere Ordnung zu bringen.

 

     Dein würdiger Oheim fühlte sich nun zwar durch den Auftrag des Verstorbenen sehr geschmeichelt. „Der Mann,“ sagte er zu seinem Hausvogt, „muß mich doch für einen ehrlichen Kerl und guten Landwirth gehalten haben, ob er mir gleich, so lang er lebte, nichts davon merken ließ.“ Indeß konnte er doch dabey eine Bemerkung nicht unterdrücken, die ihm sein gerader Menschenverstand eingab: — „Seinen Nachlaß soll ich in Ordnung bringen? Gut! das soll zwar geschehen; aber warum that es denn der liebe Mann nicht selbst? Wenn ich ein Jahr versäumen wollte, mein Haus kehren zu lassen, machte mich dann aus dem Staube, und bäte meinen Nachbar, dafür Sorge zu tragen, was würden die Leute denken? Drollig genug, daß man den letzten Willen eines Mannes, der uns eine ähnliche Zumuthung thut, nicht auch, so gut wie jenes, für eine Unhöflichkeit aufnimmt! Er darf sein Leben vergeuden; genug, daß er in seinem Testament jemanden auf das Korn nimmt, dem er die Mühe und den Schweiß überträgt, die er selbst zu verlieren keine Lust hatte. Da greift er ohne Bedenken in die Zeit, zu der er doch eigentlich gar nicht mehr gehört, und setzt seine stinkende Faulheit noch im Grabe fort, unter der Nase des gutwilligen Narren, dem er seine abgeschüttelte Arbeit aufgehalst hat. Wenn das sein Haus bestellen heißt, so verstehe ichs nichts.“ —

 

     O du mein verewigter Lehrer und Wohltäter! unschuldiger Landmann — unerfahren in den Künsten, die der Luxus erfand, und Fremdling in allen andern Wissenschaften, als die uns die einfache Natur lehrt; was für ein unseliges Geschick öffnete dir den Haushalt eines Mannes von Geschmack, und unterwarf deiner Verwaltung Dinge, die nach ganz andern Regeln beurtheilt werden, als nach den Gesetzen der Oekonomie und nach dem Aufschlage des innern Werths!

 

     Zwar fanden die wüsten, ausgesogenen Aecker ihren Herrn an ihm, die abgestorbenen Obstbäume wurden bald durch frische Stämme ersetzt, die dürren Wiesen gewässert, die verschlämmten mit Gräben durchzogen, und noch grünen die schönsten wilden Zäune zu seinen Ehren um manche Gras= und Gemüs=Gärten; der Viehstand erhöhte, die Ernten verdoppelten sich, und die verfallenen Brauerey öffnete den armen Bauern eine Labequelle, die seit vielen Jahren vertrocknet war. Alles kam nach seiner Anweisung in Thätigkeit, Fülle und Segen überströmte die Scheuern und Böden seines Mündels, und Muth und Kraft kehrten in die erneuerten Hütten seiner Unterthanen zurück. So sichtbar auf dieser Seite seine vormundschaftlichen Verdienste waren, wie sehr wurden sie nicht auf einer andern durch die Mißgriffe verdunkelt, die er in dem Schlosse des Erblassers mit ehrlicher Unbefangenheit that! Unerkannte Sünden, die ihm aber ein Verehrer der Kunst, ein Kenner des Schönen, ein Nachtreter Winkelmanns, so wenig vergeben wird, als sie ihm sein Mündel vergab —  —

 

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     Hier aber, Eduard, muß ich eine Pause machen, denn ich halte es nicht länger aus. Es gehört eine eigene Geduld dazu, seine Feder den Worten oder Gedanken eines andern zu leihen. Man weiß nicht wo man seinen eigenen Kopf dabey hinthun soll. Nein! in der ganzen Natur giebt es keine so widrige Handarbeit, als die eines Copisten. Ich finde das Holzhacken nicht so undankbar und um vieles origineller. Zehnmal kam ich in die Versuchung, um mir den Weg zu verkürzen, ein müßiges oder schleppendes Wort wegzulassen, oder es mit einem aus meinem Gehirne zu vertauschen, und die Sache ungefähr so zu behandeln, wie gewisse Schriftsteller, wenn sie aus andern Büchern ein eignes schreiben, oder wie Elias Stapert den König von Pohlen.

 

     Wer ist denn dieser Elias? höre ich dich fragen. Das will ich dir noch in der Geschwindigkeit erzählen, ehe ich Feyerabend mache. Elias Stapert ist ein abgedankter Scribent, dem ich durch meinen Credit in Berlin eine Stelle in der dortigen Charité verschafft habe, wo du ihn aufsuchen kannst, wenn du Lust hast. Es war ehemals in der Deutschen Kanzelley zu Warschau angestellt, und erzählte mir, man habe ihm dort zu seinem täglichen Geschäft eine gewisse Anzahl Berichte mit ihren Aufschriften an den König angewiesen. Der Rath, der die Concepte zum Abschreiben unter die Copisten vertheilte, band sie zwar nicht an die Uhr, wie gemeine Tagelöhner; aber er schien es so gut in der Hand und im Wurf zu haben, daß er genau jedem so viel zumaß, als er den Tag über leisten konnte, so daß sich keiner so leicht eine Freystunde zu erschreiben im Stande war. Nun hatte der arme Elias ein kleines Haus in der Vorstadt und ein hübsches Gärtchen daran, an das er immer dachte, wenn er zusammen gedrückt an dem Schreibtische saß und nach Luft schnappte. Da kam er nun eines Tages zur Zeit der Rosenblüthe auf den unglücklichen Einfall, zwar nicht den Concepten, die vor ihm lagen, aber der langen königlichen Titulatur bald hier bald da ein Wort abzuzwacken. Sein erster schüchterner Versuch gelang so gut, daß er ihn ohne Bedenken wiederholte: endlich gewöhnte er sich mechanisch daran, und gewann durch diesen kleinen Kunstgriff an jedem Couvert zwey Minuten, mithin an dreyßigen eine volle Stunde, die er denn, Gott weiß mit welchen süßen Gefühlen, unter seinen Blumen hinbrachte. So hatte er, verschiedene Jahre vor der Theilung von Pohlen, dem guten König eine Provinz nach der andern, auf dem einen Umschlage Reußen und Preußen, auf dem andern Maßovien und Samogitien, bald Podolien und Podlachien, bald Curland und Semigallien abgenommen, ohne daß die politische Welt darauf achtete. Dieß machte ihn, wie das so geht, immer begehrlicher und dreister: er riß nun schon, besonders an heitern Tagen, dem Reiche einen Theil mehr ab, und dehnte die noch übrigen desto länger. Endlich, nachdem er sich einmal an dem: Ew. Majestät werden Sich allergnädigst zu erinnern geruhen — matt und hungrig geschrieben hatte, erholte er sich so sehr an seinem schon um sechs Provinzen ärmern Monarchen, daß er ihm auch noch Smolensko und Szarnicovien wegnahm. Das gab nun freylich, so ins weite er auch seine Buchstaben spannte, dem Ganzen ein sehr leeres Ansehen.

 

     Ein junger Rath, der mit den Couverts spielte, während sich die andern mit dem Inhalte beschäftigten, nahm das Lückenhafte in der Aufschrift wahr, und that sogleich in pleno eine sehr emphatische Anzeige von seiner ominösen Entdeckung. Die ganze gelehrte Versammlung kam darüber in Aufruhr. Man verschob die laufenden Geschäfte des Tags über diesem außerordentlichen Vorfall, untersuchte nicht weiter die Eingaben, sondern die Aufschriften, ließ ältere aus dem Archive holen, störte nach allen den königlichen Titeln, die von der Hand des armen Elias waren, erstaunte über seine langjährige Untreue, und berathschlagte sich nun über seine Bestrafung. Der eine Beysitzer votirte, des Exempels wegen, auf den Pranger, der andere, der vorsetzlichen Bosheit halber, auf den Staupbesen, ein dritter und vierten auf eine bloße Censur; am Ende vereinigten sie sich auf die Landesräumung, zu der sie ihm eine Frist von vier Wochen bewilligten. Er mußte nun seinen Platz am Schreibtische einer andern leidenden Creatur, und seinen Gläubigern Garten und Haus abtreten. Mit nichts als einem Strauße, den er von seinen Nelken abbrach, die eben im Flor standen, und den er unterwegs mit mancher Thräne befeuchtete, verließ er die Stadt, bettelte sich nach Berlin, und kam endlich auch vor meine Thüre. Sein ehrliches Gesicht und seine traurige Geschichte rührten mich, und wie oft ist sie mir nach der Zeit eingefallen! Ich gab ihm ein reichliches Almosen, und sorgte in der Folge, wie ich dir schon gesagt habe, für sein Unterkommen.

 

     Kannst du aber wohl glauben, Eduard, daß ich seitdem keinen königlichen oder fürstlichen Titel mehr sehen kann, ohne mich zu ärgern, und die armen Gebeugten zu bemitleiden, die sich an solchem Wortkram wasser= und lungensüchtig schreiben? Wäre ich ein Fürst, ich wollte mich an der kurzen Aufschrift begnügen: An unsern gnädigen Landesvater, und Sorge tragen, daß ich nur diese verdiente. Ich würde einem solchen Propheten, als mein Elias war, kein Haar krümmen, und ihm gern die Stunde gönnen, die er an dem ausgehängten Plunder meiner Titel ersparte. Sie mögen so lang, so wahr, oder so lügenhaft seyn als sie wollen, sie machen doch den, der sie führt, weder reicher noch klüger, befestigen sein Ansehen nicht mehr als sein Eigenthum, und rücken seine großen Anwarthschaften um keinen Tag näher. Wie viel unzählige Stunden, die zusammen gewiß mehrere Menschenalter betragen, würden nicht zum Beyspiele nur die Sächsischen Kanzellisten an der einzigen Zeile: Jülich, Cleve und Berg auch Engern und Westphalen, gewonnen haben, seitdem diese Floskel in unnützem Gebrauche ist, wenn man sie ihnen, zu einer klügern Beschäftigung, erlassen hätte! und wo läge denn der Schaden, der für ihre Herren daraus erwachsen wäre? Diesen Erlaß könnten sie ihnen sogar ganz keck als eine Zulage ihres ärmlichen Lohns anrechnen, und, so versäumt als es diese Klasse von Söldnern ist, würden sie es noch eher für bares Geld aufnehmen, als die leeren Versprechungen, mit denen man sie so gern von einem Jahre auf das andere verweist.

 

     Doch ich muß lachen, daß ich diesen Sklaven, die mit ihren Gänsekielen den Staat fortrudern helfen, ohne nur Einen aufmunternden Blick von dem Steuermanne zu bekommen, so herzlich das Wort rede. Das sind aber die guten Folgen der eigenen Erfahrung; und wie du mir einst die nachsichtsvolle Behandlung eines gewissen Generals gegen sein Regiment dadurch begreiflich machtest, weil er in seinen ersten Dienstjahren selbst Spießruthen gelaufen sey und auf dem Esel gesessen habe, so erklärt sich mein Mitleiden für diese Schreibmaschinen eben so leicht aus dem Drucke, unter dem mich ihr Handwerk bey der Abschrift des fremden Briefes leider zwo volle Stunden gehalten hat. Es hat mich noch außerdem an andere Mißbräuche der edeln Schreibekunst erinnert, die bei jedem Tribunal die Ausgabe für Dinte, Federn und Papier jährlich vergrößern, mit denen man Zeit und Raum in der Welt immer mehr verengt, und die ich gern noch abschaffen möchte, wenn ich nicht heute zu schläfrig dazu wäre. Ach! warum thun es doch unsere Fürsten nicht! Um wie vieles würden sie selbst sich ihre Regierung, die niemals papierner gewesen ist, als in dem laufenden Jahrhunderte, erleichtern, wenn sie von ihren schalen Titulaturen an bis zu ihren wichtigen Staatsverhandlungen alles, was von dem Kanzler bis zum Copisten Unnützes, Weitschweifiges und nur dem albernen Herkommen zu Liebe geschrieben und wieder geschrieben wird, auf die gefällige Kürze mündlicher Rede eines gescheuten Mannes zurück bringen möchten! Sie würden den Vortheil davon haben, den täglichen Zustand ihres Landes, auf einem einzigen Bogen vielleicht, übersehen zu können, da sie wohl jetzt sich schon an einem voluminösen Consistorialberichte müde lesen, der oft keine andere Neuigkeit auslegt, als daß ein Mädchen zum ersten oder zum viertenmale zu Falle gekommen sey, und den sie wohl nicht einmal so fein aus einander setzen, als ich mein Attentat bey Klärchen.

 

 

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Den 11. Januar.

 

Ich wüßte nicht, wie für die Art von Müßiggang, wie ich ihn am liebsten treibe, irgendwo besser gesorgt seyn könnte, als in dieser geschäftvollen Stadt. Alles überzeugt mich, daß durch den Anblick fleißiger Menschen nicht allein die Seele, sondern auch der Körper viel zweckdienlicher in Bewegung erhalten wird, als durch einsame Spaziergänge, gesetzt sogar, daß man auch, wie das doch nicht im­mer der Fall ist, an sich selbst einen Begleiter fände, dessen Unter­haltung uns für jede andere schadlos hielte. Was die Vorstellungen meines Arztes nicht vermochten, macht hier der Handlungsgeist mög­lich. Er, der so viele Maschinen belebt, jagt auch die meine mit Ta­gesanbruch aus den Federn, nöthigt mich an das Fenster, und öffnet mir Augen und Ohren. Setze ich meinen Fuß aus dem Hause, so zieht die Vorsicht, die ich anwenden muß, daß er nicht überfahren, oder durch die Füße eines Lastträgers zerquetscht werde, gewiß man­ches schlaff gewordene Knötchen meiner Flechsen wieder an, de­nen unter allen Lagen keine so nachtheilig ist, als die bequeme. Nir­gends aber wirken die in Thätigkeit gesetzten Kräfte sichtbarer und wohlthätiger auf die meinigen zurück, als wenn ich den Hafen besu­che. Mein Körper ahmt alsdann, ohne es zu wissen, die schwersten Originale der Arbeitsamkeit, die sich ihm darstellen, auf das treue­ste nach, und indem ich zum Beyspiele die kräftige Aeußerung des Wollens und Vollbringens derjenigen beobachte, die an einem seuf­zenden Kran ungeheure Lasten in das Schiff heben, beiße auch ich die Zähne zusammen, dehne meine Arme, krümme meinen Rücken, die Adern laufen mir auf, und der Schweiß tritt mir so lange vor die Stirne, bis die Schwierigkeit überwunden ist. — Dann aber er­leichtere ich auch meine Brust durch einen behaglichen Seufzer, wie jene Kraftmänner die ihrige. Die stärkende Seeluft kühlt uns ab, und von dem köstlichen Hunger, den sie zu ihrer Mahlzeit errangen, tra­ge ich denn auch so viel nach Hause, als mein schwacher Magen bedarf. Ich werde diesen Versuch, den ich aus Vorbereitung zu dem Schmause, der meiner heute erwartet, diesen Morgen mit meinem Körper vornahm, täglich wiederholen, so lange ich hier bin; denn, du glaubst nicht, mit welchem ganz andern Vergnügungen ich jetzt an die Einladung des Herrn Fez denke, als gestern, da ich dir zu Gefallen mich zu einem Abschreiber erniedrigte, und sich viele Stunden hinter einander von meiner armen Maschine nichts als die Finger bewegten.

 

     Warum aber, lieber Eduard, haben denn wir einen solchen Scheu vor jeder körperlichen Arbeit? Würden wir denn nicht, da schon die sichtliche Vorstellung derselben so große Wunder thut, unsern Le­bensgenuß um vieles erhöhen, wenn wir, nach Lockes Rath, neben unserer standesmäßigen Erziehung auch ein Handwerk — und das trockene Brod wenigstens verdienen lernten, das wir in kleinen Bis­sen genießen? Ist es recht, daß wir durch das vornehme Zurückzie­hen unserer Hände dem armen Tagelöhner mehr Hunger aufhalsen, als er befriedigen kann, indeß wir uns der Erholungen, die nur den Fleiß belohnen sollten, als Mittel bemächtigt haben, unser unnützes Triebwerk im Gange zu erhalten? Ich dächte, dieser strafende Ge­danke müßte jedem in den Weg treten, der, einem Trupp Schnitter vorbey, über Feld reitet, seine müßigen Stunden in einem rollenden Wagen verschnauft, sich auf Bällen und Jagdpartien in Schweiß setzt, und jedes Frühjahr ein Bad besucht, damit ihm nur der Schwamm nicht über den Kopf wachse, der in ihm keimt.

 

     Wir haben alle einen vornehmen Herrn gekannt, dem dieß begeg­nete — der sich endlich ein Faulfieber an den Hals, und mit sich sechs nützliche Menschen in das Grab zog, die ihn während seiner ansteckenden Krankheit bedienten. Wir erzählten einander in unsern Gesellschaften diesen Vorfall als die gleichgültigste Sache. Hätte er aber unser Gefühl nicht eben so sehr empören sollen, als die in In­dien hergebrachte Ceremonie, nach welcher die Sklaven zur Begräb­nißfeyer ihres verstorbenen Herrn geschlachtet werden? Wohl gut, daß es kein Philosoph war, dem die Leichenrede unsers verklärten Freundes übertragen wurde! — Aber wie zum Henker komme ich zu diesen moralischen Grillen? den ungeschicktesten, die ich wohl hätte aufjagen können, um mich zu dem Gastmahl eines reichen Banquiers zu begleiten.

 

 

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Ein Doctorhut hat das Gute an sich, daß man ihn, sey es einer hübschen Dormeuse gegenüber, in dem Kränzchen einer lustigen Gesellschaft, oder in dem Zirkel der großen Welt, kurz, bey allen Gelegenheiten, wo er uns hindert, ablegen kann, wie jeden andern gewöhnlichen Hut. Er bleibt deswegen doch unser, sammt seinen Ansprüchen, und wir finden ihn gewiß unter allen den feinen und groben Hüten wieder heraus, die sich unterdeß über und neben ihn herwarfen. So habe auch ich den meinen glücklich nach Hause gebracht, ohne ihn zu verwechseln, und, da ich ihn schwerlich heute wieder aufsetzen werde, abgestäubt und an den Nagel gehängt. Was sollte er mir jetzt? Er würde die Figur doch nicht sonderlich heben, die ich jetzt in meinem Lehnstuhle mache, so wenig als die Trägheit verscheuchen, die mich allein abhält, dir die herrlichen Gerichte alle aufzuzählen, denen ich sei verdanke.

 

     Ich habe fünf üppige Stunden verbraucht, um eine Menge neue Bekanntschaften — nicht unter den anwesenden Gästen — sondern unter den Consumtibilien zu machen; denn gute Gesellschaften sehen sich an jedem großen Ort einander gleich, aber nicht ihre Schüsseln. Der Erziehungskunst, so hoch man sie auch überall getrieben hat, mißlingt ihre Bemühung nur gar zu oft. Sie putzt und spickt und salzt das Wildpret, das sie behandelt, nach verschiedenen Methoden, und bringt doch am Ende nur ein verkünsteltes Gericht, oder höchstens ein Schauessen zuwege, das unter jedem Himmelsstrich einerley Farbe hat. Sie versteht lange nicht so gut der Natur nachzuhelfen, als ihre ältere Schwester, die Kochkunst, die immer das Eigenthümliche jedes Lands mit der allgemeinen Erfahrung so geschickt zu verbinden weiß, daß jedes Gemüse seinen gehörigen Zusatz, jeder Fisch seine recht Brühe erhält, und sie unterscheidet viel klüger als jene, welches Stück sie mortificiren, welches sie dämpfen soll — wie viel Wasser jenes, wieviel dieses Feuer bedarf, um gar zu werden, und weist jedem seinen eigen Topf an.

 

     Da ich indeß immer geglaubt habe, daß nichts mehr zarte Empfindungen, gewürzte Einfälle und neue Wendungen des Geistes hervorbringe, als Gerichte von gleichem Gehalte; so nimmt es mich doch Wunder, daß bei den vielen feinen Schüsseln, die Marseille vorzugsweise liefert, die hiesige Akademie der schönen Wissenschaften sich nicht besser auszeichnet. Es waren heute verschiedene ihrer Mitglieder zugegen; aber, so viel ich habe bemerken können, war kein Chaulieu, kein Lafontaine, kein Anakreon darunter, obgleich keiner bey den leckern Bissen, die er zu sich nahm, vergaß, daß seine Zunge auch ein Sprachorgan sey.

 

     Bey allem dem kam mich doch den ganzen langen Mittag über auch nicht einen Augenblick das Heimweh an: und wenn es zutrifft, was mir Herr Frege für diesen Abend verspricht, hoffe ich auch den Überrest meines Tages von diese patriotischen Krankheit befreyt zu bleiben; denn er denkt, daß mir ein Ball, zu dem er mir auf das höflichste sein Einlaßbillet abgetreten hat, mich sichtlich von dem großen Vorzuge überzeugen werde, den die hiesigen Damen vor dem ganzen schönen Geschlechte der Erde ohne Ausnahme behaupten. Ich stutzte, als er mir das sagte, ging in der Geschwindigkeit der berühmten Schönheiten unsers Berlins durch, und schüttelte etwas ungläubig den Kopf. Nun, Sie sollen es mir wieder sagen, versetzte Herr Frege: vergessen Sie nur nicht, Herr Landsmann, eine gute Lorgnette mitzunehmen! — „O daran soll es nicht fehlen,“ erwiederte ich: „ich habe eine der schärfsten, die man finden kann, und die mir zu Caverac, Avignon und Gott weiß wo sonst noch, die vortrefflichsten Dienste geleistet hat.“ — „Nun, so wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem heutigen Abend; es thut mir leid, daß mich meine Geschäfte verhindern, Sie zu begleiten.“ —

 

     Diese zuversichtliche Behauptung eines wahrheitsliebenden Deutschen, der Leipzig, Dresden, Frankfurt und Berlin innwendig und auswendig kennt, und an einem Orte wohnt, wo täglich alle Nationen der Erde ihre Waaren auslegen, kann wohl nicht anders als meine Neugier aufs höchste spannen. Wenn er Recht hat, so käme man beynahe in die Versuchung zu glauben, daß jene gepriesenen Nahrungsmittel wohlthätiger auf die äußern Organe wirken, als auf die innern. In einer See= und Handelsstadt mag das hingehen; wäre aber Marseille eine hohe Schule, so würde dieses Phänomen mehr Unglück anrichten, als die philosophische Facultät verhindern könnte. Glaube mir, Eduard, daß ich weniger zu meinem Vergnügen auf den Ball gehe, als um diese Streitfrage zu berichtigen, die wohl eine der wichtigsten in der Naturgeschichte ist.

 

 

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Dieser Tag des Wohllebens und der Entscheidung wäre nun vorüber! Und welcher Nation der Erde, fragst du, gehört denn, unter allen den Schönen, die du sahest, die Mustergestalt an, der du den Apfel reichen würdest? Geduld, Eduard! Ich habe noch Zeit genug übrig, mit dir zu schwatzen; denn ob es gleich schon einige Stunden über Mitternacht ist, so sind doch meine Augen von den Bildern, die bey meinem Fernglase vorüberzogen, noch viel zu gespannt, als daß ich sie so geschwind schließen könnte. Bey den optischen Strahlen der Schönheit, bey den magischen Tönen der Musik, die ich in solcher Menge aufgefangen habe, daß ich Feuer geben und klingen möchte wie ein Büstrich, ist es mir nicht allein gelungen, den wichtigen Streit der Schönen aller Nationen gegen einander völlig zu schlichten; sondern ich bin auch nebenher auf die sonderbare Entdeckung gestoßen, wie man neue Sylbenmaße, an denen es unserer Poesie so sehr mangelt, ohne große Anstrengung finden kann.

 

     Die Operation ist kinderleicht für jeden, dem es während und nach einem Balle so geht wie mir, daß er kein Wort sprechen und denken kann, das nicht Takt hält. Er setze nur die Füße seiner Verse nach eben der Ordnung, Abwechselung und Mensur, die eine tanzende Schöne den ihrigen giebt, und er wird mit Verwunderung sehen, wie sich manches Sylbenmaß unter ihren harmonischen Schritten bilden wird, an das vorher noch kein Dichter gedacht hatte. Zur Probe meiner neuen Erfindung will ich dir den ersten Eindruck des Ganzen auf meine überraschten Sinne in keinen andern, als solchen abgestohlnen Versen erzählen. Ich erwischte den Takt dazu bloß in den letzten Schwingungen des Tanzes, der eben zu Ende lief, wie ich in den Saal trat.

 

     Freund! das war ein Ball! So hat je kein andrer

Mich, selbs in fürstlichen Sälen, ergetzt! —

Hat mich denn, dacht΄ ich, wie Paulus den Wandrer,

Ein Traum in den dritten Himmel versetzt?

Ich sah hier Tänzer in fremden Gewanden,

Und Schönen mit fremden Federn geschmückt,

Als hätten die fernsten Völker Gesandten

Zu diesem Feste der Füße geschickt.

Ich sah = =

 

     Doch nein, weiter darf ich nicht fortfahren: denn die Musik schweigt, meine Vortänzerinnen verschnaufen, und der Saal nimmt eine prosaische Gestalt an. Ich machte mich sogleich zu meinem Richteramte geschickt, nahm mein doppeltes Fernglas vor die Augen, und wie ein Blumist in den Gärten zu Harlem in stiller Betrachtung von der Aurikel zur Nelke, von der Hyazinthe zur Klatschrose schleicht, mit seinen Bemerkungen von der Krone zum Stängel, und von diesem, mit gewagten Schlußfolgen, bis zu der verborgenen Wurzel herab steigt, bald in der einen Blume den Umfang ihrer markichten Blätter, bald in der andern die gedrängtern Schönheiten ihres Kelchs bewundert, und sie erst alle mehrmalen beäugelt, ehe ihn der Abschluß seiner Vergleichungen zu derjenigen Blume zurück bringt, die ihn am meisten bezaubert hat; so pünktlich verfuhr auch ich in meiner Untersuchung, konnte des Spiels, das ich immer mit neuem Vergnügen wiederholte, in den vielen Stunden, die es mich in dem bunten Zirkel herum trieb, nicht satt, und lange nicht über das Urtheil mit mir einig werden, das ich über alle Nationen der Erde fällen sollte. Endlich aber, nachdem ich diese herrlichen Gewächse der physischen Welt von allen Seiten besehen, wieder besehen und miteinander verglichen hatte, blieb meiner Unparteylichkeit nichts übrig, als dem Herrn Frege beyzustimmen, und den einheimischen vor allen den ausländischen, die ich unter sie gemischt sah, den Vorzug der Schönheit zuzugestehen. Ich kann weder euch helfen, ihr feurigen Geschöpfe Italiens, noch euch, ihr schlanken Gestalten Englands, und selbst auch euch nicht, ihr meine lieben blonden Landsmänninnen — euch allen — allen nicht, die Spanien und Pohlen, Rußland, Schweden und Dänemark vor meinen Richterstuhl schickten. An jeder von euch rührten, blendeten und entzückten mich einzelne Reitze genug, die ich aber nirgends so flecken= und tadellos fand, als in den ätherischen Gestalten Marseillens. Keine war — wie ging das zu? — der andern gleich, und doch jede vollkommen.

 

     Herr Frege behielt Recht. Er behielt Recht von acht Uhr des Abends bis eine Stunde nach Mitternacht: aber eben wie es Eins geschlagen hatte, stellte sich eine Griechin seiner Ausforderung entgegen, und nach wenigen Minuten war ich gezwungen, mein schon gefälltes Urtheil beschämt wieder zurück zu nehmen. Ein guter Wind hatte sie, erst vor einer Stunde, in den Hafen gebracht, unter der Aufsicht und Leitung ihres Oheims, des weltberühmten Ritters von Tott. Er, der lange Jahre die Dardanellen vertheidigte, und die Ungläubigen siegen gelehrt hatte, eroberte für sich selbst eine schöne Cirkasserin, und flüchtete jetzt seinen Reichthum, seine Frau und ihre Nichte nach Frankreich.

 

     Dieses Wundermädchen hatte nur zu lange auf dem engen Spielraum eines Schiffes den Tribut enbehren müssen, an den ihre Reitze gewöhnt waren; nur zu lange hatte sie nicht ihren Schmuck angelegt und getanzt. Man kann denken, wie ungeduldig sie ihrer Landung entgegen sah. Gott sey gedankt! rief der Ritter, wie er in den Hafen einlief, jetzt haben wir die reichste Stadt meines Vaterlandes und des besten Zufluchtsort gegen die Langeweile erreicht. Sie haben jetzt nur zu wählen, meine liebe Nichte. Was wünschen Sie zu Ihrer ersten Erholung? — Das Mädchen antwortete: Einen Ball! und so stieg sie aus der offenen See vor den offenen Spiegel, fand sich da wieder, eilte, vielleicht zu sehr, mit ihrem Putze, und ging nun an dem Horizont unsers glänzenden Festes, wie der Morgenstern, auf, der eine ganze Milchstraße verdunkelt.

 

     Der weibliche Zirkel gerieth bey ihrer Erscheinung in einen sichtbaren und sehr gerechten Unmuth; denn unter den Männern blieb auch nicht Einer seiner Auserwählten so treu, daß er nicht seine Augen von ihr abwandte, und seinen Handkuß aufschob, um dieser Huldgötting einen beyfälligen Blick zu entlocken, und in Andacht ihren Einzug zu feyern.

 

So trat die Nichte = =

 

     Doch, eh΄ ich meine Romanze in dem neuen Versmaße anstimme, das ich unter den flüchtigen Füßen dieser unvergleichlichen Tänzerin wegstahl, und das ich dir zugleich als die zweyte Probe meiner glücklichen Erfindung vorlegen will, bitte ich dich, lieber Eduard, zu bemerken, daß in der Reihe der Nichten, die in meinem Tagebuche, und mitunter ziemlich derb auftreten, diese liebe Mädchen schon die vierte ist.

 

     Als einem Autor von feinem moralischen Gefühl, kann mir dieser zufällig Umstand nicht anders als angenehm seyn; denn es würde mir leid thun, wenn ich hier und da das, was ich ohne Bedenken von Nichten erzähle, einer Tochter nachsagen müßte. Ob ich gleich, wie der Leser, mit der einen so wenig in Verwandtschaft stehe, als mit der andern, so ist doch gewiß, daß man an einer Verlegenheit, die Töchtern begegnet, innigern Antheil nimmt, als in die sich, nach Zeit und Umständen, eine Nichte gebracht sieht. Es ist, mit Einem Worte, sobald man dabey nur Onkel, Tante, oder Vormund erwähnen hört, als ob man froh wäre, daß nur Vater und Mutter die Abzeichnungen nicht erlebt haben, in denen sich ein Reisebeschreiber, wie ich, Cook oder Vaillant, oft genöthigt sieht, so reitzende Geschöpfe der neugierigen Welt bloß zu stellen. Ich thäte freylich wohl klüger, ich ließe meine Bleyfeder ruhen, und suchte mein Bette, wüßte ich nur den verzweifelten Walzer, der mir im Kopfe liegt, auf eine andere Art los zu werden, als daß ich ihn auf Noten setze und dir preis gebe. Aber, ziere ich mich nicht wie ein Kind! Warum sollte ich dir denn etwas verheimlichen, was auf einem öffentlichen Balle geschah, und was morgenden Tags, der schon anbricht, die eine Hälfte der Stadt der andern als eine Neuigkeit ins Ohr raunen wird, selbst auf Gefahr, durch ihr zu lautes Geschwätz die schöne Fremde auf immer und ewig daraus zu vertreiben? Es hatte also eben Eins geschlagen;

 

Da trat die Nichte des muthigen Trott

     Mit ihm in den staunenden Saal:

Ein reiner und durch die Gnade von Gott

Gefüllter Busen, und Augen voll Spott

     In einem schneeweißen Oval.

 

Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

     Ward Mißgunst und Lüsternheit wach —

Ein summender Schwarm von Jünglingen flog,

Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

     Der Blume des Orients nach.

 

Die Fächer rauschten: doch Mangel an Muth

     Entfernt das feindliche Heer;

Der Handschuh lag still, es winkte kein Hut,

Die Tänzer weilten aus Mangel an Muth,

     Und keiner noch trat ins Gewehr.

 

Doch endlich naht sich ihr bittend und dreist —

     Und Oberon stieß in sein Horn —

Ein flinker Ritter vom heiligen Geist —

Und endlich naht sich ihr bittend und dreist

     Ein Ritter vom päpstlichen Sporn.

 

Sie blickt auf keinen, und reicht ohne Wahl

     Dem Ritter des Sporn ihre Hand.

Er, wie ein Sturmwind, durchbraust nun den Saal,

Und dreht und walzt sie, verunglückte Wahl!

     Bis ihre Besinnung verschwand.

 

Sie fiel — zwar, leider! so ehrbar nicht, als

     Einst Cäsar, doch schöner gewiß.

Was Er verhüllte, war freylich kein Hals

Von solcher Griechischen Federkraft, als

     Hier einer sein Schnürband zerriß.

 

Von Wien bis China, von Osten bis West

     War nie ein Schwindel so frey —

Denk dir, was sich beschreiben nicht läßt,

Von Wien bis China, von Osten bis West —

     Und nun die Beleuchtung dabey!

 

Die Nymphen des Balls flohn wider Gebühr,

     Und lachten — Doch Männer, wie ich,

Verstummten sittsam, und rückten dafür

Dem Ziele näher, das wider Gebühr

     Ihr freundliches Fernglas beschlich.

 

Mich hatte die Lust ins Weit zu sehn,

     Wie Boden und Herscheln berauscht;

Hier sah ich Sparte, dort sah ich Athen

Nicht dunkler, als ich das Füßchen gesehn,

     An das ich mein Strumpfband vertauscht.

 

Nur Er nahm, der selbst in Stambuls Gebiet

     Nie Muth und Bewußtsein verlor

Kaum wahr, was seine Nichte verrieth;

So warf er, als ständ΄ er in Stambuls Gebiet

     Noch Wache, sein Schnupftuch davor.

 

Was half΄s dem Neider? Ich hatt΄, eh΄ er warf,

     Mich längst nach dem Lichte gedreht,

Und dreymal erblickt —  — Wie wenig bedarf

Der Mensch zum Frohseyn! Ich schwör΄ dir, er warf

     Sein türkisches Schnupftuch zu spät.

 

Sein schwarzes Auge voll blitzenden Zorns

     Verjagte die andern. Es floh

Der Ritter des Geistes, der Ritter des Sporns;

Sie wurden unter dem Blitz seines Zorns

     Des reitzenden Anblicks nicht froh.

 

Kaum floh der Schwindel, so bot er den Arm

     Der Schönen. Erröthend verließ

Sie nun im Fluge den männlichen Schwarm,

Der jetzt im Einklang — er bot ihr den Arm —

     Die Reichthümer Griechenlands pries.

 

Ich braucht΄ als Richter das Fernglas nicht mehr,

     Seit mein Object mir verschwand;

Mir schien der Rangstreit der andern so leer

An Rechtsbehelfen, sobald ich nicht mehr

     Den Urtheilsspruch zweifelhaft fand.

 

Vernehmt den Ausspruch, der ihren Beweis

     Und der ihren Zeugen gebührt:

Mehr als ein Apfel versichre den Preis

Dem holden Kinde, das seinen Beweis

     Selbst offener als Venus geführt.

 

In Griechischer Luft, wie Winkelmann schreibt,

     Gedeihen die Grazien nur,

Und Griechenland ist und Griechenland bleibt —

Sie hat bestätigt was Winkelmann schreibt —

     Die Werkstatt der schönen Natur.

 

Dieß sey so lange gesprochen zu Recht,

     Bis es das Schicksal verhängt,

Daß mich ein Anwalt von Evens Geschlecht

Des bessern belehrt, und jene mit Recht

     Aus dem Besitzstand verdrängt.

 

Die Männer klatschten; doch minder gelind

     Verfuhren die Mädchen und Frau΄n:

Die schalt mich, die schwur, mein Fernglas sey blind,

Die droht΄, und die bat mich minder gelind,

     Auch ihr Pergament zu beschaun.

 

Die Alten fragten mit bitterem Stolz:

     Gilt die Verjährung hier nichts?

Die Jüngern schrieen: ich wäre von Holz,

Und dächt΄, es bedürf΄ nichts weiter als Stolz

     Zum Gang eines solchen Gerichts.

 

Mir blieb kein Ausweg, als den einst Ovid

     Am Pontus Euxinus ergriff:

Ich ging und spielte dieß einsame Lied,

Mein Blut zu kühlen, wie weiland Ovid

     Die Schuld seiner Augen verpfiff.

 

 

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Den 12. Januar.

 

O warum kannst du nicht mit mir frühstücken, lieber Eduard! Der Morgen ist unter meinen Tageszeiten immer noch die klügste, und wo ich am ersten einen artigen Gesellschafter annehmen kann. Es sieht wieder so aufgeräumt in meiner Seele aus, wie in einem Putzzimmer, das die Nacht über von dem gestrigen Staub gereinigt wurde. Alle die schädlichen Dünste, mit denen wir es angefüllt verließen, sind nun verflogen, Spiegel und Fenster sind hell, und die verschobene Symmetrie ist — auf Gott weiß wie lange — wieder hergestellt. — Ich habe mich schon nach einem vernünftigen Geschäft umgesehen: es ist die Frage, ob ichs getroffen habe. Ich zog einen andern klugen Reisenden zu Rathe, der hier immer auf meinem Tische liegt, und ward endlich einig mit mir, einen Besuch bey Notre Dame de la Garde zu machen. — Meine Erwartungen von diesem Spaziergange waren meiner Stimmung angemessen, und schränkten sich auf die herrliche Aussicht über das Meer, auf den Hunger, den ich mir ergehen würde, und auf das Vergnügen ein, die launige Beschreibung des Chapelle nun auch einmal an dem Orte selbst zu lesen, den er durch ein paar hingeworfene Zeilen berühmter gemacht hat, als es nimmermehr Philippsburg oder Spandau seyn kann. Dabey ist es auch ungefähr geblieben.

 

Ich schlenderte durch steile Wege,

Chapellens Reisen in der Hand,

Der Festung zu, die einst mein Herr College

So gut als ich verschlossen fand;

Doch so gefaßt sie stets bey jeden Ueberfalle

Der Dichter scheint, so weiß man doch, sie ist

Nicht fester, als die Festen alle,

Die unsre liebe Frau verschließt.

 

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     Die Zeit hat noch überdieß manche von den Merkwürdigkeiten zerstört, die jener Reisende uns aufbehalten hat. Der Schweizer mit der Hellebarte, der damals noch am Thore der Festung Wache hielt, ist so ganz von Regen und Wind verwischt, daß man keine Spur mehr von ihm findet. Auch nicht eine Hand voll Erde bedeckt diesen Felsen mehr, auf dem zu jener Zeit die Leute noch ackern konnten, von denen er die Nachrichten erhielt, die den Commandanten des Schlosses betrafen, das jetzt, glaube ich, nah und fern keinen mehr hat. Wüßte man nicht, daß mein würdiger Vorgänger sich so wenig in seiner Beschreibung ein unwahres Wort erlaubt hat, als ich in der meinigen, so sollte man es kaum für möglich halten, daß hundert Jahre einen fruchtbaren Berg bis zu der Nacktheit abschälen könnten, in der er jetzt den zermalmenden Strahlen der Sonne bloß steht. Hätte mich nicht der eine Halbzirkel durch die Aussicht über das Meer, den Hafen und die Stadt, für die ander Hälfte entschädigt, so würden meine Augen sich sehr übel befunden haben; denn die sogenannten Lusthäuser, die sich auf den angränzenden eben so kahlen Anhöhen gedrängt an einander herum ziehen, und in dem stärksten Brennpunkte der Sonne liegen, gehören, nach meinem Gefühle, unter die albernsten Einfälle, die je ausgeführt wurden. Eine so versengte Gegend als diese, die einem Baume so wenig Wurzel zu schlagen, als einem Gräschen zu keimen erlaubt, ist doch wahrlich nicht geschickt, menschlichen Geschöpfen einen Zufluchtsort gegen die Langeweile zu bieten. O daß ich nicht diese artigen Tempelchen und Pavillons in die schattigen Gegenden Deutschlands versetzen und ihnen nicht jene schmaragfarbigen Teppiche unterlegen kann, die schon den Strohhütten, die darauf kleben, das fröhlichste, lieblichste Licht mittheilen! Ach es geht der Baukunst, wie allen andern Künsten: sie zeigt selbst in ihren prächtigsten Werken Armuth und Mangel, wenn sie nicht mit der Natur, die sie umgiebt, in Verhältniß stehen, da hingegen diese alles hebt und nichts verunstaltet.

 

     Abgewendet von den prahlenden Darrböden des kaufmännischen Luxus, sehnten sich nun meine Gedanken und Blicke nach den vaterländischen Gefilden; aber desto weniger behagte mir auch ein längerer Spaziergang auf dem brennenden Steinwalle dieser zitternden Landwehre. Ich strengte mich an so gut es gehen wollte; doch eh΄ ich den Fußsteig wieder fand, der mich herbrachte, traf ich in meiner Runde, ganz unerwartet, auf einen Ruhepunkt, der, wie du sehen wirst, meiner Erschlaffung herrlich zu Statten kam. Es war Notre Dame de la Garde selbst, die mir ihn anbot. Durch eine offene vergitterte Blendung, die durch die Festungs= und Kirchenmauer zugleich geschlagen und zu einer Halle gewölbt ist, giebt sie sich hier, mit nachgelassener Etiquette, zu allen Stunden der Anbetung preis, ohne daß es nötig wird, den diensthabenden Mönch aufzusuchen, um die Hauptthüre zu öffnen. Diese Anlage mag zwar wohl wider alle Regeln des Bauban verstoßen; sie gereicht aber zur großen Bequemlichkeit derjenigen Pilger, die mehr noch von dem Aeolus abhangen, als von der Madonna. Da der steinerne Sitz vor der Niche durch den Vorsprung des Dachs in Schatten lag, so benutzte ich die gute Gelegenheit, bey diesem wunderthätigen Bilde Abkühlung zu suchen, und, aus Mangel eines bessern Zeitvertreibs, alle die ihr geweihten Kleinodien zu betrachten, die mein Auge erreichen konnte; gewiß, die sonderbarste Sammlung, die weit und breit anzutreffen seyn mag, und wohl eine genauere Beschreibung verdiente, als ich dir gebe.

 

     Demüthig blicket hier durch ein verrostet Gitter

Die schmutzigste Copie der heiligsten der Mütter.

Nur eine schwache Lamp΄ erhellt

Die Seegefecht΄ und Ungewitter,

Von denen mancher kühne Ritter

Nach einem Schwung um das Spital Welt

Ein grasses Nachbild aufgestellt.

Zu freudigern Erinnerungen

Sah ich auch, hinter Glas verwahrt,

Geraubte Kränze mancher Art

In Siegen, die nicht eh΄ gelungen,

Als an Mariens Himmelfahrt.

Doch, was am meisten mir Erstaunen abgedrungen,

Hab΄ ich bis auf die Letzt verspart.

Ein Kinderschwarm von Wachs, der Armuth und der Blöße

Schon früh geweiht, umgab an der Madonna Thron

Noch einen Sterblichen in seiner Jugendgröße,

(Mit Ehrfurcht nenn΄ ich ihn) den ersten Schmerzenssohn

Der großen Wöchnerin Therese

In gutem hart gebrannten Thon.

Und mit gerührter Brust ließ ich die Worte fallen:

„Hört mich, ihr Mächtigen der weisen Klerisey!

Wenn eure Zungen einst, bey einer Priesterweih,

Am Ende eures Mahls, gelehrte Fragen lallen;

So zieht doch auch mein Quaeritur herbey,

Warum der Aermsten wohl von den Madonnen allen

Dieß irdene Geschenk von Josephs Conterfey —

Und in den Wiener Kirchenhallen

Den reicheren in köstlichen Metallen

Dieß große Loos geworden sey?

Hat sie allein zu Wien an Gold so viel Gefallen,

Und in der Armuth Sitz wär΄ es ihr überley?

Mir g΄nügt der laute Ruf: Seit an Theresens Grabe

Die fromme Betteley um eine milde Gabe

Sich zwar im Staube noch, doch nicht in Goldstaub wälzt,

     Der große Kaiser habe

     Die kleinen wieder eingeschmelzt.“

 

 

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So wie mich nur meine kühle Stirn und trockene Haut überzeugten, daß Unsere liebe Frau das Wunder, das ich von ihr erwartete, an mit gethan hatte, und ich in dem Gedanken an unsern klugen Kaiser, und in der theologischen Aufgabe, die ich mit mir nahm, genug Unterhaltung auf meinem Rückweg fand, so stieg ich, so geschwind als es anging, den schroffen Felsen hinab, dem belebten Hafen zu, der gerade zu den Füßen der Jungfrau liegt. Indem ich aber, um an dem Mittelpunkt zu kommen, der die freyeste Aussicht in das offene Meer gewährt, an den Häusern hinschlich, die ihn von der Stadtseite her einschließen, zog auf einmal über einer der Hausthüren eine schwarze Tafel mit goldenen Buchstaben meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich blieb stehen und las:

 

Zu Ehren unsrer lieben Frau verschenkt

Herr Passerino, der Ex = Voto Maler,

An jeden Pilger, der, nach ihrem Thron gelenkt,

Ein Dankbild ihr zu weihen denkt,

Das Stück in Oel für einen kleinen Thaler.

Auch findet man bey ihm ein seltnes Sortiment

Der meisten menschlichen Gebrechen

In Wachs — den Vorzug gönnt,

Beliebe bey ihm einzusprechen.

 

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     Da es mir eigentlich um nichts weiter zu thun war, als die Stunde, die mir bis zum Mittag noch frey blieb, hinzubringen, und, ohne mich geradezu auf ein Faulbette zu strecken, von der Ermüdung meiner Wallfahrt auszuruhn, so gab ich dieser Marktschreierey — und um desto leichter Gehör, je näher sie mit jener in Verbindung stand, von der ich eben herkam. Du willst doch, dachte ich, die Freygebigkeit des Herrn Passerino ein wenig näher untersuchen, trat in das Haus, fragte nach dem Künstler, und kratzte mich gewaltig hinter den Ohren, als man mich vier Treppen hinauf in jene artistische Höhe wies, wohin diese Herren gemeiniglich ihre Werkstätte verlegen, wenige ausgenommen, die, wie Mengs, Dietrich, Grassy und Graff, alle und jede Licht= und Luftstrahlen der Natur überall an der Hand, und nicht nöthig haben, sie erst unter dem Dache zu suchen. Wirst du mich aber für klug halten, Eduard, wenn ich dir sage, daß ich, so müde und matt ich auch war, dennoch dem Ex-Voto-Maler in seinem Neste nachstieg? Entscheide doch ja nichts darüber, bis ich von ihm wieder zurück komme. Denke nur an den Münster=Thurm zu Straßburg. Es sind noch nicht drey Monate, daß ich seine neun und neunzig Stufen wie ein Narr erkletterte, und wie belohnt — wie bereichert an neuen Erfahrungen flog ich an der Hand meines Jeroms herunter! Wer weiß was mir mein heutiger Gang einträgt.

 

     Herr Passerino kam mir an der Treppe entgegen — denn mein Keichhusten hatte mich schon von weitem bey ihm gemeldet — und empfing mich mit so herzlicher Theilnahme, als wäre ich eine seiner gebrechlichsten Kunden. Ich fand sein Dachstübchen offen zu meinem Empfange — und an ihm, wie ich recht nachsah, eine Figur, wie ich sie, doch nicht ganz so hager, schwarzgelb, schmutzig und pittoresk, erwartet hatte. Seine erste Frage war — und ich nehme sie ihm weiter nicht übel: — ob ich wollte ich Wachs poussirt seyn? — Ich schüttelte ärgerlich den Kopf. — „Doch vielleicht ein Theil Ihrer werthen Person?“ fuhr er fort. — „Ich bin,“ unterbrach ich ihn schnaufend, „von den gesundesten Gliedmaßen — aber ihre steile Treppe — lieber Mann — die = = =“ — „Also nur ein Liebhaber der Kunst?“ erwiederte er lebhaft, setzte mir einen Stuhl, und überströmte mich in einem Französisch, wie man es an Italiänern gewohnt ist, mit einem Schwall von Worten, die ich mir jedoch erst ins Deutsche übersetzen mußte, eh΄ ich sie zur Not verstand. Dafür aber hat mir auch nie eine Uebersetzung mehr Freude gemacht; denn sie brachte mir, treuer als keine andere, das längst vergessene Original wieder vor die Ohren. Ich hochte — stutzte — dachte nach und besann mich. — Aber kaum war ich meiner Sache gewiß, so fuhr ich mit einem Schrey auf, der eines seiner hochfliegenden Kunstwörter — ich glaube es was Clair - Obscur — so geschickt im Fluge zerschnitt, daß ich die kleinere Hälfte davon, die mir zufiel, nicht für die größere vertauscht hätte, die ihm blieb. — „Um Gottes willen!“ rief ich, „was für ein Wind hat Sie nach Marseille verschlagen, mein lieber Theodor Sperling? und wie kommen Sie zu dem Italiänischen Namen, hinter dem ich Sie in meinem Leben nicht gesucht hätte?“ — Jetzt standen wir einige Augenblicke noch stumm und erstaunt gegen einander über. Es war eine Scene zum Malen, und die — sage noch ein Wort, Eduard, wenn du Herz hast — das schönste Gegenstück zu der auf dem Thurme zu Straßburg giebt. Meine Vertraulichkeit und mein Deutsch überraschten den alten Mann außerordentlich. Er gaffte mir erst mit aufgezerrten Augen in das Gesicht, und da dieses nicht ging — mit der Brille. Alles umsonst! — „Sollte es möglich seyn“ — stellte ich mich jetzt um einen Schritt näher vor ihn, warf mich besser in die Brust, rieb mir die Backen, und nahm die schelmische Miene an, die, wie ich glaubte, mir in meiner Jugend so gut stand — „Sollte es möglich seyn, daß mich funfzehn Jahre und ein paar Zahnlücken so unkenntlich gemacht hätten?“ — Er starrte mich noch immer stillschweigend an. Es blieb mir nichts übrig, um ihn und mich aus unserer peinlichen Lage zu ziehen, als den blinden vergeßlichen Mann noch weiter zurück — in meine Schulstube zu führen. „Mein alter Freund und Lehrer!“ stimmte ich unter einer herzlichen Umarmung an, „erinnern Sie Sich denn gar nicht mehr des jungen Flüchtlings, dem Sie in der Zeichenkunst, in der Perspectiv und der Architektur so mannigfaltigen Unterricht gaben? — gar nicht mehr des Meisterstücks Ihres Pinsels — der wolligen Angola, an der sie — nach drey fleißigen Jahren — doch noch den Schwanz zu malen hatten — als sie starb?“ — Dieser Lichtstrahl that Wirkung. Jetzt schlug das gute Geschöpf seine dürren Hände um mich und seine gelben Augen gen Himmel; aber noch mußte er erst der Erinnerung einige bittere Thränen, einige tief geholte Seufzer zollen, eh΄ er zu sprechen vermochte. — „Ach! mein theuerster Herr und Freund!“ stammelte er nun, „seyn Sie tausendmal meinem Herzen willkommen! Was für ein glücklicher Stern hat Sie in meine einsame Wohnung geleitet, in der ich sonst nur arme Schiffbrüchige und andere durch Calamitäten ausgezeichnete Menschen zu sehen bekomme, und selten einen Mann, der Wärme für die ewige Kunst fühlt? Ich bin schon vierzehn volle Jahre von meinem Vetter in Anspach und aus meinem Vaterlande entfernt, das, nur zu gewiß, stille Verdienste nicht zu schätzen weiß, und führe seitdem hier — aber auch hier,  ein kümmerliches Leben. Wie tief habe ich mich herab stimmen müssen, um nur Brod zu haben! — Einiges, mein theuerster Gönner, ist auf meiner Tafel zu lesen — aber wahrlich, das sind noch lange nicht die schlechtesten Arbeiten, die ich = = =“ — „Lassen Sie uns ein andermal darüber sprechen,“ unterbrach ich ihn, „und wenn Sie heute mein Gast seyn wollen, lieber Sperling, so ziehen Sie Sich nur geschwind an, und begleiten mich zum Heiligen Geiste — vorausgesetzt, daß ich Sie von nichts besserm abhalte.“ — „Ach! wovon sollten Sie?“ sagte der Alte. — „So einen vergnügten Mittag hätte ich mir heute nicht träumen lassen. — Ich werde den Augenblick wieder bey der Hand seyn.“ — Nach einigen Minuten trat er geputzt aus seiner Kammer, und gewiß, ich irre mich nicht, Eduard, in demselben Sonntagskleide, das dir so gut noch erinnerlich seyn wird als mir, nur das der jugendliche Troquet eine ernsthaftere Miene angenommen, und sein verschlossenes Papageygrün mit einem tüchtigen Castanienbraun vertauscht hatte.

 

     Ich hätte gewiß keinen Gast auftreiben können, der weniger nach der Mode gekleidet, und mir doch lieber gewesen wäre, als er. Du weißt zwar, wie ich zeichne, und wie es mit meiner Baukunst aussieht; aber daran dachte ich nicht. Es klebte ihm ein Verdienst an, das ihn meinem Herzen auf das rührendste empfahl, und keinen Vorwurf gegen ihn aufkommen ließ — die lebhafte Erinnerung meiner Jugend. — Ja, Freund, ich hätte ihn, wie ein Fürst seinen Hofmeister, belohnen — sein aufgefärbtes Staatskleid mit einem Orden verzieren, und ihm, trotz seines mißlungenen Unterrichts, ein gutes Jahrgeld anweisen mögen, so durchdrungen war ich von jener unbeschreiblich süßen Empfindung. Ist es nicht einerley, ob uns ein Virtuos oder ein Stümper dieß magische Glas vorhält? Wir sehen in solchen Augenblicken nicht ihn — sondern uns. Ich lebte nicht mehr in Marseille. Mein Geburtsort, mit seinen Salweiden, seinem Vogelherd und seinen Obstgärten, verschlang alles Land und Meer, das mich umgab. — Ich blieb gern mit ihm so lange an der Wirthstafel sitzen, als ihm noch ein Trunk oder ein Bissen schmeckte — ja ich trieb meine Freygebigkeit so weit, daß ich ihm sogar mich selbst auf den ganzen Nachmittag preis gab, und nicht allein seine Geschichte, die mir — immer noch anziehend genug — den gewöhnlichen Streit der Armuth mit der Ungeschicklichkeit darstellte, sondern auch den Ausbruch seines Künstlerstolzes, seines Brodneides, und seine schiefen Urtheile über gleichzeitige Maler, in kindlicher Geduld anhörte. Ich ließ ihm zuletzt noch ein Abendessen auf mein Zimmer bringen, und habe ihn erst, seit der Stunde, die ich dir vorbehielt, ziemlich spät und mit dem Versprechen entlassen, das er mit abnöthigte, morgen bey ihm unter der Ansicht des Meers zu frühstücken. Das wird auch wohl von den Stärkungen, die mir der arme Narr anbieten kann, die beste seyn. —

 

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     Ich habe in der letzten Zeile ein Wort doppelt unterstrichen, damit es dir ja nicht entgehe. Es ist mir erst so wichtig geworden, nachdem es meiner flüchtigen Feder schon entwischt war. Seit einer Stunde — das siehst du ihm wohl nicht an — hält es mich in Bewegung, und ich brauche wenigstens noch eine, um dir den Hergang deutlich zu machen. „Armer Narr?“ — warf ich mich fragend in meinen Lehnstuhl — „Was willst du mit diesem Ausdrucke — was enthält er? Offenbar nur einen kleinen Spott über die mäßigen Talente deines alten Lehrers. Während du deiner Sticheley Luft machtest, und ihn mitleidig über die Achseln ansahest, entschuldigtest du dich zugleich heimlich mit seinem schiefen Unterrichte, daß du kein Zeichner, kein Baumeister geworden bist, und das mit Grunde. Hätte der gute Mann es übel nehmen können, wenn du ihn geradezu einen Stümper genannt hättest?“ — Daß ich doch so gerne mit der Ironie spiele! Ich sollte sie nie von der Kette lassen. Sie ist bey mir nur ein Hund, der seinen Herrn immer zuerst in die Waden beißt, sobald er ihn los läßt. Ich hatte einen meiner Strümpfe schon halb herunter, als das böse Gewissen neben mich trat, mir ihn ohne Umstände wieder herauf zog, und eine Menge verfänglicher Fragen vorlegte. — „Die Hand aufs Herz,“ zischelte es mir in das Ohr, „stand denn der arme Narr deiner Erziehung allein vor? Wurden dir nicht auch andere Wissenschaften als die Baukunst von den fähigsten Meistern gelehrt? — und in welcher bist du denn über das Mittelmäßige gestiegen?“ — O des unglücklichen Worts, das mich in eine solche Untersuchung verflochten hat! Jetzt reiheten sich alle die gelehrten Männer, die von Langens Colloquien bis zu Lucians Gesprächen — von Epiktets Echiridion bis zu Mosheims Moral — für die Bildung meines Kopfes und Herzens auf das redlichste gesorgt hatten — An den Angola=Maler an, und eh΄ ich mir es versah, stand ich in ihrem ernsthaften Zirkel. Jetzt räusperte sich der eine — jetzt der andere. Jeder schlug sein Compendium auf, und mein Examen rigorosum begann. Von jedem Radio, nach welchem mich meine Angst hindrehte, kam mir eine Frage entgegen, die mich jedesmal in eine neue Verlegenheit setzte. Wenn der eine Docent es aus Ungeduld aufgab, mich länger aus der Diplomatik zu prüfen — versuchte es der andere, mit gleich schlechtem Erfolg, über die Pandekten. Wich ich dort dem Tacitus aus, so fiel ich hier dem Vitriarius in die Hände. — Bald brache mich ein Problem der Metaphysik aus der Fassung, bald eine Beweisstelle aus dem Sachen= und Schwabenspiegel der Aurea bulla. Stumm und gedemüthigt blickte ich vor mich hin, und spielte an meiner weißen Hutfeder. — Endlich faßten die Herren meine sichtbare Beschämung zu Herzen, hoben die Sitzung auf, und trösteten mich noch oben darein auf das herablassendste mit der allgemeinen Beichte: Quantum est, quod nescimus! Sobald ich über die Schwelle meiner Schulstube war, schwenkte ich meinen Hut, und hüpfte trällernd davon. — Ach ich hüpfte nicht weit, so befand ich mich wieder auf meiner Spur, und folgte ihr nun so hartnäckig, als ob mich ein böser Geist triebe, über Stock und Stein durch alle die geraden und krummen Gänge des Labyrinths meines verschobenen Lebens, das, wie ich endlich gewahr ward, mit den Leimruthen, den Obstgärten und Salweiden meines Geburtorts näher in Verbindung stand, als ich heute Morgen mir hätte einkommen lassen.

 

     Eine solche Parforce=Jagd — so kurz vor Schlafengehen — kann ihr Gutes haben — nur für die Diät nicht. — Nichts in der Welt greift so sehr an, als wenn man den Hirsch und den Jäger zugleich spielt. Wie soll Schlaf in meine Augen kommen, da ihnen noch in so hellen Farben alle Mühseligkeiten meines Wildstands — alle Schlingen, Netze und Hecken vorschweben, wo ein Theil meiner selbst hängen blieb? Wie kann ich Ruhe auf meinem Kopfküssen erwarten, wenn ich an die Meute großer Hunde, die mich mit ihren Zähnen — an die Wespen, die mich mit ihrem Stachel verfolgten, zurück denke, und wie darf ich hoffen, daß mich solche Klagetöne einschläfern werden, als sich jetzt in nächtlicher Stille aus meinem Hüfthorn erheben?

 

Wohl jedem, den der Horen Schwung

Auf einen Hügel hebt,

Wo kühlende Erinnerung

Der Jugend ihn umschwebt! —

Dem bey des Thales Uebersicht,

Das ihm im Rücken liegt,

Des Alters Krücke schwerer nicht,

Als ein Spazierstock, wiegt!

 

Wer blickt gern nach dem Irrweg hin,

Auf dem er nur — der Scham

und Reue, statt dem Hauptgewinn

Des Wettlaufs näher kam —

Gern nach der Bahn, die sein Gestirn

Im Schöpfungsraum beschrieb,

Indeß sein Herz, wie sein Gehirn,

Gehüllt in Nebel blieb? —

 

Seit ich dem Pädagog entfloh,

Als einst sein Marschallsstab

der Träumerey des Scipio *)

Den Rang vor meiner gab,

Und ich kraft meines Steckenpferds,

Das keinen Kappzaum litt,

Zum Rector meines Vogelherds,

Dem großen Uhu, ritt;

 

Seit mein gelehrter Müßiggang

Drey Lustra weggeräumt,

Gleichgültig, was Homer einst sang

Und Scipio geträumt,

Ich auf dem nächsten Ritterzug

Zu neuem Zeitverlust

Erfuhr, mein Kopf sey schwer genug

Für eine Mädchenbrust;

 

Und seit der Ehre Sporn mich stach;

Da jener Rausch entwich,

Ich nun ins Audienzgemach

Als Supplicante schlich;

Unwissend, ohne Kraft und Kern,

Bey mäßigem Verstand,

Doch in dem Kreis der Kammerherrn

Mich nicht verloren fand —

 

Was offenbarte mir die Zeit,

Die diesen Raum durchflog?

Nichts — als bloß Lust und Eitelkeit

Mich täglich mehr betrog —

Daß leider! zwischen Mann und Kind

Kein Unterschied besteht,

Als der: Dort kam der Trost geschwind,

Und hier kömmt er zu spät.

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*) Ciceronis Sommnium Scipionis.

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Den 13. Januar.

 

Hätte ich mich nicht bey meinem alten Zeichenmeister auf diesen Morgen versagt, der es gewiß übel aufnehmen würde, wenn ich sein Frühstück an den Nagel hinge, wie vormals seine Lehrstunden, so würde ich mir eins aus Quassia und Rhabarber vorsetzen; denn mir ist gar nicht wohl. Unter den neuen Bekanntschaften, die ich vorgestern an der Tafel des Herrn Frege machte, muß eine gewesen seyn, die einem Deutschen Magen nicht zuschlägt. — Deren trifft man in Frankreich gar viele an. Ich habe vor andern einen Seefisch in Verdacht, dem ich mir viele unnütze Mühe gab Geschmack abzugewinnen. — Bewegung wäre mir wohl am dienlichsten — aber, wenn mich auch Herr Passerino nicht darum brächte, so würde es doch das unfreundliche Wetter thun. Es ist ein Glück, daß der hiesige Winter nur wenige solcher Tage aushängt. Ja wohl! Aber warum muß denn eben so einem armen Schwächling wie mir diese Seltenheit über den Hals kommen? Uebelkeiten und Fieberfrost von innen — ein heulender Wind von außen her — keinen Lumpen von Winterstaat in meinem Vermögen, und nun ein solches Frühstück in der Aussicht! — Wo soll in dieser verzweifelten Lage Erwärmung des Bluts herkommen? von der Wasserseite seines Pinsels oder seines Coffees? Ich zittere — und, wenn ich es genau untersuche, weniger vor den Wohlthaten, die er mir aufdringen, als vor den Opfern, die er mir abnöthigen wird. Ich sehe mich schon im Geiste gähnend vor seinem Tische sitzen, indem er ein paar Pappdeckel voll seiner elenden Skizzen geschleppt bringt, sie bedächtlich aus einander schlägt, kein Blatt überhüpft, und bey jedem einen Aufruhr meines Erstaunens erwartet; und, wenn nun darüber eine ganze Stunde zerbröckelt ist — wie er mich, unter schlauem Lächeln, beym Aermel faßt — mich der Wand gegenüber in das rechte Licht stellt, und mit Einem Ruck den grünen Vorhang zurück zieht, um mich durch das Wunder seines neuesten Gemäldes zu überraschen — und wie er endlich — um das Maß seiner Sünden voll zu machen — mich bey der Heiligkeit unserer Freundschaft beschwört, ihm offenherzig meine Meinung über die Kleinigkeiten zu sagen, die er mir gezeigt hat. Thät΄ ich ihm sein Recht an — so gnade mir Gott! Und doch ist es eine verwünschte Zumuthung, selbst unter vier Augen, mit Verläugnung alles Menschenverstandes das Machwerk eines solchen Meisters zu loben. In meiner heutigen Stimmung übersteigt das meine Kräfte. — Es wäre Gewaltthätigkeit gegen mich selbst, und ich müßte wahrlich befürchten, mir meine kalten Krämpfe auf die edlen Theile zu jagen.

 

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     Wenn man seinem Brauskopfe nur Zeit vergönnt! Nach einem halbstündigen heftigen Zanke mit ihm, fing er an sich eines bessern zu besinnen, und die Sache mit der größten Billigkeit abzuthun. „Gehen wir ruhiger zu Werke!“ sprach ich mir zu. „Worauf kommt es denn an? Auf Worte ohne Sinn und Bedeutung und ein wenig Mimik. — Die, dächte ich, könnte ich doch wohl am Hofe gelernt haben! Warum sollte mir denn das Hauptingredienz unserer Staatsvisiten und Courtage, die Sucht nach Schmeicheleyen und Lob, in der Werkstatt des armen Passerino stärker auf die Nerven fallen als dort? und wie konnte es mir einen Augenblick in den Sinn kommen, diesen liberalen Tauschhandel unserer cultivirten Natur zu stören, auf Gefahr, mir und meinem alten Lehrer das Morgenbrod zu verbittern? Verlust und Gewinn liegen jetzt, auf das genaueste berechnet, vor mir — darnach will ich mich richten. Ich werde seinen herzhaften kräftigen Pinsel — Er wird meinen feinen richtigen Geschmack, bis an die Wolken erheben. Ich werde ihn über Rubens — Er wird mich über Lessing und Winkelmann setzen — jedem übrigens ganz unbenommen, den andern in Gedanken so niedrig, sich selbst aber so hoch zu stellen, als es sein Schwindel erlaubt.“

 

     Diese fliegenden Betrachtungen, wie ich mit Vergnügen bemerkte, bildeten sich, während Bastian mir das Haar kräuselte, zu einem förmlichen System. Ich dachte Wunder was ich zur Beförderung menschlicher Zufriedenheit neues erfunden hätte: — als ich mich aber an meinen Schreibtisch setzte, um es noch mehr zu entwickeln, sah ich wohl, daß es das uralte war, dem ich von jeher, unter gewissen Einschränkungen gefolgt bin — das sowohl in dem Tumulte der Gesellschaften, als in einem Zweykampfe, wie mein heutiger ist, unser liebes Ich am sichersten deckt, und für geringe Kosten es äußerst bequem bettet. Unbegreifliche Menschen, die, unter dem Deckmantel der Wahrheit, gegen die Selbstliebe anderer mit Spießen, Schwertern und Lanzen bey dem geringsten Anlasse vorrücken, keinem nach Beyfall bettelnden Auge das Almosen ihres Lächelns zuwenden, oder sich überwinden können, einem unbedeutenden Dinge zu huldigen, das sich ihr Mitgesell als einen Vorzug anrechnet! Was erbeuten sie? Für Schmerzen, die sie erregen, Wunden, die sie erhalten; denn in keinem Gefechte sind die Gegenhiebe so gewiß, als in diesem. Setzen wir den Fall, du wärest so verhärtet, um nicht einmal theilnehmend nach meiner Braut zu fragen, so kannst du lange passen, eh΄ ich deiner allerliebsten Kinder nur mit einer Sylbe erwähne. Hast du keinen Blick für die Strahlen meiner modischen Schnallen, so habe ich gewiß auch keinen für das Pour le merite deines Sterns. Sie können alle in der Gesellschaft den neuen Musenalmanach in der Tasche haben — trotz deiner hervorstechenden Ballade, wird keine Seele thun, als habe sie ihn gelesen, wenn du unbekümmert um die Stelzfüße oder die Quersprünge der andern da stehst, oder gar, als Klopffechter deines geraden Sinnes, mit alten Damen von Runzeln, mit jungen von Tugend sprichst — dich wunderst, daß ich schon Oberster bin — über den witzigen Einfall des einen, über die hohe Frisur des andern die Achseln zuckst, oder sonst durch den Knall deiner Peitsche mein Steckenpferd scheu machst. Und wenn du ein Fürst wärest, man trägt dir den Stoß nach, den du gabst oder zu geben gedachtest, und niemand stellt dir lieber ein Bein, als den du aus dem Sattel gehoben hast. — Und wärest du, wie Achill, in den Styx getaucht, ein Apoll oder Paris wird doch den verletzbaren Fleck an deiner Fußsohle entdecken, geschäh΄ es auch nicht eher, als wenn du deine Polyxene umarmst.

 

Weg mit den Rüstungen auf unsern Ritterspielen!

Wir brauchen höchstens ein Visier.

Es ist ja nur Ein Punkt, nach dem wir alle zielen,

Und dieser kleine Punkt — sind Wir!

Den trifft wohl jeder leicht; drum rath΄ ich allen, ladet,

Wenn euch die Ehrsucht spornt, durch holde Schmeicheleyn

Einander auf den Kampfplatz ein. —

Wie sanft wird euer Streit! — Ihr werdet wie gebadet

In Rosenöl — die Lust wird allgemein,

Der Kranz des Siegenden sogar wird unbeschadet

Dem Lorber des Besiegten seyn.

Die Wahrheit ist mir lieb. Doch räche

Mein Mund sie sie selbst an einem Thoren nicht,

Der durch Verschonung meiner Schwäche

Mich für die seinige besticht!

Die Eitelkeit hält warm: wer wollte sie nicht pflegen!

Mich macht kein Bruderkuß verlegen

Der vielen Passagiers, die Brant *) uns ausgeschifft:

Mein lauter Beyfall geht der Schrift,

Die mir der Autor bringt — mein Handwerksgruß dem Segen

des bettelnden Gezüchts, entgegen,

Das auf dem Pfad des Ruhms mit mir zusammentrifft. —

Sind es nicht Stümper? — Meinetwegen!

Wenn wir mit unserm Kopf nicht sichrer sind, als Swift, **)

Was wagen wir, mit Recensenten=Schlägen

Den Freypaß in sein Narrenstift

Auf eines andern Stirn zu prägen?

Leiht gern einander euer Ohr.

Beweist nicht gleich mit einem Rechnungszuge,

Wer in dem süßen Wortbetruge

Mehr oder weniger verlor.

Wir streiten nicht — ich und mein Theodor.

Auf falsche Wechsel zieht der Kluge

Schnell eine falsche Quittung vor.

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*) S. Brants Narrenschiff

**) Er stiftete ein Hospital für Narren — und starb selbst als einer.

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Nach solchen Vorbereitungen konnte der Erfolg nicht anders als erwünscht ausfallen, und wären meine Magenkrämpfe nicht gewesen, ich wollte über nichts klagen. Ich muß meinem freundlichen Wirth nachrühmen — er hatte es weder an Farben, Palleten noch Pinseln, die in der ausgesuchtesten Unordnung da lagen, noch an sonst einem artistischen Blendwerke fehlen lassen, um seinen Gast in die Illusion zu zaubern, daß er in der Werkstatt eines Malers frühstücke. Ich hätte mich ihr auch gern überlassen; doch unter dem Wiederschein der Bilder, die heute zu meiner Verwunderung die vier Wände seines Stübchens verzierten, das mir gestern ohne diese Tapete viel reinlicher vorkam, war es unmöglich. Es war die vollständigste Copien=Sammlung der Wunderbilder der Madonna. Eine einzige nur, klagte er mir, ginge seinem Sortimente ab, und noch dazu eine aus der hiesigen Gegend, Notre Dame de la Grace zu Cotignac, zum größten Nachtheile seines Handels; denn es würde immer dreymal öfter nach dieser gefragt, als nach sonst einer andern, besonders von Weibern in gewissen Jahren. — „Doch Ihr Leibschneiden, theuerster Gönner,“ fuhr er fort, „von welchem ich Sie so gern befreyt sähe, soll mir hoffentlich behülflich seyn = = =“ — „Zu was, lieber Passerino?“ fragte ich erstaunt, „zu was?“ — „Die Lücke,“ fiel er ein, „in meiner Gallerie auszufüllen.“ — „Das,“ erwiederte ich mit noch größern Augen, „muß ganz sonderbar zusammen hängen, lieber Sperling,“ — Hier rückte er mir einen Stuhl, trat vor mich, und: „Ist etwas in der Malerey,“ fing er mit abgemessenen Worten sein Räthsel zu lösen an, „das eine feste, geübte Hand, Kenntniß des Clair-obscurs und ein verständiges Auge erfordert, so ist es die Copie eines wunderthätigen Originals, wo oft die Wirkung nur ein einer kleinen Nüance liegt. Das weiß ich aus einer langen Praxis. — Aber mein Gott! was hilft es mir! Ich bin, bey allen diesen Voraussetzungen, doch zu alt, um den Weg zu Fuße — und leider zu arm, ihn in einem Wagen zu machen. Wenn Sie nun morgen nach Cotignac fahren, und hätten die Güte, mich mitzunehmen, so = = =“ — „Aber wer zum Henker,“ unterbrach ich sein Gewäsch, hat denn gesagt, daß ich nach Cotignac fahre? Es ist in diesem Augenblick das erstemal, daß ich das Nest nennen höre.“ — „Thut nichts,“ antwortete er: „die hiesigen Aerzte schicken alle ihre Kranken dahin, die an schwerer Verdauung leiden. — Hilft die Marie nicht, so thut es der Weg, der weder zu kurz, noch zu lang, überaus steinig und zum Erbrechen gut ist. Ueberdieß kann ich Ihnen — denn ich kenne das hiesige Wetter — morgen einen heitern sonnigen Tag versprechen; und welches Glück wär΄ es nicht für mich, während meiner Abzeichnung einen Mann von Ihrem Blicke, feinen Geschmack, und Ihrem — wie soll ich sagen — so zarten Kunstgefühl an meiner Seite zu wissen!“ — Hätte der gute Mann fortgefahren, lieber Eduard, wie er anfing, von seiner festen Hand — seiner Kenntniß im Clair-abscur und seinem verständigen Auge zu schwatzen, so war nichts gewisser, als daß ich seinen tollen Vorschlag abwies; jetzt aber, da er mein Lob, so wenig es in seinem Munde auch Werth hatte, mit dem seinigen verschmelzte, war es mir nicht mehr möglich, Nein zu sagen. Wahrlich kein schlechter Beweis von der Güte und Kraft meines obigen Systems!

 

     Die Reise nach Cotignac ist also auf morgen festgesetzt. Seine Freude darüber war so groß, daß eine glückliche Stunde verging, ehe sein Kopf ruhig genug war, an seine Kunstwerke zu denken. Wie er ihnen aber einmal wieder auf die Spur kam, blieb er auch desto hartnäckiger darauf. Zu jedem Unsinne, den er über Haltung, Wärme, Colorit und Ausdruck vorbrachte, langte er aus seinem Portefeuille auch einen Beleg. Ich mußte ihn über alle die Stufen begleiten, die er seit funfzehn Jahren bis auf den heutigen Tag in seiner artistischen Laufbahn erstiegen hatte; und so gelangten wir denn auch endlich zu der Schreckensperiode, die ich diesen Morgen vorher sah — zu dem Wunder seines neuesten Gemäldes. Seine Vaterliebe, eh΄ er es auspackte, glich einem Wirbelwinde, der einem Ungewitter vorhergeht, und war so heftig, daß sie beinahe in Ungerechtigkeit gegen seine ältern Kinder ausartete: denn er erklärte nicht allein die Meisterstücke aus der Zeit seiner Angola für Sudeley, sondern blickte selbst verächtlich auf seine Madonnen — nannte sie Matrosen=Waare, die er nur nebenher, des lieben Brods wegen, auf den Kauf mache, und die er sich schämen würde, unter seinem Namen — außer in der Italiänischen Uebersetzung — auszuhängen. „Wie viele Fächer,“ rief er, „hat mein Genius nicht durchlaufen, eh΄ er sein rechtes getroffen hat! Von der Blumenmalerey, mit der ich meinen Weg antrat, ging ich zu Thierstücken — Porträts — Bataillen und Landschaften über. Ich brachte es zwar in jeder Art zu einer gewissen Fertigkeit; aber in keiner von allen errang ich den Kranz der Vollendung, den mir die Natur an dem Gestade des Meers aufbehielt. — An den Marinen, mein Herr, entwickelte sich erst meine ganze Schnellkraft. — Ach wie lange schlummerte sie in träumendem Irrwahn! Anspach war der Ort nicht, um sie zu wecken. — Das Schicksal mußte mich hierher schleudern, daß ich erführe, wer ich sey.! — Mit diesen Worten, die ihm in dem seligsten Enthusiasmus entflossen, trieb er mich von meinem ruhigen Stuhl in die Ecke des Fensters — riß beyde Flügel auf, und streckte den Arm so weit vor, als wolle er seinen krummen Zeigefinger in das Meer tunken. — „Hier, mein Herr,“ überschrie er einen Windstoß, „sprudelte die heilige Quelle, aus der ich schöpfe. Wer beschreibt die Erschütterung meines Innern, als meine erstaunten Blicke zum erstenmale über sie hinflogen! Das ist, rief ich aus, was dein Geist lange im Dunkeln geahndet — vergebens gesucht hat. In einer Art von Künstlerwuth griff ich nach Farben und Pinsel — überließ mich meiner Begeisterung, und erstaunte selbst über die Keckheit meines ersten Versuchs. Doch bald — trinken Sie aber nur erst Ihren Coffee — werde ich Ihnen meinen letzteren vorzeichnen — einen Sturm — aber was für einen! Mich überläuft selbst jedesmal ein Schauer, wenn ich ihn ansehe.“ — „Mich auch,“ unterbrach ich ihn; aber bey mir kömmte er alleweile vom Original. — Erlauben Sie, daß ich die Fenster wieder zumache — die Zugluft und meine Nerven vertragen sich heute nicht.“ — „Sehr wohl,“ sagte er; „aber, um wieder auf meinen Sturm zu kommen, — denn bey einem solchen Stücke schadet es der Täuschung nicht, wenn die Beschreibung voraus läuft — so werden Sie sehen, daß ich nicht umsonst über den Hafen blicke, und neben dem Stapel wohne. Ich glaube nicht, daß der große Vernet selbst das Tau= und Takelwerk besser versteht als ich, und daß ein Schiff regelmäßiger gebaut werden kann, als die meinigen gemalt sind. Mit einem Vergrößerungsglase — ich werde gleich die Ehre haben Ihnen das meine zu borgen — können Sie an jedem sogar den Namen und die Jahrzahl lesen. Einer Kleinigkeit muß ich noch gedenken, werthester Herr, — meines Wahrzeichens auf dem Gemälde — einer glücklichen Erfindung, die aber freylich nur auf mich allein paßt. Das Stück kann in der Welt hinkommen wo es will — mein Name wird dadurch allen Nationen verständlich — jede wird ihn in ihrer Sprache zu nennen wissen — denn über all giebt es — Sperlinge.“ — „O das ist nur gar zu gewiß,“ entwischte mir in der Zerstreuung; aber er überhörte den Sinn. — „Befehlen Sie noch eine Tasse? Nicht? — Nun so will ich das Bild holen.“ — fragte er und antwortete er zugleich. Ich hätte das Schubfach des Kastens angeben wollen, wo es lag; denn seine verstohlenen Blicke, die er ohne Aufhören dahin warf, verriethen mir längst, daß dort sein größtes Kleinod verwahrt seyn müsse, und ich irrte mich nicht. Er zog das Kunstwerk behutsam heraus, rollte es, seitwärts, aus einander, spannte es in einen Blendrahmen, und stellte mir es nun in seiner ganzen Majestät vor die Augen, und sich in der seinigen darneben.

 

     Ich für meine Person hätte nun wohl die Mordgeschichte, die es von sich strahl, zur Genüge beäugelt, mit dem Urbild hinter dem Fenster verglichen, und bis zum Mattwerden bewundert. Aber du, mein armer Freund! Nun du sollst auch nicht zu kurz kommen. Weder das Ohrensausen, das mir der Mißklang so vieler Kunstwörter zugezogen — noch das Augenweh, das sich hinter dem Vergrößerungsglase erzeugt hat, sollen mich hindern, dir die Schilderung des schrecklichen Sturm so poetisch wiederzugeben, als ich sie aus dem Munde seines Erfinders erhielt. Wenn er dir in diesem Wiederscheine nicht das Haar in die Höhe treibt, nicht eben den Schauer erregt, als dem Meister — so weiß ich nur noch Einen Rath, Eduard: das Gemälde steht seit einer Stunde bey mir zum Verkaufe. — Frage nicht erst lange, wie das zugeht — thue ein Gebot darauf, aber bald.

 

Ermuntre dich, laß deiner vollen

     Empfindung ihren Lauf.

Dergleichen Stücke rollen

     Wir nur dem Kenner auf.

 

Er fühlt es mit trunknen Sinnen,

     Wie durch der Farben Licht

Auf einem Stückchen Linnen

     Der Geist zum Geiste spricht.

 

Wohl mir, wenn meines Sturmes Scene

     Dir hoch den Busen schwellt,

Und eine Männerthräne

     Auf meinen Pinsel fällt!

 

Siehst du, wie sich der Tag entfernet

     Auf dieser Wasserflur?

Ganz im Geschmack von Vernet,

     Und wahr, wie die Natur.

 

Sieh, wie der Himmel deinen Augen

     Entgegen droht, Hier weicht

Der Mond, die Wolken saugen —

     Und jeder Stern verbleicht.

 

Der Horizont, mit Blut umzogen,

     Wirft fürchterlich und schwer

Um das Gefecht der Wogen

     Den Trauermantel her.

 

Hoch über das bis auf die Hefen

     Empörte Meer umziehn

Nur einzeln weiße Möven

     Den schwarzen Baldachin.

 

Sey ehrlich! Untersuch΄ und richte,

     Ob nicht der Uebergang

Vom Schatten zu dem Lichte

     Mir wunderbar gelang.

 

Ich bin΄s geständig zwar — mein Vetter

     Malt brav — mit Phantasie;

Doch solch ein Donnerwetter

     Erregt sein Pinsel nie.

 

Wer zählt die Schiffe, die verschwanden,

     Und die noch Wasser ziehn,

Nothschlüsse thun, und stranden,

     Und in den Orcus fliehn?

 

Hier kämpft mit seiner eignen Schwere,

     Zerrüttet durch die Zeit,

Mein Hauptschiff, Frankreichs Ehre,

     Und unterliegt dem Streit.

 

Ihm, dem Gewaltigen — ihm sinken

     Der Thron, das Vorgemach,

Und Millionen Pinken

     Und niedre Barken nach.

 

Dort sinkt ein, das im Untergange

     Selbst noch die Segel spannt,

Ein Raubschiff, nur die Schlange

     Von Orlean genannt.

 

Ein andres dort — Drey Sechsen zieren *)

     Des Schiffes Namenszug,

Den sonst eins von den Thieren

     Der Offenbarung trug.

 

Hier wankt, vom Boreas entkleidet,

     Beschädigt am Verdeck,

Graf Artois — Ach! er leidet

     Nicht an dem ersten Leck! —

 

Und hier dreht manche leere Tonne

     Sich noch im Wirbel — wo

Die löchrige Sorbonne

     Aus dem Gesichtskreis floh.

 

Der Strudel zieht den letzten Splitter

     Der Monarchie hinab:

Dort platzt der stolze Ritter,

     Hier knickt der Bischofsstab.

 

Dort irrt der Schatz von Peru ledig

     Sanct Petern nach, und hier

Der Löwe von Venedig

     Dem thrägen Murmeltier.

 

Sprich! Blieb ich nicht vom fernsten Gipfel

     Bis zu dem nächsten Strand

Mir gleich? — bis in dem Zipfel

     Der bunten Leidewand?

 

Bis — wo noch Ausdruck und Gedanke

     Gleich schön zusammen stimmt —

Bis zu dem Span der Planke,

     Auf dem ein Sperling schwimmt?

 

Des Weisen Herz darf ohne Zittern

     Sich jedem Abrund nahn:

Der Erdball kann zersplittern;

     Er findet seinen Span.

 

So schwamm mein Ich auch im Getöse

     Des Meers, auf Blut und Schaum,

Durch einen Sturm — an Größe —

     Zwo Ellen und ein Daum.

 

____________________

*) Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Thieres: denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666. Offenbsr. Johannis Kap 13. V. 18.

____________________

 

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     Der Sprung, den der liebe Mann so unerwartet aus seiner ästhetischen Höhe in Gott weiß welchen Kramladen that, hätte mich beynahe ganz aus meiner herrlichen Fassung gebracht. Ich mußte zu allen Künsten des Mienenspiels meine Zuflucht nehmen, um meinen Spottgeist und mein gutes Herz im Gleichgewicht zu erhalten. Die vorzüglichste Hülfe indeß verdankte ich ihm selbst, indem er alles, was meine Verlegenheit auswarf — wär΄ es auch der bitterste Hohn gewesen — für den lautersten Beyfall aufnahm, und das unverschämteste Lob viel zu natürlich fand, um meine Aufrichtigkeit in Verdacht zu ziehen. Wenn du ihn nur gesehen hättest, Eduard! Sein seliges Wohlbehagen würde dich am ersten von der Güte der Falschheit belehrt, und überzeugt haben, daß sie, die eure unhöfliche Moral, viel zu geradezu, für Laster erklärt, sich in der Praxis als das wirksamste Hausmittel der Menschenliebe bewähre. Meine närrischen Schmeicheleyen trieben sein Entzücken immer höher, endlich so hoch, daß er, in einer Art von Taumel, sich so freygebig gegen mich erklärte, als gegen das Publicum auf der schwarzen Tafel über seiner Hausthüre, und mir, stelle dir vor, mit väterlicher Entsagung seinen Liebling zum Geschenk anbot, gegen Erstattung der fünf Louisd΄or für die Farben, die er darauf gesetzt habe. — „Wo denken Sie hin?“ knallte ich ihn an, „Wie können Sie in der Welt zu etwas kommen, wenn Sie Sich selbst so wenig zu schätzen wissen? Ich gebe Ihnen gern das doppelte von dem, was Sie fordern, und mache noch immer einen sehr guten Handel.“ — „So wollen Sie denn meiner uneigennützigen Freundschaft durchaus nichts verdanken?“ sagte er rührend, und reichte mir seine dürre hohle Hand hin, in die ich — sehr froh, daß es nur kein Kenner bemerkte — die verschleuderten Goldstücke einzählte.

 

     Indem aber überraschte mich doch bey diesem einfältigen Handel einer von den Herren, die immer geradezu gehen — ein reisender Engländer. Er trat gestiefelt herein, warf ein paar flüchtige Blicke auf die Mandonnen, und hatte genug — drehte sich darauf zu uns hin, und, nachdem er mit ernsten Augen bald den Sturm, bald mit spöttischen den Käufer, und mit höchst verächtlichen den Meister, der eben daran war, das Stück zusammen zu rollen, angeblinzt hatte, klopfte er ihn auf die Achsel, und = = = „Was Herr?“ fuhr er ihn an, „das nennen Sie nach der Natur gemalt? Wollte Gott, es wäre wahr, nur halb wahr! — Ich gäbe gleich aus meinem Beutel tausend Guineen — schon allein für den Untergang Ihres einzigen Hauptschiffs — God damn me! das gäb΄ ich darum,“ — und so ging er steif und pfeifend wieder zur Thür hinaus. — „Das war ein tüchtiges Gebot,“ sagte Passerino ganz unerschrocken: „aber warum blieb der Herr Engländer nicht, und machte seine Bestellungen wie er sie nur haben will? Was wollte er mit meinem Hauptschiffe? Das wird wahrlich nicht lange mehr See halten. — Jeder Kenner, dächte ich, müßte ihm seinen nahen Untergang ansehen.“ — „Ja wohl,“ antwortete ich. „Doch es ist gleich Mittag, Freund, lassen Sie uns gehen.“ — Er nahm nun das zweyellige Bündel unter den Arm, und schlich mir mit einer Miene bis in den Miethwagen nach, als ob er seinen letzten Blutsfreund zu Grabe trüge. Unterwegs aber nach dem Gasthofe ermannte er sich wieder, und bekam sogar Herz genug, mit unter den Bart seinen heutigen Gewinn an Geld und Ehre vorzurechnen. — „Wenn ich alleweile,“ brach seine geheime Empfindung los, „einen Blick auf mich werfe, so fällt mir der gute Correggio mit seiner berühmten Nacht ein. Sie ist wenigstens um anderhalb Ellen größer und breiter als mein Sturm, und dennoch verkauft er sie nicht um einen Groschen höher! Aber, was erst Entsetzen erregt — mußte er sie nicht, wie ein gemeiner Bote, einige Meilen weit in das Kloster tragen, für das sie bestellt war — ohne daß die dummen Mönche ihm für seinen sauren Gang, wie die Historie sagt, nur so viel als eine Mahlzeit beträgt, darüber bezahlt hätten? Als er den Abend in seine Werkstatt zurück kam, und sie ihres schönsten Schmuckes beraubt sah, weinte er bittere Thränen über eine Armuth, die ihn genöthigt hatte, sein unsterbliches Werk, um nicht selbst Hungers zu sterben, solchen Barbaren zu verhandeln. Ich hingegen, großer Gott!“ fuhr er fort, „fühle zwar auch die Trennung von dem letztgebornen Sohn meines Geistes; aber durch wie viel tröstliche Umstände wird sie mir nicht erleichtert! Ich gebe ihn ja in die Hände eines braven, verständigen Freundes, der mich noch dafür ehrt und belohnt, der mich heute bey dem Heiligen Geist zu Gaste, und ach! morgen zu der einzigen Marie führt, die mir abgeht, und die Gebenedeyetste ist unter den hiesigen Weibern!“ Während er in der einen Ecke des Wagens diese Parallele zog, die ihm der Himmel vergebe, saß ich mäuschenstill in der andern, und, indem ich wechselweise bald seinem theuern Sturm einen Schub mit den Füßen gab — bald meine Freygebigkeit, mein Magenfieber und meine morgende Cur zum Henker wünschte, fühlte ich es in allen Gliedern, was es auf sich hat, Protector der schönen Kunst zu heißen.

 

     So endigte sich mein pittoreskes Frühstück. Ich habe es dir auf das genaueste beschrieben — das wirst du nicht anders sagen können. Dafür muß ich aber, vielleicht zum erstenmale in meinem Tagebuche, drey volle Stunden überhüpfen, so wichtig sie indeß auch allen andern Erdenbewohnern seyn mögen; Stunden, die in Marseille so hoch gefeyert werden als zu Berlin, und die — daß ich dir ihren ganzen Werth fühlbar mache — jene kostbaren Minuten enthalten, die selbst unserm großen Könige die sichtbarste Belohnung für sein mühevolles Leben darbieten — mit Einem Worte: die glücklichen Stunden des Mittags. Ich kann dir sogar von der Eßlust meines Gastfreundes keine Rechenschaft geben: denn, während er an der Wirthstafel aller seiner Sorgen vergißt, halte ich mich mit den meinigen von vorgestern her in meinem Nebencabinette verschlossen, suche zu verdauen und schreibe. O des häßlichen Fisches! Wer nicht Seehunde und Meerwölfe zu Gästen hat, sollte so ein Gericht nicht auf seinen Tisch bringen. Wie viel habe ich ihm nicht schon bittere Pulver und Stinkkugeln nachgeschickt! Aber sie prallen ab, wie Schrotkörner von einer Mauer. Nichts sprengt — nichts durchbohrt ihn. Jetzt hat sogar mein Wirth aus menschenfreundlicher Theilnahme die verborgensten Schleusen seines Kellers gezogen, und mir eben Weine aus dreyer Herren Länder herauf gebracht, um ihn wegzuschwemmen. Wenn auch dieses Holländische Mittel nichts hilft — nun so mag meinethalben der holprige Mönchsweg morgen die Masse zerreiben, die mich drückt, und der Ekel, den ich bey meiner neuen Bekanntschaft voraussehe, den heben, den mir meine vorgestrige zuzog, da es für einen protestantischen Magen schwerlich ein kräftigeres Emetik giebt, als so ein Madonnengesicht. Sollte aber die Ziehung der Schleusen den Feind  — aus dem Lande treiben — desto besser! Ich habe eben eine geöffnet, und fühle ihre Wirkung schon bis in den Fingespitzen. Wie viel läßt sich da nicht Gutes erwarten, ehe alle drey geleert sind! —

 

 

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Für einen Menschen, der früh einen Seesturm erlebte, unter Magendrücken sich eines vergangenen guten Mittags erinnert, und den gegenwärtigen ungenossen verschrieben hat, befinde ich mich noch leidlich genug — danke Gott für meinen gepolsterten Sorgestuhl — für den geistreichen Wein, der schon mein ganzes Vertrauen gewonnen hat — für den Trost meiner Feder, und für die gute Laune, mit der ich der Ernsthaftigkeit freundlich die Hand biete. Ob es mir einmal nicht schlimmer zu Muthe seyn wird, wenn ich mich in meine philosophische Klause zu Berlin hinsetze, und nach Beendigung meiner Reise die Summen, um die mich meine Freygebigkeit, meine Kaufsucht und meine physischen und moralischen Thorheiten gebracht haben, aus meinen täglichen Ausgaben heben, und unter der ihnen gebührenden Rubrik zusammen rechnen werde, ist freylich eher zu wünschen, als zu hoffen. Denn, laß mir auch — um ernstlich zu sprechen — meine Erfahrung seit dem ersten November, wo ich Berlin verließ, bis heute, den dreyzehnten Januar, wo ich mich mit einem Meergräuel herumbalge, noch so hoch in Einnahme bringen, so wollte ich doch wohl die funfzig prahlenden Hefte meines Tagebuchs gegen meinen Schreibcalender setzen, daß der Gewinn den Verlust nicht aufwiegt. Ich weiß zwar meine Rechnung recht gut in Ordnung zu halten; nur schlage ich sie nicht gern nach. Doch da ich heute weit weniger um die Zeit selbst, als um ihre Anwendung zwischen zwey Armen eines Lehnstuhls, verlegen bin, so will ich doch den Gedanken, der anklopft, herein nöthigen, will zum Spaß die Rotte meiner unnützen Ausgaben der letzten acht oder zehn Tage zusammenstellen, und meinen jüngsten Thorheiten die Ehre der Sitzung an meinem Revisions=Tische vergönnen.

 

 

In vollwichtigen Ducaten

nach dem Cours zu 12 Livres gerechnet.

 

     d. 4. Jan. — dem Wächter der Laura zum zweyten Geschenk, siehe Tagebuch, dritter Theil, Seite 263.

 

     it. für das Strumpfband der Maria, das ich Tags darauf gegen ein anderes vertauschte, das ungleich weniger werth war, s. Seite 280.

 

     d. 5. — Siehe Insgemein.

 

     d. 6. u. 7. für Beköstigung der Wache, während meiner Gefangenschaft, inclus. des Weins, den sie auf meine und des Papsts Gesundheit getrunken, und eod. des letzten Ducatens an den getauften Juden für sein Gutachten in meiner Proceßsache, s. 5. Theil, Seite 15 = 289.

 

Summa in Ducaten

oder 792 Livres.

 

Ferner in Louisd΄or zu

24 Livres.

 

     d. 8. Verlust an dem, der alten Bertilia auf einen Monat voraus bezahlten und im Stich gelassenen Miethzins auf drey Wochen, deux Louis par semaine

 

     it. für den Abschiedsschmaus, den ich Herrn Ducliquet und Consorten gab, l. Rechnung des Speisewirths und Weinhändlers

 

     it. zurückbezahlter Vorschuß an den Hauptmann der Päpstlichen Garde, für die Recruten, die er der Armencasse abgekauft und mir überlassen hat

 

     it. ebendemselben für die Ausfertigung ihres Abschieds

 

     it. für die Liverey der beyden Puppenspieler, l. Quittung des Trötlers

 

     it. zu Bezahlung ihrer Schulden

 

     d. 9. — für unverdiente Ehre an überflüssigen Schüsseln und Wachslichten d. 8. Abends in Joseph dem Zweyten zu Lambesc

 

     it. für Erfrischungen an Chocolade, Champagner und Punsch, womit ich den Visitator und seine Nichten bewirthete, incl. der Orangen von Malta, die ich bis zu Morgens=Anbruch verbraucht

 

     it. für Rückfahrt von der Tartane von St. Domingo ans Ufer

 

     d. 10. Siehe Insgemein.

 

     d. 11. 12. 13. den Herrn Passerino drey Tage an der Wirthstafel Mittags und Abends frey gehalten, incl. des Weins

 

     it. für einen Seesturm von seiner Hand, zwey Ellen und einen Baum groß

 

     Insgemein für unnöthigen Aufwand an Federn, Tinte, Papier, besonders den 5. und 10. huj.

 

Summa

 

 

Zusammentrag.

     Unnützer Aufwand von 4. bis 7. an 66 Ducaten — macht

 

     desgleichen vom 8. bis 13. an 54 ½ Louisd΄or

 

 

Sonach in zehn Tagen :

 

 

2

 

 

 

41

 

 

 

 

 

 

 

 

 

23

__________

66  Stück

 

 

 

 

 

 

 

 

6

 

 

 

7 ½

 

 

 

 

9

 

 

2

 

 

9 ½

 

2 ½

 

 

 

2

 

 

 

 

 

2 ½

 

 

½

 

 

 

 

 

2

 

 

10

 

 

 

1

__________

54 ½ Louisd.

 

 

 

 

792 Livr.

 

 

1308  =

__________

 

2100 Livr.

 

     Ey, ey! lieber Eduard, da habe ich mir einen schönen Spaß ausgedacht! Gott bewahre mich, daß ich ihn fortsetze! Nicht ein Blatt mehr von meinem verrätherischen Schreibcalender möchte ich umschlagen — ich würde fürchten vor Schwindel unter den Tisch zu fallen. Was ist mit so einer Rechnung anzufangen? Ich kann sie drehen und wenden wie ich will, so wirft sie doch nichts aus, was ich als Gewinn in Einnahme bringen könnte: denn, was hätte mir wohl meine zehntägige Verschwendung eingetragen, außer allenfalls den Fund einer verlornen Schreibtafel — ein paar Puppenspieler, und zwo Ellen gemalte Packleinwand? Das sind herrliche Zugänge der Wirthschaft! Noch dazu darf ich die erste und beste Nummer nicht einmal rechnen; denn sie fällt übermorgen an ihren kranken Eigenthümer zu Montpellier zurück. — Die zwote? beschwert mir den Wagen, lebt auf meine Kosten in den Tag hinein, und schickt sich in der Welt Gottes zu nichts, als zu Harlekinaden. Und die dritte endlich? wenn ich die vollends in Anschlag bringen will, so giebt mir das gutes Spiel. — Sie faßt meine jüngste Thorheit in sich, die gewöhnlich immer die ärgerlichste ist, und zugleich ein Inventariumsstück, als ich Gott Lob noch keins besitze, das so als bey mir werden kann als es will, weder gute noch böse Gedanken und nichts erregt, als Gähnen. Es sind — mit Einem Worte — und bleiben unverantwortliche Ausgaben. Sie würden es für einen Prinzen seyn, der auf Kosten seiner Landstände reiset, geschweige für mich! Womit soll ich den thörichten Geldverpraß — nur dieser letzten zehn Tage — geschweige aller der Wochen decken, die noch unberechnet dahinter liegen? Wie soll ich meiner zerrütteten Privatcasse aufhelfen, und der Entkräftung beykommen, die sie gemeinschaftlich mit meinem moralischen Vermögen erlitten hat? Bey Gott, ich weiß es nicht! —  — Doch halt! da kommt mir eben ein Einfall. Wie wäre es, Eduard, wenn ich, in Ermangelung landschaftlicher Beyhülfe, einen andern Nothreif ergriff, der, ebenso gut als jener, schon manchen leck gewordenen Reisenden in seinen Fugen gehalten, und vor gänzlichem Zerfallen geschützt hat, und, da ich kein Steuer=Aerar in meine Thorheiten verflechten kann, das eben so geduldige, lesende und neugierige Publicum zur Mitleidenschaft zöge? — Und warum — laß uns ein wenig darüber nachdenken — warum sollte ich nicht? Der Einfall ist gar nicht so übel. Zeigen sich in der Verfolgung desselben nicht noch unversehene Schwierigkeiten, die mir ihn verkümmern, so werde ich am Ende wohl gar noch dem Sturme, der mir ihn zuführte, eine Ehrenerklärung thun müssen.

 

     Aber, schon kommt mir ein Umstand in die Quere, den ich vor allen Dingen beseitigen muß, eh΄ ich mein Standrecht benützen kann. Es ist vorerst auszumachen, wem die Entscheidung über diese Blätter eigentlich zustehe — dir — oder mir? Gehört das Votiv=Gemälde dem Gichtbrüchigen, der es aufstellte, oder dem Götzen, dem es geweiht wurde? und wirst du — wenn Letzteres gelten soll — mir erlauben, das meinige aus deiner heiligen Halle zurück zu nehmen, um es der öffentlichen Beschauung preis zu geben? Wie mag ich nur fragen? als ob du wohl je noch den Gang einer Sache gestört hättest, die mehr Gutes erwarten läßt als Böses. — Und das der Druck mein Tagebuch in diesen voraus bedungenen Fall setzet, soll dir gewiß am Ende so stark in die Augen leuchten, daß du mir schwerlich dein — Imprimatur — versagen wirst.

 

     Den möglichen Ersatz meines verschleuderten Kapitals habe ich, einige Zeilen höher, schon dargethan, und da der Vortheil für mich dabey nich zu bezweifeln ist, so giebt es wohl nirgends einen so beschränkten Pfuscher von Finanzminister, der nicht hierin seine eigenen Grundsätze erkennen, und meiner Speculation das Siegel aufdrücken sollte. Ob aber in solcher der Patriot — für den Nachtheil, den ich durch meinen Müßiggang dem Staate — der Philosoph — für die Beeinträchtgung, die ich der Moral zugefügt habe — eine eben so auslangende Entschädigung erwarten dürfe, hätte ich dir noch zu erweisen; und es ist ein wahres Glück, daß, trotz aller Dünste, die mir zu Kopf steigen, ich Federkraft genug habe, so verwickelte Fragen aus einander zu wirren. Patrioten und Philosophen — ich weiß es — sind krittliche Geschöpfe, und es ist eine wahre Wohltat von Gott, daß ein unbefangener Autor deren nur wenig antrifft — aber, ich dächte doch — auch sie müßten einsehen, daß mit meiner Sache wenig oder nichts anzufangen sey, wenn ich sie liegen lasse, wie sie alleweil liegt: denn gesetzt, meine Herren, ich ließe die Stunden meines Müßiggangs, mit ihrem ganzen häßlichen Gefolge, als Schatten eines vergeudeten Lebens, tagtäglich an meinem Lehnstuhle oder Rechnungstische vorbey ziehen, so kann ihre traurige Procession doch höchstens nur eine Staubwolke — den vergeblichen Wunsch nämlich bey mir erregen, daß sie noch zu meiner Zeit gehören möchten! Ihr widriger Anblick kann mich allenfalls in meinem Vornehmen befestigen, die folgenden, die mir etwa noch werden, mit guten, nützlichen, wohlthätigen Werken zu schmücken, damit nie eine mehr bey mir vorüberschlüpfe, die mir nicht freundlich und friedlich in die Augen spiele, und noch im Verschwinden einen Kuß zurück werfe. Das ist nun zwar etwas, aber nicht viel. Wollte ich aus schamhafter Empfindlichkeit vollends gar ihrem Andenken entsagen, und thun, als ob sie nie zu meinem Leben gehört hätten, so wäre das noch weniger. Entschließe ich mich aber nur, ihre Luftgestalten in einen Spiegel zu fassen, und gewönne ich so viel damit, daß ich ihn dem Selbstgefühl anderer leichtsinnigen Gesellen, die bey mir vorüber ihren Leidenschaften nachlaufen, vorhalten, und bewerkstelligen kann, daß sie einen Augenblick stille stehen, und bey Betrachtung meiner Bilder zu Athem kommen, so giebt mir dieses schon einen ganz andern — beynahe theologischen Antrieb, mit einem Buchhändler zu sprechen, und dem ersten Bewegungsgrunde, der nur auf meinen Nutzen berechnet war, einen ungleich wichtigern bey, der viel empfehlendes selbst für den Philosophen hat. — Immer aber ist weder der eine noch der andere auslangend genug, daß ich mich so geschwind über die Schamröthe wegsetzen möchte, die gewiß jeden ehrbaren Mann anfliegt, wenn er, wie ein Savoyard mit seiner Zauberlaterne, durch die Straßen laufen, und seine Grotesken ausrufen soll. Nein, meine hochverehrten Herren! Die wahre Triebfeder, die mich zu einem Schritte bewegen kann, der eigentlich meinem Gefühle widersteht, liegt in meiner Denkungsart über einen Grundsatz, den ich mir zwar bloß aus der Erfahrung gebildet habe, der aber, nach meiner Einsicht, wohl verdiente, in der praktischen Weltweisheit einen systematischen Anstrich zu erhalten: daß man nämlich die äußere Mechanik zu Hülfe rufe, wo es mit unsrer innern Einrichtung stockt. Dieser dunkle Satz wird erst ganz klar durch die Anwendung. Ich müßte ein Buch schreiben, wenn ich alle die Fälle aufzählen wollte, die seine Brauchbarkeit an den Tag legen. Um dießmal nur von der Unterstützung zu reden, die er mir leistet, so eröffnet er mir ganz allein, mit der Hoffnung, den beleidigten Genius der Moral zu besänftigen, die schöne Aussicht, jenen — nun einmal verlornen und verschrienen Zeitraum meines Lebens hinterher noch einigermaßen zu veredeln; die Anforderung des Staats an mich auf dem Wege der Gegenrechnung auszugleichen, und endlich mich selbst der gerechten Bestrafung zu überliefern, die, da sie nur Richtern zukommt, die weniger wieder das Sittengesetz verstoßen haben als ich, äußerst gelind ausfallen wird. Und dieses = = =

 

     Doch erst muß ich den Sturmmaler, der eben glänzend und munter von seinem Mittagsmahl hereintritt, aus der Stille meines Schreibtisches entfernen, und ihm etwas zu thun geben, damit er mich in der Ausführung meines Beweises ungestört lasse. — „Können Sie noch wohl Ihre Muttersprache schreiben, lieber Sperling?“ — „Das will ich hoffen,“ antwortete er mir, nahm eine von meinen Federn, und bewies mir auf der Stelle durch seinen alten Denkspruch, den er mir auf ein Schnittchen Papier schrieb, wie ehemals in mein Stammbuch:

 

Wenn, lieber Künstler, dir zum Lohne

Kein Zepter ward un keine Krone,

So tröste dich dein Ruhm! Talente, Geist, Geschmack,

Veredeln selbst den Bettelsack.

 

     „Schön!“ rief ich aus. „Ihr Denkspruch beruhigt mich ganz über die Zumuthung, die ich im Begriffe bin Ihnen zu thun. Es betrifft die Abschrift eines Briefs, die ich zwar angefangen, aber nicht geendigt habe; denn er ist so lang wie eine Abhandlung. Die Arbeit ist dringend: denn übermorgen muß ich das Original in Montpellier seinem Eigenthümer zustellen; nun ist aber der heutige Abend meinem Reisejournal, der morgende Tag unserer bewußten Wallfahrt bestimmt — was ist da zu thun? Ich würde sie höchst ungern aufgeben; und doch sehe ich kein ander Mittel — Sie müßten denn die Stunden, die ich dadurch zu kurz komme, übernehmen.“ — „Herzlich gern,“ fiel mir Freund Passerino ein. — „Getrauen Sie Sich mit der Abschrift heute noch fertig zu werden, gut: so können Sie die Postpferde nach Cotignac so früh bestellen als Sie wollen. Der Inhalt der Handschrift wird Ihnen übrigens die Mühe des Abschreibens gar sehr versüßen; denn es sind Rhapsodien über Talent und Geschmack.“ — „O geben Sie her,“ unterbrach er mich hastig: „über so einem Thema könnte ich ganze Nächte aufsitzen.“ — „Eine Bedingung jedoch,“ fuhr ich fort, „müssen wir noch festsetzen, daß keiner nämlich den andern störe. Ich brüte hier über einer häklichen Sache, die keine Zerstreuung zuläßt; und doch ahndet mir, daß Ihnen beym Abschreiben nichts schwerer fallen wird, als das Maul zu halten. Es ist natürlich: einem Kopfe, wie der Ihrige, müssen bey so einer Materie Zweifel die Menge aufstoßen. Ich gebe sie Ihnen alle im voraus zu, nur anhören mag ich sie nicht; und müssen sie Ihnen ja über die Leber, so setzen Sie sie neben Ihre Abschrift als Randglossen — das soll Ihnen erlaubt seyn. — Unter diesen Maßregeln, die ich zu meiner Sicherheit für nothwendig hielt, stellte ich ihm einen Tisch, dem meinigen gegenüber, in das Fenster, legte ihm den Brief des Landjunkers vor — wies ihm die Zeile, bey der ich stehen geblieben, und bin durch diesen Ausweg zwoer großen Beschwerlichkeiten auf einmal los geworden — der undankbaren Mühe der Abschrift und — seiner Unterhaltung. —

 

     Und dieses — fahre ich nun ruhiger in meinem angefangenen Beweise fort — kann wohl auf keine patriotischere Weise geschehen, als daß ich den ganzen Unrath meiner verschwendeten Zeit, wie er sich während der Reise in meinem Tagebuche anhäufte, zusammen kehre, und die körperliche Schwere, die darin liegt, an jenes bekannte Triebwerk hänge, das eine Menge verdienter Staatsbürger sammt Weib und Kindern ernährt — eine Menge nach Fleiß und Arbeit ringender Hände in Bewegung setzt — von dem Lumpensammler an bis zu dem Recensenten — von dem Setzer bis zum Verleger — vom Kupferstecher bis zum Buchbinder. Welcher Kreislauf von Thätigkeit, Mühe und Erwerb, ehe der Nebel meiner verflossenen Stunden in die Höhe steigt, und nun in sanften Thautropfen auf die Blumenkelche, oder — wie es trifft — auf die Krautköpfe meiner Leser herunter fällt! Wie gut, daß nichts auf unserm Erdball verloren geht, selbst das nicht, was wir verthun! — Alles kann nützlich werden, und wird es. Versäumen wir es aufzuheben, so thut es die Natur von selbst; denn sie hat unzählige Mittel der Anwendung in ihren immer schaffenden Händen. Lange trugen die emsigen Ansiedler von Holland die rodt gebrannte Asche ihres Torfs, wie ich die Belege meines Tagebuchs, einzeln aus ihren Kaminen auf einen Haufen zusammen, der endlich zu einer fürchterlichen Größe anwuchs. Was soll, fragten sie ängstlich unter einander, in die Länge aus dieser unnützen Staubmasse werden, die, hätten wie sie in unsere Canäle getragen, sie längst so gewiß würde verstopft haben, als sie jetzt unsere Dörfer und Städte verdämmt? Zeit und Nachdenken haben sie gelehrt. Jetzt befrachten sie ganze Flotten mit diesem, ihnen ehemals so ärgerlichen Material, und schicken es ihren Nachbarn in Braband zu, die jährlich darauf harren, um ihre an Erstickung allzu großer Fettigkeit leidenden Felder damit zu lüften, und sie zu bessern Ernten geschickt zu machen. Dieser Tauschhandel ist fortdauernd im Gange, und ist Staatsbedürfnis geworden. Das eine Land bezahlt von dem Ueberflusse seines Korns den überflüssigen Staub des andern, und beyde Länder befinden sich wohl dabey. Wie wunderbar, meine Herren, hängt doch auf unserer Kugel — Alles und Nichts — und wie wunderbar, wirst du sagen, hängt doch Geschwätz und Philosophie, und oft ein schwerer Beweis mit einem Glase so süßen Weines zusammen, als ich eben, wie du vermuthlich von weitem ahndest, auf aller Patrioten Wohlseyn ausleere!

 

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Abends neun Uhr.

 

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Wie ich glaube — denn gewiß weiß ich es doch nicht — bin ich auf der vorigen Seite mit den Patrioten, den Philosophen und dir völlig zu Rande gekommen — habe von euch allen die Erlaubniß ausgewirkt, mein Tagebuch drucken zu lassen, und meine Actien sind nun im Steigen. Doch fürchte nicht, Eduard, daß mich diese abgeschüttelten Sorgen verleiten werden, meinen alten Haushalt so fortzusetzen, als meine niedergeschriebenen Hefte besagen. Gott bewahre! Ich wünsche Gegentheils, — und ich kann wohl sagen, mit aufrichtigem Herzen — daß von nun an nur die reinsten Tugendbilder aus meinem Leben zurück strahlen und meine Feder beschäftigen mögen. Nur muthe mir niemand zu, ihr eine schöne Lüge zu unterlegen, in dem Falle, daß ich dir eine häßliche Wahrheit zu gestehen hätte. Daraus wird nichts. Wer Guckkasten von so erbaulicher Zusammensetzung verlangt, lasse mein Tagebuch ungelesen, und suche sich einen unter den zweyen — dreyen — aus, die er selbst in der kleinsten Stadt findet. Ich hörte eben einen über die Straße orgeln. — Er stand zu sehr in Verbindung mit meinen Gedanken, um ihn ruhig vorbey gehen zu lassen. Der Epilogus mußte ihm nachspringen. Es trat ein stattlicher Junge herein, der seine Sachen ganz gut machte. Passerino fand seine bunten Bilder recht artig; sein Leyerstückchen war es gewiß nicht weniger, und lautet in unserer Deutschen Uebersetzung also:

 

Schaut auf! Hier wird zur Abendfeyer

     Die große Harmonie der Welt,

Dem armen Mann für einen Dreyer,

Weit männlicher nach meiner Leyer,

     Als durch Castraten vorgestellt!

 

Dieß ärmlichste von allen Spielen

     Entwickelt mehr, als es verheißt:

Den Kleinen — die nach Hoheit schielen,

Den Hohen — die vom Gipfel fielen,

     Rührt es das Herz und hebt den Geist.

 

Du siehst hier — Carln, den Kaiser, speisen,

     Und König Salomonis Thron,

Und möchtest dich vor Neid zerreißen,

Und wünschest, auch ein Herr zu heißen,

     Wie Kaiser Karl und Salomon.

 

Doch bald nachher erfolgen Possen,

     Wie sie von Zeit zu Zeit geschehn.

Den Pharao sammt seinen Rossen

Wirst du, elendiglich erschossen,

     Im rothen Meere schwimmen sehn!

 

Jetzt schleudert er in Todesschmerzen

     Mit Fluchen Kron΄ und Zepter hin;

Nun rufst du mit bekehrtem Herzen:

Mit Gott΄s Gewalt ist nicht zu scherzen;

     Wohl mir daß ich kein König bin!

 

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Um Mitternacht.

 

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Ich muß doch meine Feder noch einmal ansetzen, die, wie meine müd getriebenen Gedanken, länger als zwo Stunden geruht hat, um dir die Lage zu schildern, in der ich mich schaukele; denn sie ist gar zu schnakisch. — Entschuldige nur meine großen Buchstaben. Wenn ich sie hinsetze, kommen sie mir winzig klein vor; aber sie wachsen, wie sie mir entschlüpft sind, hüpfen mit über die Zeilen, wie die Lämmer, und vermehren sich auch, glaube ich; denn mitunter sehe ich sie doppelt. — Der Wein des Wirths ist so wohlschmeckend, als er stark ist. Wenn der nicht gegen den Seekobold Recht behält, so thut es keiner. Ich trinke ein Glas ums andere mit neuem stillen Vergnügen. Mein Lehnstuhl umarmt mich mit einer Herzlichkeit, daß ich nicht daran denken mag ihn zu verlassen, und Passerino macht mir unendlichen Spaß, ohne daß er es selbst weiß. Ich sitze ihm im Rücken und höre ihn abschreiben. Im ganzen Ernste, Eduard, ich höre ihn; denn er murmelt zu jeder Zeile seine Randglosse — stritte gern dem armen Landjunker ein jedes Wort ab, und geberdet — nein der Teufel könnte es nicht ärger, wenn er ein Evangelium abschreiben müßte —

 

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Der Mensch kann = = =

 

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Mein ehrwürdiger Freund und Gönner haben mir — dem Maler Sperling — gütigst übertragen, die Zeile, die unter Ihren Händen verunglückte, vollends auszubilden. — Der Mensch, gedachten Sie zu sagen, kann alles was er will. In Beziehung auf die drey Bouteillen mag es auch seine Richtigkeit haben; denn Sie haben solche ausgeleert, wie es Ihr Wille war. Nachher aber reichte die Sentenz nicht weiter — denn Sie wollten fortschreiben, aber Sie konnten nicht. Der Wein scheint eine andere Richtung genommen zu haben, als der liebe Herr erwartete; denn anstatt den Magen auszuspülen, ist er ihm zu Kopfe gestiegen, und hat außerdem nichts gewirkt, als ein starkes Zittern an Händen und Füßen und ein wenig Schwindel. Da sich alles das hinter meinem Rücken gemacht hat, so erschreckte mich eine so unerwartete Erscheinung nicht wenig, als ich mit der Abschrift fertig war, und mich herum drehte, um sie ihrem Herrn zu überliefern. Ich habe sie, wie auch das Original, einstweilen dem Herrn Kammerdiener zugestellt, mit dessen Beyhülfe ich eben den Kranken zu Bette gebracht habe. Ew. — ich lasse alle Titulatur weg, da ich nicht weiß, an wen ich die Ehre habe zu schreiben — dürfen also unsern gemeinschaftlichen Freunds halber ganz außer Sorge seyn. Der nächtliche Schlaf wird den Unfug wohl heben, den der Wein aus dreyer Herrn Länder angerichtet hat; und da wir morgen mit dem frühesten — auf sehr holprichtem Wege — über Land fahren, so ist kein Zweifel, daß diese starke Bewegung dem hartnäckigen Streit mit dem Seefische — der leider noch immer besteht — einen glücklichen Ausgang verschaffen werde. — Wie die Zeit vergeht! Schon zwo Stunden über Mitternacht! Der Herr schlafen — aber etwas unruhig. Mein Licht ist abgebrannt — ich darf nicht länger hier säumen, wenn es mir bis an die Hausthüre noch vorleuchten soll.

 

 

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Ende des sechsten Theils.